17.12.2014 „Feuer und Flamme den Abschiebebehörden“?!
Veranstaltung: 19:30 Uhr, K9 (Kinzigstr. 9, Friedrichshain)



Geschichte und Aktualität der Kämpfe gegen Abschiebehaft
mit Volker Gerloff (Rechtsanwalt Berlin), Biblap Basu (Reachout/KOP, Berlin) und N.N (Soligruppe für Bernhard H.)

Am 11. April 1995 versuchte die militante Gruppe K.O.M.I.T.E.E. die Baustelle des Abschiebeknastes in Grünau zu sprengen. Die Aktion ging schief und zwang drei mutmaßlich Beteiligte zum Untertauchen. Knapp zwanzig Jahre später, im Juli 2014, wurde Bernhard Heidbreder in Venezuela festgenommen und soll nach Deutschland ausgeliefert werden. Die deutschen Behörden haben seine Auslieferung beantragt, um ihm jetzt noch den Prozess wegen der missglückten Aktion von damals zu machen. Über das Auslieferungsersuchen wird in Venezuela voraussichtlich im Laufe der nächsten zwei Monate entschieden.
Eine beispielhafte Straflust, die der Repressionsapparat auch schon damals linker Militanz entgegensetzte. Denn Grünau war kein Einzelfall: Die Asylrechtsverschärfungen von 1993 wurden nicht unwidersprochen hingenommen und Militanz gehörte zum guten Ton. Schon 1993 war der RAF ein ähnlicher Anschlag auf die JVA Weiterstadt geglückt, weshalb der Knast erst vier Jahre später eröffnen konnte.
Neben den militanten Interventionen gibt es seitjeher breit getragenen Widerstand gegen das System der Abschiebehaft. Denn es ist nicht hinnehmbar, dass Flüchtlinge eingesperrt werden, damit der Staat sie problemloser abschieben kann. Abschiebehaft kriminalisiert Flüchtlinge, denn sie ist faktisch Strafhaft, ohne dass eine Straftat begangen wurde.
Mitte diesen Jahres entschied der Europäische Gerichtshof, dass Abschiebehaft nicht in normalen Knästen stattfinden darf und sorgte damit für massive Unterbringungsprobleme, denn nicht alle Bundesländer leisten sich einen extra Abschiebeknast, wie Berlin oder Brandenburg. Seit dem Sommer buchen also andere Bundesländer Gewahrsamsplätze in Grünau und bürden den Angehörigen und Anwälten damit lange Fahrtzeiten auf.
Der Bundesgerichtshof erklärte zudem die Inhaftierung von Flüchtlingen im Dublin-Verfahren (der Asylantrag läuft bereits in einem anderen EU-Land) als rechtswidrig – weil eine deutsche Rechtsgrundlage fehle um noch nicht abgelehnte Asylbewerber einzusperren. Deshalb mussten viele Flüchtlinge aus der Abschiebehaft entlassen werden.
Diese beiden Schlappen für die Abschiebebehörden sollen nun wieder ausgebügelt werden. Die Bundesregierung plant für Anfang nächsten Jahres ein Gesetz um die Gründe zur Inhaftierung von Flüchtlingen wieder auszuweiten. Auch dagegen regt sich schon Protest.
Ziel der Veranstaltung mit der Soligruppe für Bernhard, dem Antira-Aktivisten Biblap Basu und dem Asylrechtsanwalt Volker Gerloff ist einerseits über die Akutalität von Abschiebehaft aufzuklären und andererseits der Frage nachzugehen, was sich im Kampf gegen dieses besondere Mittel der Migrationsabwehr verändert hat.


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Notizen zur Veranstaltung „Feuer und Flamme den Abschiebebehörden?! - Geschichte und Aktualität der Kämpfe gegen Abschiebehaft“, 17.12.2014 Berlin, K9 mit Soligruppe Bernhard, Biblap Basu (Reachout, KOP) und Antifa Friedrichshain

1. Einordung
Anlass der Veranstaltung ist der aktuell historische Tiefpunkt der Abschiebehaft (derzeit sind bundesweit weniger als 100 Menschen im Abschiebegewahrsam) und die Inhaftierung von Bernhard Heidbreder in Venezuela, dem vorgeworfen wird vor rund 20 Jahren einen Anschlag auf den im Bau befindlichen Abschiebeknast Grünau geplant zu haben.
Dafür eingeladen wurden die Soligruppe von Bernhard, die etwas über den gescheiterten Anschlagsversuch und die Szenediskussionen damals berichten. Außerdem Biblap Basu, der damals in Berlin antirassistisch aktiv war und darauf eingehen wird, welche Widerstandspraxen sich seit den 80er Jahren in den antirassistischen Kämpfen entwickelt haben. Der angekündigte Teil zur aktuellen Rechtslage und dem Versuch der Bundesregierung die Abschiebeknäste wieder zu füllen, musste improvisiert werden, da der Rechtsanwalt Volker Gerloff erkrankt ist.
Die Antifa Friedrichshain beschäftigt sich immer mal wieder mit Abschiebehaft. Zuletzt seit 2011 vor allem mit dem Asylschnellverfahren auf dem (zukünftigen) Flughafen Schönefeld BER. Aktuell wurde viel mit anderen Gruppen zur geplanten Asylrechtsverschärfung gearbeitet. Die sieht eine Ausweitung der Haftgründe für die Verhängung von Abschiebehaft vor.
Da das Thema Abschiebehaft mit dem geplanten „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ wieder aktueller wird, ist das Ziel der Veranstaltung die bisherigen Widerstandsformen gegen Abschiebehaft zusammenfassend darzustellen um sich auf die Widerstands-Zukunft vorbereiten.
Als radikale Linke sind wir immer auf der Suche nach dem Hebel zur Gesellschaftsveränderung. Wie werden wir wirkmächtig? Also ist auch Thema des Abends wie effektive Gegenmacht aussehen kann. Was heute nicht geboten wird: Den Kontext deutscher und europäischer Migrationsabwehr. Dazu gab es u.a. vor einer Woche eine gute Veranstaltung im Südblock auch mit der Soligruppe für Bernhard. Auch kann nicht auf die Dynamik von Anti-Knast-Kämpfen eingegangen werden. Die Veranstaltung dient auch nicht dazu die sog. Militanzdebatte aufzuwärmen oder dazu Stellung zu nehmen. Nur soviel: Uns ist wichtig die Widerstandsformen als nebeneinander gleichberechtigt wahrzunehmen und strategisch auf ihre Eignung zur Erreichung von Nah- und Fernzielen durchzuprüfen. Also nicht die Frage nach Legalität oder Illegalität sondern nach Legitimität im jeweils spezifischen gesellschaftlichen Kontext. Und natürlich sind wir mit allen solidarisch, die sich friedlich oder militant gegen Abschiebehaft wenden.

Ein paar Worte zum Staatsverständnis
Durchgesetzt hat sich ein Gesellschaftsverständnis, dass den Staat, als Kumulation gesellschaftlicher Macht versteht. Der Staat ist kein Instrument der Herrschenden, sonder vielmehr Medium und gleichzeitig Resultat von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, die sich in den Apparaten, in den Strukturen und Gesetzen niederschlagen. Politik, die radikale Gesellschaftsveränderung will, hat deshalb notwendigerweise den Staat als Ansatzpunkt.
Antirassistische Praxis hat das Nahziel „Gleiche Rechte für alle“, was im Sinne radikaler Gesellschaftskritik erstmal als purer Reformismus anmutet. Tatsächlich spielt es aber für die Betroffenen eine große Rolle ob sie an den Privilegien teilnehmen können oder eben im Bezug zum deutschen Normalbürger entrechtet sind.
Auch durchgesetzt hat sich ein Modus der Integration von Kritik (auch radikaler Gesellschaftskritik), in den Staat oder dessen verlängerten Arm der sog. Zivilgesellschaft. Hier werden die Widersprüche und Kämpfe reguliert und so eingebunden, dass sie zwar politisch, im Sinne von Gesellschaftsveränderung, wirken können, aber dafür die Fundamentalopposition aufgeben. Um diesen Kreislauf aus radikaler Gesellschaftskritik und dem dauernden Angebot zur Integration zu begegnen, wird das Missachten der integrationsfördernden Regeln und Normen des Politbetriebs durch die radikale Linke vorgeschlagen. Über dieses Spannungsverhältnis ist die Diskussion sicher nie abgeschlossen.

2. Geschichte und Aktualität der Abschiebehaft

Was ist Abschiebehaft? Wann kommt sie aktuell zum tragen?
Abschiebehaft ist die Ingewahrsamnahme von Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel zur Vorbereitung oder Sicherung ihrer Ausweisung. Sie kann angeordnet werden wenn eine freiwillige Ausreise nicht vollzogen wurde. Durchgeführt wird Abschiebehaft in Polizeigewahrsam und in Justizvollzugsanstalten.
Eine Bedingung ist ein richterlicher Beschluss und eine Abschiebeprognose (es dürfen keine Abschiebehindernisse vorliegen). Der Haftgrund ist meist die Gefahr des Untertauchens.
Derzeit sitzen weniger als 100 Häftlinge bundesweit in Abschiebehaft. 2011 waren es noch rund 10.000. Grund ist der BGH-Beschluss aus dem Juli 2014. Die Begründung: Asylsuchende, die in einem anderen EU-Staat ihren Antrag gestellt haben, dürfen nicht pauschal in Haft genommen werden. Jedenfalls nicht solange bis der Gesetzgeber die Fluchtgefahr als Haftgrund gesetzlich konkretisiert hat. Ein zweiter Grund für die geringe Zahl der Inhaftierungen ist das Trennungsgebot, das schon 2011 von der EU beschlossen, aber von Deutschland missachtet wurde. Demnach sollen Abschiebehäftlinge nicht mit Strafgefangenen zusammen untergebracht werden. Im Juni 2014 wurde vom EugH diese deutsche Praxis untersagt.
Für die Betroffenen heißt Abschiebehaft: Unterbringung wie in der Strafhaft, bis zu 18 Monate.
Kosten sind durch die Häftlinge selbst zu tragen (ca. 60 Euro am Tag). Sie haben kein Anrecht auf einen Pflichtverteidiger. Länderspezifische Regelungen: In Grünau gelten die Haftbedingungen laut proasyl als besonders liberal: Es gibt eine große individuelle Bewegungsfreiheit innerhalb der Anstalt. 15 Minuten Einschlusszeit am Tag und Handys sind erlaubt. Trotzdem bleibt es Haft, die ersatzlos abzuschaffen ist.

Welche Zäsuren gab es in der Abschiebehaft?
1919 Ausreisehaft in Bayern zur Revolutionsprävention
1938 Ausweitung auf das ganze Reichsgebiet im Nationalsozialismus
1965 Im Aufenthaltsgesetz zur Beendigung von Aufenthalt nach Strafhaft.
1990 Legitime Haftdauer wurde verlängert, Haftgrund „Verdacht der Entziehung der Abschiebung“ kam dazu.
1992 (mittlerweile sind es 700 Abschiebehäftlinge bundesweit) Zwingende Haftgründe eingeführt um weniger Ermessen der Richter zuzulassen (unerlaubte Einreise, Umzug, Nichterscheinen bei Ausländerbehörde usw.)
1993 Tiefster Einschnitt durch die Definition von „verfolgungsfreien“ Drittstaaten.
1995 (2500 Abschiebehäftlinge bundesweit): Anschlag gegen den Knast-Umbau in Grünau
2008 Die EU-Rückführungsrichtlinie „harmonisiert“ die Bestimmungen und Verfahren, welche bei der Rückführung von Drittstaatsangehörigen ohne gültigen Aufenthaltstitel zur Anwendung kommen. Dadurch werden Standards für die EU-Mitgliedsstaaten geschaffen.
2011 Reform der Rückführungsrichtlinie
2013 Dublin III-Verordnung. Damit kamen viele Haftgründe theoretisch hinzu:
- ungeklärte Identität, Beweissicherung im Asylverfahren, Prüfung des Einreiserechtes, verspätete Asylantragsstellung, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Sicherung des Dublinverfahrens.

Grundlegender Wandel seit 2009
Die höchstrichterliche Rechtsprechung (250 Verfahren landeten bis 2013 vor dem BGH) machte die Inhaftierung schwerer. Dadurch hohe Anforderungen an die Abschiebebehörden:
A rechtliches Gehör. Beteiligung der Betroffenen am Verfahren muss gewährleistet sein.
B Haftgründe wurden vom BGH stark beschnitten. Formale Anforderungen an die Haftbegründung der Ausländerbehörden sind gestiegen. Stichworte: Verhältnismäßigkeit versus Freiheitsgrundrechte. Das betrifft v.a. die Abschiebeprognose (ist es möglich innerhalb von drei Monaten die Person abzuschieben? Sind bis dahin alle Papiere zusammen usw..).

EU-Recht hat 2011 mit der neuen Rückführungsrichtlinie als Standard festgesetzt:
A Abschiebungshäftlinge dürfen nicht länger mit Strafgefangenen zusammen inhaftiert werden. Zur Zeit gibt es Abschiebehaftanstalten in Berlin, Brandenburg, Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg. 9 Bundesländern fehlen Abschiebehaftanstalten.
B Inhaftnahme von Asylsuchenden im Dublin-Verfahren (innereuropäische Abschiebungen), die bis Sommer 2014 z.B. in Eisenhüttenstadt 90% der Inhaftierten ausmachten, ist unzulässig, weil dafür eine Rechtsgrundlage fehlt. Die wird nun von der Bundesregierung erarbeitet.

Was ergibt sich aus dem Gesetzesvorschlag von letzter Woche?
Neue Haftgründe für Dublin-Fälle (Kabinettsbeschluss vom 3.12.14)
- „wenn der Ausländer zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge (3000 Euro) für einen Schleuser aufgewendet“
- „Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten“
- „Täuschung der Identität“
- Untertauchen, Nicht Erscheinen
- NEU: „Ausreisegewahrsam“ grundlose Inhaftierung für maximal 4 Tage. Legalisierung einer Praxis, die jetzt schon angewendet wird. Abschiebehaft wird umgangen, indem die Bundespolizei die Leute direkt zur Abschiebung abholt.

Unsere Prognose: Die (Unter-)Kapazitätsprobleme der Abschiebehaftanstalten werden mit dem neuen Gesetz gelöst. Es wird Neubauten geben und alte Knäste ausgebaut. Ziel: Alle Bundesländer haben Zugriff auf Abschiebehaftanstalten und können aufgrund der neuen Gesetzeslage auch wieder mehr Leute inhaftieren.

3. Soligruppe Bernhard zum Anschlagsversuch vor 20 Jahren

Was ist am 11.4.1995 passiert?
Der Knast war im Umbau vom DDR-Frauengefängnis zum Abschiebeknast. Die militante Gruppe „Komitee“ hatte geplant, tragende Pfeiler zu sprengen, damit das Gebäude in sich zusammenstürzt. Man wollte sich „nicht mit einer symbolischen Aktion begnügen“ und eben auch effektiv was bewirken. Doch es kam anders. Eine zufällige Polizeistreife entdeckte zwei Autos in der Nähe der Haftanstalt. Durchsuchte sie und fand Sprengstoff und Ausweispapiere.

Wogegen und wofür war der Anschlag gedacht? Worin war die Aktion eingebettet?
In der Anschlagserklärung gab das Komitee zu Protokoll, dass sie mit einem großen Anschlag die radikale Linke aus einer vermeintlichen Lethargie holen wollte. Ziel sei es durch kontinuierliche Anschlagspolitik militante Auseinandersetzungen wieder zum normalen Repertoire zu machen.
Das ganze geschah in einer Zeit, die sowieso schon militant aufgeladen war. Seit Anfang der 90er Jahre musste sich die radikale Linke regelmäßig mit Nazis militant auseinandersetzen. Hinzu kam, dass es viel Erfahrung aus größeren militante Gruppen (RZ, RAF usw.) gab. Gleichzeitig gab es auch nennenswerte Anti-Knast-Kämpfe von innerhalb der Knäste. Auch in Abschiebehaft: 1994 kam es z.B. zur „Meuterei in der Elwe“ - 50 algerische Abschiebehäftlinge zerstörten in Kassel den Abschiebe-Knast und forderten freies Geleit in einen anderen EU-Staat. Regelmäßige Hungerstreiks, Revolten und eine halbwegs solidarische linke Öffentlichkeit stützten die Einschätzung des Komitees mit einem Anschlag auf den Knast in Grünau andere zu animieren nochmal was zu riskieren. Dabei ging es dem Komitee nicht so sehr um Abschiebehaft, sondern um das Knastsystem und um Bezüge zum kurdischen Befreiungskampf, der von der BRD kriminalisiert wurde. Das Komitee hatte in dem Kontext auch schon einen Anschlag auf die Bundeswehr in Bad Freienwalde verübt. Auch wollte man dem RAF-Anschlag auf die JVA-Weiterstadt (1993) nacheifern. Die RAF konnte die Einweihung des Knastes immerhin um vier Jahren verzögern. In Berlin war 1987 auch ein Anschlag auf die Ausländerbehörde geglückt. Viele tausende Akten verbrannten.

Was passierte danach
Es begann eine ähnliche Medien- und Strafverfolgungs-Hysterie wie bei RAF-Anschlägen. Das meiste übertrieben (z.B. Sprengstoffmenge) und brutal gegenüber allen die mithineingezogen wurden (z.B. über 100 Angehörige und Bekannte der Gesuchten). Die Lügen der Bundesanwaltschaft und Horrormeldungen aus den Medien, machten breite Solidarisierungen z.B. von Linksliberalen schwer möglich.
Darüber hinaus gab es überwiegend kritische, wenn auch noch solidarische, Zurufe aus der radikalen Linken, die zwischen Manöverkritik (wie blöd habt ihr euch angestellt? Gab es Spitzel?), bedingungsloser Antirepression und grundsätzlichen Zweifeln am „Impuls-Gedanken“ schwankten. Letzterer war für das Komitee zentral. Die militanten Gruppen sollten voranschreiten und zu Massenmilitanz animieren bzw. militante Kampagnen fördern, um dem perspektivlosen Reformismus zu überwinden. Der Dreiklang, 1. Wahrnehmung durch Krawall, 2. Zustimmung in einer breiten Bewegung, 3. Alle wollen mitmachen, lässt sich auch noch heute in Publikationen der radikalen Linken finden.
Dem gegenüber kam die Kritik auf, dass Militanz zwar das Salz in der Suppe wäre, aber diese wohl kaum ersetzen könne. Ohne breite Bewegung, keine Militanz. Die These, Militanz hätte etwas von einem „Erweckungsgedanken“ sei schlicht ein „Avantgarde-Fehler“, der zeige welche eigene Wirkungsmacht sich das Komitee selbst zuschreibe. Zudem bräuchten z.B. die kurdischen GenossInnen sicher keine Hilfe von Feierabend-Militanten. Viel eher sei eine Diskussion angeraten, die die Individualisierung von Politik (nur noch bezugslose Kleingruppen, die selbst entscheiden was sie „sprengen“ wollen und nach individuellem Handlungsdruck agieren) zum Thema macht.
Die immense Straflust führte letztlich zur Festnahme von Bernhard im Sommer 2014. Derzeit läuft ein Auslieferungsersuchen zwischen Deutschland und Venezuela. Das hat wenig Aussicht auf Erfolg, da die Straftaten die Bernhard vorgeworfen werden in Venezuela schon verjährt wären. Dennoch sitzt er seit Sommer ein.

4. Biblap Basu zu antirassistischen Widerstandsformen der 90er Jahre
Der Versuch des Komitees wurde sehr unterschiedlich aufgenommen. Man war zwar solidarisch, weil die Sache ansich natürlich imponierte, aber der tatsächliche Nutzen auch eines geglückten Anschlags war für viele Diskussionswürdig. In der alltäglichen Arbeit der antirassistischen Gruppen spielte die Militanzfrage keine Rolle. Es ging eher um den Aufbau und Erhalt von Strukturen die Flüchtlinge unterstützten – also Beratung und Selbstschutz. Das alltägliche Leben von Flüchtlingen hier zu organisieren und ihnen Chancen zur politischen Beteiligung und individuellem Weiterkommen zu geben, standen im Vordergrund. Da war die Auseinandersetzung mit Nazis und den Behörden zwar unvermeidbar, allerdings nicht der Hauptkampf bzw. Hauptkonfrontation.
Zudem nervte das Selbstverständnis der militanten Gruppen, da sie sich aus den wesentlichen Kämpfen raushielten und abwarteten bis ihnen was vors Zielfernrohr sprang. Gemacht wurde was ging und nicht immer was politisch geboten war. Einzige gemeinsame Praxis waren die Fahrwachen um Asylbewerberheime und Patrouillen im öffentlichen Nahverkehr zur Abwehr von Naziangriffen. Hier dann zumeist Antifa-Gruppen, die überwiegend weiß waren (und es heute noch sind) aber zumindest kontinuierlich ansprechbar waren. Eine weitere Verbindung war sicher der gemeinsame Adressat („Der Staat“) von politischen Interventionen. Ein paar Aktionen waren gut eingebettet in ohnehin erfolgreiche Kämpfe (z.B. gegen die SORAT-Hotels in Berlin)

Widerstandsformen der deutschen Anti-Lager Bewegung
Zu unterscheiden sind Aktionsformen von „innen“ und „außen“. Innen gibt und gab es kollektive (Revolte, Streik, Verweigerung) und individuelle (Hungerstreiks, Suizide, Selbstverletzungen) Formen des Widerstands, die nicht immer in die Öffentlichkeit vordringen. Von Außen gibt es dann Solidaritätsaktionen von Knast-Sabotage über Demos bis zu Petitionen und wichtigen Beratungsangeboten. Als besonders erfolgreich im Sinne von Verbesserungen lassen sich wenige genau zuordnen. Auf lange Sicht gab es auch negative Konsequenzen (z.B. Gefangenenaufstände in Eisenhüttenstadt, 1996-1998, die zur Umorganisierung des Knastes und der Einführung der „Beruhigungszellen“ führten). Die innere Neuordnung der Knäste, setzten auf die Separation der Gefangenen.
Immer wieder hat sich gezeigt, dass das Abschiebesystem nicht reibungslos funktioniert. Das können wir auch an der konfusen Rechtsprechung sehen. Es ist möglich Abschiebungen zu verhindern oder die Freilassung zu erwirken. Zwar nicht nur auf militantem oder nur juristischem Weg aber aus der Kombination.

Wer sind die Player: Antirassistische Bündnisse?
Heute wie damals halten sich Gruppen und Bündnisse nicht besonders lang. Die einzigen die kontinuierlich arbeiten können sind diejenigen, die es schaffen entsprechend professionalisierte Strukturen aufzubauen (u.a. Finanzierung) und die eine Aufgabe haben, die nicht so einfach von anderen erledigt wird.
Ein anderer Aspekt kommt dazu: 1994 wurde auch nicht zufällig „The Voice“ gegründet, eine Flüchtlingsorganisation die eine „Selbstbestimmung der Kämpfe“ einforderte. Offensichtlich war das nötig, da deutsch sozialisierte AktivistInnen die antirassistischen Kämpfe zu stark dominierten. Früher hatte der Internationalismus noch einen größeren Stellenwert. Bezugspunkte über die deutschen Grenzen hinweg, z.B. um die Zusammenarbeit der Herkunfts- und Transitländer mit den deutschen Abschiebebehörden zu skandalisieren wurden stärker betrieben. Im Vergleich zur deutschen Bewegung treten die Anti-Abschiebehaft-Bewegungen in anderen EU-Ländern zudem auch (massenkompatibel-)radikaler auf (z.B. Knastdemontagen mit Parlamentsangehörigen in Bologna 2002). Auch die inneren Kämpfe scheinen militanter. So wurde 2002 in Yarls (GB) der größte Abschiebeknast Englands von den Häftlingen niedergebrannt.
Aktuell hat sich Abschiebehaft aber überall in Europa durchgesetzt. Aktionen zum „defencing“ gab es schon lange nicht mehr. Als in den 80er Jahren in Deutschland die Abschiebehaft noch neu war, gab es auch ähnliche Aktionen, wie „Entzäunt Worms“, wo zusammen mit Pfarrern und Professoren ein Sammellage sabotiert wurde.

Fazit der Diskussion: Militante Praxis gehört zu radikaler Gesellschaftskritik dazu. Allerdings nur im Einklang mit einer sozialen Basis, die das aushält, die Anschläge legitimiert, darauf Bezug nimmt und verteidigt.

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