Don´t
let the System get you down! - Aufruf zur Antirepressions-Demonstration
Samstag, 18. März 2006 (Tag der politischen Gefangenen) 14.00 Uhr
Hauptbahnhof Potsdam
Potsdam
Seit dem 18. Juni 2005 ermittelt die Staatsanwaltschaft Potsdam
gegen fünf AntifaschistInnen wegen versuchten Mordes. Damals soll
es zu einem "Zusammenstoß zwischen rechten und linken Jugendlichen"
gekommen sein, bei dem ein einschlägig bekannter Neonazi eine Platzwunde
davon getragen haben soll.
Dies nahm die Staatsanwaltschaft Potsdam zum Anlass, fünf AntifaschistInnen
wegen versuchten Mordes anzuklagen. Eine Betroffene saß fünf
Monate in Untersuchungshaft. Die anderen vier Beschuldigten wurden aufgrund
ihres jugendlichen Alters unter Auflagen und gegen extrem hohe Kautionen
auf freien Fuß gesetzt. Die Anklage wegen versuchten Mordes beruht
auf der Behauptung, die AntifaschistInnen wären an dem "Zusammenstoß"
beteiligt gewesen und hätten dabei den Tod des Nazis "billigend
in Kauf genommen". Außerdem wären AntifaschistInnen generell
der Meinung, man dürfe Nazis töten, dies sei eine "sittlich
tiefst stehende" Motivation, Antifaschismus mithin eine niedere Gesinnung.
Sollte die Staatsanwaltschaft mit dieser Konstruktion durchkommen, würden
sich die Möglichkeiten der Repressionsorgane, gegen Antifas vorzugehen,
enorm erweitern.
Frankfurt/Oder
Verschärfte Verfolgung erfahren Antifas auch in Frankfurt (Oder).
Eine selbstbewusster auftretende radikale Linke in der Stadt bereitet
den Behörden wohl Kopfzerbrechen. Zur Einschüchterung überzieht
das Frankfurter Staatsschutzkommissariat seit zwei Jahren Antifas mit
Ermittlungsverfahren, ohne Verdachtsmomente gegen sie äußern
zu können. Zur Last gelegt werden ihnen militante Aktionen, wie Angriffe
auf die Ausländerbehörde, den Nachthimmel erhellende Naziautos,
eine entglaste CDU-Zentrale oder omnipräsente Graffities.
Begleitung finden die unhaltbaren Vorwürfe in einer dreistelligen
Anzahl von Vorladungen, widerrechtlichen Hausdurchsuchungen und DNA-Entnahmen.
Juristischer Druck brachte die Einstellung von ca. 30 Verfahren und ein
Zurechtweisen der Ermittler durch Gerichte wegen unrechtmäßigem
Vorgehen. Seit dem Brand eines Wahlkampfbusses des Brandenburger Wirtschaftsministers
darf das LKA das Treiben des Staatsschutzes mit ebenso unhaltbaren Vorwürfen,
aber deutlich höherem Druck durch Observationen und dem Anwerben
eines/r Informanten/In, fortsetzen. Ihr Ziel ist durchsichtig: Die durch
die juristische Abwehr der Maßnahmen erheblich belasteten Antifas
sollen isoliert und finanziell ruiniert werden. Mit dem Versuch, bei der
Bundesanwaltschaft ein
§129 Verfahren gegen sie zu eröffnen, will das LKA nun in die
Offensive gehen um die radikale Linke der Stadt einzuschüchtern.
Berlin
Im Juli letzten Jahres durchsuchten hunderte Polizisten ein Dutzend Wohnungen
von Antifas, denen sie eine Schlägerei mit Nazis vorwarfen. Das brutale
Vorgehen bei den Durchsuchungen und die Konstruktion des Vorwurfs aufgrund
von Aussagen bekannter Nazischläger, ließ vermuten, dass Polizei
und Staatsanwaltschaft eine gezielte Kampagne gegen die Antifa fuhren.
Wahrscheinlich als Ausgleich zum Verbot der Kameradschaften BASO und Tor
im März 2005. Ende August folgte dann der nächste Schlag, bei
dem es linke Lokalitäten, Büros und Wohnungen traf, die mit
einem Aufruf rechte Wahlwerbung zu entsorgen, in Verbindung gebracht wurden.
Mehrere hundert Menschen wurden wegen dieses "Tatvorwurfs" kontrolliert
oder festgenommen und die "Zufallsfunde", umfassende Informationen
über die Linke Berlins waren für die Polizei durchaus von Bedeutung.
Im November begann dann der Prozess gegen den Antifaschisten Christian
S. Dieser sollte nach Meinung der Polizei zusammen mit seiner Verlobten
in Dresden am 13. Februar 2005 den Landfrieden durch Werfen einer Flasche
in Richtung von Polizisten, die einen Naziaufmarsch schützten, gebrochen
haben. Seit dem saß er in Untersuchungshaft. Die offensive Prozessführung
der Angeklagten zwang das LKA Berlin zu einem immer fragwürdigeren
Handeln. Die LKA-Zeugen traten "identitätsverschleiert"
mit falschem Bart, und nur durch eine Codenummer identifizierbar auf.
Das LKA schuf hier ein Übungsfeld für politische Geheimprozesse,
Aussagen waren abgesprochen und die Öffentlichkeit sollte aus dem
Gerichtssaal ferngehalten werden. Die Offensive des LKA im Prozess wandelte
sich in eine Defensive, als sich herausstellte, wie halblegal dieses Repressionsorgan
arbeitet. Christian wurde ein Deal angeboten und er wurde aus der Untersuchungshaft
entlassen, nur damit der Prozess schnell ein Ende fand.
Seine Verurteilung orientierte sich an der bereits verbüßten
Untersuchungshaft von elf Monaten, obwohl klar war, dass nie eine Flasche
geworfen wurde.
Magdeburg
Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg fand 2005 der Revisionsprozess
gegen Daniel statt. Ihm wurde vorgeworfen, mit anderen Mitgliedern des
"Autonomen Zusammenschlusses Magdeburg", Anschläge auf
das LKA Sachsen-Anhalt und ein Polizeifahrzeug verübt zu haben. Bereits
2003 war die Bundesanwaltschaft mit ihrem Konstrukt der "Bildung
einer terroristischen Vereinigung" nach § 129a gescheitert.
Das OLG musste Carsten, einen Mitangeklagten von Daniel, freisprechen.
Ein weiterer Angeklagter, Marco, wurde zu zweieinhalb Jahren Haft ohne
Bewährung verurteilt. Beide saßen in Beugehaft, weil sie im
Verfahren gegen Daniel die Aussagen verweigerten. Zudem wurden 14 FreundInnen
und Verwandte des Angeklagten mit Beugehaft bedroht, sollten sie ihr Recht
auf Aussageverweigerung wahrnehmen. Die Ermittlungen des BKA hatten mit
Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Z.B. erpressten Beamte die Aussage
eines Antifas, indem sie drohten, ihn in Fesseln seinem herzkranken Großvater
vorzuführen und diesem von seiner Homosexualität zu berichten.
Außerdem wirkten in der Revisionsverhandlung gegen Daniel zwei Richter
mit, die auch in den früheren Prozessen tätig waren. Das OLG
verurteilte am 22. November
2005 Daniel
zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung nach § 129a. Beamte des BKA
machten in dem Verfahren nur eingeschränkte Angaben, weil sie nach
eigenen Aussagen noch immer in laufenden Ermittlungen integriert seien.
Da nicht nur Marco, Daniel und Carsten, sondern eine Vielzahl von Menschen
in Magdeburg von Ermittlungsverfahren im Zuge des ersten Verfahrens betroffen
waren, droht ihnen nun eine erneute Ermittlung und unter Umständen
auch eine Anklage.
Das allgemeine repressive Hintergrundrauschen
Neben diesen lokal oder regional spektakulären Ermittlungsverfahren
sind wir mit einem gesellschaftlichen Klima konfrontiert, das immer repressiver
wird. Dem von der herrschenden Norm abweichenden Verhalten wird nachdrücklicher
zu Leibe gerückt, als noch vor einigen Jahren. Bestes Beispiel ist
aktuell die Kriminalisierung von Grafitti. Zu diesem m Zweck ist vor kurzem
extra das Strafgesetzbuch geändert worden. Aber auch für "Straftaten"
auf Demonstrationen fallen die Urteile tendenziell immer schärfer
aus. Nicht nur im Bereich des Strafrechtes können wir diese Beobachtung
machen. Ob es sich um die Ausweitung der Videoüberwachung von Plätzen,
Straßen, Einkaufscentern, handelt oder um Kontrollanrufe und - besuche
bei "Harz IV" - EmpfängerInnen; ob vermehrt Telefongespräche
mitgehört werden oder die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten
nach und nach verschwindet: staatliche Kontrollmechanismen werden derzeit
massiv ausgebaut. Daneben werden Repressionsinstrumente wie Berufsverbote,
die der Vergangenheit anzugehören schienen wieder ausgepackt.
Die öffentliche Debatte um Sicherheitspolitik ist während dessen
längst mit den ganz großen Fragen beschäftigt. Täglich
fallen in den Medien die "Tabus".
Foltern? Aber nur, wenn es auch Erfolg verspricht und rechtsstaatlich
geregelt ist. Bundeswehreinsatz im Inneren zum Schutz der Fußball
WM? Unklar ist eigentlich nur noch, ob auch Panzer eingesetzt werden sollen.
Was solls?
Eine in sich konsistente und umfassende Analyse des aktuellen Repressionsgeschehens
können wir hier noch nicht vorlegen. Klar ist aber, dass wir die
Repression, die uns als Linke trifft, nicht losgelöst davon betrachten
können, dass auch SchwarzfahrerInnen, DiebInnen, DrogenhändlerInnen
etc. mit immer härteren Strafen rechnen müssen. Es ist zu beobachten,
dass das Wohlverhalten bestimmter Teile der Bevölkerung, nicht mehr
- wie in den letzten Jahrzehnten - durch soziale Transferleistungen erkauft
wird. Das Stillhalten von sozialen oder politischen Risikogruppen soll
stattdessen mit verschärfter Repression sichergestellt werden. Damit
diese effektiv funktionieren kann, müssen Kontroll- und Überwachungsmechanismen
ausgebaut werden. Bisher wurde die Fähigkeit der "soziale Marktwirtschaft"
zur Befriedung sozialer Konflikte durch Einbindung propagiert, was immer
auch über Wohlstandschauvinismus funktionierte. An diese Stelle tritt
jetzt eine pur nationalistische
Mobilisierungskampagne: auch wenn Du nix hast, bist Du immer noch Deutschland.
Diese Gleichzeitigkeit von massiver Ausweitung staatlicher Kontrolle und
Verschärfung der Repressionsinstrumente einerseits und einer nationalistischen
Mobilisierung andererseits sehen wir am deutlichsten anlässlich der
in diesem Jahr in Deutschland stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft.
Was tun?
Mit dieser Situation sind wir als politisch aktive Menschen konfrontiert.
Wenn wir uns als "die Linke" bezeichnen, vertuschen wir einen
Teil des Problems. Es gibt derzeit keine Bewegung, die nach dem Motto
"Getroffen sind einige - gemeint sind wir alle" gemeinsam aufsteht
und sich gegen Repression zur Wehr setzt, wenn in Hinterposemuckel oder
Berlin das nächste krasse Verfahren läuft.
Die Realität sieht eher so aus, dass die Betroffenen allzu oft von
einem viel zu kleinen Kreis von FreundInnen, GenossInnen und Angehörigen
unterstützt werden, die damit eine immense Last zu schultern haben.
Unter diesen Bedingungen muss die politische Prozessführung oft hinter
juristischer und sozialer Schadensbegrenzung zurücktreten. Der Repression
können wir so viel zu selten etwas offensiv entgegensetzen.
Diese Situation bietet genug Anlass zum Verzweifeln. Allerdings auch genug
Motivation zu sagen: Es reicht! Die beschriebenen Verhältnisse zu
bedauern, die Welt zu verfluchen und seine eigene Paranoia zu pflegen
ist das eine.
Das andere
ist es, sich dem entgegen zustellen. An unserer Kritik an Staat und Gesellschaft
zu feilen, dabei die Grenzen der eigenen Gruppe, des eigenen Szenebiotops
und der eigenen Stadt zu überschreiten wäre dabei schon mal
ein Schritt in die richtige Richtung. Die Parole "Solidarität"
wird praktisch wirksam, wenn die Vereinzelung vor Staatsanwalt und Richter
nicht mehr funktioniert, wenn diejenigen, die von Repression betroffen
sind, sich darauf verlassen können, dass sie diesen Kampf nicht alleine
führen müssen. Damit das der Fall wird, haben wir - dass heißt
Soligruppen zu den oben beschriebenen Verfahren in Potsdam, Frankfurt/Oder,
Berlin und Magdeburg - in den letzten Monaten einen gemeinsamen Diskussions-
und Vernetzungsprozess begonnen. Gegenseitig versuchen wir, uns bei politischen
Aktionen zu unterstützen, Erfahrungen, Wissen und Analysen auszutauschen
und gemeinsam zu diskutieren, um durch eine gegenseitige Bezugnahme der
Vereinzelung entgegenzuwirken. Mit einer gemeinsamen Demo wollen wir diesen
Prozesses vertiefen und intensivieren und auch für all jene öffnen,
deren Repressionserfahrungen sonst nicht im Licht der Öffentlichkeit
stehen.
Und letztlich halten wir es immer noch für das
Beste, die Frage, wem die Straße und die Welt gehören, immer
mal wieder laut und vernehmlich zu stellen.
Deswegen rufen wir Euch auf, mit uns am "Tag der politischen Gefangenen"
in Potsdam zu demonstrieren. Ganz unmittelbar wollen wir damit die in
Potsdam und Frankfurt/Oder von Repression Betroffenen in ihren Verfahren
unterstützen. Wir wollen unsere Solidarität mit Christian in
Berlin und den Magdeburgern zeigen und auch mit all jenen, die nicht in
prominenten Verfahren vor Gericht stehen, sondern mit der ganz normalen,
alltäglichen politischen Repression konfrontiert sind.
>>> Antirepressionsdemo.tk
>>> Rote
Hilfe Brandenburg
Berichte
500 bei Antirepressionsdemo in Potsdam
http://de.indymedia.org/2006/03/141672.shtml
"antirepressionsdemo"
in potsdam
http://de.indymedia.org/2006/03/141620.shtml
Bilder
ADF
Berlin
Was lief sonst noch
am Tag der politschen Gefangenen 2006
18.3. Demo Berlin | gg. Krieg & für Freiheit
http://de.indymedia.org/2006/03/141763.shtml
Nürnberger Knast
mit Farbbeuteln angegriffen
http://de.indymedia.org/2006/03/141731.shtml
18.03 Kundgebung , Stuttgart, Stammheim
http://de.indymedia.org/2006/03/141700.shtml
Bericht Radldemo 18.
März München
http://de.indymedia.org/2006/03/141736.shtml
Aktionstag 18. März
in Trier
http://de.indymedia.org/2006/03/141562.shtml
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Veranstaltung - Knastcafe
Knastcafe: 14. März
// 20 Uhr // Zielona Gora (Grünbergerstr.73)
Mythos Knast entzaubern. Schon mal mit nem Knacki gelabert? Bei der Veranstaltung
sollen Knasterfahrungen ausgetauscht und damit die individuelle Angst
vor dem militantesten Mittel des Staates gegen politische AktivistInnen
genommen werden.
Knast als Damoklesschwert, das an einem
seidenen Faden über uns baumelt - wie wir Knast wahrnehmen und mit
dieser Bedrohung durch den Staat umgehen, bzw. welche Strategien entwickelt
werden können, wenn der seidene Faden gerissen ist.
Knastcafe- Gespräche mit ehemaligen politischen Gefangenen über
Repression, Knastalltag und politische Bewegung. Eine Veranstaltung im
Rahmen des 18.3. Tag des politischen Gefangenen.
Knast ist für uns alle hier eine reale, mögliche Bedrohung,
weil Menschen unter uns im Knast waren und es immer noch sind, weil wir
als politisch handelnde Menschen immer damit konfrontiert werden, in den
Knast gesperrt zu werden, von GenossInnen getrennt, mit der uns bedrohenden
Situation allein. Knast ist das Gebiet der Konfrontation, das unseren
Handlungsspielraum auf ein Minimales reduziert. Er ist aber auch das Gebiet,
wo sich unsere Identität, unser Wille lebendig zu bleiben fortsetzen
muss, wenn wir nicht an der Gewalt der staatlichen Institution zerbrechen
wollen.
Dies jedoch nicht in aller Konsequenz wahrzunehmen, ist einfach. Denn,
zwar stimmt es das Isolation und „Verknastung“ nicht Ausnahmesituation,
sondern gesamtgesellschaftliches Prinzip sind (wir sprechen hier von der
Lohnarbeit, der Uni und Schule, den Psychatrien, den Heimen, den Sozialämtern
und all den anderen Zwangsanstalten), jedoch ist der Knast eine totalere,
eine direktere Unterdrückung. Und es stimmt eben auch, dass die Repression
hier (noch) nicht so offen gewalttätig ist, als dass es nicht doch
noch Nischen und Freiräume gäbe, in die wir uns zurückziehen
könnten.
Die Frage ist dann nur welchen Illusionen wir uns hingeben, in einem scheinbar
selbstbestimmten Leben, in der wir die Bedrohung mit Knast durch den Staat
nicht mehr ständig wahrnehmen.
Dann steht da auch die Frage, was jede einzelne von uns mit Knast zu tun
hat. Haben wir uns nur mit Gefangenen aus einem moralischem Druckmoment
solidarisiert oder aus einem Selbstverständnis von einer kämpferischen
Bewegung? Das ist sicher nicht nur eine Frage der einzelnen Solidaritätskampagnen,
sondern die Frage nach unserer politischen Bewegung überhaupt. Was
Knast bedeutet, wie sich dazu und darin verhalten, darüber muss sich
jede Gruppe, die hier politisch arbeiten will, auseinandersetzen. Wie
mit Verhaftung, Verhör, Prozess, Wachteln und Knastalltag umzugehen
ist. Das sind nicht nur technische Fragen, denn einem politischem Problem
mit technischen Lösungen beikommen zu wollen, wäre von Anfang
an zum Scheitern verurteilt.
Veranstaltungsverlauf
Da viele nicht auf der Veranstlatung sein konnten,
wir aber trotzdem weitervermitteln worum sich die Gespräche drehten,
hier mal die Fragen die mit den ehemaligen politischen Gefangenen diskutiert
wurden.
Um die Diskussion einzuleiten wurde ein
Teil eines Interviews von Christian Geissler zum Hungerstreik der RAF-
Gefangenen von 1981 vorgelesen. Zu dem Interview ist vorher anzumerken,
dass einige Begriffe aus unserer heutigen Perspektive anachronistisch
anmuten. Z.B. wird viel von Vernichtung oder Entfremdungssystem geredet.
Für uns wirkt der Begriff der physischen Vernichtung sicher überzogen,
doch muss man dabei bedenken, dass die physische Vernichtung von Gefangenen
damals durchaus der Realität entsprochen hat. Auf uns hat der Text
auch zu pathetisch gewirkt. Kritisch fanden wir auch vor allem, dass den
Menschen kein Recht auf persönliches Glück eingeräumt wird,
sondern Knast als die logische und auch erstrebenswerte Folge der Zuspitzung
der Verhältnisse dargestellt wird, die es anzustreben gilt.
Wir möchten den Text aber trotzdem vorstellen, da er eine Verschiebung
in der Solidarität der Radikalen Linken zu ihren Gefangenen deutlich
macht. Wurden die Gefangen früher als eine logische Folge des politischen
Kampfes wahrgenommen, liegen die Schwerpunkte der Solidarität heute
eher in der angeblichen Unschuld der Gefangenen oder, wenn eine Tat nicht
mehr zu leugnen ist, konzentriert sich die Kritik an einer zu hohen Strafe
oder ähnlichem.
„Erst mal, sagen wir mal, Vernichtung von denen, die
gefangen sind. Es stimmt zwar, finde ich auch, dass Vernichtung ganz logisch
sich auf den richtet, der das Entfremdungssystem, das gegen den Menschen
gerichtet ist, eben angreift. Wer was angreift, wer was konsequent angreift,
der ist natürlich auch mit Vernichtung, sei es physischer Vernichtung
oder auch nur mentaler Vernichtung, bedroht. Das wollen sie auf jeden
Fall. Sie wollen zwar leben lassen hier draußen, aber wenn du deinen
Widerstanskopf behälts, den möchten sie schon auslöschen.
Sonst funktioniert ja hier nichts mehr. Also gut, das richtet sich auf
dich aus.
Aber erst mal, und zwar ganz sicher, auf diese gefangenen Menschen. Fest
steht, dass sie eine besondere Klarheit haben, insofern sie nicht mehr
ihre Gedanken, ihr politische Wissen abtrennen lassen, von ihren Händen
sag ich immer. Also ich kenn aus all meinen Besuchen nur Menschen, aus
all diesen Knastbesuchen nur Menschen, die identisch sind, mit Denken
und Handeln. Und das macht sie, glaub ich auch einerseits so bedrohlich
für das System. Denn das System funktioniert am besten mit Menschen
die nicht identisch, die entfremdet sind. Also sind sie eine Bedrohung,
weil sie der Entfremdung widersprechen, in Kopf und Händen. Und Praxis
also. Und sie sind für sich selbst, und auch für mich und für
alle, die da reingehen, ein Ausdruck von Menschlichkeit, indem sie bei
sich geblieben sind. Siehste, also wenn ich irgendwas unheimlich finde,
an mir oder an all den anderen hier draußen, dann ist es, das wir
uns was vormachen. Dass wir schöne Gedanken haben, politisch vielleicht
auch radikale Gedanken haben, aber `ne faule Praxis. (...) und jetzt triffst
du Leute im Knast, wo diese Unheimlichkeit nicht mehr stattfindet, das
ist nicht mehr getrennt, auseinander. Die sind bei sich. Das macht sie
auch so, ich glaube, unschlagbar.“
Fragen an das Podium:
Ihr habt jetzt ja das Interview gehört, wie habt ihr das denn erlebt,
konntet ihr Stärke aus der Knastsituation ziehen, also dass ihr euch
nicht mehr in den üblichen Alltagswidersprüchen zwischen Politik,
Arbeit, Uni, Schule etc. bewegen musstet oder war die Resignation, Zukunftsangst,
Verlust von persönlicher Nähe zu FreundInnen und Beziehungen,
usw. für euch bestimmender?
Wie steht ihr denn zu der Theorie des „großen
und kleinen Knastes“, also dass Selbstbestimmung eh Illusion ist.
Und die Repression im Knast nur eben direkter ist, als Draußen?
Hattet ihr den Anspruch im Knast politisch aktiv zu sein,
also eure Mitgefangenen zu politisieren, aber auch sie zu unterstützen,
wie waren überhaupt eure Erfahrungen mit der Solidarität unter
den Gefangenen?
Hattet ihr den Eindruck, dass ihr euch den Knastmechanismen
als politische Gefangene besser entziehen konntet als die übrigen
Gefangenen?
Hattet ihr euch im Knast als Gefangene einer politischen
Bewegung verstanden oder war es mehr so, dass ihr euch auf euch selber
zurückgeworfen gefühlt habt?
Hattet ihr den Eindruck, da Solidaritätsgruppen ja
doch oft aus engeren FreundInnen und Beziehungen bestehen, dass sich mit
euch eher aus einem moralischem Druckmoment als aus dem Selbstverständnis
einer politischen Bewegung solidarisiert wird?
Welche Strategien waren für euch am erfolgreichsten,
um den Knastalltag zu bewältigen?
Wie würdet ihr es rückwirkend betrachten, stand
euer Einsatz für die Bewegung im Verhältnis zum Nutzen? Das
ist sicher eine Frage nach militanter Politik im Allgemeinen. Wir denken
auch, dass diese Politikform sicher nicht nach einer einfach Kosten-Nutzen-Rechnung
beurteilt werden kann, sondern, dass militante Aktionen wichtig sind für
das kollektive Erfahren im Überschreiten von staatlich gesetzten
Grenzen und sicher gibt es auch immer Politikfeder in denen militante
Aktionen einfach den Rahmen in dem man agieren kann erweitern und zu einer
unmittelbaren Durchsetzung von Interessen führt, die auf anderen
Wegen schwierig oder gar nicht zu erreichen wären.
Allerdings denken wir auch, dass der persönliche Preis den ihr zahlen
musstet hoch ist. Deshalb auch die Frage an euch, ob mit dem konsequenten
Propagieren von Militanz nicht Menschen verheizt werden. Ob es wirklich
immer sinnvoll ist konsequent zu handeln? Was auch zu der Frage führt,
bis zu welchem Punkt man von Menschen fordert sich für die Bewegung
zu opfern. Es gibt da den Ausspruch: „ein Kommunist ist ein Toter
auf Urlaub“. In diesem Spruch steckt ein gutes Stück Verachtung
für das eigene Leben und eine fatalistische Grundeinstellung. Und
doch haben wird den Eindruck, dass genau dies Einstellung oft in der Radikalen
Linken propagiert wird. Wie steht ihr dazu, ist vielleicht so ein Bisschen
Fatalismus unabdingbar, um überhaupt konsequente Politik machen zu
können?
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