Veranstaltung: Antifaschismus, Repression und Patriarchat Freitag, 10. Februar 2023, Einlass 18:30 Uhr, Beginn: 19:00 Uhr Seit einem Jahr wird in Dresden wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) gegen Antifas verhandelt. Sie sollen sich vereinigt haben, um Neonazis zu verprügeln. Ihnen drohen hohe Haftstrafen. Lina sitzt bereits seit über zwei Jahren in U-Haft. Präsentiert von der Antirepressionsplattform Berlin. Referentinnen von Rote Hillfe Berlin, Soli-Antifa-Ost und Antifa. ----------------------------------------------------------------------- Veranstaltungsbericht: Antifa Denkaufgabe Eine gut besuchte Veranstaltung zum „Antifa-Ost“-Verfahren fand in Berlin am 10. Februar im Club about:blank am Ostkreuz statt. Mehr als 250 Leute drängelten sich, um zu hören, wie das Verfahren mit den über 80 Prozesstagen am Dresdener Oberlandesgericht bisher gelaufen ist und welche Schlüsse für die antifaschistische Praxis gezogen werden können. Auf dem Podium saßen Rote Hilfe Berlin, eine Vertreterin des Antifa-Ost-Solibündnisses und eine von der Antirepressionsplattform Berlin. Welche „Einsichten“ gibt es bisher aus dem Verfahren? 1. Nach dem „Totalschaden“ (EA-Dresden) im Antifa-Ost-Verfahren sollten sich politisch Aktive folgende Fragen stellen: Mit wem mach ich was wo und wann? Welche politischen und sozialen Ansprüche stellen wir aneinander? An welchen Orten und in welchen Abständen werden diese Ansprüche verhandelt? Wie wird auf patriarchale Dynamiken und Dominanz reagiert? 2. Ein zweiter zentraler Aspekt ist der Umgang mit Repression: Denn offenbar fehlt es oft am Bewusstsein für drohende Konsequenzen. Staatliche Repression wird nicht als Teil des Kampfes, sondern als (persönlicher) Unfall wahrgenommen. Der Input der Roten Hilfe zu den juristischen Bedingungen für Strukturermittlungen konnte gut darstellen, dass wir diese kaum verhindern können - wohl aber einen Umgang finden müssen. Statt uns bei breit angelegten Ermittlungen immer weiter zu isolieren, sollten wir uns stärker vernetzen und ein noch größeres Netzwerk bilden, das nicht so leicht zu schwächen ist. Personen wie der Verräter und Vergewaltiger Domhöver können bestenfalls schneller erkannt werden, auch wenn das direkte Umfeld vor allen Warnzeichen Augen und Ohren verschließt. 3. In der Organisierungsfrage besteht auch die eigentliche Denkaufgabe des Abends: Wie klandestin müssen wir uns organisieren, um uns vor staatlichen Zugriffen oder Verrätern wie Johannes Domhöver zu schützen und wie offen und weit verzweigt müssen wir gleichzeitig sein, um gemeinsame Standards zu etabilieren, Vertrauen zueinander zu haben und Verantwortung füreinander übernehmen zu können, um beispielsweise problematisches Verhalten diskutierbar zu machen und Konsequenzen ziehen zu können? Unterfüttert wurde das mit einer kurzen Broschüre „10 Thesen zu Verrat & Patriarchat & militanter Gewalt als politischem Mittel“, die sich mit Organisierung, antisexistischer Haltung und Risikobewußtsein beschäftigt. Die Thesen bilden Diskussionen ab, die unter Berliner Gruppen in den letzten Monaten gelaufen sind (siehe unten). Wir wollen kurz einige Inhalte aus der Veranstaltung hier schriftlich festgehalten. Zuerst wurden die Fakten zum Verfahren in Sachsen dargestellt: Vorgeworfene Taten, wer sind die angegriffenen Neonazis usw. Interessant waren hier vor allem die Beweisketten der „Soko Linx“ des LKA Sachsen, die im Auftrag der Bundesanwaltschaft eine kriminelle Vereinigung konstruieren und konkrete Taten zuordnen sollte. Also wie versucht wurde den Zusammenhang zwischen den Angeklagten und den Überfällen auf die Nazis herzustellen. Da gibt es DNA-Spuren in Tatortnähe, Blitzerfotos, Überwachungskameras in Kombination mit einer Funkzellenauswertung, eigentlich gelöschte Fotos auf USB-Sticks usw. Hinzu kommen Zeug*innenenaussagen, die bei zwei Angriffen eine Frauenstimme gehört haben wollen, aber auch mitgehörte Gespräche aus einem Auto, wo viel hineininterpretiert wurde. Im Gerichtsverfahren geht es um diese Indizien und um die Bemühungen, diese z.B. durch Alibis der Beschuldigten, zu zerstreuen. Die Beweislage ist nicht grade erdrückend, aber das ist aus Sicht der Strafverfolgung auch nicht zwingend, da es nicht um die Einzeltaten geht, sondern um die Straftat der Vereinigung zu dem Zweck Nazis zu vermöbeln. Um das nachzuvollziehen, folgte eine Einordnung des Paragraphen 129 Strafgesetzbuch. Die Anzahl und der Umfang der Verfahren wegen Bildung kriminieller Vereinigungen haben nach der Gesetzesverschärfung (die Anforderungen daran was als Vereinigung zählt, sind 2017 gesunken) gegen linke Gruppen gefühlt zugenommen. Das Verfahren ist enorm in die Länge gezogen. Nun scheint zum ersten Mal wohl auch eine Verurteilung gegen Antifas mit diesem Paragrafen möglich. Es bleibt für uns: Gegen die Verfahren können wir uns nicht wehren, außer mit den uns bekannten Mitteln - also immer auch davon ausgehen, dass man selbst betroffen sein könnte, Aussageverweigerung, keine Spekulationen, politisch tragfähige Zusammenhänge schaffen, persönliche Belastbarkeiten für Repression auch schon in der Aktionsplanung mitdenken. Auf diese Weise sollten Betroffene aus ihrem Umfeld Stärke gewinnen, und gerade nicht isoliert werden. Was sind die Besonderheiten des AntifaOst-Verfahrens? Eine ist, wie die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich gezogen hat und durch die verschiedenen Verknüpfungen der Taten und Beschuldigten für eine verstärkte Vernetzung der unterschiedlichen Landeskriminialämter zum Phänomenbereich aktivistische Antifas gesorgt hat. Das gab es bisher so nicht. Auch dass Ermittler miteinbezogen wurden, die selbst Teil rechter Strukturen sind, wie ein MEK-Beamter, der bei Nordkreuz involviert war, oder die Tatsache, dass das rechte Magazin Compact vom LKA Sachsen mit Ermittlungsdetails versorgt wird. Zu den Problemen im Solibündnis AntifaOst wurde auf die Unterschiedlichkeit der Beschuldigten, deren Umfelder und (un)politische Traditionen hingewiesen. Diese Diversität hat zu Hierarchisierung u.a. von Soliaktionen (deshalb passiert auch so wenig) geführt, aber auch zur mangelhaften Aufarbeitung der Genese des Verrats, oder wie Domhöver überhaupt in die Strukturen gelangt ist usw. Daraus kann nur gelernt werden. Nach allem was wir wissen, begann das Drama schon bei den Aktionen selbst und führt sich in der Soliarbeit fort. Aufmerksamkeit für Hierarchien, gute Vor- und Nachbreitung, Fehleranalyse, feministische Awareness und solidarische Interventionen über Bezugsgruppen hinweg, wären angebracht. Das ist leichter gesagt, als umgesetzt, denn aktuell herrscht Misstrauen untereinander gemeinsam politisch, strategisch und aktionistisch sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig gibt es keinen Grund jetzt stillzuhalten. Stattdessen heißt es jetzt an die Arbeit zu gehen. Kommt alle zum Tag-X nach Leipzig (Vermutlich Ende März). Der Samstag nach der Urteilsverkündung im Antifa-Ost-Verfahren. Es soll einen anti-patriarchalen Block geben. Für Berlin ist dafür noch eine Vorbreitungsversammlung geplant. ----------------------------------------------------------------------- Hier nun aber die „Thesen zu Verrat & Patriarchat & militanter Gewalt als politischem Mittel“, die auf der Veranstaltung verteilt wurden: Einleitung Es wurde schon Einiges gesagt und geschrieben zum doppelten Verrat von Domhöver im Zuge des Antifa-Ost-Verfahrens. Wir schätzen diese Aufarbeitung, wollen aber hier nicht stehen bleiben. Vielmehr wollen wir den Anlass nutzen und einige allgemeine Thesen formulieren, um die antifaschistische Praxis, die Gewalt als politisches Mittel im Zuge geplanter Aktionen einsetzt, besser und sicherer zu machen. 1. Eine revolutionäre Haltung ist immer auch eine anti-patriarchale Haltung Wir kämpfen gemeinsam für eine befreite Gesellschaft. Unsere antifaschistische und auch antikapitalistische Haltung eint uns und ist für uns selbstverständlich. Die unfreie oder ungerechte Ordnung im Kapitalismus beruht auf Unterdrückungs- und Herrschaftsmechanismen, wie patriarchalen sowie kolonialen und rassistischen Strukturen. Vor dem Hintergrund, dass das immer mal wieder negiert wird sollten wir uns gegenseitig immer mal wieder daran erinnern: Auch das Patriarchat ist ein Unterdrückungs- und Herrschaftsmechanismus. Menschen werden entlang einer binären Geschlechtervorstellung sortiert und ihnen bestimmte Fähigkeiten und Eigenschaften zu- oder abgeschrieben. Das Ergebnis ist eine Geschlechterhierarchie, mit entsprechenden (mörderischen) Folgen für die Betroffenen. Dies gilt es zu überwinden, um Unfreiheit abzuschaffen. Zwar sind patriarchale und kapitalistische Strukturen in unserer Gesellschaft eng miteinander verbunden, dennoch wird eine feministische Perspektive oft nicht mitgedacht, wenn es um die Überwindung der Verhältnisse geht. Auch wenn damit nicht alle Probleme gelöst sind, gilt daher: eine revolutionäre Haltung bedeutet stets auch eine feministische Haltung. In der antifaschistischen Organisierung und Praxis muss sich das aber auch wiederfinden, wenn wir nicht nur Symptomebekämpfung betreiben wollen. 2. Sexualisierte Gewalt ist Verrat und Sabotage Übergriffiges und sexistisches Verhalten ist ein Verrat an unseren politischen Idealen. Noch problematischer wird es allerdings, wenn auf Fehler und Kritik keine Reaktion folgt. Das politisch falsche, unverantwortliche und unzuverlässige Verhalten wird so weitergeführt und normalisiert. Selbst wenn sie (noch) keine Verräter im Sinne der Repressionsbehörden sind oder als »Täter« nach vielen Abwägungen geoutet wurden, sind solche Personen daher in ihrem sexistischen und gewalttätigen Handeln bereits so destruktiv, als wären sie es. Sie sorgen für Misstrauen und zum Rausdrängen von Betroffenen, meist FLINTA*, aus unseren Kontexten. Das ist Sabotage an der ganzen Bewegung. 3. Perspektiven durch (gemeinschaftliche) Verantwortung Sexualisierte Gewalt und übergriffiges Verhalten kann und muss kollektiv bearbeitet und eingehegt werden (Community Accountability). Gemeinschaftliche Verantwortung bedeutet, eine solidarische Haltung mit den Betroffenen einzunehmen. Ganz in dem Sinne: »Getroffen hat es Eine, betroffen sind wir Alle.« Die Beschäftigung mit dem Täter darf nicht zulasten der Betroffenen gehen. Praktisch heißt das beispielsweise, die Betroffenen aktiv und wiederholt anzusprechen, zu unterstützen, zu informieren und weiter zu Aktionen mitzunehmen. Denn die Betroffenen haben sich die Betroffenheit nicht ausgesucht. Andersherum aber ist klar: »Niemand muss Täter sein.« Die Verantwortung für die Tat - und damit der erste Schritt zur Besserung - liegt bei den Tätern. Das gilt auch wenn patriarchales Verhalten in gesellschaftlichen Verhältnissen begründet ist. 4. Organisierung als Schlüssel Organisierung kann sexualisierte Gewalt innerhalb der Szene abwenden und bearbeitbar machen. Strukturelle und aber auch persönliche Konsequenzen lassen sich nur über Organisierung genügend diskutieren und durchsetzen. Nur über unsere Netzwerke und Beziehungen können gemeinsame Standards sichergestellt und im täglichen Umgang gepflegt werden. Die daraus gezogenen Verbindlichkeiten mindern das Risiko für Verrat und anderes strukturschwächendes Verhalten. Daraus folgt der für einige schmerzliche Umkehrschluss: Wer nicht verbindlich eingebunden ist und sich nicht an der Entwicklung und Plfege von Standards beteiligt, muss es schwer haben politisch aktiv zu sein. 5. Reflexionsfähige Zusammenhänge Der minimale Organisierungsgrad ist demnach die Bezugsgruppe mit wiederkehrenden Gesprächen. Darüber hinaus, braucht es reflexionsfähige Zusammenhänge, die im permanenten solidarischen Austausch zueinander stehen. Damit meinen wir ein Geflecht von Vertrauensketten und nicht bloßen Kenn-Verhältnissen. Dies bedeutet beispielsweise die gemeinsame Vor- und Nachbereitung von Aktionen. Solche (Delegierten-)Treffen ermöglichen tiefergreifenden Austausch zwischen den einzelnen (Bezugs-)Gruppen. Eine Organisierung ohne Zentrum, bzw. mit vielen Zentren und Schlüsselpunkten, die machtkritisch reflektiert werden. So haben wir ein weit gespanntes Netzwerk, das gegen Verrat hilft oder zumindest die Fallhöhe bei Verrat verringert. Vertraute reflexionsfähige Zusammenhänge steigern zudem die Chancen für einen verantwortungsvollen Umgang wenn es doch zu Übergriffen kommt. 6. Keine Praxis ohne Haltung Politische Praxis setzt immer auch politische Reflexion der Ziele und Mittel voraus. Zwar wissen wir, dass auch persönliche Vorlieben unsere jeweiligen Politikstile prägen, doch gewisse Aktionsformen bergen stärkere Potenziale, patriarchale Prägungen ausleben zu können. Organisierte Politstrukturen dienen als Ort, wo wir über Affekte gemeinsam reflektieren können. Es kann beispielsweise unter den zur Verfügung stehenden Mitteln - wechselnde, jeweils passende - ausgewählt werden, um bestimmte Affekte nicht zu bedienen ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Zudem kann sichergestellt werden, dass Personen aus politischer Überzeugung dabei sind und nicht ausschließlich, weil sie eine bestimmte Aktionsform nice finden. Denn wenn eigenes Geltungsbedürfnis oder persönliche Befriedigung im Vordergrund stehen, besteht immer das Risiko, dass im Repressionsfall das eigene Davonkommen gegenüber den kollektiven Erwartungen obsiegt. Ausdruck findet solches Verhalten zudem in Prahlerei über gewisse Fähigkeiten oder Aktionen auf der einen Seite und Bewunderung für besimmte Formen der Praxis auf der anderen. 7. Bewusstsein für Risiken und Konsequenzen Bei unserem politischen Handeln gibt es keine 100%ige Sicherheit. Es ist klar, dass wir auch mal Fehler machen. Viele Risiken sind aber kalkulierbar und steuerbar. Dazu müssen wir diskutieren, wie unsere Aktionen gebaut sind. Zur Kaulkulation gehört auch die Abwägung, welche Ziele zu welchem Preis zu haben sind. Mit steigendem Risiko heißt es immer mehr, nicht unüberlegt loszumachen. Es gilt, Schwächen und Sorgen von Genoss*innen und Gefährt*innen zu kennen, um potenziellen staatlichen Erpressungsversuchen gemeinsam begegnen zu können. Die unterschiedlichen Auswirkungen von Repression auf die Beteiligten muss reflektiert werden. Das ist wichtig, denn leider gilt: Wer Konsequenzen nicht sieht, übernimmt auch keine Verantwortung, wenn diese eintreten. Mögliche Drohpotentiale der Repressionsbehörden müssen in eine gemeinsame Risikoabwägung einfließen. 8. Patriarchaler Absolutheitsanspruch Das Beiseitewischen möglicher Konsequenzen ist patriarchal erlernt. Während FLINTA* meist diejenigen sind, die Misserfolge auffangen und sich kümmern, ist bei cis Männern der Anspruch perfekt zu sein besonders ausgeprägt. Das Bedürfnis nach Kontrolle und Steuerung von Politik durch das Besetzen von Schlüsselpositionen und Bündelung von Information und Kommunikation gehört auch dazu. Tatsächlich stellen diese Mechanismen eher Blockaden dar. Aus militarisitischen Männerbildern, die auch oft präsent sind wenn militant agiert wird, folgen Leistungs- und Erfolgsdruck sowie der Drang, sich durch- und über andere hinwegzusetzen. Handlungsdruck und Selbstüberschätzung führen jedoch zu oft zu persönlichem und letztlich kollektivem Versagen. Bestärkt wird dies dadurch, dass das Bedürfnis nach Wirkmächtigkeit bestimmte Aktionen befeuert, auch wenn die Grundlagen noch nicht gelegt sind und der eigene Zusammenhang noch nicht bereit ist. Wenn Scheitern in der eigenen Agenda grundsätzlich nicht vorkommt, steht mehr auf dem Spiel als eine misslungene Aktion. Es können Frust- und Schnellschüsse folgen. Gleichzeitig verhindert dann auch die Scham das Sprechen über Erlebtes und das Scheitern. Die Fehleranalyse bleibt unvollständig und mangelnde Kritikfähigkeit tut ihr übriges. Es gilt, im Streben nach Effektivität auch einmal zurückzutreten, Nähe und Zweifel zuzulassen und von einer noch so tollen Idee auch absehen zu können, um die jeweiligen politischen Ziele zu erreichen. 9. Wir brauchen keine Held*innen Repression trifft Einzelne direkt und sicherlich am stärksten. Aber das Umfeld und die Bewegung als solche sind auch betroffen. Diese sind zum Teil auf Jahre damit beschäftigt, der Repression zu begegnen. Repression blockiert und verhindert also Politik an anderen Stellen. Dabei sollen unsere Aktionen doch eigentlich unseren Handlungspielraum vergrößern und den unserer Gegner*innen verkleinern. Daher muss Soliarbeit die individuelle und die kollektive Ebene von Repression berücksichtigen. Zu vermeiden ist Soliarbeit, die von der eigenen Praxis entkoppelte Held*innenbilder hervorruft. Durch den Fokus auf Held*innen wird die kollektive Ebene genommen: doch wir sind wer wir sind wegen unserer Strukturen und Netzwerke. Durch die Überbetonung subjektiver Leistungen und Opfer in der Soliarbeit, wird stattdessen eine selbstbezogene Art an Aktionen heranzugehen, bestärkt. Das spiegelt sich im Kokettieren mit eigenen Leistungen oder Repression, aber auch im militanten Auftreten oder plumpen Verbalradikalismus wieder. Das Stillschweigen über Angst vor körperlicher Unversehrtheit, Verlust bürgerlicher Rechte und Karrierechancen oder andere Sorgen, ist ebenso ein Bestandteil einer Held*innen-Erzählung. Probleme werden nicht bearbeitet - Erfolge überhöht. Beides geschieht subjektiv statt kollektiv. Deshalb brauchen wir weder bei Aktionen Held*innen, noch heldenhafte Prahlerei im Nachhinein noch Antirep-Arbeit, die Betroffene zu Held*innen stilisiert. 10. Gemeinsame Standards und politische Haltung In unserem politischen Alltag leiten uns nicht die Regeln des bürgerlichen Rechts- und Strafsystems. Das bedeutet aber nicht, dass wir keine eigenen Regeln, Ansprüche und Haltung haben. Im Gegenteil! Wir streiten gemeinsam für eine bessere, gerechtere Welt. Aus unserem politischen Anspruch folgen politische Prinzipien der Solidarität sowie eine antikapitalistische, anti-patriarchale und antirassistische Haltung. Daraus ergeben sich wiederum gemeinsame Standards. Nur weil wir emanzipatorische Ziele anstreben, heißt das noch lange nicht, dass die Mittel auch automatisch emanzipatorisch sind. Gewalt ist keine schöne Sache. Sie dient uns in der gewaltvollen Welt als ein strategisches Mittel von vielen. Daher romantisieren wir Gewalt nicht, weil diese nach unserer politischen Haltung stets Gegengewalt gegen das System darstellt. Wer gegen gewisse Standards verstößt, kann nicht Teil einer Bewegung für eine gerechtere Welt sein. Fazit Die aktuelle Situation der autonomen Antifa-Bewegung erfordert eine bewusste Reflexion und gemeinsame Diskussion über den Stand der Dinge und Perspektiven für die Zukunft. Mit den vorstehenden Thesen möchten wir anregen mehr über den gesellschaftlichen und organisatorischen Rahmen nachzudenken, in dem das alles stattfinden kann. Für absolut grundlegend halten wir eine politische Organisierung und die wiederkehrenden Gesprächen zur Reflexion der gemeinsamen Praxis auch mit vielen anderen. An dieser Stelle treffen der Wunsch nach Klandestinität und die Notwendigkeit miteinander zu reden, aufeinander. Mit reflexionsfähigen Zusammenhängen und einer Organisierung ohne Zentrum, aber über Vertrauensketten, können ist diese Spannung aushaltbar. Schließlich hilft uns dieser Austausch auch dabei, Risiken gemeinschaftlich abzuwägen und gegebenenfalls gefährliche und verantwortungslose Personen aus gewissen Zusammenhängen herauszuhalten. Das alles ist nichts Neues. Angsichts der derzeitigen Unruhe und Möglichkeiten für Veränderung wollen wir aber erneut zur Reflexion einladen. Durch die Thesen wollen wir informieren, Orientierung bieten und für einen feministischen Umgang unter Militanten werben. In diesem Sinne: Lasst uns über die Zusammenhänge von Patriarchat, Verrat und militanter Gewalt sprechen, damit es nicht noch einmal zu so einer Scheiße kommt und lasst uns versuchen, unsere Praxis anders zu machen. |