Don´t let the System get you down! - Aufruf zur Antirepressions-Demonstration
Samstag, 18. März 2006 (Tag der politischen Gefangenen) 14.00 Uhr Hauptbahnhof Potsdam

Potsdam
Seit dem 18. Juni 2005 ermittelt die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen fünf AntifaschistInnen wegen versuchten Mordes. Damals soll es zu einem "Zusammenstoß zwischen rechten und linken Jugendlichen" gekommen sein, bei dem ein einschlägig bekannter Neonazi eine Platzwunde davon getragen haben soll.
Dies nahm die Staatsanwaltschaft Potsdam zum Anlass, fünf AntifaschistInnen wegen versuchten Mordes anzuklagen. Eine Betroffene saß fünf Monate in Untersuchungshaft. Die anderen vier Beschuldigten wurden aufgrund ihres jugendlichen Alters unter Auflagen und gegen extrem hohe Kautionen auf freien Fuß gesetzt. Die Anklage wegen versuchten Mordes beruht auf der Behauptung, die AntifaschistInnen wären an dem "Zusammenstoß" beteiligt gewesen und hätten dabei den Tod des Nazis "billigend in Kauf genommen". Außerdem wären AntifaschistInnen generell der Meinung, man dürfe Nazis töten, dies sei eine "sittlich tiefst stehende" Motivation, Antifaschismus mithin eine niedere Gesinnung. Sollte die Staatsanwaltschaft mit dieser Konstruktion durchkommen, würden sich die Möglichkeiten der Repressionsorgane, gegen Antifas vorzugehen, enorm erweitern.

Frankfurt/Oder
Verschärfte Verfolgung erfahren Antifas auch in Frankfurt (Oder). Eine selbstbewusster auftretende radikale Linke in der Stadt bereitet den Behörden wohl Kopfzerbrechen. Zur Einschüchterung überzieht das Frankfurter Staatsschutzkommissariat seit zwei Jahren Antifas mit Ermittlungsverfahren, ohne Verdachtsmomente gegen sie äußern zu können. Zur Last gelegt werden ihnen militante Aktionen, wie Angriffe auf die Ausländerbehörde, den Nachthimmel erhellende Naziautos, eine entglaste CDU-Zentrale oder omnipräsente Graffities.
Begleitung finden die unhaltbaren Vorwürfe in einer dreistelligen Anzahl von Vorladungen, widerrechtlichen Hausdurchsuchungen und DNA-Entnahmen.
Juristischer Druck brachte die Einstellung von ca. 30 Verfahren und ein Zurechtweisen der Ermittler durch Gerichte wegen unrechtmäßigem Vorgehen. Seit dem Brand eines Wahlkampfbusses des Brandenburger Wirtschaftsministers darf das LKA das Treiben des Staatsschutzes mit ebenso unhaltbaren Vorwürfen, aber deutlich höherem Druck durch Observationen und dem Anwerben eines/r Informanten/In, fortsetzen. Ihr Ziel ist durchsichtig: Die durch die juristische Abwehr der Maßnahmen erheblich belasteten Antifas sollen isoliert und finanziell ruiniert werden. Mit dem Versuch, bei der Bundesanwaltschaft ein
§129 Verfahren gegen sie zu eröffnen, will das LKA nun in die Offensive gehen um die radikale Linke der Stadt einzuschüchtern.

Berlin
Im Juli letzten Jahres durchsuchten hunderte Polizisten ein Dutzend Wohnungen von Antifas, denen sie eine Schlägerei mit Nazis vorwarfen. Das brutale Vorgehen bei den Durchsuchungen und die Konstruktion des Vorwurfs aufgrund von Aussagen bekannter Nazischläger, ließ vermuten, dass Polizei und Staatsanwaltschaft eine gezielte Kampagne gegen die Antifa fuhren.
Wahrscheinlich als Ausgleich zum Verbot der Kameradschaften BASO und Tor im März 2005. Ende August folgte dann der nächste Schlag, bei dem es linke Lokalitäten, Büros und Wohnungen traf, die mit einem Aufruf rechte Wahlwerbung zu entsorgen, in Verbindung gebracht wurden. Mehrere hundert Menschen wurden wegen dieses "Tatvorwurfs" kontrolliert oder festgenommen und die "Zufallsfunde", umfassende Informationen über die Linke Berlins waren für die Polizei durchaus von Bedeutung.

Im November begann dann der Prozess gegen den Antifaschisten Christian S. Dieser sollte nach Meinung der Polizei zusammen mit seiner Verlobten in Dresden am 13. Februar 2005 den Landfrieden durch Werfen einer Flasche in Richtung von Polizisten, die einen Naziaufmarsch schützten, gebrochen haben. Seit dem saß er in Untersuchungshaft. Die offensive Prozessführung der Angeklagten zwang das LKA Berlin zu einem immer fragwürdigeren Handeln. Die LKA-Zeugen traten "identitätsverschleiert" mit falschem Bart, und nur durch eine Codenummer identifizierbar auf. Das LKA schuf hier ein Übungsfeld für politische Geheimprozesse, Aussagen waren abgesprochen und die Öffentlichkeit sollte aus dem Gerichtssaal ferngehalten werden. Die Offensive des LKA im Prozess wandelte sich in eine Defensive, als sich herausstellte, wie halblegal dieses Repressionsorgan arbeitet. Christian wurde ein Deal angeboten und er wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, nur damit der Prozess schnell ein Ende fand.
Seine Verurteilung orientierte sich an der bereits verbüßten Untersuchungshaft von elf Monaten, obwohl klar war, dass nie eine Flasche geworfen wurde.

Magdeburg
Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg fand 2005 der Revisionsprozess gegen Daniel statt. Ihm wurde vorgeworfen, mit anderen Mitgliedern des "Autonomen Zusammenschlusses Magdeburg", Anschläge auf das LKA Sachsen-Anhalt und ein Polizeifahrzeug verübt zu haben. Bereits 2003 war die Bundesanwaltschaft mit ihrem Konstrukt der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" nach § 129a gescheitert. Das OLG musste Carsten, einen Mitangeklagten von Daniel, freisprechen. Ein weiterer Angeklagter, Marco, wurde zu zweieinhalb Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Beide saßen in Beugehaft, weil sie im Verfahren gegen Daniel die Aussagen verweigerten. Zudem wurden 14 FreundInnen und Verwandte des Angeklagten mit Beugehaft bedroht, sollten sie ihr Recht auf Aussageverweigerung wahrnehmen. Die Ermittlungen des BKA hatten mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Z.B. erpressten Beamte die Aussage eines Antifas, indem sie drohten, ihn in Fesseln seinem herzkranken Großvater vorzuführen und diesem von seiner Homosexualität zu berichten. Außerdem wirkten in der Revisionsverhandlung gegen Daniel zwei Richter mit, die auch in den früheren Prozessen tätig waren. Das OLG verurteilte am 22. November
2005 Daniel
zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung nach § 129a. Beamte des BKA machten in dem Verfahren nur eingeschränkte Angaben, weil sie nach eigenen Aussagen noch immer in laufenden Ermittlungen integriert seien. Da nicht nur Marco, Daniel und Carsten, sondern eine Vielzahl von Menschen in Magdeburg von Ermittlungsverfahren im Zuge des ersten Verfahrens betroffen waren, droht ihnen nun eine erneute Ermittlung und unter Umständen auch eine Anklage.

Das allgemeine repressive Hintergrundrauschen
Neben diesen lokal oder regional spektakulären Ermittlungsverfahren sind wir mit einem gesellschaftlichen Klima konfrontiert, das immer repressiver wird. Dem von der herrschenden Norm abweichenden Verhalten wird nachdrücklicher zu Leibe gerückt, als noch vor einigen Jahren. Bestes Beispiel ist aktuell die Kriminalisierung von Grafitti. Zu diesem m Zweck ist vor kurzem extra das Strafgesetzbuch geändert worden. Aber auch für "Straftaten" auf Demonstrationen fallen die Urteile tendenziell immer schärfer aus. Nicht nur im Bereich des Strafrechtes können wir diese Beobachtung machen. Ob es sich um die Ausweitung der Videoüberwachung von Plätzen, Straßen, Einkaufscentern, handelt oder um Kontrollanrufe und - besuche bei "Harz IV" - EmpfängerInnen; ob vermehrt Telefongespräche mitgehört werden oder die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten nach und nach verschwindet: staatliche Kontrollmechanismen werden derzeit massiv ausgebaut. Daneben werden Repressionsinstrumente wie Berufsverbote, die der Vergangenheit anzugehören schienen wieder ausgepackt.
Die öffentliche Debatte um Sicherheitspolitik ist während dessen längst mit den ganz großen Fragen beschäftigt. Täglich fallen in den Medien die "Tabus".
Foltern? Aber nur, wenn es auch Erfolg verspricht und rechtsstaatlich geregelt ist. Bundeswehreinsatz im Inneren zum Schutz der Fußball WM? Unklar ist eigentlich nur noch, ob auch Panzer eingesetzt werden sollen.

Was solls?
Eine in sich konsistente und umfassende Analyse des aktuellen Repressionsgeschehens können wir hier noch nicht vorlegen. Klar ist aber, dass wir die Repression, die uns als Linke trifft, nicht losgelöst davon betrachten können, dass auch SchwarzfahrerInnen, DiebInnen, DrogenhändlerInnen etc. mit immer härteren Strafen rechnen müssen. Es ist zu beobachten, dass das Wohlverhalten bestimmter Teile der Bevölkerung, nicht mehr - wie in den letzten Jahrzehnten - durch soziale Transferleistungen erkauft wird. Das Stillhalten von sozialen oder politischen Risikogruppen soll stattdessen mit verschärfter Repression sichergestellt werden. Damit diese effektiv funktionieren kann, müssen Kontroll- und Überwachungsmechanismen ausgebaut werden. Bisher wurde die Fähigkeit der "soziale Marktwirtschaft" zur Befriedung sozialer Konflikte durch Einbindung propagiert, was immer auch über Wohlstandschauvinismus funktionierte. An diese Stelle tritt jetzt eine pur nationalistische
Mobilisierungskampagne: auch wenn Du nix hast, bist Du immer noch Deutschland.
Diese Gleichzeitigkeit von massiver Ausweitung staatlicher Kontrolle und Verschärfung der Repressionsinstrumente einerseits und einer nationalistischen Mobilisierung andererseits sehen wir am deutlichsten anlässlich der in diesem Jahr in Deutschland stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft.

Was tun?
Mit dieser Situation sind wir als politisch aktive Menschen konfrontiert. Wenn wir uns als "die Linke" bezeichnen, vertuschen wir einen Teil des Problems. Es gibt derzeit keine Bewegung, die nach dem Motto "Getroffen sind einige - gemeint sind wir alle" gemeinsam aufsteht und sich gegen Repression zur Wehr setzt, wenn in Hinterposemuckel oder Berlin das nächste krasse Verfahren läuft.
Die Realität sieht eher so aus, dass die Betroffenen allzu oft von einem viel zu kleinen Kreis von FreundInnen, GenossInnen und Angehörigen unterstützt werden, die damit eine immense Last zu schultern haben. Unter diesen Bedingungen muss die politische Prozessführung oft hinter juristischer und sozialer Schadensbegrenzung zurücktreten. Der Repression können wir so viel zu selten etwas offensiv entgegensetzen.

Diese Situation bietet genug Anlass zum Verzweifeln. Allerdings auch genug Motivation zu sagen: Es reicht! Die beschriebenen Verhältnisse zu bedauern, die Welt zu verfluchen und seine eigene Paranoia zu pflegen ist das eine.
Das andere
ist es, sich dem entgegen zustellen. An unserer Kritik an Staat und Gesellschaft zu feilen, dabei die Grenzen der eigenen Gruppe, des eigenen Szenebiotops und der eigenen Stadt zu überschreiten wäre dabei schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Die Parole "Solidarität" wird praktisch wirksam, wenn die Vereinzelung vor Staatsanwalt und Richter nicht mehr funktioniert, wenn diejenigen, die von Repression betroffen sind, sich darauf verlassen können, dass sie diesen Kampf nicht alleine führen müssen. Damit das der Fall wird, haben wir - dass heißt Soligruppen zu den oben beschriebenen Verfahren in Potsdam, Frankfurt/Oder, Berlin und Magdeburg - in den letzten Monaten einen gemeinsamen Diskussions- und Vernetzungsprozess begonnen. Gegenseitig versuchen wir, uns bei politischen Aktionen zu unterstützen, Erfahrungen, Wissen und Analysen auszutauschen und gemeinsam zu diskutieren, um durch eine gegenseitige Bezugnahme der Vereinzelung entgegenzuwirken. Mit einer gemeinsamen Demo wollen wir diesen Prozesses vertiefen und intensivieren und auch für all jene öffnen, deren Repressionserfahrungen sonst nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen.

Und letztlich halten wir es immer noch für das Beste, die Frage, wem die Straße und die Welt gehören, immer mal wieder laut und vernehmlich zu stellen.
Deswegen rufen wir Euch auf, mit uns am "Tag der politischen Gefangenen" in Potsdam zu demonstrieren. Ganz unmittelbar wollen wir damit die in Potsdam und Frankfurt/Oder von Repression Betroffenen in ihren Verfahren unterstützen. Wir wollen unsere Solidarität mit Christian in Berlin und den Magdeburgern zeigen und auch mit all jenen, die nicht in prominenten Verfahren vor Gericht stehen, sondern mit der ganz normalen, alltäglichen politischen Repression konfrontiert sind.

>>> Antirepressionsdemo.tk >>> Rote Hilfe Brandenburg

Berichte

500 bei Antirepressionsdemo in Potsdam
http://de.indymedia.org/2006/03/141672.shtml

"antirepressionsdemo" in potsdam
http://de.indymedia.org/2006/03/141620.shtml

Bilder
ADF Berlin

Was lief sonst noch am Tag der politschen Gefangenen 2006

18.3. Demo Berlin | gg. Krieg & für Freiheit
http://de.indymedia.org/2006/03/141763.shtml

Nürnberger Knast mit Farbbeuteln angegriffen
http://de.indymedia.org/2006/03/141731.shtml

18.03 Kundgebung , Stuttgart, Stammheim
http://de.indymedia.org/2006/03/141700.shtml

Bericht Radldemo 18. März München
http://de.indymedia.org/2006/03/141736.shtml

Aktionstag 18. März in Trier
http://de.indymedia.org/2006/03/141562.shtml

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Veranstaltung - Knastcafe

Knastcafe: 14. März // 20 Uhr // Zielona Gora (Grünbergerstr.73)
Mythos Knast entzaubern. Schon mal mit nem Knacki gelabert? Bei der Veranstaltung sollen Knasterfahrungen ausgetauscht und damit die individuelle Angst vor dem militantesten Mittel des Staates gegen politische AktivistInnen genommen werden.

Knast als Damoklesschwert, das an einem seidenen Faden über uns baumelt - wie wir Knast wahrnehmen und mit dieser Bedrohung durch den Staat umgehen, bzw. welche Strategien entwickelt werden können, wenn der seidene Faden gerissen ist.
Knastcafe- Gespräche mit ehemaligen politischen Gefangenen über Repression, Knastalltag und politische Bewegung. Eine Veranstaltung im Rahmen des 18.3. Tag des politischen Gefangenen.
Knast ist für uns alle hier eine reale, mögliche Bedrohung, weil Menschen unter uns im Knast waren und es immer noch sind, weil wir als politisch handelnde Menschen immer damit konfrontiert werden, in den Knast gesperrt zu werden, von GenossInnen getrennt, mit der uns bedrohenden Situation allein. Knast ist das Gebiet der Konfrontation, das unseren Handlungsspielraum auf ein Minimales reduziert. Er ist aber auch das Gebiet, wo sich unsere Identität, unser Wille lebendig zu bleiben fortsetzen muss, wenn wir nicht an der Gewalt der staatlichen Institution zerbrechen wollen.
Dies jedoch nicht in aller Konsequenz wahrzunehmen, ist einfach. Denn, zwar stimmt es das Isolation und „Verknastung“ nicht Ausnahmesituation, sondern gesamtgesellschaftliches Prinzip sind (wir sprechen hier von der Lohnarbeit, der Uni und Schule, den Psychatrien, den Heimen, den Sozialämtern und all den anderen Zwangsanstalten), jedoch ist der Knast eine totalere, eine direktere Unterdrückung. Und es stimmt eben auch, dass die Repression hier (noch) nicht so offen gewalttätig ist, als dass es nicht doch noch Nischen und Freiräume gäbe, in die wir uns zurückziehen könnten.
Die Frage ist dann nur welchen Illusionen wir uns hingeben, in einem scheinbar selbstbestimmten Leben, in der wir die Bedrohung mit Knast durch den Staat nicht mehr ständig wahrnehmen.
Dann steht da auch die Frage, was jede einzelne von uns mit Knast zu tun hat. Haben wir uns nur mit Gefangenen aus einem moralischem Druckmoment solidarisiert oder aus einem Selbstverständnis von einer kämpferischen Bewegung? Das ist sicher nicht nur eine Frage der einzelnen Solidaritätskampagnen, sondern die Frage nach unserer politischen Bewegung überhaupt. Was Knast bedeutet, wie sich dazu und darin verhalten, darüber muss sich jede Gruppe, die hier politisch arbeiten will, auseinandersetzen. Wie mit Verhaftung, Verhör, Prozess, Wachteln und Knastalltag umzugehen ist. Das sind nicht nur technische Fragen, denn einem politischem Problem mit technischen Lösungen beikommen zu wollen, wäre von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Veranstaltungsverlauf
Da viele nicht auf der Veranstlatung sein konnten, wir aber trotzdem weitervermitteln worum sich die Gespräche drehten, hier mal die Fragen die mit den ehemaligen politischen Gefangenen diskutiert wurden.

Um die Diskussion einzuleiten wurde ein Teil eines Interviews von Christian Geissler zum Hungerstreik der RAF- Gefangenen von 1981 vorgelesen. Zu dem Interview ist vorher anzumerken, dass einige Begriffe aus unserer heutigen Perspektive anachronistisch anmuten. Z.B. wird viel von Vernichtung oder Entfremdungssystem geredet. Für uns wirkt der Begriff der physischen Vernichtung sicher überzogen, doch muss man dabei bedenken, dass die physische Vernichtung von Gefangenen damals durchaus der Realität entsprochen hat. Auf uns hat der Text auch zu pathetisch gewirkt. Kritisch fanden wir auch vor allem, dass den Menschen kein Recht auf persönliches Glück eingeräumt wird, sondern Knast als die logische und auch erstrebenswerte Folge der Zuspitzung der Verhältnisse dargestellt wird, die es anzustreben gilt.
Wir möchten den Text aber trotzdem vorstellen, da er eine Verschiebung in der Solidarität der Radikalen Linken zu ihren Gefangenen deutlich macht. Wurden die Gefangen früher als eine logische Folge des politischen Kampfes wahrgenommen, liegen die Schwerpunkte der Solidarität heute eher in der angeblichen Unschuld der Gefangenen oder, wenn eine Tat nicht mehr zu leugnen ist, konzentriert sich die Kritik an einer zu hohen Strafe oder ähnlichem.

„Erst mal, sagen wir mal, Vernichtung von denen, die gefangen sind. Es stimmt zwar, finde ich auch, dass Vernichtung ganz logisch sich auf den richtet, der das Entfremdungssystem, das gegen den Menschen gerichtet ist, eben angreift. Wer was angreift, wer was konsequent angreift, der ist natürlich auch mit Vernichtung, sei es physischer Vernichtung oder auch nur mentaler Vernichtung, bedroht. Das wollen sie auf jeden Fall. Sie wollen zwar leben lassen hier draußen, aber wenn du deinen Widerstanskopf behälts, den möchten sie schon auslöschen. Sonst funktioniert ja hier nichts mehr. Also gut, das richtet sich auf dich aus.
Aber erst mal, und zwar ganz sicher, auf diese gefangenen Menschen. Fest steht, dass sie eine besondere Klarheit haben, insofern sie nicht mehr ihre Gedanken, ihr politische Wissen abtrennen lassen, von ihren Händen sag ich immer. Also ich kenn aus all meinen Besuchen nur Menschen, aus all diesen Knastbesuchen nur Menschen, die identisch sind, mit Denken und Handeln. Und das macht sie, glaub ich auch einerseits so bedrohlich für das System. Denn das System funktioniert am besten mit Menschen die nicht identisch, die entfremdet sind. Also sind sie eine Bedrohung, weil sie der Entfremdung widersprechen, in Kopf und Händen. Und Praxis also. Und sie sind für sich selbst, und auch für mich und für alle, die da reingehen, ein Ausdruck von Menschlichkeit, indem sie bei sich geblieben sind. Siehste, also wenn ich irgendwas unheimlich finde, an mir oder an all den anderen hier draußen, dann ist es, das wir uns was vormachen. Dass wir schöne Gedanken haben, politisch vielleicht auch radikale Gedanken haben, aber `ne faule Praxis. (...) und jetzt triffst du Leute im Knast, wo diese Unheimlichkeit nicht mehr stattfindet, das ist nicht mehr getrennt, auseinander. Die sind bei sich. Das macht sie auch so, ich glaube, unschlagbar.“

Fragen an das Podium:
Ihr habt jetzt ja das Interview gehört, wie habt ihr das denn erlebt, konntet ihr Stärke aus der Knastsituation ziehen, also dass ihr euch nicht mehr in den üblichen Alltagswidersprüchen zwischen Politik, Arbeit, Uni, Schule etc. bewegen musstet oder war die Resignation, Zukunftsangst, Verlust von persönlicher Nähe zu FreundInnen und Beziehungen, usw. für euch bestimmender?

Wie steht ihr denn zu der Theorie des „großen und kleinen Knastes“, also dass Selbstbestimmung eh Illusion ist. Und die Repression im Knast nur eben direkter ist, als Draußen?

Hattet ihr den Anspruch im Knast politisch aktiv zu sein, also eure Mitgefangenen zu politisieren, aber auch sie zu unterstützen, wie waren überhaupt eure Erfahrungen mit der Solidarität unter den Gefangenen?

Hattet ihr den Eindruck, dass ihr euch den Knastmechanismen als politische Gefangene besser entziehen konntet als die übrigen Gefangenen?

Hattet ihr euch im Knast als Gefangene einer politischen Bewegung verstanden oder war es mehr so, dass ihr euch auf euch selber zurückgeworfen gefühlt habt?

Hattet ihr den Eindruck, da Solidaritätsgruppen ja doch oft aus engeren FreundInnen und Beziehungen bestehen, dass sich mit euch eher aus einem moralischem Druckmoment als aus dem Selbstverständnis einer politischen Bewegung solidarisiert wird?

Welche Strategien waren für euch am erfolgreichsten, um den Knastalltag zu bewältigen?

Wie würdet ihr es rückwirkend betrachten, stand euer Einsatz für die Bewegung im Verhältnis zum Nutzen? Das ist sicher eine Frage nach militanter Politik im Allgemeinen. Wir denken auch, dass diese Politikform sicher nicht nach einer einfach Kosten-Nutzen-Rechnung beurteilt werden kann, sondern, dass militante Aktionen wichtig sind für das kollektive Erfahren im Überschreiten von staatlich gesetzten Grenzen und sicher gibt es auch immer Politikfeder in denen militante Aktionen einfach den Rahmen in dem man agieren kann erweitern und zu einer unmittelbaren Durchsetzung von Interessen führt, die auf anderen Wegen schwierig oder gar nicht zu erreichen wären.
Allerdings denken wir auch, dass der persönliche Preis den ihr zahlen musstet hoch ist. Deshalb auch die Frage an euch, ob mit dem konsequenten Propagieren von Militanz nicht Menschen verheizt werden. Ob es wirklich immer sinnvoll ist konsequent zu handeln? Was auch zu der Frage führt, bis zu welchem Punkt man von Menschen fordert sich für die Bewegung zu opfern. Es gibt da den Ausspruch: „ein Kommunist ist ein Toter auf Urlaub“. In diesem Spruch steckt ein gutes Stück Verachtung für das eigene Leben und eine fatalistische Grundeinstellung. Und doch haben wird den Eindruck, dass genau dies Einstellung oft in der Radikalen Linken propagiert wird. Wie steht ihr dazu, ist vielleicht so ein Bisschen Fatalismus unabdingbar, um überhaupt konsequente Politik machen zu können?

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