22.03.2011 Aktionstag
gegen Rassistische Sondergesetze
Demo in Herzberg (Elbe/Elster)
Am
22. März besuchten Aktivist_innen des Bündnis gegen Lager Berlin/Brandenburg
das Flüchtlingsheim in Hohenleipisch im Landkreis Elbe-Elster. Zusammen
mit Flüchtlingen des Lagers ging es dann in Herzberg (Sitz des Landratamts
und der Ausländerbehörde) mit einer Demo gegen die diskriminierenden
Sondergesetze für Flüchtlinge weiter. Fünfzig Demonstrant_innen,
drei Polizeibusse, zwanzig Zuschauer_innen, eine Lokaljournalistin, so
sieht es aus am Marktplatz in Herzberg (Elbe-Elster-Kreis). Und um welche
Lager es hier überhaupt geht, weiß kaum eine der Passant_innen.
Dabei ist das Flüchtlingsheim Hohenleipisch nur wenige Kilometer
entfernt.
Die Demonstration ist Teil des bundesweiten Aktionstages zur Kampagne
gegen das Asylbewerberleistungsgesetz und gegen das Asylverfahrens- und
Aufenthaltsgesetz. In 24 Städten fanden heute Aktionen statt. Hervorgegangen
ist die Kampagne aus einem bundesweiten Treffen von Aktivist_innen und
Flüchtlingen in Frankfurt am Main im Dezember 2010. Dort wurde beschlossen,
dem rassistischen Mainstream etwas entgegenzusetzen. Aktuelle Anlässe
gibt es genug: Das Asylbewerberleistungsgesetz verstößt gegen
die Menschenrechte. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat das
Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt, nachdem
im Februar 2010 die Verfassungswidrigkeit von Hartz IV festgestellt worden
war. Denn Asylbewerber_innen stehen nur 62% des Hartz IV-Satzes zu. Der
Bundestag debattiert in diesem Jahr über zwei Anträge zur Abschaffung
des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Schon im November 2010 hatten Lagerbewohner_innen insbesondere in Baden-Württemberg
und Bayern gegen ihre unerträglichen Lebensbedingungen protestiert.
In Berlin waren kürzlich Fälle von Gewalttätigkeiten gegen
Flüchtlinge bekannt geworden, etwa im Lager Waßmannsdorf bei
Schönefeld. Und wie Waßmannsdorf ist auch Hohenleipisch in
einem katastrophalen Zustand, wovon sich etwa 30 Aktivist_innen und Journalist_innen
heute bei einem gemeinsamen Besuch des Lagers überzeugen konnten.
Das von der Firma K&S Sozial Bau AG betriebene Lager ist ein extremes
Beispiel für die isolierende und entrechtende deutsche Flüchtlingspolitik.
Abgeschnitten von der Außenwelt leben die Flüchtlinge mitten
im Wald in heruntergekommenen Armeebaracken, von denen nur wenige bewohnbar
sind. Der mehrere Kilometer entfernte Ort ist unter der Woche mit dem
Bus zu erreichen,am Wochenende und abends bleibt nur der Weg zu Fuß
über eine unbeleuchtete Straße.
Der nächste Supermarkt liegt in Elsterwerda, auch der Arzt ist mehrere
Kilometer entfernt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu erreichen.
Im Heim gibt es keinerlei Informations- oder Kommunikationsmöglichkeiten,
weder Internet, noch Telefon oder Fernsehen. Diese Wohnbedingungen zeichnen
Heime der K&S aus – mit notdürftig renovierten Baracken
lässt sich viel Geld verdienen. Die Firma betreibt bundesweit 24
Seniorenresidenzen und elf Flüchtlingsheime, der Umsatz liegt nach
eigenen Angaben bei rund 60 Millionen Euro jährlich.
Dieses Geld wird auf Kosten der Flüchtlinge verdient; ihre Wohnsituation
ist dementsprechend schwierig. Die Gemeinschaftsduschen sind nur zu bestimmten
Tageszeiten zugänglich und werden von den Bewohner_innen selbst notdürftig
repariert, Toiletten und Küche sind verwahrlost, in den Zimmern leben
jeweils vier Personen. In der Küche gibt es nur kaltes Wasser. Natürlich
haben die Bewohner_innen keinen Zugang zu kulturellen oder Bildungsangeboten,
der Wunsch nach Deutschkursen wird ihnen mit dem Hinweis auf die Kosten
verweigert. Sie beklagen außerdem, dass sie sich im Lager nicht
sicher fühlen.
Der Heimleiter Herr Butschok war bei dem Besuch trotzdem auffallend bemüht,
einen positiven Eindruck zu vermitteln. Flüchtlinge wurden von ihm
animiert, sich wohlwollend über das Heim zu äußern; nicht
überraschend, da sein Job auf dem Spiel steht, wenn das Heim geschlossen
werden sollte. Auffällig war außerdem, dass bei unserem Besuch
keine Frauen anwesend waren. Der Flüchtlingsrat Brandenburg hatte
schon im Vorfeld erfahren, dass Butschok eine Teilnahme der Bewohner_innen
am Aktionstag verhindern wollte.
Dass die Frauen an einen anderen Ort gebracht worden waren, um negative
Äußerungen zu verhindern, kann zumindest vermutet werden. Auch
anderweitig übt die Heimleitung Druck auf die Bewohner_innen aus:
Die massive Polizeipräsenz im Lager am Aktionstag machte es ihnen
schwer, mit uns nach Herzberg aufzubrechen, um dort gegen das Lager zu
demonstrieren; einige von ihnen brachten den Mut trotzdem auf und begleiteten
uns zur Demo. Dort wollten sie dem Landrat des Elbe-Elster-Kreises, Christian
Jaschinski, einen Protestbrief überreichen.
"Das Heim Hohenleipisch legt uns ein Leben in der Isolation auf.
Wir sind in heruntergekommenen Armeebaracken untergebracht, mitten im
Wald, umgeben von Wildschweinen. Es gibt keine Privatsphäre im Heim.
Der Heimleiter kann jederzeit die Zimmer betreten. Mit der deutschen Bevölkerung
gibt es keinen Kontakt. Wir haben keine Möglichkeit, Deutschkurse
zu besuchen. Am Wochenende sind wir völlig abgeschnitten; es gibt
dann überhaupt keine Busse mehr. Jede Fahrt zur Ausländerbehörde
in Herzberg kostet 9 Euro, hin und zurück 18 Euro. Die Fahrtkosten
übersteigen die mageren finanziellen Mittel, die wir bekommen. Wir
sagen Nein zur Isolation. Die einzige Lösung ist: Das Heim muss sofort
geschlossen werden."
Der kommissarische Stadtdezernent des Landkreises
Elbe-Elster, Dr. Erhard Haase, nahm den Brief an und wies jede Kritik
ab. Der Landkreis habe genug Geld für die Flüchtlinge investiert,
befand er. Ähnlich perfide war auch die Reaktion bei der Ausländerbehörde,
vor der es ebenfalls eine Kundgebung gab. Bis auf eine Mitarbeiterin am
Fenster war hier überhaupt niemand zu sehen. Zu diesem Zeitpunkt
war die Polizeipräsenz soweit verstärkt worden, dass die 50
Demonstrant_innen von fünf Wannen begleitet wurden, alle von der
Demonstrationsroute abgehenden Straßen wurden von Polizist_innen
abgesperrt. An die Anwohner_innen konnten wir immerhin stapelweise Flyer
verteilen, einige ließen sich auch interessiert ins Gespräch
ziehen. Unsere Transparente wurden von einigen Fenstern aus mit hochgereckten
Daumen begrüßt, eine kleine Gruppe Frauen und Kinder begleitete
den Demozug aus der Entfernung.
>>> Bündnis
Gegen Lager Berlin/Brandenburg
<<< Aktionen
|