1.- 3.08.2008: Biermeile in Friedrichshain

Wie jedes Jahr am ersten Augustwochenende verschandelt die Biermeile, der "längste Tresen der Welt", im Sprachgebrauch der Wirtschaftsförderung auch "Internationales Bierfestival" genannt, unsere schöne Stalin-Allee. Vom Frankfurter Tor bis zum Strausberger Platz werden zigtausende Biersorten aus aller Welt angeboten und zu folkloristischer Musik geschunkelt. Das Massensaufgelage zieht nicht nur LiebhaberInnen kühler Erfrischungsgetränke an, sondern auch ein breites Spektrum rechter Hools, Alltagsrassisten und mitunter organisierte Neonazis. Obwohl Veranstalter, Cops und Antifa sich in den letzten Jahren bemüht haben größere Gruppen Neonazis zu zerstreuen, kam es jedes Jahr zu Angriffen auf MigrantInnen und Linke.

Freitag und Samstag jeweils ab 19 Uhr: Info- und Schutzpunkt im XB-Liebig (Liebigstr. 34, nahe Frankfurter Tor)

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Biermeile Nr.12. Was war los?

Zum 12. Mal fand am Wochenende in Friedrichshain das Internationale Bierfestival zwischen U-Bhf. Frankfurter Tor und Strausberger Platz entlang der Karl-Marx-Allee statt. Jährlich ziehen die tausend verschiedenen Biersorten und Baumblütenfest-Stimmung (Saufen-Schunkeln-Schlägereien) knapp 500.000 BesucherInnen an. Das Lieblingskind der lokalen Wirtschaftsförderung wird von den AnwohnerInnen als Massenbesäufnis kritisiert und wenn möglich gemieden. Grund dafür sind auch die zahlreichen Nazis, die mitfeiern und sich nach dem Fest im alternativen Friedrichshain ihre Opfer suchen. Trotz einiger Vorkehrungen des Veranstalters kam es auch dieses Jahr traditionsgemäß zu Angriffen auf Menschen, die irgendwie links aussehen. Höhepunkt war ein versuchter Angriff auf den Veranstaltungsraum XB-Liebig am Samstagnachmittag. Diskussionswürdig ist, wie diesem Fest in Zukunft begegnet werden soll. Eine kleine Zusammenstellung was passiert ist – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Während sich die Polizei hauptsächlich mit dem Schutz der Biermeile vor linken StörerInnen beschäftigte, kam es schon am Freitag Abend im Umfeld zu Angriffen durch BesucherInnen der Biermeile. Kurz vor neun wird ein Mann an der Grünbergerstraße grundlos von einer Gruppe Hools mit Faustschlägen traktiert. Eine Ecke weiter am McDonalds werden sie kontrolliert, können aber ihren Weg zur Biermeile weiter fortsetzen. Gegen 21.30 Uhr wurden vier Grufities, die auf dem Weg ins K17 waren von zwei sog. Glatzen am S-Bhf. Frankfurter Allee angegriffen und verletzt. Die eintreffende Polizei nahm hier zwar den Vorgang auf, ließ die umstehenden Träger von Nazisymbolen (z.B. Nationale Opposition, Thor Steinar, Skrewdriver) aber unbehelligt. Der S/U-Bahnhof Frankfurter Allee ist Umsteigebahnhof für alle die nach Friedrichshain wollen – klar dass es hier öfters zu solchen Szenen kam.

Sammelpunkt der Nazis auf der Biermeile am Freitag war zwischen Straße der Pariser Kommune und Koppenstraße. Die Kameradschaft Spreewacht verharrte Stundenlang am Kuscheltiergreifer. Schräg gegenüber trafen sich ab 23 Uhr knapp 20 stadtbekannte autonome NationalistInnen um Alexander Basil, David Gudra und Patrick Weiß. Aus der Gruppe wird gerufen „Hier beginnt der Nationale Widerstand“. Das Berliner LKA hat die Situation vermeintlich erkannt und besorgt die Abschirmung der Gruppe. In den Seitenstraßen werden Platzverweise gegen Antifas ausgesprochen, während ein Neonazi irgendwen im Getümmel mit einem Schlagstock verletzt. Der Täter flüchtet, wird festgenommen und in die Wedekindwache zur Alkoholmessung gebracht. Bis halb zwei Uhr nachts hat sich die Meile gelehrt, die Polizei sammelt noch einige Bewusstlose ein und lässt zwei Einheiten zur Nachtwache dort. Der Presse wird gemeldet, dass alles ruhig war.

Samstag war der größte BesucherInnenansturm. Auf zahlreichen Bühnen bot sich ein relativ ausgewogenes Kulturprogramm, bei dem wesentlich weniger Deutschrock gespielt wurde als im letzten Jahr. Selbst eine feministische Punkband durfte spielen. Die Brauereien hatte außerdem darauf geachtet zumindest keine Nazis hinter dem Tresen zu beschäftigen. Hier scheint die Kritik der letzten Jahre angekommen zu sein. Sogar Informationsstände einer lokalen Initiative gegen Rechts und zu Alkoholmissbrauch hatten Platz auf der Meile. Die vielen Touris, Verkleidungen und bewusst internationalistisch gehaltene Deko lockerten das früher sehr einheitliche deutsche Bild auf. Einige Nazis aus dem Umland (angeblich Freie Kräfte Teltow-Fläming), die eigens für das Bierfestival T-Shirts gedruckt haben (88 Promille), verteilten Nazi-Sticker an den Ständen, waren aber insgesamt wenig dominant. Doch spätestens nach 18 Uhr war die Meile wieder in der Hand besoffen grölender deutscher Männerhorden und einem großen Polizeiaufgebot.

Gegen 19:45 kommt es dann zu einem Angriff durch Hools auf das XB-Liebig (Liebigstraße 34, nahe Frankfurter Tor). Knapp zehn unvermummte, sportlich gekleidete Männer, stürmten brüllend und wild gestikulierend auf die Ecke Liebigstr./Rigaerstraße zu. Seltsamerweise waren trotz der bekannten Gefahrenprognose zu diesem Zeitpunkt sehr wenige Personen auf der Ecke, welche sich fix in den Häusern verbarrikadierten und keine Angriffsfläche boten. Ein Stein zerstörte eine Scheibe des alternativen Veranstaltungsraums XB-Liebig. In einer Pfefferwolke, unter einigem Brunst-Geschrei, teilten sich die Hools und flüchteten Richtung Bersarinplatz und zurück zum Frankfurter Tor. Am Ende der Liebigstraße werden sie von der Polizei gestellt und kontrolliert. Der Angreifer Kunkel stellt eine Strafanzeigen gegen Unbekannt weil seine Augen etwas brennen.
Mittlerweile haben sich rund 50 Personen aus den Hausprojekten zum Schutz vor das XB gestellt und erwarten die nächste Angriffswelle. Doch nur die Polizei lässt sich blicken und möchte wegen einer Körperverletzung linke TäterInnen ermitteln. Dafür postieren sich unzählige Einheiten am Bersarinplatz und am Ende der Liebigstr. Das LKA parkt direkt vor dem XB.
Während sich die AnwohnerInnen der Ecke mit Erfrischungsgetränken versorgen und über die Sicherheit der Hausprojekte philosophieren, stellt sich auch die Frage, wie es denn dazu kommen konnte, dass ein paar gewaltgeile Biermeilen-Besucher die wochendliche Ruhe stören konnten. Die Gefahr wurde schlichtweg nicht ernstgenommen. Kurz vor sechs kam die Information, dass sich knapp 20 Autonome Nationalisten am S/U-Bahnhof Frankfurter Allee sammeln – aber daran hatte mensch sich schon gewöhnt. Irgendwann hieß es, einige würden sich in der Samariterstraße rumtreiben – auch das ist noch kein Skandal. Auch nachdem sich am Frankfurter Tor, gerade mal 100 Meter vom XB-Liebig entfernt, Hools sammelten und sich aufputschten, klingelten die Alarmglocken in der Rigaerstraße nur leise. Ärgerlich, aber auch verständlich: Wer permanent von HausbesitzerInnen und Polizei genervt wird, gewöhnt sich an einiges. Vor allem daran, dass es manchmal gar nicht so falsch ist die Türen fest zu verschließen und die AngreiferInnen ins Leere laufen zu lassen.
Zumindest auf dieser Ecke war der Samstagabend gelaufen. Allerlei Leute, die sich vom XB entfernten wurden kontrolliert und verdächtigt die Körperverletzung am Angreifer Kunkel begangen zu haben.

Da sich die Polizei ab 20 Uhr ausschließlich mit der räumlichen Trennung der Biermeile von der Rigaerstraße beschäftigte, fehlten Ordnungskräfte an allen anderen Ecken. Am Ende der Richard-Sorge-Straße kommt es gwegen halb neun zu einer Schlägerei, eine Ecke weiter an der Löwestraße werden von Betrunken Stühle eines Lokals zertrümmert. Nur am Frankfurter Tor wird der Stand des Ambrosius, einer Bierbar aus der Warschauerstraße, die bis Mitte 2007 rechtes Publikum duldete, vom LKA aktiv überwacht. Hier sammeln sich wieder 20 bekannte Neonazis aus Lichtenberg und Neukölln. Ein Mann wird dort angegriffen und verletzt. Ein Täter wird später festgenommen.
Irgendwo auf der Biermeile gab es gegen 22.30 Uhr gerüchteweise einen Angriff von zehn Hools auf Polizeikräfte. An der Straße der Pariser Kommune wird auch eine Person umgeschlagen. Im Cafe Toskana auf der Karl-Marx-Allee 67 wird gegen halb zwölf eine Angestellte geschlagen, weil sie kein Bier mehr ausschenken will. Die Polizei lässt sich Zeit bis sie dort den Täter festnimmt, weil noch drei Linke verfolgt werden müssen, die sich auf der Meile rumtreiben. Zeitgleich verlassen die Neonazis den Ambrosius-Bierstand und laufen, begleitet vom LKA, die Frankfurter Allee in Richtung Lichtenberg. Auf Höhe Samariterstraße versuchen sie in den Friedrichshainer Nordkiez zu gelangen, um doch noch mal auf Linke zu treffen. Die Polizei hat das Gebiet weiträumig abgesperrt und drängt die Nazis zurück auf die Frankfurter Allee. Dabei wird ein Nazi wegen Widerstand festgesetzt. Vier weitere bekommen Platzverweise. Halb eins ist auch auf dem Rest der Biermeile der Flow raus.

Was gabs noch zu Nazis auf der Biermeile? Die lokale Antifa ( http://www.antifa-fh.de.vu) meldet auf ihrer Seite einige Modeartikel mit interessanter Symbolik und eindeutigen Sprüchen: Keine Gnade für Kinderschänder; Toderstrafe für Kinderschänder; Spreegeschwader; Berserker – stay brutal; Thor-Steinar (neues Logo, Hausbesuche); SS-Rune; Weißes Fleisch; Berlin meine Reichshauptstadt; 88 Promille; Skrewdriver; Bloody-Devil-Supporter; Mein Schwert für Odin - Mein Leben für Odin - Mein Blut für Odin; Kategorie-C; Good-Night-Left-Side; H8-Wear; Keine Gnade für Kinderschänder; Toderstrafe für Kinderschänder; Anti-Antifa.

Und jetzt noch ein abschließendes Statement zu Nazis auf der Biermeile, das einigen nicht schmecken wird: Antifas, wie auch das LKA, haben sich zu sehr auf die organisierten Neonazis eingeschossen und nehmen andere Potentiale gar nicht mehr wahr. Die aktiven GewalttäterInnen auf der Biermeile sind einerseits Neonazis, aber auch rechtoffene Hools, Rocker oder Angehörige anderer gewaltförmiger Subkulturen, die ohne geschlossenes rechtes Weltbild, offensichtlich nicht nur aus einer Bierlaune heraus, sondern mit einer diffusen Anti-Links-Haltung zuschlagen. Dieses Potential ist weitaus größer als die Neonaziszene Berlins allein aufstellen könnte. Die Biermeile bietet diesem Potential einen Ort zum Feiern und ist deshalb ein Problem in diesem Stadtbezirk, mit all den Möglichkeiten sich an den linken Projekten auszutoben.
Die personenbezogene Anti-Nazi-Arbeit greift bei der Biermeile nur bedingt. Vielmehr führt sie zu einigen Fehleinschätzungen, deren Folge z.B. der glücklicherweise relativ unerfolgreiche Angriff auf das XB-Liebig sind. Wir müssen uns eindeutig mehr mit Gesellschaft, mit rassistischen Einstellungsmustern und anti-humanistischen Verhärtungen bei den (noch) nicht organisierten Nazis beschäftigen, um eine Besserung der Situation zu erreichen. Sicherlich müssen die organisierten Nazistrukturen weiter bekämpft werden; doch sind sie bei weitem nicht die einzigen Akteure auf diesem Gebiet.

Unerhört ist sicherlich, dass die Polizei bei einem 500.000-BesucherInnen zählenden Festes 50 Linke in der Rigaerstraße als wesentliche Bedrohung einschätzt und alle Kräfte dort bündelt. Letztlich hat diese Einsatzführung, die vom LKA-Berlin angestoßen wurde, dramatische Konsequenzen für die Betroffenen von Angriffen auf der Biermeile selbst. Doch diese Debatte soll unsere nicht sein – damit sollen sich die Präsenta AG, die bezirkliche Wirtschaftsförderung und das Abgeordnetenhaus beschäftigen.
Wir als AnwohnerInnen dieses Kiezes dürfen nicht ständig die Türen verschließen, sondern müssen auf unseren Ebenen und mit unseren Methoden tätig werden. Bis zum nächsten Jahr.

Kurzfazit für die Chronik

Trotz einiger Vorkehrungen des Veranstalters kam es auf dem internationalen Bierfestival zwischen Frankfurter Tor und Strausberger Platz zu Zwischenfällen mit rechtsextremen Publikum. Auswertung auch auf Indymedia
Freitag: Vier Grufties kommen mit der S-Bahn Frankfurter Allee an und werden an der Apotheke von zwei Neonazis angegriffen und verletzt. Die Täter entkommen. Als die Polizei eintrifft und die Personalien der Betroffen aufnimmt sind viele Träger rechtsextremer Symbole am Ort (z.B. „Nationale Opposition, Thor Steinar, Skrewdriver), die von der Polizei nicht beachtet werden.
Etwa 20 Neonazis sammeln sich am späten Abend an der Str. Pariser Kommune. Dort wird jemand mit einem Schlagstock traktiert und muss ins Krankenhaus. Ein Mann wird festgenommen. Es wird gerufen „Hier beginnt d. Nationale Widerstand“
Samstag: Am Nachmittag verteilt eine Gruppe von sechs Neonazis Aufkleber der JN und "Freie Kräfte Teltow-Flämming" (Augenzeuge auf Indymedia)
Gegen 18:30 Uhr wurde eine Familie mit schwarzem Vater, weißer Mutter und drei Kindern am S-Bhf. Frankfurter Allee von einer großen Gruppe Männer angegriffen und mit Flaschen beworfen. PassantInnen greifen ein und werden ebenfalls traktiert. Bericht eines Augenzeugen
Höhepunkt am Samstag war ein Angriff auf den alternativen Veranstaltungsraum XB-Liebig (Liebigstr. 34) durch zehn Hooligans am frühen Abend. Hier ging eine Fensterscheibe zu Bruch. Die Angreifer wurden von der Polizei gestellt und machten Anzeige gegen unbekannt, weil sie angeblich Pfefferspray abbekommen haben. Daraufhin belagerten unzählige Polizeikräfte die Rigaerstr bis in die Nacht.
Am Ambrosius Bierstand sammeln sich wie im letzten Jahr etwa 20 bekannte Neonazis, die dort bis zum Ausschankende bleiben. Diese versuchen auf dem Nachhauseweg in die Samariterstr. zu gelangen und werden von der Polizei aufgehalten.

Folgende ein und zweideutige rechte Symbole wurden auf Klamotten von BesucherInnen der Biermeile gesichtet: "Bloody-Devil-Supporter"; "Mein Schwert für Odin - Mein Leben für Odin - Mein Blut für Odin"; Spreegeschwader; Kategorie-C; "Good-Night-Left-Side"; H8-Wear; „Keine Gnade für Kinderschänder“, „Toderstrafe für Kinderschänder“, Spreegeschwader, „Berserker – stay brutal“, Anti-Antifa, Thor-Steinar (neues Logo, „Hausbesuche“), SS-Rune, „Berlin meine Reichshauptstadt“, "8,8 Promille", Skrewdriver

Schickt uns eure Beobachtungen!

Hintergrund: Im letzten Jahr wurde relativ unerfolgreich von Innensenator Körting versucht das Problem Biermeile herunterzuspielen. Eine Kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus bescheinigte "Keine Vorkomnisse". Das sah die Initiative Gegen Rechts Friedrichshain anders und veröffentlichte einen Offenen Brief in dem mit Fotobeweisen detailiert die Aussagen des Polizeiabschnitts und von Körting auseinander genommen wurden.

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