20.10.2011 Wehrmachtsgespräche
Offenes Antifa Cafe zum neuen Buch „Soldaten – Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“ von Sönke Neitzel und Harald Welzer. (auch als PDF)

In dem Buch „Soldaten“ werden Abhörprotokolle von in Gefangenschaft geratenen deutschen Soldaten ausgewertet. Seit Kriegsbeginn hörten nämlich Briten und Amerikaner gefangene deutsche Soldaten mittels Wanzen in Gefangenenlagern ab. Das umfassende Quellenmaterial mehrerer Jahre war bislang nicht Gegenstand der Forschung. Sönke Neitzel / Harald Welzer kommen schließlich nach Betrachtung der Soldatengespräche zu einer provokanten These: Die nationalsozialistische Ideologie habe danach eine weit geringere Rolle für das Morden der deutschen Soldaten gespielt als dies bislang in der Wissenschaft vertreten wurde. Einzige Ausnahme, die die beiden Wissenschaftler gelten lassen, seien die Massenerschießungen an jüdischen Zivilisten. Bei der Veranstaltung werden Teile der Soldatengespräche gelesen und mit dem autobiografischen Werk "Spinnewipp" von Egon Neuhaus, das ebenfalls auszugsweise gelesen wird, abgeglichen. Anlässlich des 9. November präsentiert von Antifa Friedrichshain http://www.antifa.fh.de.vu

Veranstaltungsskript

Das heutige Thema der Veranstaltung haben wir im Hinblick auf den 9. November gewählt. Für diejenigen, die es nicht wissen: Am 9. November 1938 haben die Nazis nach langer Planung gezielt Angriffe auf Gewerbe und Wohnungen von Jüdinnen und Juden unternommen. Zum Gedenken daran findet jährlich an dem Jahrestag in Moabit eine Demonstration statt. So auch in diesem Jahr.

S.10 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„SCHMID: Ich habe da mal einen Fall gehört von zwei fünfzehnjährigen Bengels. Die hatten Uniform an und schossen da wild mit. Wurden aber gefangen. [...] Dass der Russe auch junge Burschen bei sich hat, sogar Zwölfjährige an der Musik zum Beispiel, die eingekleidet waren, das habe ich selbst gesehen. Wir hatten mal ein russisches Musikkorps - aber das machte eine Musik, du! Also, da bist du zunächst mal vollkommen fertig. So was Stilles, was über der Musik liegt, so was Sehnsuchtsschweres - ich möchte sagen, die ganze russische Weite kommt dir in den Sinn. Das ist furchtbar. Das hat mir einen Heidenspaß gemacht. Das war so eine Militärkapelle. [...] Also, jedenfalls die beiden jungen Burschen sollten nach dem Westen tippeln - sollten sich genau an die Straße halten. In dem Moment, wo sie versuchen, bei der nächsten Biegung in den Wald reinzuhuschen, da kriegen sie was auf den Latz geknallt. Und kaum sind sie außer Sichtweite, da schleichen sie weg von der Straße - husch, husch, weg waren sie. Da wurde gleich ein größeres Kontingent aufgeboten und musste suchen. [...] Und dann haben sie die beiden erwischt. Das waren die zwei, du. Nun waren sie so anständig und haben die nicht gleich erschlagen, sie haben die nochmals vor den Regimentskommandeur gestellt. Nun war es ja klar, nun hatten sie ihr Leben verwirkt. Da mussten sie ihr Grab schaufeln, zwei Löcher, dann wurde der eine erschossen. Der fällt nicht ins Grab, der fällt vorne über. Da sagt man dem anderen, er sollte den Ersten ins Loch reinwerfen, bevor er selbst erschossen wird. Das hat er mit lächelnder Miene gemacht! Ein fünfzehnjähriger Bengel! Das ist ein Fanatismus oder Idealismus - da ist was dran!“

Dies war Teil eines Gespräches, das ein deutscher Soldat in Kriegsgefangenschaft bei den Briten mit einem anderen Soldat führte. Bereits zu Beginn haben nämlich die Alliierten deutsche Kriegsgefangene in Gefangenenlagern systematisch abgehört. Systematisch, da sie tatsächlich darauf achteten bestimmte Wehreinheiten zusammen zu gruppieren, bzw. unterzubringen. Bei den deutschen Gefangenen handelte es sich weniger um Angehörige der Waffen-SS als vielmehr Angehörige der Wehrmacht, als der Heeres-Bodeneinheiten, von Flugstaffeln und der Marine.
Die Erzähltechnik ist dabei symptomatisch. Es ist erschreckend mit welcher Leichtigkeit von solchen Gräueltaten berichtet wird als seien es alltägliche Erlebnisse.
Dass diese Abhörprotokolle existieren, war in der Wissenschaft, die sich speziell auch mit dem NS beschäftigt, bis 2001 nicht bekannt. Auf Grundlage dieser Abhörprotokolle haben die zwei Wissenschaftler Neitzel / Welzer untersucht, wie stark das nationalsozialistische Element für die Wehrmacht im Krieg eine Rolle spielte.

Die Untersuchungsziel war es, die abgehörten Gespräche der deutschen Soldaten darauf zu untersuchen, „was die Welt der Soldaten war, wie sich selbst und ihre Gegner gesehen haben, was sie über Adolf Hitler dachten, warum sie weiterkämpften, auch dann noch, als der Krieg bereits verloren war“ (S.13 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer).
Die Untersuchungsergebnisse sind im April 2011 in dem Buch „Soldaten – Protokolle vom Kämpfen und Sterben“ erschienen ist.

Die Brisanz liegt bei dieser Untersuchung darin, dass es noch Mal einen Beitrag zu einer im Prinzip bereits alten Debatte leistet. Und zwar: war jeder, der im 2. Weltkrieg auf deutscher Seite kämpfte ein überzeugter Nationalsozialist, der sich der Verbrechen des Holocaust mitschuldig gemacht hat?
Bereits bei der Aburteilung der Nazis durch die Alliierten ging es darum festzustellen, wer die Verantwortlichen an den Gräueltaten waren. Zu jener Zeit begann es, dass differenziert wurde zwischen der Waffen-SS und der Wehrmacht. Die Waffen-SS als speziell geschulte und ideologisch aufgeladene Einheit als wissende Verantwortungsträger der Verbrechen für schuldig befunden wurden. Wehrmachtsangehörige als im Prinzip normale Soldaten, die eben auf deutscher Seite kämpften, von der Schuld der Kriegsverbrechen insbesondere der Gräueltaten an jüdischen Zivilisten „freigesprochen“ wurden.
Die Debatte ist stereotyp für den allgemeinen Umgang Deutschlands mit dem Thema Holocaust und Antisemitismus bzw. Geschichtsbewältigung. Dieser zeichnet sich durch Verleugnung und Abweisung jeglicher Mitschuld aus – also eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung abgelehnt und immer nach den überblickenden Strippenziehern im Hintergrund geguckt wird.
Ansätze, dieses Stereotyp aufzubrechen, gab es bereits mehrfach. Goldhagen nannte in seiner Publikum „Hitlers willige Vollstrecker“ jeden Soldaten als ausführendes Organ, das ideologisch nationalsozialistisch geprägt, als Überzeugungstäter fungierte. Etwas differenzierter ging da das Hamburger Institut für Sozialforschung vor. Dennoch sorgte es mit der Wehrmachtsaustellung für viel Wirbel. In der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ zeigten sie nämlich auf, dass eben auch die Wehrmacht einen Bestandteil an den Kriegsverbrechen hatte.

Und nun in diesen „Streit“ ist auch diese Publikation als Beitrag einzuordnen. Wir wissen, was für Verbrechen während des NS verübt wurden. Die Wissenschaft soll nun im Nachhinein klären, was an dem Handeln / Verbrechen nationalsozialistisch geprägt war.

Passagenweise lesen wir dazu Auszüge aus dem Buch Spinnewipp von Egon Neuhaus. Dies ist im Jahr 2010 beim Verbrecherverlag erschienen. Neuhaus ist 1922 als Kind von Fabrikarbeitern in Lüdenscheid geboren. Wir nehmen das teilweise zur Entschärfung rein, da wir wissen, dass auf Zwangsrekrutierungsebene natürlich auch Personen an der Front kämpften, die keine Nationalsozialisten waren. Teilweise aber auch als Beleg, da sich hier Deckungsgleichheiten zu dem Quellenmaterial von „Soldaten“ ergeben.

Zurück zu den Soldatengesprächen
Der Unterschied an diesem Quellenmaterial zu dem sonst zur Verfügung stehenden besteht darin, dass es die Erlebniswelt der Soldaten in Echtzeit abbildet. Andere Quellen wie Feldpost, Memoiren etc. waren zudem an ein spezifisches Publikum gerichtet.

Nach Ansicht von Neitzel / Welzer ließ sich mit diesen Quellen also besser herausarbeiten, welcher Referenzrahmen dem Antrieb der Soldaten zugrunde lag.

Referenzrahmen: Matrix von ordnenden und organisierenden Deutungsvorgaben = sozialisatorischer Hintergrund, kulturelle Prägung und Erfahrung auf Grundlage derer man bestimmte Ereignisse einordnet und bewertet.

Vorrangig ging es dabei um Angehörige der Wehrmacht, da nur wenige Angehörige der Waffen-SS gefangen genommen wurden.

Zur Unterscheidung eine kurze Erklärung:

Wehrmacht
Am 25. Mai 1934 fixierten der Reichspräsident Paul von Hindenburg und Kriegsminister Werner von Blomberg einen Pflichtenkatalog für die deutschen Soldaten. Danach lagen die Wurzeln der Wehrmacht in einer ruhmreichen Vergangenheit, die Ehre des Soldaten im bedingungslosen Einsatz seiner Person für Volk und Vaterland bis zur Opferung seines Lebens. Die höchste Soldatentugend sei der kämpferische Mut. Im 2. Weltkrieg hat sich der Anforderungskatalog nicht wesentlich verändert.
Der Begriff Wehrmacht bezeichnet die Streitkräfte im nationalsozialistischen Deutschen Reich. Die Wehrmacht ging durch das Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht vom 16. März 1935 aus der Reichswehr hervor und wurde im August 1946 offiziell aufgelöst.

Waffen-SS
Waffen-SS war ab 1939 die Bezeichnung für die schon früher gegründeten militärischen Verbände der nationalsozialistischen Parteitruppe SS. Seit Mitte 1940 war sie organisatorisch eigenständig und unterstand dem direkten Oberbefehl des Reichsführers der SS Heinrich Himmler. Ihr gehörten sowohl Kampfverbände als auch die Wachmannschaften der Konzentrationslager an.
Die Waffen-SS entstand im Dezember 1939, nach dem Angriff auf Polen, aus der Zusammenführung von SS-Verfügungsdivision, SS-Totenkopfdivision und SS-Totenkopfverbänden. Seit 1940 wurde sie zu einer selbstständigen militärischen Organisation ausgebaut, die insgesamt bis zu 914.000, im Juni 1944 noch etwa 600.000 Mitglieder hatte. Sie bestand zunächst überwiegend aus Freiwilligen, ab 1943 auch aus unter Zwang rekrutierten Soldaten. Seit 1941 warb die Waffen-SS zunehmend ausländische Freiwillige an. Ab 1944 betrug deren Anteil mehr als die Hälfte.
Die NS-Propaganda stellte die Waffen-SS als Elitetruppe mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit dar. Sie tat sich aber vor allem durch besondere Härte und Grausamkeit, insbesondere gegen die Zivilbevölkerung hervor. Mit der SS wurde die Waffen-SS im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1946 als verbrecherische Organisation verboten.

Woran das lag, dass lediglich wenige Personen der SS-Kampfeinheiten wirklich gefangen genommen wurden, hat viele Ursachen.

Orientierung
Um das Ergebnis der Untersuchung vorweg zu nehmen: Nach Ansicht Neitzel / Welzer waren die Verbrechen durch Wehrmacht weniger der nationalsozialistischen Ideologie geschuldet als vielmehr dem Umstand (Referenzrahmen) Krieg.
Da dieses Werk in den Feuilletons auf und ab diskutiert wurde, haben wir uns heute bei der Veranstaltung unter anderem vornehmlich der Auseinandersetzung mit dem Werk und der Kritik daran gewidmet.

Die Verfasser verdeutlichen deshalb natürlich vor Einstieg in die direkten Analysen, wodurch menschliches Handeln insgesamt beeinflusst wird. Also welche Referenzrahmen es gibt und dass natürlich auch Krieg ein besonderer Referenzrahmen bildet, indem andere Verhaltensmuster erlaubt sind, andere Regeln gelten. Beispiel = Im Krieg ist Töten erlaubt.

Wie stark solche anderen Referenzrahmen das Handeln beeinflussen können ist Folgendes:
Am 30. Oktober 1938 unterbricht der amerikanische Radiosender CBS sein Programm mit der Sondermeldung: Auf dem Mars habe sich eine Gasexplosion ereignet. Eine Wasserstoffwolke bewege sich nun auf die Erde zu. Die nächste Nachricht platzt herein, dass Seismographen heftige Erschütterungen wahrnehmen und es sich vermutlich um einen Meteoriteneinschlag handele. Jetzt überschlagen sich die Sondermeldung von der Einschlagstelle, bei der berichtet wird, dass aus den Einschlagstellen Scharen von Außerirdischen aussteigen und beginnen, die sich dort sammelnden Schaulustigen anzugreifen. Die Außerirdischen, so nächsten Meldung, bewegen sich nun nach New York. Die Armee setzt jetzt Kampfflugzeuge ein und bittet die Bevölkerung zu fliehen. Panik bricht aus.

Von den 6 Millionen Zuhörern der Sendung an diesem Tag nahmen 2 Millionen diese Meldung Ernst und flüchteten panikartig aus ihren Wohnungen. Auf der Straße angelangt sahen sie auch viele andere, die eben ihre Sachen gepackt hatten und fühlten sich in ihrem Vorgehen bestätigt. Die Telefonleitungen waren stundenlang blockiert.
Es dauerte Stunden bis sich herumgesprochen hatte, dass der Angriff bloß Fiktion war. Es handelte sich nämlich um eine Sondersendung mit Übertragung eines Hörspiels, das Orson Wells aus dem Roman „Krieg der Welten“ von H.G. Wells gemacht hatte.

Es zeigt Folgendes auf: Wenn Menschen Situationen als real interpretieren, dann sind diese in ihren Folgen real. Eine Realitätseinschätzung kann so falsch und irrational sein, durch die Zuschreibung wird sie zu einer neuen Realität.

Ein weiteres Beispiel hierfür das so genannte Bystander-Phänomen. Wenn mehrere Personen Zeugen eines Unfalles werden oder auch einer Schlägerei, hilft selten jemand. Denn keiner der Zuschauer weiß sicher, ob seine die richtige Reaktion wäre. Dadurch, dass eben auch die anderen nicht eingreifen, fühlt er sich in seiner Haltung des Nichtstuns bestätigt.

Ein starkes Orientierungsmuster für Menschen ist also das soziale Umfeld. So funktioniere es natürlich auch im Krieg. Ein Abgleich des eigenen Rollenverhaltens finde vor dem Zerrspiegel des Verhaltens anderer Akteure statt.

Weitere Verhaltensbindung findet durch die kulturell Sozialisation statt. Trotz der drohenden Gefahr in einem Haus zu verbrennen, lässt sich feststellen, dass viele dennoch erst Mal eine Hose etc. suchen, um nicht leicht bekleidet auf die Straße rennen zu müssen.
Nicht-Wissen ist ebenso ein Einflussfaktor. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der zeitspezifische Wahrnehmungskontext. Viele kennen ja tatsächlich noch weit verbreitete Bilder, die noch aus der Propaganda des Nationalsozialismus stammen wie beispielsweise, dass die Rote Armee Frauen vergewaltigt und Soldaten in Gefangenenlagern verhungern lassen. Die Briten hingegen galten als human. Das bildete natürlich im Kampf gegen die Rote Armee einen ganz anderen Antrieb nicht aufzugeben und sich nicht gefangen nehmen zu lassen, da dies als sicherer Tod gewertet wurde.
Rollenmodell und –anforderungen: „Vor dem Hintergrund der Rollentheorie sind Fragen danach, wieso jemand im Krieg Menschen getötet oder sich an Kriegsverbrechen beteiligt hat, sinnvollerweise zunächst keine moralischen, sondern empirische Fragen. Moralische können sinnvoll nur dann gestellt werden, wenn die Handlungsspielräume der Einzelnen greifbare Alternativen enthielten, die nicht gewählt wurden. Krieg ist Krieg; Befehl ist Befehl als formale Verpflichtung“ (S. 30 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer)

Kämpfen, Töten, Sterben
Vorweg muss Folgendes betont werden. Neitzel / Welzer geben nicht einfach komplett ganze Passagen dieser Gesprächsmitschnitte wieder. Sie reißen Bausteine aus dem Gefüge, die ihre Analysen untermauern sollen. Die Leserin hat dadurch natürlich nicht die Möglichkeit sich objektiv selbst ein Bild zu machen, sondern kann sich nur dieser Quellteile bedienen. Eines drängt sich jedoch für den kritischen Umgang mit diesen Analysen auf. Die Verfasser betonen ja bereits zu Beginn, dass nicht vollständig aufgezeichnet und transkribiert wurde von den Alliierten. Natürlich wurde vor allem festgehalten, was Informationen von militärischer Bedeutung liefern konnte und sofern Hinweise für sie vorhanden waren, die tatsächlich auf Kriegsverbrechen deuteten. Was ein Kriegsverbrechen ist, dazu kommen wir später noch. Aber das bedeutet hier Mal kurz angemerkt, dass nicht jede Tötung im Rahmen des Krieges als relevant eingestuft wurde. Zu den Analysen ...

Ziellosigkeit, Sport

S. 84 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„POHL: Am zweiten Tage des Polenkrieges musste ich auf einen Bahnhof von Posen Bomben werfen. Acht von den 16 Bomben fielen in die Stadt, mitten in die Häuser hinein. Da hatte ich keine Freude daran. Am dritten Tage war es mir gleichgültig und am vierten Tage hatte ich meine Lust daran. Es war unser Vorfrühstücksvergnügen, einzelne Soldaten mit Maschinengewehren durch die Felder zu jagen und sie dort mit ein paar Kugeln im Kreuz liegen zu lassen.
MEYER: Aber immer gegen Soldaten ...?
POHL: Auch Leute. Wir haben in den Straßen die Kolonnen angegriffen. Ich saß in der Kette. Die Führermaschine warf auf die Straße, die beiden Kettenhunde auf die Gräben, weil da immer solche Gräben gezogen sind. Die Maschine wackelt, hintereinander, und jetzt ging es in der Linkskurve los, mit allen MGs und was du da machen konntest. Da ha
ben wir Pferde herumfliegen sehen.
MEYER: Pfui Teufel, das mit den Pferden ... nee!
POHL: Die Pferde taten mir leid, die Menschen gar nicht. Aber die Pferde
taten mir leid bis zum letzten Tag.“

Die vorgetragenen Beispiele zeigen (symptomatisch), was in vielen der abgedruckten Gesprächen zum Ausdruck kommt: Ziel der Angriffe zu Luft, zur See und auf dem Land waren nicht nur Militärische. Es wurden auch systematisch zivile Ziele beschossen, mit Bomben beworfen, zerstört.
Es ging dann darum möglichst viel Schaden anzurichten. Die Wertigkeit zwischen Militärischen Treffern und Zerstörung von Städten und Beschießung von Zivilisten wird relativiert. Es zählen letztlich nur die Treffer.

S.87 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„POHL: Ich sagte ja, am ersten Tage ist es mir furchtbar vorgekommen. Da habe ich gesagt: Scheiße, Befehl ist Befehl. Am zweiten und dritten Tage habe ich gesagt: Das ist ja scheißegal, und am vierten Tag, da hab ich meine Freude daran gehabt. Aber, wie gesagt, die Pferde, die schrieen. Ich glaubte, nicht das Flugzeug zu hören, so schrien sie. Da laa so ein Pferd mit den Hinterbeinen abaerissen.“

S. 105 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„ESCHNER: Unser Kommodore, der hat uns öfters mal als Ausgleichssport einen Tagesangriff besorgt - auf Schiffe und so etwas. Er meinte, uns damit einen besonderen Gefallen zu tun. [...] Wir starteten also - ich als Erster und habe auch einen Pott gefunden -, der hatte sich vor einem kleinen Hafen da bei Lowestoft in der Gegend - da lagen 2 Pötte, und da lag nur ein kleiner Bewacher dabei. Da kam ich an, wir hatten Wolkenhöhe 500-600 m. Auf 10 km Entfernung sah ich schon Schiffe. Ich wollte einen Gleitflug machen, war schon im Gleitwinkel drin, habe angegriffen; der Pott hat auch einen abgekriegt; die fingen jetzt an zu schießen. Gleich Vollgas herein und weg. Das hat Mordsspaß gemacht.
BUDDE: Zwei Störangriffe habe ich geflogen, also Häuser beschossen. [...] Was uns in die Quere kam, so Villen auf einem Berg, waren die schönsten Ziele. Wenn man so von unten anflog, dann wupps, so ringehalten, dann rasselten die Fenster und oben das Dach ging hoch. Aber nur mit [FW] 190 habe ich das gemacht, zwei Mal, in Dörfer hinein. Da war mal Ashford. Auf dem Marktplatz, da wurde eine Versammlung gehalten, Haufen Leute, Reden gehalten, die sind vielleicht gespritzt! Das macht Spaß!".
BAEUMER: Dann haben wir etwas sehr Schönes, auf dem Rückflug haben wir mit der Heinkel etwas sehr Schönes gemacht. Da haben wir vorne eine Zwei-Zentimeter-Kanone einbauen lassen. Dann sind wir im Tiefflug über die Straßen, und wenn uns Autos entgegenkamen, haben wir den Scheinwerfer angemacht, die dachten, es käme ein Auto ihnen entgegen. Dann haben wir mit der Kanone reingehalten. Damit hatten wir viele Erfolge. Das war sehr schön, das machte riesigen Spaß. Auch Eisenbahnzüge und so Zeug.
HARRER: Da lobe ich mir unsere Minen, wenn sie losgehen, die rasieren alles weg, die rasieren da 80 Häuser weg. Ich habe Kameraden gehabt, die im Notwurf also ihre Minen, die sie ins Wasser schmeißen sollten, mal so in eine kleine Stadt reingeschmissen haben, die sehen dann, wie so die Häuser in die Höhe gehoben werden und in der Luft auseinanderfallen. Die Minen haben nur eine ganz dünne Wand, Leichtmetallwand. Und haben außerdem einen bedeutend besseren Sprengstoff als unsere ganzen Bomben. [...] Wenn so ein Ding in so einen Block reinhaut, der verschwindet einfach, fällt eben auseinander. Die Sache hat mir einen Mordsspaß gemacht.
V. GREIM: Wir haben einmal einen Tiefangriff bei Eastbourne gemacht. Da kommen wir an und sahen ein großes Schloss, da war anscheinend ein Ball oder was, auf alle Fälle viele Damen in Kostümen, und eine Kapelle. Wir waren zu zweit, wir haben Weitaufklärung gemacht. [...] Haben wir da kehrtgemacht, sind darauf zu. Das erste Mal sind wir vorbeigeflogen, dann haben wir noch einen Angriff gemacht und haben reingehalten, mein lieber Freund, das hat Spaß gemacht!“

Es setzt durch den Krieg eine Verrohung ein. Die Soldaten entwickeln einen Umgang mit dem Krieg gleich dem Leistungs- oder Extremsport bzw. der Jagd. Entgrenzt und losgelöst der Konsequenzen, die ihre Zerstörung anrichtet, werden Abschüsse und Zahlen von Getöteten wie Wettkampfergebnisse verhandelt.

S. 108 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„HEIL: Waren die bewaffnet?
DOCK: Nee.
HEIL: Warum habt ihr die abgeschossen?
DOCK: Was uns vor die Flinte kam, wurde abgeschossen. Einmal haben wir abgeschossen - da waren allerhand hohe Tiere drin; waren 17 Mann drin; vier Besatzungsmitglieder und 14 Passagiere, kamen von Lissabon. Da war ein englischer berühmter Filmschauspieler mit drin, Leslie Howard. Der englische Rundfunk hat es nämlich abends durchgegeben. Das waren zackige Flieger, du, die Verkehrsflieger - mein lieber Mann! Der hat sie auf den Kopf gestellt mit den 14 Passagieren. Mensch! Die müssen ja alle an der Decke gehangen haben! (Lacht) Der flog so 3200 Meter hoch. So ein blöder Hund! Anstatt, dass er nun gerade weiterfliegt, wie er uns sieht, fängt er an zu kurbeln. Da hatten wir ihn dann auch, Mensch. Da haben wir ihm ja auch den Laden vollgerotzt, Du! Oh Gott, oh Gott! Durch Drücken wollte er uns entwischen. Da ist er dann Kurven geflogen, Mensch. Dann saß der eine hinter, dann saß der andere dahinter. Da haben wir dann ganz ruhig und sachlich aufs Knöpfchen gedrückt. (Lacht)
HEIL: Ist er runtergekommen?
DOCK: Na, klar, Mensch.
HEIL: Und die anderen ausgestiegen? DOCK: Nee. Die sind alle tot gewesen.“

Bei dem Angriffskrieg zur See galt es ähnlich. Auch hier wurden zivile Handelsschiffe versenkt. Die "Sportlichkeit", die die Luftwaffe entwickelt hat, war bei den Marineeinheiten natürlich nicht möglich, da diese seltener in UBooten seltener die Möglichkeiten hatten solche Angriffe zu starten. Die Marine musste deswegen auch weniger Einsätze fahren, um bestimmte Ordnungen / Auszeichnungen zu erwerben.

Kriegsverbrechen
Was macht aber nun ein Kriegsverbrechen zu einem Kriegsverbrechen? Grundsätzlich ist das Töten ja in Kriegszeiten nicht unter allgemeine Strafe gestellt. Es muss also eine Grenze überschritten sein, die sich von den Konventionen „typischer“ Kriegsführung abhebt.
Hier ist zuvorderst zu betonen, dass auch für Zeiten der Kriegsführung nicht ein ochlokratischen Prinzip, als ein Vakuum von Gesetzen und Regeln herrschte.
Es gab beispielsweise die Haagener Landkriegsordnung (HLKO) von 1907, die Normen auch für die Kriegsführung der Staaten untereinander kodifizierte. Es handelt sich dabei also um ein völkerrechtliches Abkommen.
Allerdings wies diese etliche Lücken auf. Es gab den Besatzungsmächten beispielsweise keine eindeutigen Verhaltensanordnungen hinsichtlich der Rechte und Pflichten beim Guerillakrieg oder dem Kampf von Freischärlern.
Zudem kamen etliche Widersprüchlichkeiten bei den Regelungen hinzu. Artikel 50 HLKO erlaubte die Verhängung von Massenrepressalien gegen die Zivilbevölkerung nur bei nachgewiesener Verbindung von Tätern des Widerstandskampfes und dem Unterstützerumfeld. Wann ist aber eine Verbindung nachgewiesen?
Auf Grundlage solchen Völkerrechts ist bereits deutlich, dass natürlich viele der Soldaten und Offiziere diesen Lücken für sich ausnutzten, um zu rechtfertigen, warum auch Massenerschießungen von Zivilbevölkerungen gerechtfertigt waren. So war den auch die Partisanenbekämpfung der Rahmen, in dem die Soldaten die meisten Kriegsverbrechen begingen.

S. 122 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„KNEIPP: Da war was los, da hat der Oberst Hoppe
KEHRLE: Hoppe, das ist doch ein bekannter Mann, der ist doch Ritterkreuzträger?
KNEIPP: Ja, der hat Schlüsselburg genommen. Der hat noch Befehle gegeben, Wie ihr uns, so wir euch, hat er gesagt, sie sollten sagen, wer Deutsche aufgehängt (?) habe, nur einen Anhaltspunkt geben, dann ist alles gut. Keine Sau hat auch nur gesagt, noch nicht einmal, dass sie nichts wussten. Hieß es: Alle Männer, links raus, dann wurden sie in den Wald getrieben, dann hast du gehört, brr, brr.
KEHRLE: Im Kaukasus, bei der 1. GD, wenn da einer von uns umgelegt worden ist, da hat gar kein Leutnant Befehl geben brauchen, Pistolen raus, Frauen, Kinder, alles was sie gesehen haben, rein ...
KNEIPP: Bei uns hat mal eine Partisanengruppe einen Verwundeten-Geleitzug überfallen und alles umgebracht, halbe Stunde später wurden die geschnappt, bei Nowgorod, die wurden in eine Sandgrube gebracht, und von allen Seiten gings dann rein mit MGs und Pistolen.
KEHRLE: Die gehören langsam umgebracht, die gehören doch nicht erschossen. Da waren die Kosaken prima zur Partisanenbekämpfung, ich hab das gesehen im Südabschnitt.“

Die Gewalt entgrenzte. Für Soldaten stellte das Durchgreifen und die Vergeltung einen sehr starken Antrieb für die Ermordung dar.

S.124 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„KAMMBERGER: In Polen haben sie den Soldaten freigegeben, damit sie den Hinrichtungen, die öffentlich waren, beiwohnen konnten. 25 bis 50 sind täglich hingerichtet worden nach der Heydrich-Sache. Die sind auf einem Schemel gestanden, mussten den Kopf durch die Schlinge legen und der Nächste hinter ihm musste den Schemel wegstoßen mit den Worten: Brüderchen, du brauchst doch nicht den Schemel.“

Dabei Unterschied sich der Grad an Gewalt an der Ostfront in der Massivität eindeutig von der Gewalt an der Ostfront. Das gezeichnete Bild von der Roten Armee als hemmungslos und grausam führte dazu, dass die Gnadenlosigkeit gegenüber Soldaten der Roten Armee aber auch der Bevölkerung ganz andere Sphären erreichten.

S. 140 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„GRAF: Die Infanterie erzählte, wenn sie die Russen zurückbeförderten, haben die Gefangenen nichts zu fressen gekriegt, 3 bis 4 Tage, sind die umgekippt. Da ist der Posten immer hin, hat ihm noch eine auf den Schädel gegeben, war er tot. Sind die anderen drauf und haben ihn zerlegt und haben ihn dann gefressen, wie er war.
NEUFFER: Der Rücktransport der Russen von Vyasma usw. war ja grauenhaft!
REBMANN: Also grauenhaft, also wirklich - ich habe den Transport erlebt von Korosten bis kurz vor Lemberg. Wie die Tiere wurden sie aus den Waggons herausgehauen und mit Stockschlägen, damit sie in Reih und Glied bleiben, zur Tränke geführt. Auf den Bahnhöfen, da waren solche Tröge, und da haben sie sich wie die Tiere draufgestürzt und Wasser gesoffen, dann bekamen sie nur eine Kleinigkeit zu essen. Dann wurden sie wieder hereingetrieben in die Waggons, und zwar waren sechzig bis siebzig Mann in einem Viehwagen! Auf jedem Halt haben sie zehn Tote herausgezogen, weil die Leute aus Sauerstoffmangel erstickten. Ich habe das gehört, ich fuhr indem Eisenbahnwaggon der Lagerwache mit und fragte den Feldwebel, der ein Student, ein Mann mit einer Brille, ein Intellektueller war: Wie lange machen Sie das schon? Na, ich mache das vier Wochen also, aber ich halte das nicht mehr lange aus, ich muss jetzt weg, ich kann das nicht mehr aushalten! Auf den Stationen schauten die Russen aus diesen schmalen Luken heraus und brüllten wie die Tiere auf Russisch zu diesen russischen Einwohnern, die da standen: Brot! Gott wird euch segnen usw. und schmissen ihre alten Hemden und ihre letzten Strümpfe und Schuhe heraus, und da kamen Kinder und brachten ihnen Kürbisse zu fressen. Die Kürbisse wurden hereingeworfen, und dann hörte man in dem Wagen nur noch ein Gepolter und ein tierisches Gebrüll, da haben sie sich gegenseitig wahrscheinlich erschlagen. Ich warfertig, ich habe mich in eine Ecke gesetzt und mir den Mantel über den Kopf gezogen. Ich fragte den Wachfeldwebel: Ja, habt ihr denn nichts zu fressen? Er sagte zur mir: Herr Oberstleutnant, wo sollen wir was haben? Es ist ja nichts vorbereitet!“

S. 176 „Spinnewipp“ E. Neuhaus
„Unteroffizier Lacker, unserem Funktruppführer, dem ich voll vertrauen konnte, berichtete ich, was ich im Soldatenheim in Minsk so alles erfahren hatte. Daß in Weißrußland massenhaft Kriegsgefangene und Zivilpersonen erschossen worden seien. Daß es dort Gräben gebe, mit vielen tausend verscharrten Leichen. Es waren Kameraden verschiedener Einheiten, die sich gegenseitig nicht kannten, doch alle das Gleiche berichteten. Lacker schüttelte den Kopf und sagte: »Das sind so herumlaufende Geschichten, überprüfen kannst du sie nicht.« »Vorsicht«, gab ich zur Antwort, »die sagten alle: Wenn uns die Russen in die Finger kriegen, dann sind wir erledigt! Doch Lacker mußte auf Empfang gehen und stülpte sich die Kopfhörer über. Unwillkürlich mußte ich an Schneepflug denken. Das war ein älterer Kamerad, der den Winter 41/42 vor Moskau überlebt hatte. Seine Füße hatte er vor der grimmigen Kälte geschützt, indem er sich aus einer russischen Filzschabracke eine Fußbekleidung bastelte. Da sie sehr plump ausgefallen war, hinterließ er eine breite Spur im Schnee. Seitdem hieß er nur noch Schneepflug. Dieser Kamerad Schneepflug war 1940 in Frankreich zu einem Exekutionskommando eingeteilt worden. Sie mußten fünf Franzosen erschießen, die angeblich noch nach der Kapitulation gegen die Wehrmacht gekämpft hatten. Schneepflug gab immer wieder diese Geschichte zum Besten. Wie einer der Todeskandidaten dem Peloton entgegengerufen hatte: »Jetzt könnt ihr mal Franzosen sterben sehen!« Und dann war die Salve losgekracht. Schneepflug war anschließend übel geworden und er hatte kotzen müssen wie ein Reiher, da er auf Unbewaffnete hatte schießen müssen.“

Das Massensterben der russischen Gefangenen setzte aufgrund der völlig unzureichenden Verpflegung bereits im Spätsommer 1941 ein erreichte im Winter seinen Höhepunkt. Bis dahin waren rund 2 Millionen gefangene Rotarmisten tot.

Vernichtung
Wie vorangestellt: Neitzel / Welzer meinen durch die Quellen belegen zu können, dass für die Vernichtung und Kriegsverbrechen der wesentliche Moment eben nicht die Ideologie war, sondern der Umstand sich im Krieg zu befinden. Was sie aber zumindest einräumen, was zuvor vermutet wurde, jedoch nicht richtig belegbar war, konnte durch die Soldatengespräche definitiv belegt werden: Die Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung war detailliert bei den Soldaten bekannt.

Dazu ein Erlebnisbericht aus dem Jahr 1941.

S. 146 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„FELBERT: Haben Sie auch mal Orte erlebt, in denen die Juden entfernt wurden?
KITTEL: Ja.
FELBERT: Ist das ganz systematisch durchgeführt worden? KITTEL: Ja.
FELBERT: Frauen, Kinder, alles?
KITTEL: Alles. Entsetzlich.
FELBERT: Werden die dann auf Züge geladen?
KITTEL: Ja, wenn die nur in Züge geladen wären. Ich habe Sachen erlebt! Ich habe dann einen Mann hingeschickt und habe gesagt: Ich befehle jetzt, dass da Schluss gemacht wird. Ich kann es nicht mehr mit anhören überhaupt. Also z. B. in Lettland, bei Dünaburg, da sind also Massenerschießungen von Juden gewesen.270 Das waren SS oder SD.“

Der Offizier nimmt bei dieser Erzählung die Rolle des passiven Beobachters ein. Allerdings hatte er wegen seiner Funktion bereits die Möglichkeit ganz anders in die Geschehnisse einzugreifen, als die einfachen Soldaten möglich gewesen wäre.

S. 148 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„KITTEL: Habe mich ins Auto gesetzt und bin zu diesem SD-Mensch rein und habe gesagt: Ich verbiete ein für alle Male, dass da draußen diese Erschießungen sind, wo man zuschauen kann. Wenn ihr die Leute im Wald erschießt oder irgendwo, wo es niemand sieht, das ist eure Sache. Aber das verbiete ich einfach, dass da noch ein Tag geschossen wird. Wir beziehen dasTrinkwasser ausTiefbrunnen, wir kriegen lauter Leichenwasser dort. Das war der Kurort Meschems, in dem ich lag, der liegt nördlich von Dünaburg.
FELBERT: Was haben sie mit den Kindern gemacht?
KITTEL (sehr erregt): Kinder, dreijährige Kinder, so oben am Schopf genommen, so hochgehalten und mit der Pistole abgeschossen, und dann haben sie sie hineingeworfen. Das habe ich selbst gesehen. Da konnte man zusehen, da standen die Leute auf 300 Meter Entfernung, da hatte der SD abgesperrt. Da standen die Letten da und die deutschen Landser und guckten zu.
FELBERT: Was sind das nun für SD-Leute eigentlich?
KITTEL: Ekelhaft! Ich bin der Ansicht, dass die alle selbst erschossen werden. FELBERT: Wovon waren die denn, von welcher Formation?
KITTEL: Das waren Deutsche, die haben die Uniform vom SD an, dazu den schwarzen Streifen, wo Sonder-Dienst drauf steht. FELBERT: Die Henker waren alles Letten?
KITTEL: Das waren alles Letten.
FELBERT: Aber das Kommando wird gegeben von einem Deutschen?
KITTEL: Ja. Die Deutschen haben die große Zeremonie gemacht, und die kleine Zeremonie haben die Letten gemacht. Die Letten haben die ganzen Kleider durchsucht. Der SD-Mann war einsichtig, der hat gesagt: Jawohl, das wird verlegt. Das waren alles Juden, die wurden also von Landgemeinden hereingeführt. Letten mit der Armbinde - da wurden die Juden hereingeführt, die wurden dann ausgeplündert, war eine maßlose Erbitterung gegen die Juden in Dünaburg, also hat sich da einfach die Volkswut entladen.“

Der Berichtende ist weniger über die Gräueltat an sich entsetzt als vielmehr über die Art der Umsetzung, der er als sehr untechnisch bezeichnet und die Gefahr auch von Seuchen birgt.
Symptomatisch auch für solche Erschießungen, was sich in vielen der Gespräche finden lässt, dass es immer Zuschauer bei den Ermordungen gab - überall. Es handelte sich dabei nicht nur um Soldaten, sondern auch um Zivilisten. Obwohl diese Termine nicht angesagt und später dann organisierter in Wäldern durchgeführt wurden, kamen immer etliche Schaulustige, die auch fotografierten. Es gab Verbote bei solchen Erschießungen zuzusehen, diesem widersetzten sich aber viele.
Im Verlauf einiger Gespräche merkt man auch, dass die zunächst relativ unorganisierten Ermordungen relativ schnell professionalisiert wurden und auch das Wissen darum, wie es effektiver betrieben werden kann, sehr schnell Verbreitung fand.
Die Berichte, dass zunächst die Grube ausgehoben werden mussten, mit einer Stufe versehen und dem Entkleiden, dem Hinstellen bzw. diese sich später auf die Leichen der anderen zu legen hatten, entsprach einer Effektivierung.

S. 158 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„BRUNS: Also an jeder Grube sechs Maschinenpistolenschützen - die Gruben waren 24 Meter lang und ungefähr 3 Meter breit, mussten sich hinlegen wie die Sardinen in einer Büchse, Köpfe nach der Mitte. Oben sechs Maschinenpistolenschützen, die dann den Genickschuss beibrachten. Wie ich kam, war sie schon voll, da mussten die Lebenden also dann sich drauflegen, und dann kriegten sie den Schuss; damit nicht so viel Platz verlorenging, mussten sie sich schön schichten. Vorher wurden sie aber ausgeplündert an der einen Station - hier war der Waldrand, hier drin waren die drei Gruben an dem Sonntag, und hier war noch eine anderthalb Kilometer lange Schlange, und die rückte schrittchenweise - es war ein Anstehen auf den Tod. Wenn sie hier nun näher kamen, dann sahen sie, was drin vor sich ging. Ungefähr hier unten mussten sie ihre Schmucksachen und ihre Koffer abgeben. Das Gute kam in den Koffer und das andere auf einen Haufen. Das war zur Bekleidung von unserem notleidenden Volk - und dann, ein Stückchen weiter, mussten sie sich ausziehen und 500 Meter vor dem Wald vollkommen ausziehen, durften nur Hemd und Schlüpfer anbehalten. Das waren alles nur Frauen und kleine Kinder, so Zweijährige. Dann diese zynischen Bemerkungen! Wenn ich noch gesehen hätte, dass diese Maschinenpistolenschützen, die wegen Überanstrengung alle Stunden abgelöst wurden, es widerwillig gemacht hätten! Nein, dreckige Bemerkungen: Da kommt ja so eine jüdische Schönheit. Das sehe ich noch vor meinem geistigen Auge. Ein hübsches Frauenzimmer in so einem feuerroten Hemd. Und von wegen Rassenreinheit: In Riga haben sie sie zuerst rumgevögelt und dann totgeschossen, dass sie nicht mehr reden konnten.“

Referenzrahmen der Vernichtung

S. 169 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„PRIEBE: Bei diesem Russen-Vormarsch, als die Russen in Polen waren, jetzt, da haben die Juden schwer zu leiden gehabt, da sind auch viele erschossen worden vom Russen. Ein alter Rechtsanwalt hat zu meinem Vatergesagt: Das hätte ich nie geglaubt, dass das in Deutschland so kommen würde. Das sind alles Sachen, die ich von meinem Vater weiß, wie die SS Haussuchungen gemacht hat; den Ärzten, die da waren, alles weggenommen, sämtliche Schmuckgegenstände, sogar vor Trauringen haben sie nicht haltgemacht. Was hast du da? Trauring. Weg, gib her, brauchst du nicht. Dann ist eben auch die Scheiße, dass die SS bei ihrem maßlosen Geschlechtstrieb auch nicht vor Juden haltgemacht hat. Jetzt ist Ost-Galizien vollkommen judenrein, ist nicht ein Jude mehr in Ost-Galizien. Viele Juden haben sich Papiere besorgt und sitzen weiterhin in Polen rum, sind plötzlich arisch. Wenn sie morgens zur Arbeit fahren - wir mussten da immer vorbei, wenn wir zu unserem Bombenplatz fuhren -, da kamen sie morgens, alte Frauen und Männer, alles getrennt. Kamen diese Frauen an, alle eingehakt, mussten sie da so ihre jüdischen Lieder singen; da fielen dann tadellos gekleidete Frauen besonders auf, gutaussehende Frauen waren dabei. Man möchte denen tatsächlich die Bezeichnung Damen geben. Bei uns ist erzählt worden, die werden da einfach in so ein Bassin reingetrieben, dann wird Wasser reingelassen und hinten läuft das Wasser wieder ab, dann ist nichts mehr von ihnen übrig. Wie viel von den jungen SS-Leuten da haben so Nervenzusammenbrüche bekommen, weil sie es einfach nicht mehr machen konnten. Dann sind auch so richtige Brüder darunter, zu meinem Vater hat mal einer gesagt, er wüsste nicht, was er machen sollte, wenn alle Juden tot sind, er hätte sich so daran gewöhnt, er könnte gar nicht mehr anders. Also ich könnte es auch nicht. Ich könnte es nicht. Kerls, die was ausgefressen haben, die könnte ich um die Ecke bringen, aber Frauen und Kinder und kleine Kinder! Die Kinder schreien dann rum und alles. Es ist bloß gut, dass die SS dazu genommen haben und keine Wehrmacht.“

S. 181 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„TAUMBERGER: Ich habe einmal selbst eine Kolonne gesehen von Leuten im KZ. Da bin ich bei München da ausgestiegen ... Da wird jetzt gebaut im Berg für die geheime Waffe, wo die neuen Waffen auch hergestellt werden. Da sind die dafür verwandt worden. Ich habe die einmal vorbeimarschieren gesehen, diese Gestalten. Diese Hungergestalten in der Sowjetunion sind wahre Prasser dagegen. Da habe ich mich mit einem unterhalten, der dort auf die aufgepasst hat. Innerhalb der Postenkette haben die gearbeitet, aber Tempo, ununterbrochen, ohne aufzuhören, zwölf Stunden - zwölf Stunden Ruhe. Also von Ruhe war gar keine Rede. In vierundzwanzig Stunden haben die ungefähr fünf Stunden Schlaf gehabt. Die übrige Zeit waren die dauernd auf den Beinen. Die Aufseher waren auch Strafgefangene, die haben schwarze Mützen gehabt. Mit solchen Knüppeln sind die zwischen denen herumgesprungen, über den Schädel und über das Kreuz geschlagen. Die sind zusammengebrochen.“

Vorangehende Beispiele zeichnen nach Neitzel / Welzer den vorhandenen Widerwillen, der sie zu der Analyse führt, dass sie sich nicht damit identifizierten. Dieser Widerwillen beschränkte sich aber nicht auf die Unterdrückung und den Umgang mit den Juden an sich, sondern bezüglich der Art und Weise der Folterungen / des Martyriums. Aus diesen Faktoren sei abzuleiten, dass nicht der Antisemitismus der tragende Faktor für die Ermordung sei, sondern ein Gemisch aus Gehorsam, da ja Befehl Befehl ist. Ebenso, dass bisher eine Leerstelle in den Ansätzen anderer Wissenschaftlicher sei, dass diese nie in Betracht zogen, dass ein Antriebsmoment gewesen sei, an den Erschießungen auch ohne Befehl teilgenommen zu haben, einmal etwas tun zu können, was man eben sonst nicht darf.

S. 189 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„V. MÜLLER-RIENZBURG: Die SS hat eingeladen zum Judenschießen. Die ganze Truppe sind mit Gewehren hingegangen L,nd [...] zusammengeknallt. Hat jeder sich aussuchen können, was für einen er wollte. Das waren so [...] von der SS, die sich natürlich bitter rächen werden.
V. BASSUS: Also das hat man so gemacht, wie zu einer Treibjagd, meinetwegen?
V. MÜLLER-RIENZBURG: Ja, ia.“

Dabei verfallen die Verfasser eben auch dem Zirkelschluss. Sie weisen in den Gesprächen nach, dass die Soldaten sich moralisch selbst entlasten, da sie in ihrem Universum des Krieges sich in ihrem Gefühl bestärken selbst gute Kerle und anständig geblieben zu sein. (s. 201)
Diese Selbstbekräftigung fußt natürlich aber auf der internalisierten Ideologie der Soldaten, die einen Unterschied zwischen Deutschen und Juden macht.
Diese Selbstreferenzierung nehmen nun aber Neitzel / Welzer zum Anlass die Soldaten zu ideologisch zu entlasten.
Da beißt sich die Katze natürlich in den Schwanz. Denn wenn der Antisemitismus die Soldaten bei ihren Verbrechen auf der moralisch richtigen Seite wähnen lässt, kann diese Selbstsicht nicht als Begründung dafür gelten, dass die Verbrechen vor allem dem Krieg geschuldet waren.

S. 202 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„ELSAS: Der deutsche Landser selbst, der nicht bei der SS ist, der ist viel zu anständig gewesen.
FRICK: Bestimmt, man ist direkt manchmal zu anständig.“

Ideologie
In sich widersprüchlich ist ihr Resümee auch deshalb, da die Verfasser selbst im Teil „Ideologie“ deutlich den Antisemitismus der Soldaten hervorheben.

S. 288 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„THÖNE: Von der Behandlung der Juden in Russland haben Sie wohl gehört.
In Polen sind die Juden verhältnismäßig gut davon gekommen. Da leben doch noch Juden. Im besetzten Russland leben aber keine mehr.
V. BASSUS: Ja, wurden die in Russland als gefährlicher betrachtet? THÖNE: Hass - nicht gefährlich. Ich verrate ja damit gar kein Geheimnis.
Ich kann ja ruhig sagen, dass sämtliche Juden in Russland, einschließlich Frauen und Kinder, restlos erschossen worden sind. V. BASSUS: Ja, da liegt kein zwingender Grund vor? THÖNE: Der zwingende Grund ist Hass.
V. BASSUS: Von Seiten der Juden - oder?
THÖNE: Von uns. Es ist kein Grund, aber das ist die Tatsache.
Oberfeldwebel v. Bassus und Leutnant Thöne, 2.2. 1944“

S. 290 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„ERFURTH: Es war mir immer so unangenehm, wenn ich in Riga die Jüdinnen aus Deutschland gesehen habe, die dort die Straßen säubern mussten. Dabei haben die immer noch deutsch gesprochen. Widerlich! Das sollte verboten werden und die müssten nur noch jiddisch sprechen dürfen.“

Warum dies dann also kein Antriebsmoment gewesen sein soll für die Verbrechen an den jüdischen Zivilisten, vermögen die Verfasser dann beim genauen Hinsehen nicht wirklich aufzulösen.
Der Antisemitismus unter den Soldaten tritt Mal mehr und Mal weniger drastisch zu Tage. Es ist aber für alle Soldaten logisch, warum es vor allem jüdische Zivilisten bei den Erschießungen trifft.
Ein Beispiel für die verbreiteten antisemitischen Bilder gibt folgendes Gespräch.

S. 293 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„VÖLKER: Ich kenne, was die Juden gemacht haben. So '28, '29, und so, da haben die Frauen verschleppt und haben die geschändet und haben die zusammen geschnipselt und das Blut - ich kenne so und so viele Fälle - die haben in ihrer Synagoge jeden Sonntag Menschenblut, und zwar Christenblut geopfert. Die Juden, die können jammern, die Frauen sind noch schlimmer wie die Männer bei denen. Ich habe es selber gesehen, wie wir damals die Synagoge zusammengedonnert haben. Da haben die so und so viel Leichen gehabt. Weißt du, wie du, wie die das machen? Da wird sie auf eine Bahre gelegt, da kommen sie hier mit solchen Dingern, stechen hinein und saugen das Blut heraus. Da hauen sie da so kleine Löchchen in den Bauch, dann lassen sie den Kumpel innerhalb von fünf bis sechs Stunden verrecken. Tausende von denen könnte ich zusammenhauen, und wenn ich nur wüsste, nur einer ist schuld darunter, dann würde ich sie auch alle umlegen. Was die in den Synagogen machen! Es kann keiner so jammern wie ein Jude. Der kann tausendmal unschuldig sein, der wird umgelegt. Wie die Kälber schächten! Sei mir bloß ruhig mit den Juden. Ich habe in meinem Leben nichts lieber gemacht, wie damals die Synagogen zusammengehauen. Da war ich einer der Schlimmsten, wie ich das gesehen habe, also geschändete Leichen haben sie da liegen gehabt. Da hast du gesehen, mit so Röhrchen - das waren Frauen, die waren vollkommen durchlöchert.“

Militärische Werte

S. 129 „Spinnewipp“ E. Neuhaus

„Kriegslied
Zu singen nach der Melodie: „Laßt die Kinder zu mir kommen!“

O Herr Jesu hab Erbarmen,
Sei uns Retter in der Not!
Hilf dem deutschen Vaterlande,
Das der Feind so schwer bedroht!
Segne alle deutschen Krieger!
Sei ihr Führer immerdar,
Schütze sie im offenen Kampf
Und in heimlicher Gefahr!

Auf dem Lande, auf dem Wasser
Und auch in der Lüfte höhn
Sei der Sieh it unseren Waffen,
Laß uns deine Hilfe sehn!
Alle Leiden und
Alle Wunden alles Blut,
Das der Krieg verlangt als Ruhe
Komm dem Seelenheil zu gut!

Den Soldaten, welche fallen
In dem Kampf fürs Vaterland,
Lohne ihr Heldengröße
In des Himmels Heimatland!
Sorg für vaterlose Waisen,
Hilf den Witwen in der Not,
Tröst die Eltern, deren Söhne
Starben früh den Heldentod!“

Es handelt sich um ein Gebet für Militärs aus dem NS. Dieses war im Volksboten abgedruckt.
Als ein bestimmendes Moment werden die militärischen Werte genannt, die zum fortdauernden Kampf antrieben. Danach bestimmten Tapferkeit, Gehorsam und Pflichterfüllung die Wahrnehmung soldatischen Handelns.
Diese Tugend soll tatsächlich bei vielen Soldaten ein Antriebsmoment gespielt haben noch in den letzten Gefechtstagen trotz aussichtsloser Lage zu kämpfen.

S. 301 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„MAYER: Das ist ja auch die schwierige Lage, in die eben ein Offizier kommt. Also z.B. ein Fall. Wenn ein Offizier heutzutage, der seine Pflicht tun will, einen gesunden Menschenverstand hat und gewisse Dinge gegeneinander abwägen kann, dass gerade dieser Offizier das undankbarste Schicksal hat.
Ich hatte als Kommandeur einer Kampfgruppe den Auftrag, die Stellung unter allen Umständen zu halten. Das war mein Befehl und den führe ich aus. Nun war es aber durchaus nicht so, dass ich als Kommandant mich im Bunker verkrochen habe, obwohl ich das als Kommandant ohne weiteres gekonnt hätte. Ich bin 70 bis 80 Prozent meiner Zeit vorne bei der Truppe gewesen. Nun wurden wir ziemlich fertiggemacht durch Artillerie und so. Also Leute sind uns reihenweise gefallen. Ich merkte auch schon die gewisse Zermürbung, obzwar man sagen muss, dass sie sich tadellos gehalten haben. Dazu kommt aber auch, dass die feindliche Flugblattpropaganda einen gewissen Eindruck auf unsere Leute gemacht hat, also Gefangenenbehandlung usw. Nun kam da gleichzeitig ein Befehl, der wurdeja überall bekanntgemacht, dass Drückeberger mit allen Mitteln vorzutreiben sind. Also muss ich meine Männer mit allen Mitteln vortreiben. Tue ich das nicht, setze ich mich selber gegen meinen obersten Kriegsherrn ins Unrecht. Gleichzeitig regt sich aber das menschliche Gefühl, denn man sagt sich: Da musst du die armen Leute vortreiben, obzwar es eigentlich gar keinen Zweck hat. Wir hatten da ja auch gar keine Unterstützung von schweren Waffen, Luftwaffe oder so, waren nur auf Kampf Mann gegen Mann angewiesen.“

S. 311 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„RENNER: Wir hätten uns noch mindestens drei oder sogar fünf Tage halten können. Aber ich habe nach der Möglichkeit getrachtet, das zu verhindern. Ich habe mich trotz des Trommelfeuers vor den Bunker gestellt und fing an zu reden: Wollt ihr jetzt da draußen sterben für einen sinnlosen Kampf, wo es nicht mehr weitergeht? Kommt, wir gehen hinaus. Unter diesen etwa zweihundert Personen waren vielleicht - die anderen haben nichts gesagt - zehn Gegner, die gesagt haben: Das kann man sich nicht bieten lassen, das geht nicht! Wir haben den Kampf bis zur letzten Patrone zu führen! Da habe ich dann gesagt: Was heißt letzte Patrone? Sie schießen den letzten Schuss aus und der Feind feuert dann rüber und dann sind Sie tot! Da sagt der: Dann sind wir eben den Heldentod für die Heimat gestorben! Da habe ich gesagt: Da hast du ja nichts davon, du blöder Hund, wenn du da stirbst und deine Frau leidet zu Hause! Da haben die anderen gesagt: Nein, nicht, da will ich vorher raus. Es gelang mir, die Leute zu bekehren. Ich habe gefragt: Wer geht mit? Da haben sich zuerst zwei gemeldet und kurz darauf, in einem Nu, waren es fünfundzwanzig bis dreißig Mann gewesen. Da bin ich vorne weg mit der Fahne und habe gewunken hin und her, und bin direkt dem großen Trommelfeuer entgegengegangen.“

Im Gegensatz dazu bei Neuhaus:

S. 161 „Spinnewipp“ E. Neuhaus
„Am meisten verfluchte ich die militärische Führung. Diese Schmalspurdenker, die für eine wahnwitzige Idee bedenkenlos eine ganze Generation zur Schlachtbank führten. Warum eigentlich? Um ihre persönliche Eitelkeit zu befriedigen? War es Eitelkeit, die sie so geil auf die nächste Beförderung und auf einen weiteren Orden machte? Die Hochdekorierten wurden sofort fotografiert und ihre Bildnisse gelangten in die Presse und in die Archive, in Kasernen und Schreibwarengeschäften waren sie im Postkartenformat zu kaufen. Sollte mir in Zukunft noch einmal zu Ohren kommen, Frauen seien eitel, weil sie sich Ketten um den Hals legten, dann konnte ich dagegenhalten und von eitlen Männern im Generalsrang erzählen.“

Führerglaube
Ein tatsächlich nicht gerade unerwartetes aber doch überraschendes Moment an den Protokollen, dass diese aufzeigen, wie tief verankert der Glaube an Hitler, also der Führerglaube ist.
Auch unbeschadet der immer weiter wachsenden Einsicht zum Ende des Krieges, dass das „deutsche Reich“ untergehen werde, handelt es sich bei Hitler um die identitätsstiftende Figur. Hitler sei nämlich gerade nicht identisch mit dem Nationalsozialismus und seiner sonstigen Führungselite.

S. 268 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„VETTER: Man kann über Nationalsozialismus denken, wie man will, Adolf Hitler ist der Führer und hat dem deutschen Volk bisher schon viel, unheimlich viel gebracht. Endlich konnte man wieder mal stolz sein auf das eigene Volk. Das darf man nie vergessen.
WÖLFFEN: Nichts, auch gar nichts kann man wegleugnen.
VETTER: Wenn ich auch überzeugt bin, dass er der Totengräber des Deutschen Reiches sein wird.
WÖLFEEN: Der Totengräber, ja.
VETTER: Ist er. Ganz ohne Zweifel.“

S. 270 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„MEYER: Der Führer ist meiner Ansicht nach, auf Grund der ganzen Verhältnisse, seit ungefähr nach Winter 41 /42, nicht mehrganz klar. Also da hat er irgendwie hysterische Anwandlungen. Trotzdem muss ich aber sagen, der Führer hat doch, nach dem Zusammenbruch Deutschlands, Ungeahntes geschaffen, und er hat, selbst wenn jetzt das ganze Reich wieder zusammenbricht, ungeheuer viel wieder geweckt in Deutschland. Er hat den deutschen Menschen doch wieder zum selbstbewussten Kerl gemacht.“

Das ist sozialpsychologisch einfach zu erklären. Da die vermeintliche Aufwertung Deutschlands im NS unmittelbar gepaart war mit der Person Hitlers, wurde dieser zu einem identitätsstiftenden Moment für die deutsche Volksgemeinschaft an sich. Ab dem Zeitpunkt, da das deutsche Reich offensichtlich unterliegen würde, musste man also, um auch einer eigenen Entwertung entgegenzuwirken, nach wie vor die Person Hitlers als glorreich / herausragend darstellen.
Die diesbezüglich lautenden Gespräche driften dann schon wieder ins Komische ab.

S. 273 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„LUDWIG: In Russland sieht es ja beschissen aus!
JONGA: Das bildest du dir nur ein! Auf Geländegewinne kommt es gar nicht mehr an, sondern darauf, wer den Krieg moralisch gewinnt. Wenn die Russen sich einbilden, dass wir schwach sind, dann haben sie sich geirrt. Vergiss nicht, was der Adolf für einen phantastischen Schädel hat.“

S. 281 „Soldaten“ S. Neitzel / H.Welzer
„FRÖSCHL: Wie konnte sich Hitler so ändern? Ich habe ihn ja früher verehrt. WAHLER: Jetzt zweifelt man an ihm.
FRÖSCHL: Ich zerbreche mir den Kopf - wie konnte das passieren?
WAHLER: Ach, das ist insofern ganz erklärlich - er schmeißt alle raus, er übernimmt alles selbst. Er guckt überall selbst rein, er kontrolliert alles selbst, er weiß in allem Bescheid. Und mit der Zeit muss er sich ja vorkommen, als ob es ohne ihn gar nicht ginge, als ob wir ohne ihn gar nicht mehr leben können. Es ist natürlich möglich, dass es bei ihm zu einer krankhaften Erscheinung geworden ist.
FRÖSCHL: Ich habe immer noch das Gefühl, als ob er dorthin getrieben wurde, dass er nicht mehr er ist. Es wäre nämlich eine große Entlastung für ihn.
WAHLER: Nein, es ist insofern keine Entlastung für ihn, weil er der Führer ist, er kann sich ja von allem frei machen. [...] Er räumt doch mit allem anderen auf, warum räumt er dann nicht mit Leuten auf, die vom Volk gehasst werden?
FRÖSCHL: Vielleicht hat er sich tatsächlich schon überarbeitet.
WAHLER: Das nehme ich auch bestimmt an, dass der nervenmäßig sowieso vollkommen herunter ist.
FRÖSCHL: Und dass er nicht mehr Herr der Lage ist. Er lässt sich nur, ohne es zu wissen, schieben. Ich kann es mir nämlich nicht vorstellen - und er war für mich eine Idealgestalt. Dass der auf einmal so versagt! Vielleicht ist es aus Egoismus.
WAHLER: Dagegen sprechen wieder seine Handlungen. Dagegen spricht seine letzte Rede über die deutsche Rechtsbarkeit. [...]
FRÖSCHL: Es ist sogar möglich, dass eben da viel Egoismus und Selbstherrlichkeit von mir selber dabei ist, dass ich eben nicht einsehen will, dass ich mich in einem Menschen so getäuscht habe.
WAHLER: Das ist jedenfalls klar, dass er sich wahnsinnig geändert hat.
FRÖSCHL: Ja, ich glaube nämlich immer noch, dass es eben nicht er ist.
WAHLER: Vielleicht ist es eben ein Schauspieler, vielleicht ist er schon lange tot.“

Resümee der Verfasser / Kritik:
Die Verfasser arbeiten immer wieder heraus, dass die Umstände "Krieg" als Referenzrahmen das Problem sind. Sie setzen dabei immer wieder als Beispiele für Verhalten im Krieg mit normale sozialen Verhaltensweisen in Relation, wodurch natürlich bei der Leserin ein Effekt der Relativierung / Verständnis bewirkt wird.
Beim Referenzrahmen Krieg funktioniere es also wie in jeder anderen sozialen Situation des Abgleichs: Wenn einer anfängt, sind die anderen Opfer ihrer sozialpsychologischen Muster zur Realitätsbildung. Weitere Kritik, die sich natürlich aufdrängt, ist, dass hier hätte formuliert werden müssen, dass Menschen es nicht lernen eigenständig zu handeln, sondern in einer Befehlsgebermanier auf Anordnung bzw. Initialzündung durch andere warten. Erzogen im Hörigkeitsprinzip steckt kann man dann natürlich eine Systemkritik formulieren.

Nicht mit einbezogen in die Wertung ist die Kritik und klare Analyse an dem Anreizsystem der Orden.
Kritik am Quellenmaterial. Die Alliierten haben natürlich nicht ausnahmslos alles protokolliert und übersetzen lassen, sondern sich natürlich an den Mitteilungen über Krieg, speziell militärisch verwertbare Informationen, aber auch gezielt wegen Verstößen gegen Grundsätze der Kriegsführung (Kriegsverbrechen) orientiert.
Neitzel / Welzer fassen das Material entsprechend ihrer Forschungsergebnisse zudem thematisch zusammen. Da ein umfassender Bericht dieser Ergebnisse den Rahmen sprengen würde, setzen wir unsere Schwerpunkte in den Bereichen, die wir als besonders problematisch hervorheben würden.

Abschließend ist diesem Buch aber eines zu Gute zu halten: Es ist ganz eindeutig antimilitaristisch. Auch wenn die Untersuchungen meiner Ansicht nach die Verbrechen durch Wehrmacht relativieren. Nachdem man dieses Buch las, hat man entsprechende Belege, dass jeder Krieg über das Ermorden im geordneten Rahmen automatisch zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Übrigen führen muss.

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