19.10. “Auf hohem Niveau normalisiert. Wie weiter gegen die AfD?” Seit 2014 sitzt die AfD in den Parlamenten. Fast genauso lang wird vor einer Gewöhnung an ihre Präsenz gewarnt. Während sich die AfD weiter radikalisiert hat und sich die Wahlergebnisse dennoch (oder gerade deswegen) auf hohem Niveau stabilisiert haben, ist offenbar genau das eingetreten, wovor alle Angst hatten: Eine Normalisierung des Verhältnisses zur AfD. Der überwiegende Teil der Gesellschaft hat sich an ihre Positionen in den Parlamenten und darüber hinaus gewöhnt. Die zahlreichen Skandale rund um die AfD sind nur noch Randnotizen und sorgen für keinen Aufschrei mehr. Auf dem Podium: Aufstehen gegen Rassismus, Kein Raum der AfD und die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin Corona-Hinweis: Die Veranstaltung wird nach der 3G-Regel durchgeführt. Am Einlass werden aktuelle Tests oder Impfnachweise oder der Nachweis über die Genesung kontrolliert. Alle Gäste tragen eine Maske, wenn sie nicht an ihrem Platz sind. Es sind Abstände von mehr als 1,50 m einzuhalten. Veranstaltungsbericht: Das bekannte Böse Am 19.10. fand im Festsaal Kreuzberg eine Veranstaltung zum weiteren Umgang mit der AfD mit dem Titel „Auf hohem Niveau normalisiert – Wie weiter gegen die AfD?“ statt. Besucht wurde die Diskussion, zu der das Berliner Bündnis gegen Rechts eingeladen hatte, von etwa 70 Leuten. Auf dem Podium saßen Vertreter:innen von Aufstehen gegen Rassismus (AgR), vom Bündnis Kein Raum der AfD und von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR). Ausgehend von der Frage, was die AfD in den letzten fünf Jahren in Berlin und vor allem in den Parlamenten angerichtet hat, wurden bisherige Aktionsformen gegen die AfD reflektiert und weitere Handlungsmöglichkeiten besprochen. Was hat sich mit dem Einzug der AfD verändert? Aus der Analyse der parlamentarischen Arbeit wurde deutlich, dass sich die Stimmung in den Gremien und Ausschüssen auf Bezirks- und Landesebene seit der AfD-Beteiligung negativ verändert hat. Durch die permanente Anwesenheit der AfD trauen sich Abgeordnete und Bezirksverordnete oft nicht mehr offen zu sprechen. Auch wenn sowas wie die Stimmung schwer messbar ist, zeigt sich das Problem dadurch, dass die inhaltlichen Auseinandersetzungen zwischen den demokratischen Parteien an anderer Stelle - und nicht mehr in den dafür vorgesehen Gremien, stattfinden. So kann bereits mit einem Beschluss in die offizielle Verhandlung gegangen werden ohne alle Differenzen im Beisein der Faschist*innen zu diskutieren. Die AfD ist aber auch stets unsichtbar am Tisch, was bedeutet, dass ihre Positionen in der Entscheidung und Begründung immer mitbedacht werden. Dies führt teilweise auch dazu, dass Kontroversen zwischen den Parteien gar nicht aufgemacht werden, da diese der AfD Raum zum Polemisieren u.ä. geben könnte. Neben der Störung der parlamentarischen Arbeit, hat die AfD, massive staatliche Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen. Durch die Wahlkampfkostenerstattung und die Fraktionsmittel im Abgeordnetenhaus und den BVVen - bisher rund eine Million Euro jährlich - konnte die AfD auch rechte Strukturen ausbauen und unterstützen. Zentrale Akteure, wie beispielsweise Mitglieder der „Identitären Bewegung“ und Burschenschaften, wurden als Bürokräfte angestellt. So flossen auch Gelder in rechte Strukturen abseits der AfD, z.B. fünfstellige Beträge an die Sicherheitsfirma "German Security" aus dem Spektrum der militanten "Hammerskins". Ebenso flossen (und fließen) zehntausende Euro an den Pankower Neonazi Andreas Geithe, der sich in den 90ern um eine Mitgliedschaft in der rechtsterroristischen "Nationalistischen Front" (NF) bemühte und der AfD Abgeordnetenbüros und das Parteilokal in Blankenburg vermietet. Aufgrund der engen Verzahnung mit langjährig tätigen rechten Akteuren war sich das Podium darüber einig, dass die AfD eher ein Bündnisprojekt ist. Das wichtigste Mittel der AfD, um die eigene Agenda durchzusetzen, war das Einfordern der angeblichen Neutralitätspflicht. Dies betraf Institutionen, die durch den Staat finanziert werden und sich kritisch gegenüber der AfD äußern. Die angebliche Pflicht zur Neutralität ist zum beliebten Mittel geworden um politische Gegner*innen zu diffamieren. Das hat auf viele einschüchternde Wirkung. Bei der Veranstaltung konnte mit diesem Mythos aufgeräumt werden. Tatsächlich ist nur der Staat (z.B. die Verwaltung) zur Neutralität gegenüber den Parteien verpflichtet, nicht aber die vom Staat teilweise abhängige Zivilgesellschaft. Eine Möglichkeit mit der Neutralitätspflicht umzugehen, ist, konkrete Personen und Inhalte zu kritisieren und nicht die AfD als ganze. Welche Erfolge konnten wir in den letzten Jahren erzielen? Auf die Frage, ob ein Strategiewechsel gegen die AfD notwendig ist, wurden von AgR die bisherigen Erfolge aufgezeigt. So wurde sich in Berlin, aber auch bundesweit, weitestgehend an die Vereinbarung unter den demokratischen Parteien, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten, gehalten. Konkret hieß das, keinen Anträgen der AfD zuzustimmen und Anträge so zu formulieren, dass die AfD in jeden Fall nicht zustimmen würde. Das hat auch in Berlin zu einigen Verrenkungen bei den Parteien geführt. So haben sich die meisten Bezirke entschieden der AfD bezirkliche Räume für Veranstaltungen zu entziehen. Umzusetzen war dies aber nur, indem allen anderen Parteien auch die Räume versagt wurden. Dass sich darauf in den meisten Bezirken eingelassen wurde, ist ein Erfolg der letzten Jahre. In Spandau gilt es, bei der bezirklich verwalteten Zitadelle weiter am Ball zu bleiben. Nicht zu verstecken brauchen sich Antifaschist*innen, die Anti-AfD-Wahlkampf gemacht haben und immer wieder das Personal und die Politik der AfD skandalisiert haben. Es wird zudem von keiner Partei mehr angezweifelt, dass die AfD eine faschistische oder zumindest faschistisch durchsetzte Partei ist. Eine Auswirkung des stetigen Protests sind die gravierenden Stimmenverluste (in Berlin sank die AfD von 12% auf 8%) und dass es für die AfD absehbar keine Machtoption (z.B. mit Teilen der CDU) gibt. In anderen Regionen zeigt sich ähnliches: beispielsweise konnte in Chemnitz ein Sieg des AfD-Direktkandidaten für den Bundestag durch gemeinsames Vorgehen aller anderen Parteien verhindert werden. Ein Problem des Anti-AfD-Kampfes war es, dass die AfD Berlin in diesem Wahljahr kaum Angriffsfläche in Form eines aktiven Straßenwahlkampfs geboten hat. Von den anberaumten 400 Infoständen kamen nur wenige zustande. "Aufstehen gegen Rassismus" war in mindestens drei Bezirken darauf vorbereitet, schnell auf Wahlkampfstände zu reagieren, aber die AfD tauchte nur selten auf. Das breite Interesse an der direkten Auseinandersetzung mit der AfD im Straßenwahlkampf zeigte sich für AgR daneben auch an den vielen durchgeführten Argumentationstrainings. Seit 2016 wurden bundesweit rund 17.500 Personen zu Stammtischkämpfer*innen ausgebildet. Das Bündnisprojekt von Berliner Antifagruppen "Kein Raum der AfD" berichtete davon, dass der AfD in den letzten Jahren viele Orte streitig gemacht werden konnten und es für die Partei immer schwieriger wird, Veranstaltungen wie Wahlpartys, Stammtische und Bezirkstreffen durchzuführen. Bei Anfragen denkt die AfD bereits Proteste durch die Antifa mit, was zeigt, welche Wirkung der anhaltende Protest - auch wenn dieser nur klein ist, hat. Stammtische und Veranstaltungen haben auch deshalb stark nachgelassen. So schön das ist, führt es letztlich auch dazu, dass die AfD auch auf der Ebene der Räume weniger Angriffsfläche bietet. Weniger Aktivitäten heißt auch weniger Möglichkeiten der Skandalisierung z.B. in lokalen Kontexten bzw. bestimmten Kiezen. Auch wenn die Beteiligung an Aktionen des Bündnisses „Kein Raum der AfD“ abnehmen, wird an der Strategie Recherche, Kontaktieren der Locations, Veröffentlichung und Protest weiter festgehalten. Worauf müssen wir uns in Zukunft vorbereiten? Am 4. November kommt zum ersten mal das Berliner Abgeordnetenhaus (13 AfD-Mandate, vorher 25) und viele Bezirksverordnetenversammlungen (58 Mandate, vorher 97) zusammen. Zumindestens in den Bezirken Lichtenberg, Mahrzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Spandau hat die AfD Anspruch auf Stadtratsposten. Ob diese Wahlen wieder herausgezögert werden können (wie vor 5 Jahren), die AfD gezwungen wird andere Kandidat*innen aufzustellen, oder schlimmstenfalls die AfD-Kandidat*innen von den anderen Parteien durch Enthaltung durchgewunken werden, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Vor der Lichtenberger BVV gibt es dazu am 4.11. ab 16:00 eine Kundgebung. Die AfD bemüht sich aktuell, in die Vorstände von Organisationen des Soziallebens (explizit wurden die Heimatvereine in Reinickendorf und Marzahn-Hellersdorf genannt) vorzudringen. Außerdem nimmt die AfD verstärkt Betriebsräte in den Fokus. Deshalb ist es bei den Betriebsratswahlen (März-Mai 2022) notwendig besonders darauf zu achten, ob sich AfD-Mitglieder aufstellen lassen. Es muss im Auge behalten werden, dass dies auch mögliche Rekrutierungsfelder für die Partei sind. Hier fehlen Unvereinbarkeitsbeschlüsse seitens der Organisationen der Arbeiter*innenklasse. Da die AfD in der Parteienlandschaft angekommen ist und ihre Existenz allein sowie die Präsenz von Faschist*innen in den Parlamenten kein Skandal mehr sind, müssen neue Wege der Skandalisierung gefunden werden. Mit einer weiteren Faschisierung der Partei ist zu rechnen. Auch in Berlin wird der Flügel mehr Einfluss auf die Geschicke der Partei nehmen. Die Veränderungen in der Partei sollten auch immer wieder Anlass für Skandalisierungen sein. Ebenso ist es wichtig, die Isolierung im parlamentarischen Rahmen zu betreiben und einzufordern. Abschließend wurde hervorgehoben, wie wichtig die gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung der unterschiedlichen Formen des Widerstands sind. Offensichtlich führt die Mischung zum Erfolg im Kampf gegen die AfD. Das Podiumsgespräch hat gezeigt, dass es gut ist, sich zusammen hinsetzen, um sich über Erfahrungen und Strategien auszutauschen. Ein großes Danke an alle Beteiligten! Weiterführende Einschätzungen zur AfD nach der Wahl 2021:
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