Schlussfolgerungen aus den "Anti-Corona-Demos" in Berlin-Friedrichshain
Seit einigen Monaten finden Proteste gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen statt. Das Spektrum reicht von Leugner:innen der Pandemie oder der Ausmaße, über Leute denen der Infektionsschutz zu weit geht, bis hin zu Neonazis, die keine Chance auslassen den Staat von Rechts aus in Bedrängnis zu bringen. Hier haben Milieus zusammengefunden, die vor Corona so nicht zusammengearbeitet hätten: Selfmade-Neoliberale Wohlstandschauvinist:innen, Esoteriker:innen, Reichsbürger:innen und Neonazis. Sie alle eint eine Staatskritik, die mehr Autorität und weniger Emphatie fordert. Der Protest hat sich verstetigt und tritt vermehrt auch in Friedrichshain auf. Was tun?
Schwierige Bedingungen
Der Gegenprotest ist bisher uneins in der Analyse und auch deshalb klein, zersplittert und hat kaum Strategien, wie diese Bündnisse wieder zerstreut werden können. Unserer Ansicht nach bringt es nichts, die Corona-Protesterler:innen lächerlich zu machen oder zu pathologisieren. Bei Gegenprotest kann diese Strategie die eigene Klientel abschrecken und erreicht eher eine Radikalisierung und Einopferung der Gegenseite. Zu beobachten ist auch eine aufkeimende Solidarität untereinander, um sich gegen Angriffe von außen gemeinsam zu wehren. Statt sich auf Argumente einzulassen, wird sich schützend beispielsweise vor Neonazis gestellt. Glechzeitig kommt mensch im Umfeld der Demonstrationen mit gutem Zureden schnell an die Grenzen der Aufklärungsarbeit. Zudem empfinden es viele Antifas nicht als ihre Aufgabe, die vom Staat erlassenen und von ihnen selbst teilweise in der Gestaltung kritisierten Infektionsschutzregelungen zu verteidigen. Zudem müssen auch Antifas sich in diese teilweise mobilisierungs- und organisierungsstarken Corona-Gruppierungen neu einarbeiten, Zusammenhänge verstehen und die Ideologieversatzstücke, die dort auf der Straße gemischt werden, einordnen. Je weniger offensichtlich menschenverachtend rechte Propaganda ist, je kontextloser mit Metaphern und Symbolen politischer und historischer Bildung umgegangen und je missverständlicher mit Begriffen wie "Freiheit" und "Frieden" hantiert wird, umso schwieriger wird es für Gegeninformation und Aufklärung. Doch das Problem existiert schon länger. Beim Umgang mit den Corona-Protesten rächt sich letztlich, dass nicht energischer gegen antisemitischen Verschwörungsglaube, völkische Esoterik und germanisches Brauchtum vorgegangen wurde. Zu lange wurden diese Phänomene als Privatsachen abgetan, ohne sich dem theoretisch und dann auch praktisch zu widmen.
Unser Vorschlag
Wir schlagen daher vor, sich zum einen vertieft mit diesen Phänomenen auseinanderzusetzen. Esoterik und Verschwörungsideologien müssen von Antifas erkannt, ernst- und auseinander genommen werden. Dabei sollten wir uns auf unsere Kernkompetenzen besinnen: Strukturen beobachten und verstehen. Wer ist auf diesen Demos? Wo treffen sich die Personen? Wer sind die Treiber bestimmter Aktionsformen und Organisierungsprozesse? Woher kommen Infrastruktur und Ressourcen? Trotz der beschwerlichen Bildungs- und Aufklärungarbeit in den Milieus selbst, sollten wir weiterhin versuchen, das Spektrum wieder zu spalten, für Distanzierungen und (Selbst-)Differenzierungen sorgen. Dafür muss unterschiedlich auf die einzelnen Gruppierungen zugegangen werden.
Im Folgenden wollen wir diese Handlungsüberlegungen mit Beobachtungen und Analysen unterfüttern: Wir wollen erklären, wieso es aus unserer SIcht wichtig ist, sich den Demos als Antifas zu widmen. Dabei wollen wir zunächst im Allgemeinen auf die Proteste eingehen. Entsprechend des bereits formulierten Anspruches werden wir dann grundlegende Überlegungen zu Esoterik vorstellen und zuletzt über einige Beobachtungen der Demonstration am 25. Oktober 2020 in Friedrichshain berichten.
Den Covid-Staat kritisieren - aber richtig!
Seit Beginn der Corona-Pandemie und den begleitenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch die Regierungen in Bund und Ländern - darunter Versammlungsverbote, Maskenpflicht, Homeschooling, Betriebs- und Gastronomieschließungen etc. - finden zahlreiche Proteste von selbsternannten Freiheitskämpfer:innen und "Maskengegner:innen" statt. Zuletzt kamen diese Leute vermehrt auch nach Berlin-Friedrichshain. Sei es als Captain Future zum Boxhagener Platz (1), bei einem Flashmob ohne Masken im Ringcenter an der Frankfurter Allee oder zu Protesten gegen das verlegte "World Health Summit" im Kongresszentrum Kosmos (2).
Natürlich sind eine Vielzahl der Infektionsschutzregelungen auch aus linker und linksradikaler Sicht zu kritisieren: Während das Kapital weiter zirkuliert, verwertet und ausbeutet und Staatshilfen von Großkonzernen direkt an ihre Aktionär:innen weitergeleitet werden, bleibt die Frage offen, wer die Krise zahlt. Viele Kleinunternehmer:innen, Kulturschaffende, Freiberufler:innen, Angestellte in Gesundheitsberufen, Alleinstehende und Familien stoßen an ihre Grenzen und häusliche Gewalt nimmt zu. Nebenbei wurde das Versammlungsrecht zeitweise eingeschränkt und somit Kritik an der Corona-Politik sowie der herrschenden Politik insgesamt verhindert. Denn letztere prozessiert ja auch weiter, auch wenn viele politisch Aktive sich kaum mehr trauen massentaugliche Gegenwehr zu organisieren und wir eine andere Gesellschaft zu begeistern. Zwangsräumungen finden weiterhin statt, Knäste füllen sich, Urteile werden gesprochen und die kleinen und großen Skandale unserer Zeit werden vertuscht wie eh und je.
Dennoch ist in der Kritik an den Corona-Maßnahmen zu differenzieren. Wir als radikale Linke leugnen die Corona-Pandemie nicht, sondern nehmen sie vielmehr als gesellschaftliches Problem ernst und als Anlass, Solidarität zu thematisieren und uns selbstbewusst und antistaatlich zu organisieren.
Differnzieren und Verstehen
Bei den Coronademos ist stets von einer "bunten Mischung" die Rede. Bunt sind sie aber nur insoweit, als dass bestimmte Spektren zusammenkommen, die bisher nicht offensichtlich zusammenwirkten. Das JFDA beschreibt die Protestler:innen so: "Dazu zählen unter anderem Esoteriker:innen und Naturheilkundler:innen, die daran glauben, dass Covid-19 durch Vitamine oder Fruchtsäfte heilbar wäre, völkische Siedler:innen, die Kekse und Ausgaben des Grundgesetzes verteilen, gläubige Christ:innen, die auf den Demos tanzen, Impfgegner:innen und -skeptiker:innen, Antisemit:innen, die den Glauben an eine 'jüdische Weltverschwörung' und angebliche Machenschaften u.a. der Familie Rothschild propagieren, organisierte neonazistische Kameradschaften, AfD-Politiker:innen, Anhänger:innen des QAnon-Verschwörungsmythos, Trump-Unterstützer:innen, sogenannte Reichsbürger:innen, die die Existenz und Souveränität der Bundesrepublik leugnen und einen 'Friedensvertrag' fordern, sowie zahlreiche Menschen, die diffuse Ängste haben und ihre Abneigung gegen die freie Presse, wissenschaftliche Erkenntnisse sowie die Bundesregierung und Kanzlerin Merkel aggressiv nach außen tragen." (3)
Durch Abweichungen vom Stil und Aktionsformen gängiger Neonazigruppierungen und deren modernisierten Varianten (Identitäre & Co.) fällt die Einordnung zwar schwerer, kann aber gelingen wenn wir uns auf inhaltliche Leitlinien besinnen und nicht auf die Form.
Denn es gibt einiges Verbindendes: Dazu gehört ihr diffuser Glaube an dunkle Mächte sowie Verschwörungserzählungen, die Unzugänglichkeit für (rationale) Argumente, die ihre Weltbilder ins Wanken bringen, ihre autokratische rechte Staatskritik, sowie der in allem steckende (strukturelle) Antisemitismus. Einfache und irrationale Erzählungen, die in den Glauben an Übernatürliches gipfeln, haben es leicht und sorgen für eine Polarisierung nach klarem Freund-Feind-Schema. Diese klassischen Werkzeuge populistischer Erregung und rechter Mobilisierung sind auch zu Corona-Zeiten sehr erfolgreich. Hinzu kommt, dass Krankheiten durch Viren von Esoterik:innen geleugnet werden und als persönliches Versagen in inneren Konflikten gelten. In ihrem Irrationalismus beweisen die Demonstrierenden seltsamerweise eiskaltes und sehr rationales Kalkül: Der Tod von Personen durch Corona wird einkalkuliert und achselzuckend hingenommen. Ist ja auch kein Problem, wenn man entweder an das ewige Seelenleben glaubt oder aber dem Gerede von der "Mehrheit", die aus Rücksicht zu den sog. Risiko-Gruppen drangsaliert wird, auf den Leim geht. So werden nach alter sozialdarwinistischer Manier Personen und Personengruppen geopfert.
Verbreiterung und Einfluss
In der ideologischen und nun auch praktischen Übereinstimmung liegt unser Meinung nach die Gefährlichkeit der Demonstrationen begründet. Einerseits entpuppen sich die Demos als Sprungbrett für rechte Strukturen. Neurechte Medien und Gruppen, mit vormals geringer Reichweite können sich punktuell profilieren und ihr Netzwerk und ihren Resonanzraum ausbauen. Die Berührungsängste des bürgerlichen Esoterik-Lagers zum völkischen nehmen ab. Wir müssen erneut konstatieren, dass es 75 Jahre nach dem deutschen Faschismus kein Tabu mehr ist mit den Faschist:innen von heute zu paktieren ohne sich zu schämen. Die Demos leisten zudem allgemein einer weiteren Verbreitung von verschwörungsideologischen und antisemitischem Gedankengut Vorschub und normalisieren diese Art und Weise auf die Welt zu schauen. Dazu beigetragen hat die Größe und Vielfältigkeit der Demos, das gestiegene Bedürfnis der Teilnehmenden sich dort mit eigenen Statements zu beteiligen, sowie die übereifrige mediale und gesellschaftliche Reaktion darauf. Denn trotz des Unverständnisses, das ihnen entgegenschlägt, entfalten die Demonstrationen großen Einfluss auf gesellschaftliche Diskussionen und Entscheidungen.
Kritik der Esoterik
Insbesondere "Esoterik" ist ein Kernbegriff, mit dem sich viele von uns aus Anlass dieser Demos noch einmal beschäftigen müssen. Als Begriff schwammig und schwer zu definieren, bedeutet Esoterik im Ursprung schlicht "Geheimreligion". Es geht also um spezielles spirituelles Wissen, um Ersatz- oder Privatreligionen, wobei die Grenzen zur Mystik, Spiritualität und Aberglauben sowie sektenmäßiger Organisierung fließend sind. Esoterik und rechte Ideologie haben eine große Schnittmenge und insbesondere eine lange gemeinsame Tradition: Schon lange gibt es den Glauben an geheime steuernde Kreise und Mächte, gibt es Verschwörungserzählungen, welche meist antisemitisch und antikommunistisch wirken. In der Esoterik finden sich an vielen Stellen rechten Ideologiepuzzel und daraus entwickelt sich ein bizarer Alltagsverstand. Dabei gibt es Kernbereiche, die durch die Esoterik populär abgedeckt werden. Die Verbindungen zur Umweltbewegung sind nichts Neues. Diese war schon von Anbeginn reaktionör geprägt durch die deutsche Romantik und Heimatbewegung, durch den Glauben an Reinheit und an feste, sich selbst heilende Ökosysteme. Führende Nazis, wie Heinrich Himmler, waren bekennende Esoteriker und dies wirkte sich auf Organisationen wie beispielsweise die SS aus. Zur Themenpallette gehören auch solche Phänomene, die auch viele Linke umtreiben. Die esoterische Bearbeitung von Frieden und Umweltschutz, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Esoterik sie ideologisch rechts umstülpt. Das müssen wir greifen, aufzeigen und ernst nehmen - und z.B. stärker zeigen, welche rechte Ideologie hinter der esoterischen Thematisierung von Umwelt steht.
Der Glaube hilft?
Wie bei klassischen Religionen ist das Ziel die Gefügigkeit der Betroffenen. Einerseits sollen sie durch unterkomplexe Welterklärungen im Alltag beruhigt werden, andererseits aber auch ständig in Angst vor dem Bösen, das eigentlich überall lauert, versetzt werden können. Überreaktionen (Isolation, Gewalt, Psychose) sind vorprogrammiert für alle die tatsächlich daran glauben. So lange wie die Esoterik als Methode des Weltverstehens existiert, so lang wird sie sich auch schon zu nutze gemacht, um vom tatsächlichen Verstehen wegzuführen, Desinformationen zu verbreiten und um Panik und Hass zu sähen. Umstritten bleibt bisher, in welchem Maße die Demonstrierenden tatsächlich glauben, was sie rufen. Glauben sie nicht an das Corona-Virus oder die Gefährlichkeit? Benötigen diese Personen Hilfe und sind angesichts der Krise körperlich und psychisch überfordert ? Oder ist ihnen das Virus eigentlich egal und sie sonnen sich in der Aufmerksamkeit, die ihnen mit dem Bruch eines Corona-Tabus ("Ich spuck dich an") sicher ist? Oder instrumentalisieren hier nur Personen eine Krise, die ihnen gerade Recht kommt, um ihre Staatsfeindlichkeit von rechts voranzutreiben? Um herauszufinden womit wir es tatsächlich zu tun haben, müssen wir mehr beobachten und verstehen.
Beobachtungen Ende Oktober in Friedrichshain
Die Corona-Demos kamen seit Beginn der Pandemie in Berlin bereits mehrfach zusammen: Am Rosa-Luxemburg-Platz bei den ersten Demonstrationen vom "Zentrum Demokratischer Widerstand", im Sommer mit AutoKorsos organisiert von Attila Hildmann (4) und später vermehrt im Regierungsviertel von Querdenken. Diese Demos waren im Hinblick auf die Größe sehr unterschiedlich, auch die genaue Zusammensetzung wandelte sich. Über diese Demos wurde bereits viel berichtet (5, 6). Wir wollen daher an dieser Stelle nur noch einige Beobachtungen vom 25. Oktober beisteuern:
Diese Demo sollte am Alexanderplatz beginnen und die Karl-Marx-Allee runter zum Kosmos führen. Direkt am Alexanderplatz wurde die Demo erstmals aufgrund mangelnder Einhaltung von Hygieneregeln aufgelöst. Die Demonstrierenden zogen dennoch zunächst als Kleingruppen und später als Demonstrationszug die Karl-Marx-Allee entlang. Natürlich trugen keine der Demonstrierenden einen Mund-Nasen-Schutz und sie bewegten sich in teilweise größeren Gruppen. Sie kamen Passant:innen nahe und reagierten schnell aggressiv. Einem eindeutigen Milieu konnten wir die Teilnehmenden auch diesmal nicht zuordnen, von der Alterszusammensetzung bewegte sich ein Großteil zwischen 35 und 55 Jahren. Entsprechend der Beobachtungen des JFDA empfanden auch wir die Personen als weniger heterogen wie bei vergangenen Demos und haben nur wenige offensichtliche Neonazis gesehen, dafür viele christliche Bezüge. Auffällig war der hohe Grad an Selbstorganisation: Ein Großteil der Demonstrierenden hatte Schilder dabei, Fahnen, Kostüme oder Krachmacher. Ebenso eigene Megaphone und es gab viele Handyvideos und Livestreams. Die Schlagworte, die am häufigsten zu hören waren, waren "Frieden" und "Freiheit" sowie "Nazis raus!". Was mit letzteren gemeint war, ist für uns nicht eindeutig erkennbar: Sicherlich unterscheidet sich das Verständnis der "Coronas" von Nazis von unseren Definitionen und ein Großteil würde die Teilnahme von 'Nazis' an den Demos leugnen. Dennoch gibt es bei uns die Auffassung, dass sich diese Ausrufe tatsächlich authentisch auch gegen tatsächliche Nazis in den eigenen Reihen richteten - was uns hoffnungsvoll stimmt. Daneben war auffällig, dass "Nazis raus!" besonders lautstark in Richtung Gegenprotest gerichtet wurde, im Sinne von "Antifaschisten sind auch Faschisten". Dies zeigt zum einen, dass sie linken Gegenprotest als nicht-verbündet bewerten sowie, dass ihre Worte vor allem Hüllen sind.
Nachweise
1: https://jfda.de/blog/2020/10/26/%f0%9d%97%9e%f0%9d%97%ae%f0%9d%98%82%f0%9d%97%ba-%f0%9d%97%a0%f0%9d%97%ae%f0%9d%98%80%f0%9d%97%b8%f0%9d%97%b2-%f0%9d%97%b8%f0%9d%97%ae%f0%9d%98%82%f0%9d%97%ba-%f0%9d%97%94%f0%9d%97%af%f0%9d%98%80/
2: https://www.berliner-register.de/vorfall/friedrichshain-kreuzberg/von-%E2%80%9Ecaptain-future%E2%80%9C-angemeldete-freedom-parade-f%C3%BChrte-vom
3: https://jfda.de/blog/2020/09/17/im-weltbild-vereint-verbindungen-von-esoterikerinnen-und-rechtsextremen-bei-den-corona-protesten/
4: https://www.rnd.de/politik/corona-protest-von-attila-hildmann-korso-zieht-hupend-durch-berlin-XNBJICQWCEPOOOKSSS6Q2OAOFQ.html
5: https://antifa-berlin.info/news/1687-zur-hygiene-demo-am-rosa-luxenburg-platz
6: https://recherche030.info/2020/hygienedemos/