Den
faschistischen Horst-Wessel-Mythos brechen!
Am 23. Februar 2005 ist
der 75. Todestag des SA-Sturmführers Horst Wessel. Dieser war am
Ende der Weimarer Republik eine der zentralen Figuren der NationalsozialistInnen
im Kampf um den roten Friedrichshain in Berlin und wurde am
14. Januar 1930 bei einer Milieustreitigkeit vom Rotfrontkämpfer
Albecht Höhler (KPD) in seiner damaligen Wohnung in der Großen
Frankfurter Straße 63 (heute Karl-Marx-Allee) mit den Worten Du
weißt ja wofür angeschossen. Ein paar Wochen später
starb er dann im St.-Joseph-Krankenhaus (heute Krankenhaus Friedrichshain)
an einer Blutvergiftung, da er nach dem Schuss nicht sofort von dem jüdischen
Arzt Dr. Selo behandelt werden wollte. Grund genug für heutige Neonazis,
Wessel als glühenden Idealisten zu stilisieren und seit
Mitte der neunziger Jahre durch Plakate und sog. Horst-Wessel-Aktionswochen
zu gedenken. In den letzten drei Jahren haben verschiedene linke Gruppen
dieses Gedenken am Grab Wessels auf dem St.-Nicolai-Friedhof (Prenzlauer
Allee/Mollstr.) unterbunden und werden es auch 2005 wieder tun.
Das kurze Leben des Horst W.
Neonazis suchen sich meist die ungeeignetsten NationalsozialistInnen
für ihre Mythenbildung aus. Opfermythen halten sich ungeachtet
aller Transformationen durch die Jahrhunderte, schrieb der Historiker
Reinhart Koselleck einmal. So auch bei Horst Wessel, der gerade mal 22
Jahre alt wurde und dessen Wirken sich darauf beschränkte, das Lied
Fahne hoch, die Melodie eines damaligen Gassenhauers, mit
neuem Text zu unterlegen und mit seinem SA-Sturm 34 Friedrichshain zwischen
1929 und ´30 durch Gewaltexzesse unsicher zu machen. Er galt zu
Lebzeiten als ideologisch gefestigt, war ein Ziehkind Goebbels und durfte
schon früh als Ausbilder fungieren.
Als Sohn eines hoch angesehen Kriegspfarrers war er im jüdischen
Ghetto im heutigen Mitte aufgewachsen und als fundamentalistisch-christlicher
Nationalist erzogen worden. Wer Wessel verstehen will, muss zunächst
versuchen seinen fanatischen Vater, Pfarrer Ludwig Wessel zu verstehen,
der ebenfalls jung, mit 42 Jahren, an einem alten Kriegsleiden starb und
auch auf dem St.-Nicolai-Friedhof begraben liegt. Dieser war im 1. Weltkrieg
als Kriegspfarrer tätig und ein geübter Massenredner, der die
Soldaten mit einem rassisch grundierten, aggressiven Pangermanismus, einer
besonderen Sendung der Deutschen zur Rettung der verderbten Welt, auf
den Heiligen Krieg einschwor. Nach dem Krieg war Ludwig Wessel
Vorsitzender des Reichsbürgerrats, der sich als scharfer Gegner der
Versailler Verträge profilierte und die Gewalt germanischen
Christusglaubens propagierte. Bei solch einem Elternhaus ist die
politische Karriere des geltungsbedürftigen Horst durchaus nachzuvollziehen
und für die damalige Zeit nicht unüblich. Er durchlief in seiner
Jugend die Wehrsportverbände Bismarckjugend und Wiking Bund (später
Stahlhelm), mit denen die organisierte Rechte nach dem 1. Weltkrieg auf
die Organisationsverbote reagierte, und endete 1926 bei der 1925 wieder
erlaubten NSDAP.
Die Ortsgruppen der Sturm-Abteilung (SA) wurden zunächst wie Sportabteilungen
organisiert und hatten durch ihr derbes Auftreten als Ordner bei Aufmärschen,
durch Flugblattaktionen und Straßenschlachten eine hohe Anziehungskraft
für Polit-Hooligans wie Horst Wessel. Joseph Goebbels, der 1926 Gauleiter
der NSDAP für Berlin-Brandenburg wurde, erkannte schnell Wessels
propagandistische Fähigkeiten und ließ ihn innerhalb des permanenten
Wahlkampfs der NSDAP Seminare geben, auf Diskussionsveranstaltungen
Reden schwingen und von ihm neu interpretierte Hits singen (Wessels SA-Sturm
war der einzige mit einer Schalmeienkapelle, die sonst eigentlich nur
bei den KommunistInnen üblich waren). Dabei soll nicht unerwähnt
bleiben, dass die NSDAP keine Lehrmittel bereit hielt und jede RednerIn
ihre Seminare selber zusammenstottern musste. Das Niveau solcher Veranstaltungen
muss daher noch unter dem heutiger Kameradschaftsabende gelegen
haben. Die ideologische Ambivalenz und die mangelnde Festigung der Mitglieder
war dafür verantwortlich, dass politische AktivistInnen damals öfters
die Lager wechselten. Gleichwohl schaffte es Wessel durch seine Überredungskünste,
seinen SA-Sturm innerhalb eines halben Jahres von 30 auf knapp 250 Mitgliedern
auszubauen. Doch die Früchte seines kurzen, aber nicht minder erfolgreichen
Schaffens sollte er nicht mehr miterleben.
Als sein drei Jahre jüngerer Bruder Werner Wessel, ebenfalls Mitglied
der NSDAP und SA, im Dezember 1929 mit einer Schneeschuhgruppe der
Berliner Nationalsozialisten im Riesengebirge im Schneesturm erfror,
stürzte Horst Wessel in eine seelische Krise, zog mit der Prostituierten
Erna Jänichen zusammen und entwickelte sich zu einem Draufgänger,
dessen politische Abenteuer mit seinen 250 AnhängerInnen immer mehr
ins kriminelle Milieu abdrifteten. Seiner Vermieterin Elisabeth Salm war
seine Freundin ein Dorn im Auge und so suchte sie am 14. Januar 1930 Hilfe
in Bärs Kneipe (in der heutigen Max-Beer-Straße),
einem Sturmlokal der 2. Bereitschaft des Rotfrontkämpferbundes (RFB)
der KPD. Salm unterbreitete den RFBlerInnen, dass Wessel, mit dem fast
alle Anwesenden eine Rechnung offen hatten, Waffen und belastende Dokumente
gegen den RFB in der Wohnung hätte und ihr außerdem die Miete
schuldig sei. Der Beschluss, ihm eine proletarische Abreibung
zu verpassen, war schnell gefasst. Albrecht Höhler und Erwin Rückert
wurden aus dem Lokal Galsk in der Mulackstraße geholt,
da sie Waffen besaßen und als erstklassige Schläger und Gelegenheitskriminelle
mit eher geringem politischen Anspruch im RFB aktiv und im Kiez bekannt
waren. Vor Gericht gab Rückert später zu Protokoll, man habe
der Vermieterin nach dem schönen Brauch der armen Leute
beistehen wollen.
Über den Ablauf des folgenden Geschehens gibt es verschiedene Versionen.
Nach einer schoss Höhler - in Wessels Wohnung angekommen - dem Anführer
des SA-Sturms ohne viel Gerede ins Gesicht. Anschließend wurde das
Zimmer nach den Dokumenten durchsucht und ohne Erfolg wieder verlassen.
Nach einer anderen Version erschoss Höhler Wessel mehr aus Versehen
und aus Schreck darüber verließen die RFBlerInnen fluchtartig
die Wohnung. Wieder in einer anderen Version griff Wessel zu seiner Pistole
und Ali Höhler schoss aus Notwehr. Wie es auch war: der RFB hatte
Horst Wessel schon länger als SA-Kader geoutet und war sich dessen
Position in der Durchsetzung der Politik der NSDAP in Friedrichshain sehr
bewusst. Was aber genau, aus welcher Motivation geschah, kann wahrscheinlich
nie mehr hundert pro klargestellt werden. Eindeutig ist nur, dass Wessels
Vermieterin Salm die RFBlerInnen in die Wohnung gelassen hat und es kein
von langer Hand geplanter Anschlag war, wofür die völlig dilettantische
Vorgehensweise spricht. Auch muss das Geschehnis mit einer Auseinandersetzung
vor dem KPD-Lokal Frey (Linien-/Joachimstraße) vorher
am gleichen Abend bewertet werden: Dort war dem 17jährigen Kommunisten
Camillo Roß von Nazis in den Rücken geschossen worden, was
die Stimmung der RFBlerInnen noch zusätzlich angeheizt haben dürfte.
Konstruktion eines Mythos
Die Motivation Albrecht Höhlers (im Rotlichtmilieu nur Ali
genannt) wurde im nachhinein bis heute immer wieder runtergespielt, überbewertet,
falsch interpretiert und vor allem politisch bewusst instrumentalisiert.
Schon während Wessels Beerdigung am 6. März 1930 auf dem St.-Nicolai-Friedhof,
bei der es zu Tumulten mit Schusswaffengebrauch zwischen den nicht-trauernden
Massen und der Polizei kam, verklärte Joseph Goebbels den Toten als
quasireligiöse Idealfigur des germanischen Siegfried-Motivs - des
unbekannten SA-Mannes - sein Leben zur Passionsgeschichte
eines deutschen Messias, eines Christussozialisten und Helden,
der von seiner angeblich kommunistischen Zimmerwirtin heimtückisch
verraten wurde. Horst Wessel entsprach weithin Goebbels imaginierten deutschen
Heldenbildern und Erlösererwartungen und hatte auch für viele
NationalsozialistInnen eine eher religiöse als politische Aussagekraft.
Nach der Machtübergabe an die NationalsozialistInnen am 30. Januar
1933 bekamen der Bezirk Friedrichshain, das Krankenhaus in Friedrichshain,
in dem Wessel gestorben war, der Rosa-Luxemburg-Platz, die Weydingerstraße,
ein Schulschiff und sein ehemaliger SA-Sturm 34 den Namen Horst-Wessel
und manche Straßen im heutigen Polen schimpfen sich bis heute immer
noch so. Weiterhin wurde sein Lied Fahne hoch zur zweiten
Nationalhymne und hat bis heute nur wenig Bedeutung für die heutigen
Nazis eingebüßt. In späteren NS-Propagandafilmen, Publikationen
und einem Horst-Wessel-Bildband (Herausgeberin war seine Schwester, die
den Mythos kommerzialisierte) wurde die These des politischen Attentats
weiterverfolgt, der heute von Neonazis immer noch reproduziert und von
einigen bürgerlichen Institutionen ebenfalls mangels historischer
Recherche teilweise verwendet wird. Auch heute noch findet man letzte
Spuren dieses Kultes. So steht in der 1935 geweihten Martin-Luther-Gedächtniskirche
in Berlin-Mariendorf eine Kanzel, die mit zahlreichen geschnitzten Figuren
verziert ist. Eine davon stellt unverkennbar Horst Wessel als SA-Mann
dar.
Der MärtyrerInnenkult hatte für den Nationalsozialismus eine
wichtige Bedeutung, so wie er auch für die extreme Rechte heute ein
zentraler Punkt ihrer Ideologie ist. Bewusst christlich religiös
aufgeladen, geht er damit auf die gnostischen Elemente im Christentum
ein. Der Nationalsozialismus vertrat die Idee einer gnostischen Apokalypse,
wobei die Söhne des Lichts, die Arier, in deren Adern das Blut Christi
fließe, gegen die Söhne der Dunkelheit, den jüdischen
Antichristen, kämpfen. Am Ende steht entweder das tausendjährige
Reich als weltimmanente Erfüllung der Heilsgeschichte oder der Sieg
des Antichristen und mit ihm der Untergang der Menschheit. Für viele
ist Nationalsozialismus und Christentum ein Widerspruch, doch der NS hat
sich nur scheinbar gegen die Religion gewannt und lehnte allenfalls die
institutionalisierten Einrichtungen des Christentums ab. In diesem Bewusstsein
stand auch Alfred Rosenbergs (NS-Ideologe) Ummagnetisierung des Christenkreuzes
zum Hakenkreuz. Hitler selbst hielt sich für einen neuen Jesus, so
sagte er 1926: Christus war der größte Pionier im Kampf
gegen den jüdischen Weltfeind. [...] größte Kämpfernatur,
die es auf Erden gegeben hat [...] Die Aufgabe, mit der Jesus begann,
die er aber nicht zu Ende führte, werde ich vollenden.. Er
baute in seine Reden aber auch Christus-Zitate aus der Johannes-Offenbarung
ein, wie 1926 bei einer Rede vor SA-Männern: Ihr seid in mir
und ich bin in euch..
Horst Wessel wurde zum Märtyrer für den Nationalsozialismus,
da er perfekt die Rolle des arischen Lichtsohns ausfüllte, der im
apokalyptischen Kampf mit dem Antichristen fiel. Er reihte sich damit
sowohl in die Kette christlicher, wie auch nationalsozialistischer MärtyrerInnen
ein. Manifestation fand das z.B. in seiner Abbildung auf dem Altar in
Mariendorf. Ein aktuelles Beispiel für die ideologische Verbindung
zwischen Christentum und nazistischer Ideologie bietet die 1981 gegründete
britische Neo-Folk-Band Death in June, deren Name für
den Todesmonat des SA-Führers Ernst Röhm steht, welche das Horst-Wessel-Lied
1987 auf ihrer LP mit dem bezeichnendem Titel brown book in
einer A-Cappella-Version als eine Art sakralen Trauergesang vertonte.
Doch auch die KPD drehte an den geschichtlichen Tatsachen und versuchte
den Anschlag auf Wessel aus propagandistischen Gründen umzudeuten.
Die KPD durchschaute die Strategie Goebbels, versuchte ihrerseits Schaden
von sich abzuwenden und verleugnete den geflüchteten Höhler
als Polizeispitzel und erfand, dass der Streit unter den beiden wegen
Zuhälterei bzw. Eifersucht entstanden war. Bis heute wird diese Auffassung
vertreten. So drehte die DEFA noch 1984 den Film Der Lude,
der die in der DDR offizielle Zuhälter-Story vertrat.
Das Ende der Republik
Um den Horst-Wessel-Mythos nachvollziehen zu können muss die damalige
Zeit etwas näher beleuchtet werden. Da wir kein Buch zu diesem Thema
veröffentlichen wollten, fassen wir in den folgenden Abschnitten
den Übergang der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus stark
gekürzt zusammen.
Horst Wessel wirkte und starb in einer Zeit, die von alltäglicher
Gewalt und immenser Arbeitslosigkeit (in Berlin-Friedrichshain knapp 40
%) geprägt war. Friedrichshain war als roter Arbeiterbezirk verschrien
und das nicht nur, weil hier viele Anhänger der KPD und SPD lebten,
sondern auch weil sich hier eine undurchdringliche kriminelle Subkultur
herrausausgebildet hatte, die zu bezwingen der Staat nicht in der Lage
war. Politische Arbeit wurde von allen Seiten z.T. bis aufs Messer betrieben.
In dieser Periode bis Januar 1933 kamen die basisorientierten Politikformen
zum Tragen, da sich die Ereignisse überschlugen und von allen AkteurInnen
eine Radikalisierung der Politik forderten. Der Kampf der KPD und NSDAP
um die Stimmen der ArbeiterInnen in Berlin wurde traditionell mit Massenschlägereien
ausgetragen.
Der Rotfrontkämpferbund nahm als KPD-Massenorganisation wegen seiner
großen Mitgliederzahl, der hohen Opferbereitschaft und der militanten
Vorgehensweise im Kampf gegen die SA und die Republikschutztruppe Reichsbanner
(gegründet von der SPD) eine Sonderstellung im politischen Straßenkampf
ein. RFBlerInnen sahen sich als Soldaten der Revolution. Auf
der Ebene des Straßenkampfes herrschte zu dieser Zeit ein Gleichgewicht
zwischen den politischen Gruppen.
Der Polizeipräsident von Berlin Zörgiebel (SPD) verhing am 21.
März 1929 ein Demonstrationsverbot, an das sich die KPD aber nicht
hielt. Es folgte der Blutmai der 1. Mai 1929, an dem
rote Barrikaden in Neukölln, Moabit und Wedding standen und bis zum
3. Mai 33 Menschen von der Polizei erschossen wurden. Daraufhin wurde
die KPD und der RFB kurzzeitig verboten. Als im Januar 1930 Wessel angeschossen
wurde, geschah das zeitgleich mit einem neuen generellen Versammlungsverbot
durch den preußischen Innenminister Albert Grzesinski (SPD), der
damit die Luxemburg-Liebknecht-Demo der KPD und gewalttätige Auseinandersetzungen
zwischen links- und rechtsgerichteten Organisationen verhindern wollte.
Die gesamtgesellschaftliche Lage bezüglich der Arbeitslosigkeit verschlechterte
sich und es wurde deutlich, dass die Regierungskoalition aus SPD und der
Deutschen Volkspartei (DVP) handlungsunfähig war. Diese zerbrach
im März 1930 am Streit über Sparmaßnahmen, die ergriffen
worden waren, um den Versailler Vertrag zu erfüllen und die Weltwirtschaftskrise
auszugleichen.
Kein Tag verging, an dem es nicht zu Auseinandersetzungen zwischen Rotfrontkämpferbund,
SA und Reichsbanner kam. Die politische Situation der Linken war gespannt,
da es für die KommunistInnen unmöglich war, mit den KonterrevolutionärInnen
der SPD zusammenzuarbeiten. Das lag vor allem an den noch frischen Erinnerungen
an die vielen politischen Morde der SPD während und nach der gescheiterten
Revolution von 1918/19, wobei sich vor allem der Bluthund Noske
(Reichswehrminister, SPD) einen Namen gemacht hatte. Aber auch die NSDAP
konnte ihre Leute nicht zusammenhalten und der linke Flügel in der
NSDAP unter Otto Strasser, der seine sozialistischen Forderungen nicht
durchsetzen konnte, spaltete sich ab und demolierte am 30. August 1930
eine Geschäftsstelle der NSDAP, nur zwei Wochen vor der Wahl vom
14. September. Die NSDAP erzielte bei dieser Wahl republikweit 18,3 %
und trat damit aus ihrer Position als Splitterpartei heraus auf die parlamentarische
Bühne. Dort war sie nun zweitstärkste politische Partei. In
Friedrichshain hatte bei dieser Wahl die NSDAP gerade mal 11% erreicht
und die KPD, obgleich zeitweise verboten, immerhin 38 %.
Nur wenige Tage nach der Wahl fand der Prozess gegen Höhler, Rückert
und die anderen Beteiligten am Anschlag auf Horst Wessel statt. Höhler
war zunächst durch die Rote Hilfe nach Prag geflohen, kehrte aber
aus Geldmangel wieder nach Berlin zurück, wo er und alle anderen
Beteiligten festgenommen wurden. Höhler und Rückert erhielten
sechs Jahre Haft, die anderen zwischen einem und fünf Jahren wegen
schwerer Köperverletzung mit Todesfolge. Die Geliebte Wessels Erna
Jänichen, die Hauptbelastungszeugin, tauchte unter und trat später
wieder ans Licht der Öffentlichkeit, um gegen ihre Darstellung in
einem schnulzigen Liebesroman über Horst Wessel zu klagen.
Immer mehr gelangten die politischen AkteurInnen dieser Zeit zu der Erkenntnis,
dass der Kampf auf der Straße das einzige erfolgreiche Mittel der
politischen Einflussnahme darstellte. Am 5. Dezember 1930 sollte beispielsweise
der Anti-Kriegsfilm Im Westen nichts Neues nach dem Roman
von Erich Maria Remarque uraufgeführt werden. SA-Leute störten
bei der Premiere und bis zum 9. Dezember randalierten sie vor den Kinos,
bis die Filmoberprüfstelle schließlich beschloss, den Film
zu verbieten. Im Saalbau Friedrichshain (Am Friedrichshain 16/18) kam
es am 22. Januar 1931 nach einer sehr kontroversen Diskussionsveranstaltung
zwischen Gauleiter Goebbels (NSDAP) und Bezirksleiter Ulbricht (KPD) zu
einer langen und blutigen Saalschlacht zwischen den ZuhörerInnen
mit 60 Schwerverletzten und demolierter Inneneinrichtung.
Die Weimarer Republik und ihre sozialdemokratische Führung reagierte
auf diese Auseinandersetzungen mit Verboten, Verfügungen und anderen
Repressalien, wodurch sich die Massenorganisationen der KPD und NSDAP
aber nur bedingt einschüchtern ließen.
Die KPDlerInnen waren als MarxistInnen AnhängerInnen des dialektischen
und historischen Materialismus. D.h. sie gingen davon aus, dass sich die
historische Entwicklung auf die Revolution zu bewege. Innerhalb dieser
Entwicklung gäbe es keine Rückschritte, höchstens Hemmnisse,
welche die Revolutionierung der Verhältnisse aufhalten, aber nie
stoppen könne. Die SPD wurde als so ein Hemmnis gesehen, das hatte
sich schon während der gescheiterten Revolution gezeigt, als die
SPD - neu an der Macht - zunächst erst einmal Luxemburg und Liebknecht
umbringen ließ und mit der alten Reichswehrführung einen Pakt
gegen die Revolution schloss (Ich hasse die Revolution wie die Sünde
Friedrich Ebert - SPD), wodurch noch Hunderte weiterer KomunistInnen umgebracht
wurden. Die SPD wurde fortan als sozialfaschistisch bezeichnet,
da sie die kapitalistische Ordnung um jeden Preis und gegen jeden sozialistischen
Anspruch verteidigte (das änderte sich übrigens auch nicht nach
der Machtübergabe an Hitler 1933). Die KPD-Führung forderte
die Basis auf, nicht mit Trotzkisten und Anarchisten zusammenzuarbeiten,
da jeder Individualterror nur schade. Es gab aber auch Streitigkeiten
innerhalb der KPD zu diesem Thema, so forderte Heinz Neumann, Schlagt
die Faschisten wo ihr sie trefft! was auch mehrfach lokal
zusammen mit AnarchistInnen passierte. Dieses pragmatische Ansinnen fand
aber in der KPD kaum Gehör. Die 1932 gebildete Antifaschistischen
Aktion, die eine parteiübergreifende Massenbewegung sein sollte,
scheiterte schnell wieder aufgrund des autoritären Führungsanspruchs
der KPD. Die Antifaschistische Aktion wurde eher taktisch
benutzt, um der SPD Mitglieder zu entziehen, und weniger um eine wirkliche
Volksfront zu schaffen. Zu diesem Zeitpunkt war schon vieles gelaufen
und Übergriffe der SA auf Parteiversammlungen der KPD, wie am 19.
Januar 1932 in Berlin, als zwei Kommunisten getötet wurden, an der
Tagesordnung.
Die SPD entgegnete Bolschewismus
und Faschismus sind Brüder und wollte zunächst die kapitalistische
Ordnung stabilisieren, um danach die eigenen Politikansätze des Sozialismus
fortführen zu können (das ist bis heute nicht geglückt).
Ihre Antwort auf die Gewalt der Straße war die Organisation Eiserne
Front, welche aber lediglich Großdemonstrationen mit einheitlichem
Gruß und Symbolen organisierte, obwohl von den AnhängerInnen
eine konkrete Intervenierung auf der Straße gegen die SA herbeigesehnt
wurde. Das Unbehagen der SPD-Führung auf alles, was kommunistisch
anmutete, war so stark, dass ein Zusammengehen gegen die NSDAP abgelehnt
wurde.
Neben den beiden großen Parteien KPD und SPD gab es im Widerstand
gegen die SA und NSDAP der dreißiger Jahre unabhängige Kleingruppen
aus dem basisdemokratischen, rätekommunistischen und anarcho-syndikalistischen
Spektrum (z.B. die Freie ArbeiterInnen Union Deutschland um Rudolf Rocker
und Erich Mühsam).
Die FAUD, die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft, hatte sich schon
Anfang der 20er Jahre bewährt, als gegen den Kapp-Putsch gekämpft
und die Rote-Ruhr-Armee gebildet worden war. Der Unterschied zum RFB,
der unter der Fuchtel der KPD stand, die wiederum stark von den Weisungen
aus Moskau abhängig war, wurde auch bei den direkten Aktionsformen
augenfällig: Sabotage, Boykott, Streik waren die Mittel der rund
20.000 FAUD-MitgliederInnen, die sie 1930 noch hatte.
Die politischen Kämpfe im Arbeiterbezirk Friedrichshain machten auch
vor staatstragenden Institutionen wie z.B. den Verfolgungsbehörden
nicht halt.
Denn einige PolizistInnen lehnten die Unentschlossenheit vieler Vorgesetzter
bei der Aufklärung des Straßenterrors der SA entschieden und
aktiv ab. Diese kritischen Kräfte wurden später zwar entfernt,
sorgten aber in den zu betrachtenden Jahren 1930-33 für viele interne
Streitigkeiten. Im Revier 85, in dem auch der Mordfall Horst Wessel 1930
behandelt wurde, gab es im Jahr 1931 mehrere nicht genehmigte Demonstrationen
der KPD, die gegen die relativ kulante Einsatzleitung durchgesetzt werden
konnten. Bei einer dieser Demonstrationen wurde der Polizeioberwachtmeister
Kuhfeld auf der Frankfurter Allee niedergeschossen und von den Nazis als
Kämpfer gegen den Bolschewismus stilisiert. Obwohl der
Täter NSDAP-Mitglied war und das Opfer dem sozialdemokratischen Kampfbund
Reichsbanner angehörte, spielte der Vorfall eine wichtige
Rolle bei der Zerschlagung des Rotfrontkämpferbundes als Teil der
KPD 1933. Der RFB wäre von der NSDAP nach der Machtübergabe
ohnehin verboten worden. Die Begründungen für solche Verbote
und Erlasse mussten, zumindest 1933, noch für die Öffentlichkeit
erklärbar sein. Daher stützten sich die Nazis auf derlei Konstrukte.
Wie Hitler zu Deutschland kam
Am 20. Juli 1932 wurde der rechtskonservative Franz
von Papen mit seinem Präsidialkabinett per Staatsstreich an die Macht
befördert. Aufgrund der Uneinigkeit der demokratischen Parteien hatte
dieser vorher schon die kurzzeitigen Verbote der SA und SS aufgehoben,
um sich die Unterstützung der NSDAP im Parlament zu sichern. Am 31.
Juli 1932 wurde die NSDAP zur stärksten politischen Kraft im Reichstag.
Sie erhielt 37,4%. In Berlin-Friedrichshain fielen die Wahlergebnisse
völlig anders aus. So erhielt die KPD hier 38,55% (republikweit:
14,3 %), während die NSDAP nur 20% erreichte.
Die NationalsozialistInnen gelangten an die Macht, weil mehrere Faktoren
zusammenkamen: die Wirtschaftskrise, die Sehnsucht nach einem Ende der
Unordnung und der organisierten Gewalt auf den Straßen, unter denen
die Weimarer Republik zu leiden hatte, die angeblich drohende Machtübernahme
der Linken, die visionäre, stark antisemitische Ideologie des Nationalsozialismus
und schließlich Hitlers Persönlichkeit. Sein flammender, offen
gezeigter Hass zog viele unwiderstehlich an, zumal in einer Zeit des politischen
und wirtschaftlichen Chaos. Viele Deutsche stimmten für die NSDAP,
weil sie in ihr die einzige politische Kraft sahen, die fähig schien,
Ordnung und sozialen Frieden wiederherzustellen, Deutschlands innenpolitische
Feinde zu bezwingen und seine außenpolitische Großmachtsstellung
zurückzuerringen. Jeder dieser Punkte für sich alleingenommen
könnte den Erfolg des NS nicht ausreichend erklären. Allein
die wirtschaftliche Situation hätte wohl niemanden zur NationalsozialistIn
gemacht, denn eine bessere wirtschaftliche Stellung der Bevölkerung
versprach auch die KPD. Sie konnte genau wie die NSDAP nicht für
die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht werden, zumal sie auf Russland
verweisen konnte, das von der Weltwirtschaftskrise nicht betroffen war.
Die wichtigsten Unterschiede zur KPD stellten die zentralen Punkte der
NSDAP, Antisemitismus und Nationalismus, dar. Diese Punkte fanden in fast
allen öffentlichen Reden und Wahlkampfveranstaltungen der NSDAP Eingang
und waren so für alle ein ersichtlicher Bestandteil der Partei (z.B.
bei der grundlegenden Rede Hitlers vor 1200 ZuschauerInnen am 13. August
1920 mit dem Titel: Warum sind wir Antisemiten?) Auch das
1920 verabschiedete und nie geänderte 25-Punkte-Programm der NSDAP
rückte Antisemitismus und Nationalismus in den Vordergrund. Beispielhaft
dafür war Punkt 4, auch wenn es in vielen weiteren Punkten zum Gegenstand
gemacht wurde. Dort heißt es: Staatsbürger kann nur sein,
wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes
ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse
sein. Zweifellos waren Antisemitismus und Nationalismus auch fester
Bestandteil anderer rechter Parteien, wie z.B. der Deutsch-nationalen
Volkspartei (DNVP). Hier kamen vor allem Hitlers Fähigkeiten zum
Tragen, die schließlich die NSDAP so erfolgreich machten. Ganz zentral
unter diesem Aspekt sind die von der NSDAP organisierten Massenveranstaltungen
zu sehen. Sie setzten ein esoterisches Konzept ein, das auf Massenwirkung
abzielte. Bei großen Veranstaltungen wurde alles mit einbezogen,
die Architektur der Gebäude, Licht, Akustik, die Gesten der RednerInnen,
usw. Zentral war hier die von den Nazis gewählte Fahne. Sie war keinesfalls
unbedacht ausgewählt - vielleicht weil man sie hübsch gefunden
hätte - sondern sie erfüllte einen Zweck. Einerseits war die
Farbe Rot natürlich als politisches Signal bekannt und auch das Hakenkreuz
wurde schon vorher benutzt. Die Bedeutung dieser Symbole wurde kognitiv
in der Fahne transportiert. Des weiteren gab es aber mehrere esoterische
Aspekte: zum einen stand das Hakenkreuz für die Ideologie der IndogermanistInnen,
die glaubten, über die Sprache eine arische Rasse nachweisen zu können,
die von Asien nach Europa gewandert war; zum anderen war die Farbe Rot
sehr aggressiv und unterstützte eine gewisse Sogwirkung, dessen Zentrum
das Hakenkreuz war. Wenn sich die Fahne im Wind bewegte, wurde diese Sogwirkung
durch das sich scheinbar drehende Hakenkreuz verstärkt. All das in
diesen emotional aufgeheizten Veranstaltungen konnte einen rauschartigen
Zustand hervorrufen. Ihren Höhepunkt erreichten die Veranstaltungen,
wenn Hitler selbst die RednerInnenbühne betrat. Sein Auftritt könnte
vielleicht mit der Faszination für heutige Stars verglichen werden.
Die Masse tobte. Dieser Rausch, in den sich die Masse hineinsteigerte,
ist aber keinesfalls als Entschuldigung für den NS zu verstehen,
in dem Sinne, dass die Masse etwa so hypnotisiert gewesen wäre, dass
sie nicht mehr gewusst hätte, was sie tat. Diese Menschen wollten
das Rauscherlebnis, sie wollten in der Masse aufgehen. Sie wollten auch
dem Führer gehorsame Untertanen sein und gaben sich selbst als Opfer
an ihn. In diesem Sinne ist auch der bekannte Ausspruch: Auch du
gehörst dem Führer zu verstehen.
Nachdem Hindenburg den NationalsozialistInnen die von ihnen als stärkste
Partei geforderte ganze politische Macht verweigerte und Hitler die ihm
angebotene Vizekanzlerschaft ablehnte, begann die Massenbasis der NSDAP
zu bröckeln. Schon bei der Wahl im November 1932 konnte die NSDAP
republikweit nur noch 33,1 % der Stimmen gewinnen, zum einen weil der
erhoffte, von den Nazis grundsätzlich versprochene Wandel aufgrund
der Taktiererei Hitlers wieder in weite Ferne rückte. Andere fühlten
sich wahrscheinlich aufgrund der programmatischen Schwäche nicht
mehr von Hitler richtig vertreten und wählten stattdessen lieber
etablierte rechte Parteien wie die DNVP. Auch die KPD konnte in ihrer
NSDAP-Opposition wieder massiv Stimmen für sich gewinnen. Nachdem
einige Leitartikel zum Ende des Jahres 1932 schon das Ende der Hitlerbewegung
prophezeiten, konnte die NSDAP mit großen Anstrengungen bei den
Landtagswahlen in Lippe den Trend noch mal umbiegen und ihr Ergebnis bei
der Wahl Mitte Januar 1933 auf 39,5 % verbessern. Obwohl der Landkreis
Lippe für die Gesamtdeutsche Politik irrelevant war, sollte anhand
des Wahlergebnisses gegenüber den Kritikern Stärke gezeigt wewrden.
Daraufhin beauftragte von Papen Hitler mit der Regierungsbildung. Am 30.
Januar 1933 wurde die nationalsozialistische Regierung unter Hitler mit
Franz von Papen und den Stimmen der Konservativen im Parlament offiziell
eingesetzt. Dieses Datum gilt gemeinhin als Tag der Machtübernahme
(angebrachter wäre die Formulierung Machtübergabe), der dann
auch republikweit mit Fackelmärschen der SA-Braunhemden gefeiert
wurde.
Am 30. Januar 1933 machte der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg
Adolf Hitler zum Reichskanzler und beendete damit das Chaos in der deutschen
Regierung. Die KPD rief daraufhin zum Generalstreik auf, doch nur 50.000
ihrer 250.000 Mitglieder hatten noch Arbeit und alle anderen waren spätestens
seit der Papen-Regierung 1932 entlassen worden. Die SPD wiederum zog nicht
mit, da sie immer noch glaubte, auf verfassungstreuem Weg die Macht wieder
zu erlangen. Deutschland hatte übrigens die bestorganisierte ArbeiterInnenbewegung
dieser Zeit, doch auch diese war ein Produkt autoritärer Erziehung
und Zurechtstutzung durch den Kapitalismus preußischer Art, ohne
jede Eigeninitiative, was den massenhaften Ungehorsam gegen das neue Regime
verunmöglichte. Diese Stillhalte-Strategie hat, natürlich auch
beeinflusst durch den mörderischen Terror der Nazis, den Widerstand
nach 1933 stark geprägt und viele Möglichkeiten verbaut.
Interessant ist auch die Tatsache, dass in dieser Zeit die Führung
der Berliner Polizei von Reichsbanneraktivisten der SPD durchsetzt war,
namentlich Polizeipräsident Grzesinski (der 1930 noch die LL-Demo
verboten hatte), welche am 20. Juli 1932 opferwillig mit ihrer Anhängerschaft
in Waffen bereit standen, die Weimarer Republik gegen den Staatsstreich,
den sog. Preußenschlag des Franz von Papen zu verteidigen.
Doch die Führung der SPD gab nicht den erhofften Befehl und die Berliner
Polizei wurde in den ersten Monaten 1933 nach Erlassung der Notverordnungen
von sämtlichen sozialdemokratischen oder anderweitig kritischen Menschen
gesäubert.
Nach der Machtübergabe
Nachdem Hitler die Macht erlangte und am 28. Februar
1933 seine Verordnung zum Schutz von Volk und Staat nach dem
Reichstagsbrand erließ, sollte die Bestätigung des Machtanspruchs
durch die Bevölkerung mittels der Reichstagswahlen am 5. März
1933 erfolgen. Dabei erzielte die NSDAP nur 44%, was unter den gegebenen
Umständen, dass sämtliche politische Gegner durch SA und Schikanen
mundtot gemacht oder ins Exil getrieben wurden, als Niederlage gewertet
werden muss (Friedrichshain: NSDAP-32% und KPD-29 %).
Dazu eine kleine Wahlkampfanekdote von Karl Lewke (KPD) vom März
1933 in Friedrichshain: Als ich gegen Mitternacht in der Liebigstraße
eintraf, stieß ich auf die Genossen der Straßenzelle, die
beim Kleben und Malen waren. Nazis des berüchtigten Horst-Wessel-Sturms,
die oben an der Liebigstr. Ecke Rigaer Straße standen und sich nicht
in die Liebigstraße trauten, schossen blindlings in die Nacht. Ihnen
steckte wohl noch die mehrmalige Abfuhr im Jahre 1932 in den Knochen ...
Der eigentliche Übergang von der zweimonatigen Scheindemokratie zur
NS-Diktatur erfolgte am 23. März 1933, als Hitler ein Ermächtigungsgesetzt
zur Behebung der Not von Volk und Reich einbrachte, was mit den
Stimmen der christlichen Zentrums-Partei und bürgerlichen Mitteparteien
mit 2/3 Mehrheit gegen die Stimmen der SPD und der nicht anwesenden KPD
(ihre Reichstagsmandate waren als ungültig erklärt worden) angenommen
wurde.
Im Friedrichshain dieser Zeit machte es der RFB der SA und NSDAP sehr
schwer, sich auszubreiten und konnte im Vergleich zu anderen Regionen
noch sehr lang, bis März 1933 unter wechselnden Namen öffentlich
auftreten. Am 1. Mai 1933 konnten sogar in der Strassmannstrasse und in
der Friedrichsfelder Straße zwei kurze Alternativdemonstrationen
gegen den 1. Mai-Aufzug der NSDAP klandestin organisiert werden. Die SA
hatte dagegen jetzt aber die Möglichkeit, ohne auf Reglementierung
durch die Führung der NSDAP hören zu müssen, alte Rechnungen
mit dem RFB und anderen zu begleichen.
Ein Beispiel für eine dieser Aktionen der Berliner SA ist die im
August `33 durchgeführte Folterung und versuchte Hinrichtung von
Max Weichert, Leiter der KPD Straßenzelle 517, Bruno Schilter und
Kurt Zinke, der damals mit der Reorganisierung der Roten Jungfront in
Lichtenberg beauftragt war und der den Hergang wie folgt beschreibt: In
der Nacht wurde ich durch den Horst-Wessel-Sturm in der Wohnung meiner
Eltern verhaftet und in das Keglerheim (Petersburger Str. 86) gebracht.
Bei dieser Vernehmung wurde mir ein Lungenriss, ein Leberriss und eine
Nierenquetschung beigebracht, bevor ich zusammen mit den Genossen Schilter
und Weichert an der Schwarzen Brücke (Thaerstraße) erschossen
werden sollte. Weichert und Zinke wehrten sich gegen die Exekution
und konnten entkommen, während Schilter mit ausgekugelten Armen und
Beinen an drei Kopfschüssen starb. Vielen anderen unbekannt gebliebenden
ist es ebenso ergangen. Die Zahl der Razzien und Folterungen in den sog.
wilden KZs der SA in Friedrichshain (neben dem Keglerheim
gab es noch die Viehbörse in der Eldenaer Str.) und das
verursachte Leid sind heute nicht mehr zu ermessen.
Auch im Fall Wessel tat sich drei Jahre nach seinem Tod wieder etwas:
Die Verfahren wurden unter Leitung der SA wieder aufgerollt und alle Beteiligten
(auch die Vermieterin Wessels) in KZs gesteckt, wo sie schließlich
starben. Mit Ausnahme Ali Höhlers, dieser wurde sofort und ohne Prozess
von der SA im Wald vor Berlin umgebracht.
Doch für die SA, einstige Elitetruppe Hitlers, ging es fortan bergab.
Nachdem Hitler im Laufe des Jahres 1933 seine Macht immer weiter gesichert
hatte - auch dank der SA - entzog er ihr im Sommer 1934 mit dem vorgetäuschten
sog. Röhm-Putsch fast alle Macht und ermordete die SA-Führung
um Ernst Röhm. Zum einen wollte Hitler damit die militärische
Konkurrenz zur Reichswehr beseitigen und zum anderen den Weg für
die SS bereiten. Die darauf folgende Geschichte des Nationalsozialismus,
Angriffskrieg, Holocaust und die Niederringung Nazideutschlands durch
die Alliierten nach zwölf Jahren Drittes Reich dürfte
hinlänglich bekannt sein.
Der Widerstand
Auch hier wollen wir nur einen kleinen Überblick
verschaffen, um unserem Bedürfnis der Erwähnung dieses Abschnitts
Rechnung zu tragen.
Nach 1933 entwickelten sich jene basisorientierten anarchistischen, kommunistischen,
aber auch sozialdemokratischen Gruppen, die sich schon vor der Machtergreifung
erfolgreich gegen die Nazis gewehrt hatten, weiter und beschäftigten
sich vor allem mit der Verbreitung illegaler Schriften, dem Betreiben
von Piratensendern oder sie sammelten qualifizierte Kräfte für
eine Erneuerung der ArbeiterInnenbewegung und des Staates. Diese Gruppen
waren durch ihre zum Teil klandestine Struktur der Repression durch die
SA und später den NS-Polizeiapparat nicht vollständig ausgeliefert,
standen aber immer wieder vor dem Problem, zu wenige zu sein. Denunziation
und eingeschleuste Spitzel sorgten auch hier wie schon vorher beim RFB
für eine Zerschlagung und teilweise Liquidierung der AktivistInnen.
Mensch war eben auf Hilfe von anderen angewiesen und wusste auch nicht,
dass zwölf Jahre Nationalsozialismus bevorstanden.
Das eigentliche Problem war aber die noch lange Zeit vorherrschende eklatante
Fehleinschätzung der Stabilität des Hitler-Regimes.
Viele KommunistInnen sahen die Nazis nur für eine kurze Übergangszeit
an der Macht, ehe dann den Massen die Augen über den wahren
Charakter der Nazi-Herrschaft geöffnet werde, und die Revolution
nach sowjetischem Vorbild komme. Bis 1936 verheizten sich daher zahlreiche
linke AktivistInnen in Aktionen, anstatt sich auf eine lang währende
Illegalität mit klandestinen Strukturen vorzubereiten. Auch der Glaube,
dass Aufklärung über die Nazis noch etwas an der Situation ändern
könnte, war sehr weit verbreitet. Erst in der absoluten Niederlage
kam es zu einer Annäherung von ehemals verfeindeten Gruppierungen.
Die aktuelle Wessel-Problematik
Horst Wessels Grab wurde von den Sowjets wie alle anderen
Nazi-Denkmäler unkenntlich gemacht und ist seitdem nur noch über
das Grab seines Vaters auf dem St.-Nicolai-Friedhof (Prenzlauer Allee/Mollstr.)
aufzuspüren. Am 23. Februar 1997 legten rechte Jugendliche dort unter
Aufsicht der Polizei Kränze nieder. Die Linke kam nicht richtig in
die Gänge und war erst ab dem nächsten Jahr immer am Todestag
am Friedhof, um solche Aktionen zu verhindern. Als im Jahr 2000 am 70.
Todestag die autonomen Totengräber angeblich Wessels
Schädel ausbuddelten und in der Spree versenkten, war die Empörung
in der Naziszene groß und Oliver Schweigert (Nationaler Widerstand
Berlin-Brandenburg) meldete eine Demonstration an, die aber mittels einer
achtseitigen Begründung verboten wurde. Zwei Tage später veranstalteten
50 Nazis am Friedhof eine Kundgebung Gegen Grabschändung
und eine Woche später eine weitere. 2001 und 2002 konnte durch antifaschistische
Kundgebungen unter Beteiligung der Berliner Grünen (Wolfgang Wieland,
später Justizsenator von Berlin, war auch da) eine Ehrung Wessels
verhindert werden. Auch überregional sprangen Neonazis auf den Wessel-Hype
auf. So verteilte 2002 die inzwischen aufgelöste Pommersche
Aktionsfront Flugblätter und Aufkleber in Mecklenburg-Vorpommern.
Der Förderverein Karl-Marx-Allee ließ 2001 vor dem ehemaligen
Wohnhaus Wessels eine Gedenktafel errichten, die aber wegen der zu unkritischen
Darstellung wieder verhüllt wurde und seitdem auf eine Erneuerung
wartet.
2003 und 2004 kamen die Neonazis auch nur heimlich in die Nähe des
Friedhofs, da die Umgebung mit Antifas überfüllt war. Die Kameradschaft
Tor veranstaltete 2004 einige Straßenbahnstationen weiter vor dem
Krankenhaus Friedrichshain, wo Wessel starb, eine Kurzkundgebung fürs
Foto mit Transparent-Hochhalten. Um ein positives Gedenken an die SA durch
Neonazis auch dieses Jahr zu verhindern werden wir am 23. Februar 2005
zwischen 16 und 20 Uhr vor dem Friedhof eine Kundgebung abhalten.
Zum Weiterlesen:
1 Antieverything Demontage eines Mythos http://www.8ung.at/antieverything
2 GdV radikal Team Gegen das Vergessen
3 Girod, Regina / Lidschun, Reiner / Pfeiffer, Otto Nachbarn. Juden
in Friedrichshain
4 Ian Kershaw: Hitler. München 2002.
5 Klaus Kinner: Der deutsche Kommunismus. Berlin 1999.
6 Knoblauch, Heinz Der arme Epstein
7 Reschke, Oliver Der Kampf der Nationalsozialisten um den roten
Friedrichshain 1925-1933. Berlin 2004.
8 Sandvoß, Hans Rainer Widerstand in Friedrichshain und Lichtenberg
9 Sebastian Haffner: Der Verrat. München 2002.
10 Timm, Uwe Was ist eigentliche Faschismus
11 Wolfgang Wippermann: Faschismustheorien. Berlin 1998.
Dieser Text kann als Hörbuch auf CD im Infoladen
Daneben (Liebigstr. 34, 10247 Berlin) für 3€ erworben oder bei
uns per Post gegen 3€ bestellt werden.
>>> Flugblat
als PDF
>>> Plakat
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Was am 23.02.2005 geschah
Trotz Schneeregen fanden sich knapp 150 Leute vor dem Friedhof wo Wessel
begraben liegt ein und verhinderten dadurch ein Gedenken der Berliner
Neonazis an dieser Stelle. Nach der Kundgebung versuchten etwa 20 Aktivisten
der Berliner Alternative Nordost und Kameradschaft Tor vergeblich ihre
Spuren in Form von Aufklebern und Plakaten die sich positiv zu Horst Wessel
äußerten in Friedrichshain zu hinterlassen, was aber an der
Putzwut der herumstreunernden Antifas scheiterte. Außerdem wurden
in Potsdam drei Berliner Neonazis beim Kleben von Wessel-Plakaten von
der Polzei festgenommen. In Süd-Ost Brandenburg soll noch ein Treffen
von Neonazis aus fünf verschiedenen Bundesländern stattgefunden
haben.Im Vorfeld sind in den Ostbezirken Berlins, in Ahrensfelde und in
Brandenburg (Torgau, Werder, Groß Kreutz, Bestensee, Pätz,
Golßen) vereinzelt Plakate und Aufkleber aufgetaucht.
Indymediabeiträge:
Aktivitäten rund um den Horst-Wessel-Todestag
http://de.indymedia.org/2005/02/107652.shtml
Kundgebung gegen befürchtete Wessel-Ehrung
http://de.indymedia.org/2005/02/107811.shtml
Antifakundgebung gg h.wessel gedenken(berlin)
http://de.indymedia.org/2005/02/107813.shtml
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Redebeiträge:
Anmerkungen zur deutschen Erinnerungspolitik
Der nun folgende Beitrag soll einige Aspekte
der Erinnerungskultur aufgreifen. Die Funktion von Erinnerungskultur und
die ihre Instrumentalisierung sollen darüber Aufschluss geben, warum
es eine immanente Aufgabe antifaschistischer Politik ist, sich der Erinnerungspolitik
zu widmen und es als Bestandteil politischer Arbeit zu begreifen.
Bereits viele Publikationen haben deutlich
gemacht, dass der wesentliche Aspekt des Erinnerns ist, die Vergangenheit
lebendig zu halten. Durch die Vergegenwärtigung werden Bezugspunkte
geschaffen -Bezugspunkte für eine Handlungsorientierung und eine
Sinnsetzung. Das bedeutet, dass Erinnerungen immer auch von den gegenwärtigen
Bedingungen des Erinnerns abhängen.
Erinnerungen dienen einer Gesellschaft der Sinnproduktion und politisieren
somit auch im hohen Maße. Erinnerungskultur und Identitätsstiftung
hängen in einer Gesellschaft somit unmittelbar zusammen. Durch dieses
identitätsstiftende Element ist der Vorgang des kollektiven sich
Erinnerns von großer Relevanz für Machtintestrukturen, die
das steuernde Element der Erinnerungskultur zu instrumentalisieren wissen
wollen.
Dass es sich bei der Geschichte des Nationalsozialismus
um ein einzigartiges Ereignis handelt, das im Rahmen der Erinnerungspolitik
und der nationalen Identitätsstiftung hindernd wirkt, ist offensichtlich.
So handelt es sich bei dem Erinnern an den NS in Deutschland um eine Geschichte
des Verdrängens, Verschweigen und letztlich zu gegenwärtiger
Zeit um den Vorgang der Instrumentalisierung.
In den 50er Jahren zu Zeiten der Adenauer Regierung handelte es sich bei
der Vergangenheitspolitik um ein Verdrängen und Verschweigen. Vor
der Kulisse der Verurteilungen grenzte man sich symbolisch vom Nationalsozialismus
ab, doch wurden die Opfer des NS unsichtbar gemacht.
Erst in den 60er Jahrepfand das erste Mal eine Auseinandersetzung in Ansätzen
mit der Vergangenheit des NS statt. Anlass war zum einen der Prozess gegen
Eichmann, den man in Südamerika festgenommen hatte und in Israel
vor Gericht stellte, da er verantwortlich war für die systematische
Deportation. Hinzu kamen die Ausschwitzprozesse. Staatsanwalt Fritz Bauer
betrieb vor allem die Ermittlungen gegen das Lagerpersonal in Auschwitz.
In diesem Rahmen wurde Opfern ein Rahmen gegeben, in dem sie ihre Erlebnisse
schildern durften.
Der Ausgang des Auschwitzzprozesses verlief zwar letztendlich im Sande,
doch war nun die Notwendigkeit da sich mit der Vergangenheit in irgendeiner
Form auseinander zusetzen.
Vor allem Verbände wie der VVN und etwas später der BdA treiben
eine solche Politik des Erinnern und Mahnens seitdem voran. Inzwischen
ist der Fakt des Massenmordes während des NS gesellschaftlich anerkannt.
Eine Reformierung des Lehrmaterials fand statt und die Geschichte des
NS in Schulbücher aufgenommen. Ebenso entstanden seitdem Gedenkstätten
wie Sachsenhausen, Dachau als unangreifbare Plätze der Erinnerungskultur.
Doch genauso wie der Kampf der Opfer des NS und anderer AntifaschistInnen
Erfolge getragen hat, waren die Auseinandersetzung um die Vergangenheitspolitik
geprägt von Ablehnung. Ist doch der gesellschaftliche Diskurs um
die Vergangheit geprägt von der immer wiederkehrenden Frage, ob man
sich noch schuldig fühlen müsse.
Lenkt doch diese Frage von dem wesentlichen Punkt ab in der Auseinandersetzung
mit der Vergangenheit des NS -nämlich der Verantwortung, die damit
verbunden ist. Das einzige Ziel einer solchen Fragestellung ist der Effekt
nun endlich Schweigen über die Vergangheit des NS zu breiten. Die
Entwicklung um die Erinnerungskultur des NS jüngerer Zeit sind allerdings
nicht weniger erschreckend. Fand doch 2003 / 2004 ein Vorzeichenwechsel
der Erinnerungspolitik statt, der eingeleitet wurde mit dem Antrag der
Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Bei diesem Konzept sollte
nun fortan den Opfern von Gewaltherrschaft gedacht werden ohne Beachtung
des Kontextes, in dem die Menschen gestorben sind. Es handelt sich um
eine Vereinheitlichungsbestreben in der Gedenkstättenpolitik. Der
deutsche Opfermythos wird wiederbelebt und nun sollen auch Denkmäler,
die der deutschen Vertriebenen gedenken, zukünftig als Gedenkstätten
bezeichnet werden dürfen. Mit dieser Entkontextualisierung und der
Fokussierung auf die erfharung von Leid, wird die Vergangenheitskorrigiert
-deutsches Leid wird als einheitliche Größe konstruiert zu
der Massenermordung durch die Nazis. Die Vergangenheit komplett entpolitisiert.
Diese Instrumentalisierung der Erinnerungspolitik hat nicht nur den Effekt
sich wieder positiv auf die deutsche Vergangenheit beziehen zu dürfen
-darüber hinaus wird dadurch unterbunden auf die Verantwortung hinzuweisen.
Die Verantwortung, die aus der Geschichte des Nationalsozialismus resultiert.
Der Verantwortung sich mit Antisemitismus und Rassismus auseinander zusetzen.
Der Auseinandersetzung nach autoritärem Handeln und Unterdrückung.
Um nun zum Ende zu kommen:
Was muss nun die Aufgabe von uns AntifaschistInnen sein. Zunächst
mal zu begreifen, dass man Erinnerungspolitik ernst nehmen muss, da es
ein korrektives Mittel ist, dass von der breiten Gesellschaft eingesetzt
wird, um sich wieder positiv auf seine Nation beziehen zu dürfen.
Aufgabe von uns AntifaschistInnen muss es sein aktiv Erinnerungspolitik
zu betreiben, die die Geschichte des Nationalsozialismus nicht in Vergessenheit
geraten lässt. Eine Erinnerungspolitik, die verdeutlicht, was rechte
Ideologien sind, wohin sie führen und dass diese ernst zu nehmen
sind. Dass rechte Ideologien kein Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft
sind, sondern schlicht diskussionsunwürdig.
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Nationalsozialistische Mythen. Beispiel
Rudolf Heß
"Wahrheit macht frei", sagen die
Nazis wenn es um den ranghohen NS-Kader Rudolf Heß geht und meinen
damit die Erringung von Definitionsmacht über Begriffe und geschichtliche
Ereignisse. Jedes Jahr im August sammeln sich tausende Neonazis im bayrischen
Wunsiedel, um am Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß, der
sich 1987 in Spandau nach 42 Jahren Haft das Leben nahm, zu trauern.
Sie knüpfen damit an den Helden- und Totenkult der Nationalsozialisten
an, sie feiern einen Mythos - von dem nicht immer klar ist, ob sie ihn
selber in allen Einzelheiten glauben - und sie verfolgen selbstverständlich
auch ganz pragmatische Ziele, die von der inneren Konsolidierung bis zur
Vergrößerung ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmungen reichen.
Ihr Objekt ist Rudolf Heß, eine denkbar große Fläche
für die Anhäufung von Mythen. Er ist der letzte verstorbene
ranghohe Vertreter des "Dritten Reiches" und damit Platzhalter
für beliebige andere hohe NS-Repräsentanten. Die Mythen die
sich um Heß ranken basieren teilweise auf wahren Geschehnissen,
dazugedichteten Details und wahnhafte Deutungen.
Doch historische Fakten sind nicht zu verleugnen.
Ein Überblick: Die Karriere Heß
begann mit 20 Jahren im ersten Weltkrieg, an dem er sofort nach Beginn
freiwillig teilnahm und 1915, ohne an nur einer Kampfhandlung teilgenommen
zu haben das Eiserne Kreuz immerhin 2. Klasse erhielt. 1917 zum Leutnant
der Infanterie ernannt musste er ständig wegen mehr oder weniger
starken Verwundungen ausfallen und ließ sich bis zum Ende des Krieges
als Pilot ausbilden. Nach dem Krieg schloss er sich der Thule-Gesellschaft
an, wo auch Himmler und Göring organisiert waren und aus der sich
später das Freikorps Oberland entwickelte welches wiederum in der
SA aufging. Außerdem trieb er sich in verschiedenen nationalistischen
Parteien rum, wo er auch auf Hitler traf. Im November 1923 beteiligte
er sich am Hitlerputsch und wurde wie Hitler zu eineinhalb Jahren Festungshaft
verurteilt, wovon er nur die Hälfte absaß. Während der
kurzen Haft entwickelte sich zwischen ihm und Hitler eine persönliche
Beziehung und er half ihm durch Korrektur und lange inhaltliche Gespräche
die Bibel der Nationalsozialisten "Mein Kampf" zu verfassen.
Nach seiner Entlassung fungierte er als parteipolitischer Sprecher der
NSDAP und wurde 1933, nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten
offizieller Stellvertreter Hitlers. Als zweiter Nachfolger Hilers bekam
er Einblick in sämtliche Bereiche des NS-Staates. Oft wird behauptet
Heß sei ein friedensliebender Patriot gewesen, dabei war er es,
der die Politik in der Öffentlichkeit propagieren musste und die
deutsche Bevölkerung auf Antisemitismus, Denunziation und später
eben auch Krieg einschwor. Der gesamte Apparat des "Dritten Reiches"
war auf Krieg und die Überführung der deutschen Volksgemeinschaft
in eine feste Kriegsgemeinschaft ausgerichtet. Heß war ebenfalls
ideologischer Vorbereiter des Holocaust, indem er die Nürnberger
Rassengesetze forcierte und den europäischen JudInnen die Schuld
für den Beginn des Krieges 1939 gab.
Am 10. Mai 1941 flog Heß allein nach England, um dort einen Seperatfrieden
auszuhandeln. Die Motivation für dieses Himmelfahrtskommando sehen
Neonazis und rechte Historiker in dem Pazifismus Heß. Dabei sah
die Situation 1941 eher so aus, dass er einen Zweifronten Krieg gegen
Russland und England, nach der schnellen Einnahme Frankreichs, verhindern
wollte, um sich bzw. die deutschen Armeen ganz dem Raum im Osten zuwenden
zu können. Da die Briten so ein Abkommen schon etliche Male abgelehnt
hatten und die Wehrmacht bereits englische Städte bombardierte, kann
dieser Flug nur als völlig hirnrissiger Akt durch grenzlose Selbstüberschätzung
gesehen werden. Er wurde in England wie jeder andere Kriegsgefangene behandelt,
inhaftiert und konnte keine diplomatischen Beziehungen aufnehmen.
Hitler war natürlich empört über diesen Alleingang und
ließ sämtliche Mitwisser verhaften und in Konzentrationslager
internieren. Heß wurde in der öffentlichen Wahrnehmung getilgt
und sein Schicksal verschwiegen, während andere seine Posten übernahmen.
Erst nach dem Krieg wurde er zu den Nürnberger-Kriegsverbrecher-Prozessen
wieder nach Deutschland überstellt, wo er zu lebenslanger Haft verurteilt
wurde. Die 42 Jahre Haft verbrachte er damit in Hirngespinstern zu leben,
zu glauben er würde einmal die Führung Deutschlands übernehmen,
dafür Pläne auszuarbeiten und ohne Reue am Nationalsozialismus
festzuhalten. Immer wieder stellten die verschiedenen Bundesregierungen
in diesen 42 Jahren Gnadengesuche an die Alliierten und auch bürgerliche
Personen und natürlich Neonazis stimmten damit überein ihn endlich
freizulassen. Doch die Alliierten blieben hart, zu stark war Heß
Fanatismus und der Hang der Rechten in Deutschland ihn als quasi neuen
Führer propagandistisch zu gebrauchen. Er entnazifizierte sich 1987
dann doch endlich selber und Neonazis begannen für ihn und seinen
kläglichen Tot, der von ihnen natürlich als Mord gebrandmarkt
wurde, jährlich in Wunsiedel zu demonstrieren.
Nationalsozialistisches Denken weist eine
hohe Affinität zur Mystik auf, es lebt von Verschwörungen, dunklen
Mächten der Zersetzung, heldenhaften Kämpfen berufener Eliten,
von Ruhm und Ehre und von Blut und Boden. Neonazis brauchen solche Mythen,
um sich als Gemeinschaft permanent neu zu konstituieren, sie brauchen
die Figur des Führers wie die Figur des Märtyrers, an der immer
wieder Sinn für das eigene Tun gestiftet werden kann. Weil Rudolf
Heß nicht umsonst gestorben ist, marschieren die Neonazis und weil
die Neonazis marschieren, ist Rudolf Heß nicht umsonst gestorben.
So überlebt der Kult.
Die Dekonstruktion von Mythen führt nicht notwendigerweise dazu,
dass solche Meinungen nicht mehr vertreten werden - sie trägt aber
sicher dazu bei, dass sie im öffentlichen Diskurs als suspekt wahrgenommen
werden: als Meinungen von Spinnern, entsprungen der geistfreien Märchenwelt
der Neonazis.
Daher: Märchenstunden beenden. Den Nazis die Mythen
nehmen!
Dieser Redebeitrag basiert auf der Rat Broschüre "Der
Mythos stirbt zuletzt" von 2002.
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"Zur aktuellen Situation in Berlin-Friedrichshain"
Der Berliner Stadtteil Friedrichshain kann
auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. In der Zeit der Weimarer
Republik als roter Arbeiterbezirk und kommunistische Hochburg verschrien,
war Friedrichshain am Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre des letzten
Jahrhunderts Schauplatz heftiger politischer Auseinandersetzungen zwischen
der KPD und der erstarkenden NSDAP. Hier machte der Nazi Horst Wessel
und sein SA-Sturm 34, eine bis zu 250 Personen zählende Schlägertruppe,
die Straßen durch Gewaltexzesse unsicher. Nach der Machtübergabe
an die Nazis im Jahre 1933 erhielt Friedrichshain zumindest dem Namen
nach durch seine Umbenennung in Horst-Wessel-Stadt einen nationalsozialistischen
Anstrich. Dass in der darauffolgenden Zeit der Naziherrschaft jedoch von
zahlreichen FriedrichshainerInnen aktiv Widerstand gegen den NS geleistet
wurde, davon zeugen noch heute etliche Gedenktafeln an Wohnhäusern
im Bezirk, die allesamt zu Zeiten der DDR angebracht wurden und in denen
sich der vornehmlich verbale Antifaschismus des "real existierenden
Sozialismus" etwas konkreter ausdrückte. Nach der Wende erhielt
Friedrichshain vor allem durch die zahlreichen Hausbesetzungen wieder
das Image einer autonomen, linksradikalen Hochburg, das sich noch bis
heute zum Teil erhalten hat. So wird Friedrichshain derzeit in der Öffentlichkeit
überwiegend als ein junger, alternativer und linksdominierter Bezirk
wahrgenommen, in dem der wieder erstarkende Rechtsextremismus keine Basis
habe. Dennoch, und ohne hier eine Parallele zu den Endzeiten der Weimarer
Republik konstruieren zu wollen, muss festgestellt werden, dass es in
Friedrichshain immer wieder zu rechtsextremistisch motivierten Übergriffen
gekommen ist und auch heute noch kommt. Pöbeleien und tätliche
Angriffe auf Menschen nichtdeutscher Herkunft, auf sozial Schwächere,
auf linke Zecken und alle anderen, die nicht in das enge rechte Weltbild
passen, finden auch hier - in Friedrichshain - regelmäßig statt.
Dies zeigt insbesondere die folgende, unvollständige Aufzählung
rechtsextremer Aktionen und Übergriffe, die im letzten Jahr in Friedrichshain
passiert sind:
Am Jahrestag der Machtübergabe, am
30. Januar 2004 wurde von Mitgliedern der neonazistischen Kameradschaft
Tor in Friedrichshain ein Transparent mit der Aufschrift "Hitler
was '33 right" aufgehängt.
Eine Woche später, am 06. Februar bedrohten und verprügelten
vier Nazis am Frankfurter Tor zwei Jugendliche, denen hierbei erhebliche
Verletzungen zugefügt wurden. Die Täter wurden später von
den Bullen aufgegriffen und lediglich kontrolliert. Am 18. Februar attackierten
dann drei Nazis auf dem S-Bhf. Warschauer Str. einen Mann mit schwarzer
Hautfarbe. Vier PassantInnen bemühten sich, die Nazis aufzuhalten,
was auch teilweise gelang. Die Schlägerei wurde von einer großen
Anzahl PassantInnen untätig mitangesehen. Als die Nazis flüchteten,
wurden sie auf der Warschauer Brücke von den Bullen in Empfang genommen.
Einen Tag vor Wessels Todestag, am 22. Februar 2004 klebten AktivistInnen
der Kameradschaft Tor Propaganda-Aufkleber und fotografierten sich mit
einem Transpi vor dem Krankenhaus Friedrichshain, um ihren Unmut darüber
kundzutun, dass am Grab vom Horst Wessel etwa 100 Antifas den Friedhof
blockierten.
Im April wurden dann mehrfach größere Gruppen von Nazis beobachtet,
die abends pöbelnd durch den Kiez liefen. Am 6. April kam es zu einer
Schlägerei zwischen einem Nazi und einem Punker an der Proskauer-Ecke
Rigaer Strasse.
Am Abend des 01. Mai, nach dem verhinderten Naziaufmarsch durch Friedrichshain
versuchten etwa zehn Nazis mehrere Autos und eine alte Halle in der Nähe
vom Hangar am Ostkreuz mit Frostschutzmittel anzuzünden. Die Bullen
nahmen einige von ihnen fest. Am Abend des sogenannten Vatertags, am 20.
Mai 2004, kam es dann am Bersarinplatz zu Auseinandersetzungen zwischen
Neonazis und PassantInnen, die von den Nazis angepöbelt worden waren.
Am selben Abend pöbelten auch am Wismarplatz, vor der Kneipe "Green
Bar", Neonazis PassantInnen an, die augenscheinlich nicht-deutscher
Herkunft waren. Die Kneipe "Green Bar" war schon zwei Wochen
zuvor in ähnlicher Weise aufgefallen und auch im Juli passierten
aus dieser Lokalität heraus rechtsextreme Pöbeleien und verbale
Angriffe.
In der Nacht zum 06. Juni 2004 wurde dann in der Weserstr. eine Frau aus
der "Kietz-Kneipe" heraus von Nazis angegriffen und verletzt.
Sie wurde verfolgt und in einem Hauseingang gegen ihren Willen zwanzig
Minuten lang festgehalten und weiter bedroht. Die Bullen erteilte herbeigeeilten
PassantInnen und den Nazis Platzverweise, während sich der Kneipenwirt
der "Kietz-Kneipe" offen zu seiner rechtsextremen Einstellung
bekannte und einen Krieg gegen alles "linke" ankündigte.
Im August 2004 wurde im Café Melan in der Mainzer-Ecke Boxhagener
Str. eine Bedienung von drei Männern beleidigt und der Versuch unternommen
sie zu schlagen. Die Bedienung hatte sich darüber beschwert, dass
die Männer auf Hitler angestoßen hatten. Leute aus dem Dönerladen
gegenüber beförderten die drei nach draußen. Am 6. August
wurden am Rande der "Biermeile" auf der Frankfurter Allee Flugblätter
der Kampagne "Freßt keine Döner (FKD)" verteilt.
Außerdem wurden alternative Jugendliche von Neonazis bedrängt
und verfolgt. Auch die einen Tag später stattfindende Alternativkundgebung
zur Biermeile unter dem Motto "Alltagsrassismus, Saufgelage und Chauvinismus"
am Frankfurter Tor war ständigen Pöbeleien von Hooligans, Neonazis
und besoffenen Normalos ausgesetzt. Am 28. August 2004 zogen dann zehn
Herthafans unter "Wir bauen eine U-Bahn von St. Pauli nach Auschwitz"-Gegröhle
vom Ostkreuz in Richtung Wühlischstr. Auf dem Weg wurde noch ein
alternativer Jugendlicher von ihnen bedroht. Die Bullen nahmen daraufhin
Anzeigen wegen Volksverhetzung und Beleidigung auf. Am 30. August führten
etwa 50 Neonazis unter massivem Bullenschutz eine Spontandemo vom S-Bahnhof
Jannowitzbrücke zum Strausberger Platz und zurück durch, nachdem
sie vergeblich versucht hatten, an einer Montagsdemo gegen Hartz IV teilzunehmen.
Eine Woche später, in den Morgenstunden des 7. September rissen drei
mit Hämmern bewaffnete Neonazis unter lautem Gegröle linke Plakate
in der Rigaerstrasse ab, bis sie von AnwohnerInnen verscheucht werden
konnten. Nur 3 Tage später wurde auf dem Boxhagener Platz ein Jugendlicher
aus einer Gruppe von 15 Nazis heraus tätlich angegriffen. Die Nazis
hatten sich auf dem Platz getroffen und zusammen gesoffen. Am 17. September
kam es dann nach einem Konzert der ehemals rechten Band "Böhse
Onkelz" an der Landsberger Allee in der S-Bahn zu Angriffen von rechten
KonzertbesucherInnen auf andere Fahrgäste.
Am 2. Oktober kam es dann schon wieder auf dem Boxhagener Platz zu einem
Angriff von Neonazis auf eine Gruppe alternativer Jugendlicher, die sich
allerdings erfolgreich verteidigen konnten. Am 29. Oktober brüllte
in der TRAM 20 ein 22jähriger Mann aus Friedrichshain mehrfach "Sieg
Heil", beschimpfte und attackierte einen Mosambikaner, bis drei PassantInnen
eingriffen und den Täter den Bullen übergaben.
Am 6. November fand in der Kneipe "Happy Station" in der Petersburger
Str. das Jahrestreffen der "Hammerskins" statt. Unter den Gästen
waren auch Mitglieder der Vandalen. Die Bullen lösten die Party auf
und überprüften 97 Personen.
Am 10. Dezember feierten dann etwa 50 Hooligans und Nazis, angeblich Angestellte
einer Abrissfirma aus Friedrichshain, in der Cocktailbar "Morrison"
an der Proskauerstr-Ecke Frankfurter Allee. Als ein paar Linke dies nicht
mehr länger mit ansehen wollten und eine Fensterscheibe zu Bruch
ging, stürmten die Partygäste wie auf Befehl auf die Straße
und jagten die Linken unter "Sieg Heil" und "Die Zecken
kriegen wir" die Proskauerstr. hoch, wo sie allerdings mit einem
Stein- und Flaschenhagel herzlich empfangen wurden.
Diese Auflistung ist sicher nicht vollständig
und dennoch verdeutlicht sie sehr gut, dass sich heutzutage in Friedrichshain
rechtsextremes Gedankengut jederzeit und in all seinen widerlichen Facetten
bis hin zur tätlichen Gewalt artikulieren kann und auch immer wieder
artikuliert.
Dies dürfen und werden wir als antifaschistisch und emanzipatorisch
eingestellte Menschen nicht weiter hinnehmen! Lassen wir nicht zu, dass
rechtsextremes Gedankengut toleriert und hieraus motivierte Angriffe zur
Normalität werden - weder in Friedrichshain, noch anderswo!
Brechen wir die Kontinuität der rechtsextremen
Übergriffe - sowohl in Friedrichshain, als auch anderswo! Nehmen
wir den Nazis ihre Treffpunkte - hier im Kiez und überall! Organisiert
die antifaschistische Selbsthilfe!
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Pop und Nationalismus
Redebeitrag der AJOB und JAF
Wir schreiben den 29. September 2003. Eine
Unruhe macht sich in Deutschland breit. Es herrscht Aufbruchsstimmung
unter den sonst so gleichgültigen Köpfen der Bevölkerung.
Ein neuer Trend kommt auf und bestärkt die sich neu formierende Volksgemeinschaft
in ihrem Selbstbewusstsein : Es ist wieder cool deutsch zu sein!
Was die damals noch vermeintlich linke Band Mia vor nunmehr knapp 2 Jahren
mit dem Song "Was es ist" ,in dem sie Auszüge aus einem
Liebesgedicht des jüdischen Dichters Erich Fried verwendeten um ihrer
Liebe zu Deutschland Ausdruck zu verleihen, und dem daraus folgenden Tabubruch
ins Rollen brachten, hat sich heute bereits zu mehr als nur einer Diskussion
um eine "Quote für den deutshen Pop" entwickelt. Wir haben
es nunmehr nicht länger mit mit ein paar deutschidentitären
Spinnern zu tun, sondern sehen uns einem ganzen Netzwerk aus Internetradios,
Labels, Musikern, aber auch Politikern auf höchster Ebene konfrontiert,
die alle eine gemeinsame Forderung eint: Die "deutsche Identität"
zu schützen und gegen den "US-Kulturimperialismus" (Wolfgang
Thierse) zu verteidigen.
So gibt es seit dem 8. Juni 2004 das berliner Internetradio "Ohrenkneifer",
welches damit wirbt das erste 100% deutschsprachige Radio der Welt zu
sein, was natürlich bedeutet ganztägig nur deutsche Musik zu
spielen. Des weiteren kommen noch Labels, wie beispielsweise das ebenfalls
aus Berlin stammende Label R.O.T. ("respect or tolerate") hinzu,
welches als unter anderem auch die Reformierung des deutschen Musikbuisness
über den "kreativen Umgang mit der deutschen Sprache" verfolgt.
Pikanterweise handelt es sich hierbei auch um das Label, welches bereits
die Band MIA unter Vertrag hat. Zu dieser Infrastruktur kommen jedoch
auch noch Bands, die glauben ihr Aufgabenfeld unnötig ausweiten zu
müssen. Hierzu gehört beispielsweise die Band "2raumwohnung"
die mit ihrem eigenen Label ausschlieslich nationale Künstler unterstützen.
Unterstützung können angebliche Künstler aber auch noch
aus ganz anderen Ecken Deutschlands erwarten. So setzt sich seit geraumer
Zeit auch der "Verein deutsche Sprache e.V." mit der eigens
für diesen Zweck geschaffenen Initiative "Alle in eigener Sache"
für die Quote ein. Doch auch die Rot-Grüne Fraktion im Bundestag
hat in diesem Punkt den Schulterschluss mit der sächsischen NPD gewagt,
die in ihrem Wahlprogramm Ebenfalls die Forderung nach einer Deutschquote
im Radio artikulieren. Sie brachte, nachdem am 29.9.04 eine Anhörung
zum Thema "Quote für Musik aus Deutschland" im Ausschuss
für Kultur und Medien im Bundestag stattgefunden hatte am 17.12.
2004 einen Antrag im Bundestag ein, in dem sie die Bundesregierung aufforderte
Gespräche mit öffentlich rechtlichen, aber auch privaten Sendern
zu führen, mit dem Ziel diese zu einer freiwilligen selbstverpflichtung
zu bewegen, nach der sie mindestens 35% ihrer Sendezeit mit deutscher
Musik gestalten würden. Bei so viel Aufmerksamkeit, die dieser Forderung,
die letztendlich nur einen weiteren Ruf nach einer neuen, starken und
selbstbewussten Nation Deutschland darstellt, ist es nicht weiter verwunderlich,
wenn auch alarmierend, dass die Forderung nach einer Deutschquote im Radio,
ausgehend von Berlin, mehr und mehr zur salongfähigen Einstellung
in ganz Deutschland avanciert. Ein weiterer alarmierender Faktor der ebenfalls
prägend für den Nationalismus der neuen deutschen Popnation
ist, ist der starke Antiamerikanismus, der seit dem 11.September 2001
in Deutschland wieder konjunktur feiert. Die Aussagen reichen hier vom
aufgreifen alter antiamerikanischer Ressentiments wie das der amerikanischen
Kulturlosigkeit, um zu argumentieren, dass "amerikanischer Einheitsbrei"
die "kulturelle Vielfalt" in Deutschland gefährden würde
(Wolfgang Thierse) bis hin zum kulturellen "Ende des Besatzungsstatus"
oder dem "Genozid an der deutschen Musik". Letzteres Zitat zeigt
dann auch deutlich wie zusätzlich zum Schüren eines neuen Nationalismus
die deutsche Geschichte verharmlost und relativiert wird. So reiht sich
auch dieser Diskurs wieder ein, in die deutsche Kontinuität von Schuldabweisung,
Relativierung und Hochstilisierung kollektivdeutscher Werte, die gerade
in diesem Gedenkjahr wieder große Bedeutung erlangt.
Wir haben keinen Bock auf Deutschland, und
erst recht nicht auf Deutsche, die es sich zum Ziel gesetzt haben eine
selbstbewusste Nation über eine angebliche kulturelle Identität
zu schaffen. Deutschland halts Maul!!!
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