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Presse
04.12.2008 Jungle World
Kein Bier vor Vier!
Die Kampagne »Servicewüste für Nazis« dient nur
dem eigenen Wohlbefinden, ihr fehlt das antifaschistische Verständnis.
Disko von Ivo Bozic
Die Aufkleber fürs Schaufenster gibt
es gratis: »Für Nazis keine Happy Hour«. Auch sonst kostet
die Kampagne die Gewerbetreibenden nichts. Dass ein Nazi mit Glatze, Bomberjacke
und/oder »Thor-Steinar«-Klamotten in ein Geschäft in
Berlin-Friedrichshain stiefelt und einen Latte Macchiato verlangt,
kommt zwar sicher gelegentlich vor, aber auf solche Kunden zu verzichten,
würde wohl keine Kneipe und kein Bistro finanziell in Bedrängnis
bringen. Handelte es sich nicht um eine Anti-Nazi-, sondern um eine antifaschistische
Kampagne, wäre das anders. Dann müsste auf den Aufklebern jedoch
auch etwas anderes stehen, etwa »Kein Bier für Rassisten«,
oder »Keine Pizza für Antisemiten«, »Keinen Kaffee
für Nationalisten und Chauvinisten«, »Keinen Caipi
für Sexisten«, oder auch im Schuhgeschäft: »Keine
Schuhe für Holocaustleugner«.
Damit allerdings müssten die Läden, Clubs und Bars einen Großteil
ihrer Kunden abschreiben. Einer aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung
zufolge sind 32 Prozent der Ost- und 18 Prozent der Westdeutschen ausländerfeindlich,
acht Prozent der Ost- und über neun Prozent der Westdeutschen Antisemiten,
über ein »geschlossenes rechtsextremes Weltbild« verfügen
bundesweit 7,6 Prozent der Bevölkerung. Die wenigsten von ihnen verstehen
sich als Nazis. Sie sind es, aber sie wissen es nicht. Sie wählen
womöglich die CDU oder gar die Linkspartei, manche von ihnen sind
vielleicht auch 70 Jahre alt und würden einen »Thor-Steinar«-Pullover
nicht einmal dann anziehen, wenn sie ihn vom Enkel zu Weihnachten geschenkt
bekämen. Wenn sie die Imbissstube betreten, um ihre Currywurst zu
bestellen, grüßen sie nicht mit »Heil Hitler«,
und dass der Aufkleber an der Wurstbude ihnen gilt, darauf würden
sie nie im Leben kommen – und er gilt ja auch nicht ihnen.
Das Problem, das Gewerbetreibende bei dieser Kampagne haben, ist nicht
nur, dass sie die Rassisten, Antisemiten und Nationalisten nicht
erkennen, sondern dass sie sie auch gar nicht als Kunden verlieren wollen
oder können, egal wie sehr sie gegen Nazis sind. Und drum ist die
Kampagne »Servicewüste für Nazis« eine wohlfeile
Gutmenschen-Aktion ohne Konsequenzen, um sich gut zu fühlen. Das
Schlimme am Nazi ist ja nicht, dass er wie ein Nazi aussieht oder sich
selbst als Nazi sieht, sondern dass er beispielsweise Rassist oder Antisemit
ist. Das sind andere aber auch. Es könnte sogar ein Nicht-Deutscher
sein, dem man das Bier verweigern müsste. Und ist nicht ein Innenminister,
der die Abschiebung von Flüchtlingen verantwortet, ein ernster zu
nehmender Rassist als ein dumpfer Prolet, der einfach »was gegen
Kanaken« hat? Wo soll das enden? Bei Aufklebern wie »Keinen
Schnaps für Angestellte von Abschiebegefängnissen«,
»Keinen Döner für Islamisten«, »Keine Cola
für Menschen mit verkürzter Kapitalismuskritik«?
Hier offenbart sich, in welcher Sackgasse die gesamte Antifa und auch
die bürgerlichen Bündnisse gegen Rechts stecken – ebenso
die Kampagnen gegen »Thor-Steinar«. Gegen rechtes Gedankengut
in der Gesellschaft hilft das alles nicht. Gegen Nazis zu sein, ist noch
lange kein Antifaschismus.
Dass diese Kampagne im ehemaligen Hausbesetzer-Kiez in Berlin-Friedrichshain
durchgeführt wird, zeigt überdies, dass ihr Motiv vor allem
ist, den »eigenen Kiez« sauber zu halten. »Servicewüste
für Nazis« – in der Sächsischen Schweiz wäre
das eine wagemutige Aktion. Mal abgesehen davon, dass die Region ohnehin
insgesamt eine Servicewüste ist, wäre es dort für Kneipenwirte
und Bäcker tatsächlich mehr als ein billiges Bekenntnis, das
nur das eigene Wohlgefühl erhöht. Vermutlich würden sie
sich mit entsprechenden Aufklebern in ihren bald zerschmetterten Schaufenstern
auch alles andere als wohl fühlen. Man kann sich allerdings vorstellen,
was die Gewerbetreibenden in der Sächsischen Schweiz viel eher auf
ihre Aufkleber drucken lassen würden: »Keinen Broiler für
Linke«, »Keinen Futschi für Fidschis«, »Für
Asylanten keine Happy Hour«.
Natürlich sind Nazis ein Problem, vor allem, wenn sie männlich
und jung und somit latent gewaltbereit sind. Das größere
Problem aber ist die der Rechtsextremismus-Studie zufolge im Osten
sogar zunehmende Verbreitung von autoritärem, nationalistischem,
faschistischem Gedankengut. Dagegen helfen aber keine Aufkleber. Würden
sie das, hätten sich die Rote Armee und die Royal Air Force viel
Stress ersparen können.
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Presse
3.12.2008 Berliner Woche
Servicewüste für Nazis
Wie Friedrichshain zum Rechts-freien Raum werden soll.
Friedrichshain.Der Stadtteil entwickelt
sich seit einiger Zeit zu einem weiteren Betätigungsfeld für
Neonazis. Allein in diesem Jahr zählte die Opferberatungsstelle „Reach
Out" bereits 26 Übergriffe mit rechtsradikalern Hintergrund.
Gegen das verstärkte Auftreten verschiedener Fascho-Formationen macht
inzwischen unter anderem die „Bürgerinitiative gegen Rechts"
mobil. Im Frühjahr entwickelte sie einen Button mit der Aufschrift
„Servicewüste für Nazis", der, ebenso wie ähnliche
Texte inzwischen an vielen Geschäften angebracht wurde. Für
die Gewerbetreibenden hat die Initiative jetzt auch eine Broschüre
erstellt, die zahlreiche Tipps zum richtigen Umgang, oder besser Nicht-Umgang
mit brauner Kundschaft liefert.
„Wir wenden uns dabei speziell an die Gastronomen", sagt die
Vorsitzende Canan Bayram. Denn nach Ansicht. der Rechtsanwältin und
SPD-Abgeordneten muss es gerade im Interesse der Wirte liegen, dass ihre
Lokale nicht in den Ruf einer „Nazi-Kneipe" kommen. „Sie
haben dadurch einen finanziellen Schaden, weil andere Gäste abgeschreckt
werden." Um dieses Klientel erst gar nicht zu einem Besuch zu animieren,
sollten sich die Besitzer zum Beispiel schon durch das Auslegen von entsprechendem
Informationsmaterial klar zu positionieren. Bei geschlossenen Versammlungen
wird ihnen nahe gelegt, eine Vereinbarung abzuschließen, nach der
rechtsextreme, fremdenfeindliche oder rassistische Inhalte untersagt sind.
Und sie können sich natürlich auf ihr Hausrecht berufen und
damit unliebsamen Personen Lokalverbot erteilen.
Auch um häufig latenten Rassismus, geht es der Initiative. Gerade
verbale Attacken kämen häufig nicht zur Anzeige, sagt Helga
Zeil von Reach Out. Und bei den Gewalttätigkeiten
gibt es oft eine Diskrepanz zu den Zahlen, die die Opferberatung oder
andere Aktionsbündnisse registrieren und dem was die Polizei als
eindeutig rechtsradikalen Hintergrund einordnet. „Das liegt zum
einen daran, dass wir, über weitere Quellen verfügen."
Außerdem laufen bei den Ermittlern manche solcher Vorfälle
auch als gewöhnlichen Schlägereien oder Raubtaten. „Darüber
entscheiden die Beamten vor Ort. Allerdings bestreitet auch die Polizei
mittlerweile nicht mehr, dass es ein Problem mit Rechtsradikalismus in
Friedrichshain gibt."
Zu lösen sei das nur mit einem verstärkten zivilgesellschaftlichem
Engagement, so Canan Bayram. Nazis lassen sich durch gemeinsames Handeln
zurückdrängen„ ist auch .die Grünen-Abgeordnete Clara
Herrmann überzeugt. Sie verweist auf dieAktionen der :Geschäftsleute
in der Münzstraße in Mitte, als dort ein „ThorSteinar-Laden"
aufmachte. „Es entstand ein Miteinander in diesem Kiez, das ', seither
anhält."
Ein Geschäft, dass dieses bei Rechtsradikalen beliebte Label betreibt,
befindet sich bisher
auch im RingCenter. Das dortige Center-Management hat mittlerweile eine
Räumungsklage gegen den Betreiber laufen. Gerade diese Vorkommnisse
hätten auch das Bezirksamt noch einmal sensibilisiert, so Wirtschaftsstadtrat
Dr. Peter Beckers (SPD). ,Es braucht eine ständige Auseinandersetzung
mit diesem Thema."
Und manchmal auch ein beherztes Eingreifen. Das zeigte ein junger Mann
im Frühjahr auf dem S-Bahnhof Frankfurter Allee. Eine Frau hatte
dort zuvor einen Afrikaner zunächst rassistisch beschimpft und ihn
dann ins Gleisbett geworfen. Der Augenzeuge kam dem Opfer sofort zu Hilfe
und es gelang ihm, den Mann kurz vor der einfahrenden S-Bahn von den Gleisen
zu ziehen. Für seinen Leben rettenden Einsatz wurde er vor einigen
Wochen von der Bürgerinitiative ausgezeichnet.
Weitere Informationen zur Initiative gegen Rechts gibt es im Internet:
www.initiantivegegenrechts.de. Regelmäßige Treffen sind an
jedem ersten Dienstag im Monat ab 19 Uhr im Mieterladen, Kreutzigerstraße
23. Donnerstags zwischen 17 und 19 Uhr eine Hotline geschaltet: 74 07
88 31.
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Presse
29.11.2008 Berliner Abendblatt
Gegen das Wegsehen
Start der Aktion: Servicewüste für Nazis
Friedrichshain. Neonazis, ihr habt
in unserem Kiez nichts zu suchen! Das ist die Botschaft, die mit einer
neuen Aktion in ganz Friedrichshain verbreitet werden soll. Sie nennt
sich „Servicewüste für Nazis". Auf die Beine gestellt
wurde die Aktion jetzt von der Initiative gegen Rechts und dem Bezirksamt.
Damit sollen die Gewerbetreibenden in Friedrichshain zum Mitmachen aufgefordert
werden.
Im günstigsten Fall soll damit erreicht werden, dass Leuten aus der
rechten Szene zu Kneipen und Geschäften der Zutritt verweigert wird.
So können die Gastronomen und Ladeninhaber ein Logo an die Tür
kleben mit der Aufschrift: „Für Nazis keine Happy Hour".
Darüber hinaus erhalten die interessierten Gewerbetreibenden eine
Mappe mit einer Checkliste zum Umgang mit rechtsextremer Kundschaft, Informationen
über neonazistische Symbole und beliebte Modemarken der Szene sowie
Adressen von Beratungsstellen.
„Wir wollen ein Friedrichshain, dass frei ist von rechten Parolen,
Schlägern und Alltagsrassisten", sagt die türkisch-stämmige
Berliner SPD-Abgeordnete Canan Bayram und Mitglied in der Initiative gegen
Rechts. „Jede rechte Kneipe und jeder rechte Treff in Friedrichshain
ist überflüssig und unerwünscht. Unser Bezirk soll bunt
und vielfältig bleiben."
Und die Lage ist tatsächlich ernst: Rechtsextremismus und Rassismus
sind in Friedrichshain auf dem Vormarsch. Im ersten Halbjahr 2008 gab
es nach amtlichen Angaben bereits fünf rechtsextreme Gewalttaten
- und damit mehr als im gesamten vergangenen Jahr. Der brutalste Zwischenfall
war im März dieses Jahres der Mordversuch an einem Angolaner am S-Bahnhof
Frankfurter Allee. Das Opfer war von einer 20Jährigen aus Neukölln
erst rassistisch beschimpft und dann vor einen herannahenden Zug gestoßen
worden. Nur dank dem beherzten Eingreifen eines zufällig anwesenden
Beobachters konnte der 18-jährige Afrikaner gerettet werden.
Die Opferberatung bei rechtsextremen Gewalttaten ReachOut hat sogar für
den selben Zeitraum 18 Vorfälle gezählt. Und im vergangenen
Jahr haben sich in Friedrichshain 24, Übergriffe ereignet. Inzwischen
hat auch das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz bestätigt,
dass es im Kiez ein Problem mit rechtsextremer Gewalt gibt. Einige Übergriffe
gehen von unorganisierten Rechtsextremen und Angehörigen so genannter
Mischszenen wie den Hooligans aus. Allerdings versuchen auch organisierte
Nazis wie die „Autonomen Nationalisten" verstärkt in Friedrichshain
Fuß zu fassen. Mehrere Täter wohnen sogar hier.
Die Initiative gegen Rechts wurde nach einer Welle rechtsextremer Vorfälle
im Jahr 2006 gegründet. Sie besteht aus Kiezbewohnern, Antifaschisten,
Gewerbetreibenden, Politikern und Opferberatern. Ihr Ziel ist es, das
allgemeine Desinteresse der Anwohner zu durchbrechen. Denn das Wegschauen
sei auch ein Grund dafür, dass Menschen durch Friedrichshains Straßen
gejagt und geprügelt werden. Infos unter www initiative-gegen-rechts.de.
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Presse
24.11.2008 Neues Deutschland
Eine Servicewüste für Nazis
Wie Friedrichshain Rechte aus dem Kiez vertreiben
will / Gedenkdemo für Silvio Meier
Friedrichshain schlägt Alarm. Immer
mehr rechtsextreme Übergriffe werden registriert. Das beginnt mit
Pöbeleien und endet mit körperlichen Attacken. Im Juli wurde
eine 20-jährige Frau zu drei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe
verurteilt, weil sie auf dem S-Bahnhof Frankfurter Allee einen Angolaner
ins Gleisbett gestoßen hatte. In letzter Sekunde war der Mann vor
dem einfahrenden Zug gerettet worden. In der Samariterstraße wurde
das alternative Sama-Café von Nazis überfallen.
Nun wollen die Bürgerinitiative gegen Rechts und die Mobile Beratung
gegen Rechtsextremismus (MBR) zusammen mit Geschäftsleuten den Nazis
in Friedrichshain den Aufenthalt so schwer wie möglich machen. Mit
der Broschüre »Servicewüste für Nazis« werben
sie mit Flyern und Aufklebern wie »Für Nazis keine Happy Hour«
für einen weiterhin toleranten Kiez. Unterstützt wird die Aktion
von den Abgeordnetenhausmitgliedern Canan Bayram (SPD) und Clara Herrmann
(Grüne). Einen Teilerfolg sieht Wirtschaftsstadtrat Peter Beckers
(SPD) darin, dass dem Thor-Steinar-Laden im Ring-Center gekündigt
wurde.
In der »Handreichung für Gewerbetreibende« werden auch
Tipps gegeben, wie verhindert werden kann, dass Rechtsextreme sich in
Kneipen breit machen. Beispielsweise durch Kreativität: Per Plakat
könnte verkündet werden, dass ein Anteil von jedem Getränkepreis
an eine antirassistische Organisation geht. Oder man kann seine Kneipe
(vorübergehend) in einen Klub umwandeln. Die Klubkarten erhalten
gegen eine geringe Gebühr nur diejenigen, die man wirklich haben
will. Wenn den Nazis gezeigt wird, dass sie als Gäste unerwünscht
sind, dann hat das meist auch Erfolg, heißt es in der Broschüre.
Viele Gastronomen sehen allerdings ein Problem darin, dass Rechtsradikale
schon lange nicht mehr äußerlich erkennbar sind. Außerdem
fühlen sich Geschäftsleute oft von der Polizei allein gelassen,
wenn sie rechtsextreme Pöbeleien anzeigen. »Das wird vielfach
nicht ernst genommen«, so ein Kneipenwirt.
In der vom Verfassungsschutz veröffentlichten Studie »Rechte
Gewalt in Berlin 2003 bis 2006« wird festgestellt, dass Friedrichshain
in diesem Zeitraum nach Prenzlauer Berg und Lichtenberg der Ortsteil mit
den meisten rechtsextremen Gewalttaten war. »In diesem Jahr wurden
uns 28 Übergriffe von Rechten gemeldet«, so Annemarie Benzing
von der MBR. Zwei davon seien in Kreuzberg passiert.
An eine Gewalttat vor 16 Jahren erinnerten am Sonnabend Hunderte Demonstranten.
Am 21. November 1992 wurde der Friedrichshainer Hausbesetzer Silvio Meier
am U-Bahnhof Samariterstraße von Neonazis erstochen.
Die Polizei nahm am Rande der Demonstration, die von Friedrichshain nach
Lichtenberg zog, sieben Menschen fest – darunter fünf Rechte,
die sich entlang der Route im Lichtenberger Weitlingkiez in einem Hausflur
vermummt und mit Knüppeln bewaffnet getroffen hatten. Außerdem
wurden eine Axt, andere Schlagwerkzeuge, Quarzsandhandschuhe und Pfefferspray
beschlagnahmt. Nach Polizeiangaben verlief die Demonstration mit bis zu
1200 Teilnehmern friedlich. Die Veranstalter sprachen von rund 2000 Teilnehmern.
Zeugen berichteten von Naziprovokationen im Verlauf der Demonstration.
So hätten einige Neonazis Farbeier von einem Dach in der Weitlingstraße
auf die Antifaschisten geworfen.
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Presse
24.11.2008 TAZ
"Klar, die Aktion ist provokant"
Bei der Aktion "Service-Wüste für Nazis"
sollen Geschäftsleute nichts an Nazis verkaufen, erklärt Mitinitiatorin
Canan Bayram. Assoziationen zur Judenverfolgung der Nazis seien durchaus
gewollt. VON JENNY MARRENBACH
taz: Frau Bayram, woran
erkennt man heutzutage einen Nazi?
Canan Bayram: Eine schwierige Frage. Viele Nazis tragen ja nicht immer
offensichtliche Kleidung wie Bomberjacke und Springerstiefel. Gerade in
Berlin geht der Trend unter Nazis dahin, das Outfit der Autonomen zu übernehmen.
Ein Nazi kann nicht nur an Äußerlichkeiten erkannt werden.
Eher erkennt man ihn daran, was er tut oder sagt. Es gibt aber auch bestimmte
Symbole, nach denen man Ausschau halten kann. Zum Beispiel Kleidung der
Marke Thor Steinar.
Wo in Friedrichshain
sind besonders viele Nazis unterwegs?
Wenn man über die Biermeile läuft, findet man sie schon. Ich
war neulich beim Thailänder in der Rigaer Straße, und da kam
auch einer mit Thor-Steinar-Sachen rein.
Wie haben Sie reagiert?
Ich hab den Wirt daraufhin angesprochen, und der hat die Sache geregelt.
Und den Thor-Steinar-Träger
aus der Kneipe verwiesen?
Er hat ihm deutlich die Grenze aufgezeigt und ihm nichts zu essen verkauft.
Wie sollten Gewerbetreibende
generell reagieren, wenn Nazis in ihre Geschäfte kommen?
Sie sollten die Leute auf deren Haltung ansprechen. Dann entwickelt sich
hoffentlich ein Gespräch, bei dem der Nazi über sein Verhalten
reflektiert. Im Idealfall wäre es aber so, dass der Ladenbesitzer
deutlich macht, dass sein Angebot nicht für jeden gilt.
Genau dazu verteilt Ihre
Initiative Aufkleber für Ladenfenster, auf denen steht "Für
Nazis keine Happy Hour". Können solche Aufkleber nicht auch
falsche Assoziationen wecken, etwa an Schilder aus dem Dritten Reich,
mit denen Juden der Einlass in Geschäfte verwehrt wurde?
Selbst wenn diese Assoziation so entstehen sollte, dann ist das ja in
der Absicht gewollt. Es soll ja der Eindruck entstehen, dass die Menschen
und ihre Haltung unerwünscht sind. Im Unterschied zum Dritten Reich
gehen wir natürlich davon aus, dass ein Nazi seine Haltung ablegen
kann. Bei den Juden ging es ja um deren Herkunft. Klar, die Aktion ist
provokant - aber wir brauchen ein klares Signal. Außerdem ist es
ja eine Umkehrung der Verhältnisse von damals - nun wird der ausgrenzt,
der damals ausgegrenzt hat.
In Friedrichshain hat
es laut Statistiken der Opferberatung Reach Out in diesem Jahr 26 rassistisch
motivierte Übergriffe gegeben. Das ist mehr als in irgendeinem anderen
Stadtteil Berlins. Warum gerade Friedrichshain?
Nachforschungen haben ergeben, dass viele der Straftaten von sogenannten
Freizeitnazis begangen werden. Die kommen speziell in das eigentlich linke
Friedrichshain angereist und starten, meist alkoholisiert, Angriffe auf
Linke, Schwule, Lesben und Migranten. Manche halten sich in bestimmten
Läden auf, wie zum Beispiel dem "Jeton" in der Frankfurter
Allee. Es gab auch eine Zeit lang in der Vogtstraße eine rechte
Kneipe, im letzten Jahr wurde das "Ambrosius" von vielen Rechten
besucht.
Also gibt es einfach eine zu gute Infrastruktur
für Rechte im Kiez?
Es machen immer wieder Läden auf, die Nazis anziehen.
Aber bis auf das Jeton haben sich viele entweder von den Nazis distanziert
oder wurden geschlossen. Jetzt gerade hat ja das Ring Center einem Laden,
der Thor-Steinar-Sachen verkauft hat, gekündigt.
Ihre Initiative richtet sich gezielt an
Gewerbetreibende. Welche Bedeutung haben Kneipen- und Ladenbesitzer bei
der Arbeit gegen Nazis?
Für uns tragen sie mit an einer gesellschaftlichen
Verantwortung. Sie können dazu beitragen, dass sich Migranten hier
wohler fühlen. Außerdem gibt es auch viele Ladenbesitzer, die
selbst einen Migrationshintergrund haben - und für die ist es wichtig,
dass sie hier ohne Gefahr ihr Geschäft betreiben können.
83
Kommentare zu dem Artikel bei TAZ.de
<<< Presse
24.11.2008 Junge Welt
»Aus Trauer wird Wut«
Berlin. 1800 Antifaschisten haben am Samstag in Berlin des Hausbesetzers
Silvio Meier gedacht, der vor 16 Jahren im U-Bahnhof Samariterstraße
von Neonazis erstochen worden war. Die von mehreren hundert Polizisten
begleitete Demonstation unter dem Motto »Aus Trauer wird Wut«
startete am Nachmittag am damaligen Tatort im Stadtteil Friedrichshain
und führte nach Lichtenberg in den Weitlingkiez, eine Hochburg der
Neofaschisten. Redner erinnerten an die Opfer rechter Gewalt in Europa
und riefen dazu auf, Neonazis, ihre Ideologie und rechte Organisationen
offensiv zu bekämpfen. Im Umfeld der Demonstration nahm die Polizei
fünf junge Rechte fest und beschlagnahmte Schlagwaffen. Derzeit werde
geprüft, ob sie möglicherweise einen Angriff auf Antifaschisten
geplant haben, teilte ein Polizeisprecher ddp gegenüber mit. Bereits
am Freitag abend hatten sich rund 70 Menschen im U-Bahnhof Samariterstraße
an einer Mahnwache für Silvio Meier beteiligt.
<<< Presse
24.11.2008 Morgenpost
Sieben Festnahmen bei Kundgebung
Bei dem Aufzug zum Gedenken an Silvio Meier, der am 21. November 1992
bei einer Auseinandersetzung mit Skinheads getötet worden war, hat
die Polizei Gewalttätigkeiten zwischen Teilnehmern der Demonstration
und Angehörigen der rechten Szene verhindert.
Sie nahm in einem Hausflur an der Weitlingstraße in Lichtenberg
fünf mutmaßliche Rechtsradikale fest, die sich am Rande der
Kundgebung dort vermummt und mit Knüppeln bewaffnet zusammengefunden
hatten.
Unter dem Motto "Aus Trauer wird Wut" zogen am Sonnabend mehr
als 1 200 Linksautonome durch Friedrichshain und Lichtenberg. Die Polizei
nahm insgesamt sieben Personen vorläufig fest und sprach drei Platzverweise
aus. Gegen die fünf Angehörigen der rechten Szene wurden Ermittlungsverfahren
wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet, gegen
zwei weitere Personen Anzeigen wegen des Verwendens verfassungsfeindlicher
Symbole und wegen Beleidigung erstattet. Die Polizei beschlagnahmte zudem
mehrere Schlagwerkzeuge, Pfefferspray, eine Axt und Quarzsandhandschuhe
sowohl bei Teilnehmern als auch bei Gegnern der Veranstaltung.
Der Aufzug der linken Gruppen dauerte von 16 bis 18.30 Uhr. Er begann
am U-Bahnhof Samariterstraße, wo Silvio Meier am 21. November 1992
tödlich verletzt worden war. Der Aufzug endete am Bahnhof Lichtenberg.
Mehr als 700 Polizeibeamte begleiteten den Demonstrationszug. Versuche
einiger gewaltbereiter Autonomer, die Stimmung im Aufzug anzuheizen, fanden
nach Polizeiangaben kaum Resonanz. Bereits am Vormittag hatte die Polizei
entlang der Weitlingstraße, an der viele Rechtsradikale wohnen,
Personenkontrollen durchgeführt.
Auf der Frankfurter Allee kam es zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen.
Sie wurde zeitweise komplett für den Autoverkehr gesperrt. In der
Rigaer Straße wurden 61 Fahrzeuge umgesetzt, die den Aufzug behinderten.
Nach Polizeiangaben wurden entlang der Demonstrationstrecke 14 Fahrzeuge
beschädigt.
<<<
Presse
24.11.2008 Tagesspiegel
Silvio-Meier-Demo bleibt friedlich
Zum Gedenken an den von Neonazis ermordeten
Silvio Meier kamen am Samstag 1200 Menschen zusammen. Die traditionelle
linke Veranstaltung verlief friedlich. Es gab sieben Festnahmen, darunter
sechs Personen aus der rechten Szene, die offenbar vor hatten, den Demonstrationszug
anzugreifen.
Berlin - Mit einer Demonstration haben am Samstag nach Polizeiangaben
1200 Menschen in Berlin an den vor 16 Jahren ermordeten Hausbesetzer Silvio
Meier erinnert. Die traditionelle Veranstaltung verlief laut Polizei friedlich.
Sieben Personen wurden vorläufig festgenommen, darunter sechs mutmaßliche
Angehörige der rechten Szene. Die Beamten sprachen drei Platzverweise
aus und stellten unter anderem mehrere Schlagwerkzeuge sicher.
Der Zug unter dem Motto "Aus Trauer wird Wut", an dem vor allem
Linke und Antifaschisten teilnahmen, führte vom U-Bahnhof Samariterstraße
in Friedrichshain zum Bahnhof Lichtenberg. In dem von der rechten Szene
bevorzugten Weitling-Kiez fand eine Abschlusskundgebung statt. Die Polizei
war mit rund 700 Beamten im Einsatz. Durch die Demonstration kam es zu
starken Verkehrsbehinderungen. 61 Fahrzeuge wurden abgeschleppt. An der
Aufzugsstrecke wurden 14 beschädigte Pkw festgestellt.
Weiße Farbe vom
Dach - offenbar Provokation
Mehrmalige Versuche einiger gewaltbereiter Personen, die Stimmung im Aufzug
anzuheizen, fanden nach Polizeiangaben kaum Resonanz. Fünf mutmaßliche
Rechtsextreme wurden in einem Hausflur in der Weitlingstraße festgenommen,
wo sie sich vermummt und mit Knüppeln bewaffnet zusammengefunden
hatten. Ob sie möglicherweise einen Angriff auf die Teilnehmer der
Demonstration planten, ist Gegenstand der Ermittlungen. Gegen sie wurden
Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz
eingeleitet. Gegen zwei weitere Personen erstatteten die Beamten Anzeigen
wegen des Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole und wegen Beleidigung.
Offenbar als Provokation wurde vom Dach eines Wohnhauses in der Weitlingstraße
weiße Farbe geschüttet, wodurch die Dienstkleidung von Einsatzkräften
beschädigt wurde. Die Polizisten beschlagnahmten neben den Schlagwerkzeugen
Pfefferspray, eine Axt und Quarzsandhandschuhe.
Der 27-jährige Meier war am 21. November 1992 am U-Bahnhof Samariterstraße
in Friedrichshain von Rechtsextremisten überfallen und erstochen
worden. Die drei Täter wurden 1993 zu Jugendstrafen von bis zu vier
Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zu Meiers 15. Todestag im vergangenen
Jahr hatten sich 1600 Menschen an der Gedenkdemonstration beteiligt. Es
hatte 13 Festnahmen gegeben.
<<< Presse
19.11.2008 Neues Deutschland
»Ein freiwilliger Pflichttermin«
Silvio-Meier-Demonstration am Samstag zum Gedenken
an 1992 von Neonazi getöteten Hausbesetzer
Unter dem Titel »Aus Trauer wird Wut«
findet am Samstag eine Demonstration in Gedenken an den 1992 getöteten
Hausbesetzer Silvio Meier statt. Wie in vergangenen Jahren führt
der Protestmarsch von Friedrichshain in den Lichtenberger Weitlingkiez,
einer seit langem als rechte Hochburg bezeichneten Gegend.
Andrea Weber ist an der Vorbereitung der Demo beteiligt. »Es ist
bemerkenswert, dass sich eine solche Gedenkkultur entwickelt hat«,
meint die 30-jährige Kreuzbergerin. »Schließlich war
Silvio Meier nicht das einzige Todesopfer neonazistischer Gewalt in der
BRD.« Weber ist Sprecherin der Antifaschistischen Linken Berlin
und bezeichnet die Demonstration als »freiwilligen Pflichttermin«
der Antifaszene. Das liege daran, dass »die meisten, die zur Demo
kommen, bereits eigene Erfahrungen mit Neonazis gemacht haben. Daher die
große Verbundenheit mit Silvio Meier«.
Der damals 27-jährige Hausbesetzer war am Abend des 21. November
1992 mit Freunden in Friedrichshain unterwegs, als es zu einer Auseinandersetzung
mit Neonazis kam. Zunächst wurde einem der Rechten ein Nazi-Abzeichen
abgenommen – wenig später fielen die Neonazis über die
Linken her. Silvio Meier wurde durch mehrere Messerstiche getötet,
einige seiner Begleiter schwer verletzt.
Erfahrungen, wie sie Andrea Weber beschreibt, hat auch Matthias gemacht.
Er ist 19 Jahre alt und kommt aus dem Berliner Umland. Seinen richtigen
Namen möchte er aufgrund von Bedrohungen durch Neonazis in seiner
Heimatstadt im südlichen Speckgürtel der Hauptstadt nicht nennen.
»Bei der Silvio-Meier-Demo kommen einfach alle zusammen. Schließlich
war er einer von uns«, sagt Matthias.
Der Tod eines Genossen schweißt zusammen, auch wenn auf der Demo
nur eine Hand voll Personen Silvio Meier persönlich gekannt haben
dürfte. Für Matthias war die Silvio-Meier-Demo mit 15 Jahren
eine der ersten politischen Veranstaltungen überhaupt. Damals wurde
er von Freunden mitgenommen. Nachdem er in einem Regionalzug von einer
Gruppe Neonazis brutal zusammengeschlagen wurde, kommt er regelmäßig
zur Demo nach Berlin. Bei dem Überfall auf Matthias griffen Mitreisende
nicht ein und auf dem Bahnhof seines Dorfes wurde das Aufsichtspersonal
wegrationalisiert.
Die diesjährige Demonstration richtet sich gegen Strukturen der Neonazis
im Weitlingkiez. In der Kneipe Jägerheim, unweit des Bahnhofes, hält
die örtliche NPD unter der Führung der Kreisvorsitzenden Manuela
Tönhardt regelmäßig ihre Sitzungen ab. Einige Schritte
weiter in der Wönnichstraße betreibt die lokale »Kameradschaft
Spreewacht« (KSW) ein eigenes Clubhaus. Die KSW bildet das soziale
und politische Umfeld für die Musikgruppe »Legion of Thor«,
einer bundesweit aktiven Rechtsrockband.
Mahnwache am Todestag: 21. November, 16
Uhr, U-Samariter Str., Demo: 22. November, 15 Uhr, U-Samariter Str. silviomeier.de.vu
<<<
Presse
12.11.2008 Junge Welt
Gedenkdemo für Silvio Meier in Berlin
Antifaschisten erinnern an ermordeten Hausbesetzer und informieren über
Neonazis in Lichtenberg
Am Sonnabend, 22. November, findet die traditionelle Silvio-Meier-Gedenkdemonstration
statt. Vom alternativ geprägten Bezirk Friedrichshain ziehen die
Demonstranten in den benachbarten Weitlingkiez, einer rechten Hochburg
in Berlin-Lichtenberg. Die Demonstration erinnert an den vor 16 Jahren
auf dem U-Bahnhof Samariter Straße von Neonazis getöteten Hausbesetzer
Silvio Meier.
Im Kiez rund um den Bahnhof Lichtenberg hat sich seit Jahren eine rechte
Szene etabliert. Die neofaschistische »Kameradschaft Spreewacht«
(KSW) hat dort zum Beispiel ihr Klubhaus, wo regelmäßig Kneipenabende
stattfinden. Auch die NPD ist in Lichtenberg aktiv. Bei den Wahlen zum
Bezirksparlament im September 2006 konnte deren offene Liste dort
sechs Prozent der Stimmen gewinnen, rund doppelt so viel wie im Berliner
Durchschnitt. Seit dem bilden der Landesvorsitzende der NPD, Jörg
Hähnel, DVU-Landeschef Torsten Meyer und Manuela Tönhardt (NPD)
eine Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung. Der NPD-Kreisverband
hält seine Sitzungen regelmäßig in der Kneipe Jägerheim,
ebenfalls wenige Meter vom Bahnhof Lichtenberg entfernt, ab. Auch junge
Neonazis sind im Weitlingkiez aktiv. Zuletzt gab es im Zusammenhang mit
Ermittlungen gegen die »Heimattreue Deutsche Jugend« eine
Razzia bei Björn W., einem Aktivisten der inzwischen verbotenen »Kameradschaft
Tor«.
Antifaschisten sind seit Jahren in Berlin-Lichtenberg aktiv im Kampf gegen
rechts. Im Sommer 2006 gab es eine große Kampagne unter dem Titel
»Hol Dir den Kiez zurück«, die dafür sorgte, daß
Lokalitäten der Rechtsextremen schließen mußten. Für
die antifaschistische Demonstration am 22. November haben sich zahlreiche
Berliner Antifagruppen zusammengeschlossen. Eine Sprecherin der Antifaschistischen
Linken Berlin erklärte gegenüber junge Welt: »Wir finden
es wichtig, das Gedenken an einen getöteten Aktivisten der Hausbesetzer-
und Antifaszene mit aktuellen Kämpfen für linke Freiräume
und gegen rechte Strukturen zu verbinden«
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Presse
12.11.2008 Tagesspiegel
Hauswand mit antisemitischen Parolen beschmiert
Antisemitische Graffiti: Eine Hauswand in Friedrichshain
wurde am Dienstagabend mit Parolen und Hakenkreuzen beschmiert. Der Staatsschutz
ermittelt.
Unbekannte haben am Dienstagabend in Friedrichshain
eine Hauswand mit antisemitischen Parolen, Hakenkreuzen und anderer Hetze
beschmiert. Die Schirftzüge waren auf einer Fläche von zwei
mal 1,5 Metern angebracht Ein 49-jähriger Mieter des Mehrfamilienhauses
in der Palisadenstraße habe die Graffiti bemerkt und die Polizei
alarmiert, teilte die Behörde am Mittwoch mit.
Ein Mitarbeiter einer Wohnungsbaugesellschaft veranlasste die Beseitigung
der Schmierereien. Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt. (saw/ddp)
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Presse
11.11.2008 Tagesspiegel
Thor-Steinar-Mode verkauft: Laden gekündigt
Gegen den Modeladen „Doorbreaker“ hat das Ring-Center an der
Frankfurter Allee in Lichtenberg eine Räumungsklage beim Landgericht
eingereicht. Das Geschäft verkauft unter anderem die Marke „Thor
Steinar“, das als rechtes Label gilt.
Das Mietverhältnis war nach Angaben des Center-Managers Lutz Heinicke
schon im vergangenen August gekündigt worden, der Mieter aber habe
den Laden nicht freiwillig räumen wollen. Von dem Geschäft war
am Dienstag nur zu hören: „Kein Kommentar“. Andere Geschäfte
des selben Namens betonten, sie hätten mit diesem Laden in Lichtenberg
nichts zu tun.
Das Ring-Center teilte mit, es sei vom Bezirksamt Lichtenberg aufgefordert
worden, den Verkauf dieser Marke zu unterbinden. Das ginge aber nicht
so einfach: Alle Anbieter hätten Flächen im Center gemietet
und in eigener Verantwortung Läden und Schaufenster „entsprechend
ihrer Konzepte“ eingerichtet. In den Mietverträgen seien jeweils
die Sortimentsgruppen vereinbart, die angeboten werden. „Allerdings
ist es juristisch nicht möglich, dem Mieter ein bestimmtes Sortiment
zu untersagen“. Dennoch sei das Geschäft mehrmals aufgefordert
worden, das Sortiment zu ändern und die Ware der Marke Thor Steinar
zu entfernen, teilte das Center-Management mit.
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Presse
07.11.2008 Tagesspiegel
Hass gegen die Liebe
Lesben und Schwule werden oft Opfer von Angriffen.
Wie oft, weiß niemand – die Taten werden statistisch nicht
gesondert erfasst. Wie tolerant ist Berlin wirklich?
Die nächtliche Fahrt mit dem Fahrrad endete für den 41-jährigen
Familienvater mit einem doppelten Kieferbruch und Prellungen im Gesicht.
Gleich eine ganze Gruppe von Jugendlichen, die sich offenbar auf die Lauer
gelegt hatte, prügelte auf ihn ein, weil sie ihn für schwul
hielten. Tatort dieses Falles aus dem vergangenen Sommer ist der Volkspark
Friedrichshain, bekannt als Treffpunkt von Homosexuellen. Zeugen wollen
die Täter gehört haben, wie sie "Schwule Säue!"
riefen, ehe sie unerkannt entkamen.
Es ist einer von vielen Fällen homophober Gewalt in Berlin, die sich
offenbar häufen. Ende Oktober traf es, wie berichtet, ein lesbisches
Pärchen in Kaulsdorf, das von zwei Männern angegriffen wurde.
Kurz zuvor wurde am U-Bahnhof Hallesches Tor in Kreuzberg ein Schwuler
zusammengeschlagen; er kam mit einem Kieferbruch ins Krankenhaus. Verlässliche
Zahlen, ob die Straftaten zunehmen, gibt es aber nicht. Der Grund dafür:
Sie werden von der Polizei nicht gesondert erfasst. Homophobe Gewalt wird,
anders als etwa antisemitische Gewalt, unter "Hasskriminalität"
zusammengefasst. Und deren Zahl hat sich nach der Statistik zumindest
nicht erhöht.
Das Projekt gegen homophobe Gewalt, Maneo, kritisiert das: "Statt
die Opfer zu fragen, ob sie wegen ihrer sexuellen Identität angegriffen
wurden, müsste die Polizei nach der Motivation der Täter fragen",
sagt Jens Brodzinski, Sprecher von Maneo. Aus Angst oder aus der Absicht,
sich nicht selbst outen zu wollen, würden viele Opfer nicht dazu
Stellung nehmen, ob sie schwul oder lesbisch seien. Daher sei die Dunkelziffer
bei diesen Gewalttaten sehr hoch. Maneo schätzt sie auf 90 Prozent.
Eine Zahl, die die Polizei nicht bestätigt. Andererseits soll sich
an dem Grundsatz, homophobe Übergriffe nicht als solche zu registrieren,
nichts ändern. "Es ist politisch nicht gewollt, Minderheiten
zu erfassen", sagt Nicola Rothermel, Sprecherin der Innenverwaltung.
Damit solle einer möglichen Stigmatisierung oder Diskriminierung
der Opfer vorgebeugt werden. Die Berichte über diese Straftaten nehmen
indes zu - das Spektrum reicht von Körperverletzung bis Sachbeschädigung.
So wurde im Spätsommer das Mahnmal für die im Nationalsozialismus
verfolgten Homosexuellen beschädigt. Und auch die subjektiv empfundene
Gewalt nimmt zu. Suchen Betreiber von Schwulenclubs einen Standort, kommen
nur gut beleuchtete, viel frequentierte Straßen in der Nähe
einer U- oder S-Bahn-Station infrage, sagt ein Clubbetreiber. Alles andere
bedeute ein zu hohes Sicherheitsrisiko. Die meisten Gewaltvorfälle
verzeichnet Maneo übrigens in Schöneberg.
Die scheinbar paradoxe Situation - tolerante Metropole mit selbstbewusstem
Christopher Street Day, schwulem Stadtoberhaupt und einer Aids-Gala als
Top-Ereignis der Gesellschaft - erklärt Bodo Mende, Vorstandsmitglied
des Lesben- und Schwulenverbandes, so: "Offenbar haben Teile der
Bevölkerung die Entwicklung zu mehr Gleichberechtigung für Homosexuelle
nicht mitgemacht." Neben rechtsgerichteten Jugendlichen betreffe
das vor allem Jugendliche aus Migrantenfamilien. "Dort müssen
wir mit unserer Aufklärungsarbeit ansetzen", sagt Mende, "dazu
brauchen wir aber die Migrantenverbände." Diese haben jetzt
in einer Stellungnahme erklärt, "dass die sexuelle Orientierung
Privatsache ist". Und weiter: "Ob wir etwas gutheißen
oder nicht, wird und kann die Freiheit des Einzelnen in keiner Weise beschränken."
Doch das passiere immer wieder, sagen Betroffene. "Berlin ist bei
weitem nicht so tolerant, wie viele denken. Sobald man aus dem Raster
der Heterosexualität herausfällt, bekommt man oft Dinge zu hören,
die die persönliche Integrität infrage stellen", sagt Ralph
Zachrau vom Projekt "Aha" aus Kreuzberg. Wenn er als Mann in
- keineswegs sexuell provozierender - Frauenkleidung unterwegs sei, bekomme
er tagsüber auf dem Mehringdamm meist von Migranten Sätze zu
hören wie "Schwuler, ich töte dich!". Passanten würden
oft weghören. So litten auch Trans- sowie Bisexuelle unter verbaler
und körperlicher Gewalt, sagt er. Betroffene aller Gesellschaftsschichten
würden sich oftmals erst gar nicht outen, weil sie diskriminierendes
Verhalten zu befürchten hätten.
Er selbst kenne einen Fall, bei dem ein Helfer von einem verletzt auf
dem Boden liegenden Menschen abließ mit den Worten: "Ach, ist
doch nur eine Transe."
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Presse
7.11.2008 Morgenpost
Bezirksamt gegen Thor Steinar
Das Management des Ring-Centers an der Frankfurter Allee Ecke Möllendorffstraße
ist vom Bezirksamt Lichtenberg aufgefordert worden, das Modelabel Thor
Steinar aus dem Einkaufszentrum zu verbannen. Die bei Rechtsradikalen
beliebte und gefragte Marke wird seit geraumer Zeit in der dortigen "Doorbreaker"-Filiale
verkauft.
- "Sollte das nicht bald unterbunden werden", sagte Vize-Bürgermeister
Andreas Geisel (SPD), "wird das Bezirksamt zu Demonstrationen und
Mahnwachen aufrufen".
Das Center-Management hat sich bisher bei "Doorbreaker" vergeblich
bemüht, Thor Steiner loszuwerden. Der Technische Leiter Alexander
Moll sagte gestern: "Unsere Bitte, die Ware aus dem Sortiment zu
nehmen, stieß auf Ablehnung." Thor Steinar sei zwar nicht gut
fürs Image des Centers, so Moll, man könne aber leider nicht
eingreifen, da es sich um keinen Verstoß im juristischen Sinne handele.
Die Marke sei unabhängig von der politischen Beurteilung nicht verboten.
Die Lichtenberger Jusos planen bereits Aktionen. Gestern Abend sollte
darüber beraten werden. Vorsitzende Anne Meyer: "Wir denken
daran, die Kunden vor dem Center über die wahren Hintergründe
von Thor Steinar aufzuklären." Es könne nicht geduldet
werden, in Lichtenberg Marken mit rechtsextremer Symbolik zu verkaufen.
Im Oktober hatte das Berliner Landgericht der Räumungsklage eines
Hamburger Vermieters gegen den umstrittenen Laden "Tønsberg"
an der Rosa-Luxemburg-Straße, der Thor Steinar-Ware anbietet, stattgegeben.
Auch in Hamburg und Magdeburg müssen solche Läden schließen.
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Presse
5.11.2008 Berliner Zeitung
Thor Steinar im Ring-Center
Politik fordert Kündigung
LICHTENBERG. Im Einkaufszentrum Ring-Center
an der Frankfurter Allee verkauft eine "Doorbreaker"-Filiale
die bei Rechtsradikalen beliebte und vom Verfassungsschutz beobachtete
Kleidermarke Thor Steinar. Der Bezirk fordert vom Ring-Center, den Verkauf
unverzüglich zu unterbinden. "Wir wollen keine Rechtsextremen
in Lichtenberg haben und keine Läden, die sie anziehen", sagt
Baustadtrat Andreas Geisel (SPD).
Das Center-Management sucht seit Langem nach einer Lösung. "Wir
haben angeregt, die Thor-Steinar-Ware aus dem Sortiment zu nehmen",
sagt Alexander Moll, Hausinspektor des Ring-Centers. Bisher zeige sich
die Filialleitung jedoch wenig kooperativ. "Die Marke ist juristisch
kein Verstoß gegen unseren Vertrag", sagt Moll. "Deshalb
haben wir keine rechtliche Handhabe." Die Vereinbarung zwischen "Doorbreaker"
und dem Ring-Center berechtigt den Laden, Mode für junge Leute zu
verkaufen. Einzelne Marken werden nicht ausgeschlossen.
Zum weiteren Vorgehen möchte das Management des Ring-Centers nichts
sagen. Auch die Filialleitung von "Doorbreaker" äußert
sich nicht zu den Vorwürfen. "Ich denke, wenn wir deutlich machen,
dass dieser Laden geschäftsschädigend für das ganze Center
ist, verbessern wir die Handlungsmöglichkeiten des Managements",
sagt Geisel.
Im Oktober hatte das Berliner Landgericht der Klage eines Vermieters aus
Mitte stattgegeben, wonach der Laden "Tönsberg" seine Fläche
in der Rosa-Luxemburg-Straße räumen muss. Der Betreiber hatte
seine Thor-Steinar-Ware vor Vertragsabschluss nicht klar benannt.
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Presse
4.11.2008 Neues Deutschland
»Lasst die Frau in Ruhe«
Bürger ansprechen, zum Eingreifen ermuntern / Lokale Aktionspläne
gehen in die nächste Runde
Eben noch redete der Bezirksbürgermeister
– auf einmal ist Unruhe im Saal. Zwei junge Frauen unterhalten sich
an der seitlichen Eingangstür lautstark über eine afrodeutsche
Frau im Publikum. »Die hat bestimmt 'nen Trommelworkshop gemacht«,
sagt die Eine, »nein Afro-Dance«, die Andere. Sie wetten um
einen »schwarzen Kaffee«, wer recht hat, fragen nach.
Die Angesprochene zeigt sich ob der auf ihre Hautfarbe bezogenen, klischeehaften
Fragen sichtlich unerfreut. »Nun antworte doch! So macht man das
hier bei uns«, sagt die Eine, »immer das Gleiche mit Euch«,
die Andere. Die beiden werden aggressiv und stoßen bald rassistische
Beschimpfungen aus. Als jemand mit den Worten »Jetzt lasst die Frau
in Ruhe!« einschreitet, ertönt eine Sirene, und die Szene ist
vorbei. Die vier Beteiligten sind Schauspieler, sie spielen »unsichtbares
Theater«, eine politische Aktionsform, die auf Konflikte hinweisen
und Widersprüche aufdecken soll. 2008 haben sie viele dieser Szenen
gespielt, auf Plätzen, in Bussen und Bahnen. Sie wollen Reaktionen
provozieren und Menschen zu Zivilcourage, zum Eingreifen ermuntern.
Ihr Theaterprojekt gegen Homophobie und Rassismus ist nur eines der Vorhaben,
die ein Jahr lang vom Lokalen Aktionsplan (LAP) Friedrichshain-Kreuzberg
gefördert wurden und die sich am vergangenen Dienstag in der Alten
Feuerwache in der Oranienstraße vorstellten. Heute Abend tagt der
Begleitausschuss und legt die Schwerpunkte für 2009 fest. Der LAP
geht hier in die zweite Runde.
Zehn Lokale Aktionspläne gibt es in Berlin. Sie sind Teil des Bundesprogramms
»Vielfalt tut gut – Jugend für Vielfalt, Toleranz und
Demokratie«. Jährlich fließen 19 Millionen Euro aus dem
Familienministerium in 90 Kommunen. Sie erhalten auf drei Jahre jeweils
100 000 Euro für Projekte gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Antisemitismus.
Noch Anfang November soll der Projektaufruf 2009 in Friedrichshain-Kreuzberg
starten, in Pankow wurde er letzte Woche veröffentlicht. In Marzahn-Mitte
geht der LAP ins dritte Jahr. Hier wurden 2008 Projekte wie die Ausstellung
»Labyrinth X« (ND vom 9.9.2008) ermöglicht, die besonders
bei Anwohnern sehr gut angekommen sei, sagt LAP-Koordinatorin Inge Lohberger.
Nach Ende der Förderung müsse man jedoch »gemeinsam mit
dem Bezirk« sehen, wie man besonders erfolgreiche Projekte auch
weitertragen kann.
Doch »es ist schwierig, den einzelnen Bürger zu aktivieren«,
sagt Friedrichshain-Kreuzbergs Bürgermeister Franz Schulz (Grüne).
Die Resonanz sei zu gering. Zwar wurden die Fördergelder 2008 restlos
abgerufen, meist von größeren Trägern. Deshalb wurde in
mehreren Bezirken ein zusätzlicher »Aktionsfonds« eingerichtet,
bei dem sich Bürger und kleine Initiativen unbürokratisch um
bis zu 600 Euro für die Umsetzung einer Idee oder für eine Aktion
bewerben können. Von den 10 000 Euro in Friedrichshain-Kreuzberg
seien allerdings 2008 nur 1500 abgerufen worden, sagt die Integrationsbeauftragte
Regina Reinke. »Es dauert lange, bis man an die einzelnen Menschen
herankommt«, bestätigt Inge Lohberger.
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Presse
November 2008, NEON
Der schwarz-braune Block.
Sie kleiden sich wie ihre Gegner aus der linken Szene. Sie schwärmen
für Hitler – und für Dutschke. Nazis nennen sich jetzt
Autonome Nationalisten. Und sie schlagen zu.
Text: Patrick Bauer, Jakob Schrenk. Fotos: Julian Röder/Ostkreuz
Die Straßenschlacht zwischen links
und und rechts muss noch einmal verschoben werden – dabei hatte
alles so gut angefangen. Gegen halb zwei Uhr verliest der Neonazi Dennis
Giemsch die Auflagen der Polizei. Als Anmelder der Demonstration ist es
seine Pflicht zu verkünden, wie sich die Staatsmacht den Ablauf des
Protests vorstellt. Nur seine Zuhörer interessiert das kaum, von
Ruhe und Ordnung halten sie nicht viel. Giemsch hat kaum zu reden begonnen,
da rennt ein Trupp von gut sechzig Nazis auf ein Häufchen von linken
Gegendemonstranten zu, die sich hinter einer Polizeiabsperrung aufgestellt
haben. Flaschen fliegen, ein Böller explodiert. Rauch. Geschrei.
Chaos. Dann formieren sich die Polizisten, ein Wasserwerfer bringt sich
in Position, und Schritt für Schritt drängen die Beamten in
ihren martialischen Robocop-Uniformen die Neonazis zurück.
Dennis Giemsch regt sich nicht auf, bleibt ganz ruhig, scheint zu lächeln:
»Kameradinnen und Kameraden«, spricht er, »durch den
politischen Gegner besteht momentan keinerlei Gefahr. Nehmt bitte wieder
Aufstellung!« Giemsch, Anfang zwanzig, Wortführer der »autonomen
Nationalisten« in Dortmund, trägt kurze Haare, einen Streifenpulli
und Jeans, unter den rechten Arm hat er eine grüne Mappe geklemmt,
auf der er sich manchmal Notizen macht. Er wirkt harmlos und etwas übereifrig,
wie der Filialleiter eines Supermarkts, der am Feierabend im Freizeitdress
noch einmal kurz reinkommt, um zu prüfen, ob das Angebot vollständig
ist, ob jeder Artikel an der richtigen Stelle liegt und die Verpackung
stimmt.
Giemsch kann zufrieden sein, sein politisches Produkt ist gut aufgestellt,
wie man so sagt. Von der Rednertribüne aus blickt er über die
1100 Demonstranten, ganz am Rand steht ein Emo-Boy mit blau gefärbten
Haaren, Giemsch entdeckt eine hübsche Brünette im Parka, darauf
der Aufnäher »Pelz tötet«. Giemsch sieht Lederjacken,
Baggyjeans, Piercings, Palästinensertücher, bunt gefärbte
Irokesen. Gerade ordnen sich die harten Jungs, die auf die Gegendemonstranten
losgegangen sind, wieder in den Zug ein, sie tragen Baseballcaps, Sonnenbrillen,
schwarze Kapuzenpullis, die Uniform der Antifa.
Auf den ersten Blick könnte man den vierten »Antikriegstag«
in Dortmund für eine Veranstaltung der Linken halten. Der erste Blick
aber reicht mittlerweile nicht mehr aus. Er täuscht.
In Dortmund demonstrieren die Rechten. Es demonstrieren die neuen Nazis,
die sogenannten „autonomen Nationalisten“, eine ständig
wachsende Strömung in der rechtsradikalen Szene. Sie kopieren nicht
nur die modischen Vorlieben der Aritifaschisten und des »schwarzen
Blocks«, sondern übernehmen von ihren politischen Todfeinden
auch radikal antikapitalistische und antiimperialistische Forderungen
und militantes Auftreten, verteilen unermüdlich Plakate und Aufkleber,
sprühen Graffitis mit rechtsextremen Slogans - und daneben gerne
mal populäre Comicfiguren wie Lisa Simpson. Bei Demonstrationen läuft
Musik von Bands wie »Ton, Steine, Scherben« oder »Die
Ärzte«, dazu tragen die Rechten Plakate, auf denen »We
will rock you. oder »Fight the system« steht. Die neuen Neonazis
haben die Popkultur für sich entdeckt.
Noch vor einem Jahr bezeichnete der Verfassungsschutz die »autonomen
Nationalisten« als »militante Randgruppe«, mittlerweile
will man die Bewegung »sehr genau im Auge behalten«, weil
sie vor allem »erlebnisorientierte Jugendliche« anziehe.
Anglizismen und »Die
Ärzte«: Die Neonazis haben die Popkultur entdeckt
Die Verfassungsschützer gehen von 400 »autonomen Nationalisten«
aus, aber das ist nur der harte Kern, nicht mitgezählt sind Sympathisanten,
die sich spontan an Demos beteiligen und deren Zahl ebenfalls ständig
wächst. Im letzten Jahr kamen zur Dortmunder Demonstration nur 400
Demonstranten, jetzt sind es mehr als doppelt so viele, die meisten von
ihnen gekleidet im Stil des schwarzen Blocks.
Bundesweit bekannt sind die »autonomen Nationalisten« seit
dem l. Mai 2008. Am Tag der Arbeit, dem Kampftag der Linken, demonstrierten
über tausend Rechsextreme, darunter viele »Autonome«,
in Hamburg-Barmbeck, griffen mit bisher ungekannter Brutalität Polizisten,
Gegendemonstranten und Journalisten an. »Ohne das Eingreifen der
Polizei hätte es Tote geben können«, sagte danach der
Einsatzleiter. Die Neonazis verstehen das als ein Kompliment, sie stellen
das Zitat an den Anfang ihrer Internetvideos über die Demonstration,
dann folgt eine vierminütige Zusammenfassung der Gewalt. »Geil«
und »Jetzt geht's los« steht in denKommentaren darunter.Endlich
so der Tenor, passiert auch bei uns was. Endlich knallt es. Lange waren
Demonstrationszüge der Neonazis straff organisierte Formationsläufe
- gescheitelte junge Männer trugen schweigend ihre Fahnen oder Fackeln
durch die Straßen, die NPD nannte das »deutsch demonstrieren«.
Jede Konfrontation mit der Staatsmacht sollte verhindert werden. »Es
ist schon erstaunlich, dass ein Teil der Rechten nun ausgerechnet das
Auftreten ihrer Gegner kopiert«, sagt der Kriminologe Thomas Feltes.
Er kann sich nicht erinnern, dass es etwas Vergleichbares in der Geschichte
der Bundesrepublik schon einmal gegeben hätte. Feltes befürchtet
vor allem eine Eskalation der Gewalt zwischen links und rechts. Vielleicht
droht aber eine noch größere Gefahr. Bisher waren Nazis das
beste Argument gegen Nazis. Wer hat schon Lust auf Landserlieder, Hitlerscheitel
und dumpfe Glatzen? Wenn jetzt die Neonazis Springerstiefel gegen Sneakers
tauschen, die Bomberjacke gegen Kapuzenpullover, dann ist das als Nachwuchsarbeit
zu verstehen. Als eine neue Form der Mitgliederwerbung. Als ein Kampf
um die Straße.
Sebastian Schäfer [Name von der Redaktion geändert] trägt
eine blaue Trainingsjacke, Basecap, klobige Turnschuhe, einen Rucksack
und Brille. Ein Äußeres, das nicht weiter auffallen würde
in Berlin, aber am S-Bahnhof Schöneweide, dort, wo die Hauptstadt
grau ist und Fabrikluft atmet, wo Zeitungsabos von Männern verkauft
werden, die Hooligans ähneln, kommt Schäfer wie ein Student
daher, der sich verlaufen hat. Jedoch: Er war es, der sich hier treffen
wollte, denn nur zwei Straßen weiter wird deutsche Küche serviert
von einem Wirt, der keine Fragen stellt - im alternativ geprägten
Bezirk Friedrichshain, wo Schäfer und seine Lebensgefährtin
Tür an Tür wohnen mit jungen Kleinfamilien, mit Architekten
oder Künstlern, mit dem verhassten Bürgertum und den Zecken,
wäre solch ein Lokal schwer zu finden. Experten bezeichnen den Look
von Rechten wie Schäfer auch als »urbane Überlebensstrategie«;
im unauffälligen Gewand trauten sie sich erstmals raus aus den Randbezirken,
die ihnen längst gehörten, sie rückten vor ins Zentrum
der Stadt. »Autonome« Rechte konnten so linke Szenekneipen
ausspionieren, sich unerkannt auf gegnerischen Veranstaltungen tummeln.
Der moderne Nazi ist ein Verwandlungskünstler. Sebastian Schäfer,
den man einen Nazi nennen könnte, fällt unbedarften Beobachtern
heute nur noch unter Nazis auf.
Der 23-Jährige aus Eggersdorf bei Strausberg
in Brandenburg machte zunächst eine ganz klassische rechte Karriere.
Aus dem frechen Jungen, der auf dem Schulhof jenen Glatzen und Stiefelträgern
nacheiferte, die in der frisch vereinten Bundesrepublik Angst und Schrecken
verbreiteten, wurde rasch ein angesehener Nationalist. Als er in der brandenburgischen
Heimat zu viele Feinde hatte, zog Schäfer nach Berlin. Im Umfeld
der »Freien Kameradschaften« »BASO« und »Tor«
- die damals Aufsehen erregten, weil Mitglieder mit Eisenstangen auf Teilnehmer
linker Veranstaltungen losgingen, Imbissbetreiber verprügelten oder
ihre Treffpunkte mit Hakenkreuzen beschmierten - meldete er Demonstrationen
an, hielt Reden, zeichnete verantwortlich für Flugblätter. Die
»Freien Kameradschaften« wurden zur vorherrschenden Organisationsform
der Neonazis; die losen, regional organisierten Kleingruppen waren eine
Reaktion auf Verbote rechtsextremistischer Parteien und Gruppierungen.
Im März 2005 ließ der Berliner Innensenator Ehrhart Körting
überraschend auch »BASO« und »Tor« verbieten.
Im Internet reagierten die Rechtsextremen mit den Worten: „Es wurde
ein Name verboten. Mehr nicht!“
Schäfer lächelt sein Lausbubenlächeln,
wenn er heute gefragt wird, ob er mit den Kameraden von damals noch Kontakt
habe. Natürlich hat er noch Kontakt zu denen, die nicht im Gefängnis
sitzen, aber Schäfer würde das nicht zugeben. Er ist schließlich
ein »freier Nationalist., ein »Autonomer«, Schäfer
hat dazugelernt.
In einem Aufsatz mit dem Titel »Über freien und autonomen Nationalismus«
schreibt Deutschlands wohl bekanntester Neonazi Christian Worch: »Wo
die Rechte vornehmlich kollektivistisch ist, ist die Linke vornehmlich
individualistisch. Trotzdem war und ist sie in hohem Maße operationsfähig.
(...) Von den Linken zu lernen, erschien also höchst sinnvoll.«
Einfacher gesagt: Was nicht existiert, kann nicht verboten werden.
Sebastian Schäfer ist in Berlin so etwas wie der Organisator des
unorganisierten »nationalen Widerstands«. Seit acht Jahren
fordert er öffentlichkeitswirksam ein »nationales Jugendzentrum«,
mit der Parole »Jugend braucht Perspektive«, mit einem jährlichen
Aufmarsch, mit bunten T-Shirts und mit Plakaten, die in den Bezirken Köpenick,
Treptow und Lichtenberg längst das Straßenbild bestimmen. Es
sind Plakate, die auch von der Antifa stammen könnten: ganz in grün
gehalten, mit einer modernen Schrift versehen - und am rechten oberen
Rand prangt ein Kreis, in dem eine schwarze Fahne weht. „Schauen
Sie genau hin“, sagt Schäfer nun im Hinterzimmer seines Stammlokals,
„unsere Fahne ist schwarz und weht nach rechts, bei der Antifa sind
es zwei Fahnen, eine schwarze und eine rote, und beide wehen nach links.“
Schäfer will sich nicht nachsagen lassen, Symbole zu kopieren, dabei
war er der Erste, der die Zeichenordnung durcheinanderbrachte. Vor fünf
Jahren demonstrierte er mit einem Palästinensertuch lind einem Kapuzenpullover,
auf dem das Konterfei Che Guevaras prangte. »Das war zunächst
eine Provokation der Gegendemonstranten«, sagt Schäfer, »aber
nicht nur. Ich kann mich mit diesen Symbolen identifizieren.« Unter
dem Bild des kubanischen Revolutionshelden stand »Vaterland oder
Tod«.
Schäfer sagt, dass es manche, die sich »autonome Nationalisten«
nennen, längst übertreiben. Es wurden schon „Gegen Nazis“-Fahnen
auf Nazidemonstrationen gesehen. Es gibt skurrile Gruppenwie die „autonomen
Nationalisten für Israeh“.. »Das bringt nichts«,
sagt Schäfer, „man muss unsere Positionen noch erkennen. Aber
ich heiße alle willkommen, die sich dem nationalen Widerstand anschließen
wollen, egal wie sie aussehen oder welche Musik sie hören, ob sie
Handwerker sind oder Studenten. Ich will alle Schichten erreichen.“
Einzig mit Schwulen und Kiffern, sagt Schäfer, hätte er auf
seinen Veranstaltungen wohl ein Problem, „aber grundsätzlich
gilt: Man kann auch national, sozialistisch und cool sein.“ Sein
politisches Vorbild? Rudi Dutschke. »Ich bewundere ihn, ein großer
Revolutionär.« Aber gleichzeitig bewundert Schäfer den
NSDAP-Mann Gregor Strasser, dessen »nationalrevolutionäre«
Thesen er auswendig kennt.
Man kann sich wundern über Aufmärsche Rechtsextremer, bei denen
Transparente zu Ehren Andreas Baaders und Gudrun Ensslins getragen werden,
Sebastian Schäfer erkennt darin keinen Widerspruch. Er kann im selben
Atemzug von Venezuelas Präsidenten Hugo Chavez schwärmen und
von der deutschen Rasse sprechen, behaupten, er sei für die Selbstbestimmung
naller Völker dieser Welt«, und danach gegen »Mischehen«
wettern. Das sind die Momente, in denen die Fassade des Sebastian Schäfer
bröckelt. Auch ein international denkender Faschist bleibt: ein Faschist.
Und auch ein moderner Schläger bleibt: ein Schläger. Von der
Berliner Antifa werden Schäfer Übergriffe auf politische Gegner
nachgesagt, aber Schäfer lächelt wieder nur und fragt leise:
»Können Sie mir das nachweisen?« Er selber sei in seiner
Wohnung angegriffen worden, von der Antifa. »Dagegen muss ich mich
eben wehren«, sagt Schäfer.
In Berlin betreiben »autonome Nationalisten« wie er »Anti-Antifa«-Arbeit,
sie kopieren auch dabei die Arbeitsweise der Linken: Es werden Daten politischer
Gegner gesammelt, Reviere markiert, sogar Häuser besetzt, und so
mancher linke Aktivist fand an seiner Wohnungstür schon Plakate,
auf denen Grüße von »ANB« ausgerichtet wurden,
den »Autonomen Nationalisten Berlin«. Eine ernst zu nehmende
Drohung. Denn »autonome Nationalisten« greifen regelmäßig
Andersdenkende an; Jugendclubs, Feste oder Informationsstände von
Parteien. In Berlin wurden alternative jugendliche immer wieder von »Autonomen«
überrascht und zusammengeschlagen - und das an Ecken, an denen man
früher keine Angst vor rechter Gewalt haben musste. Auch anderswo
in Deutschland ist die Rede von regelrechten Hetzjagden, mit Holzlatten,
Äxten, Baseballschlägern oder Gaspistolen. Aus Kreisen der »autonomen
Nationalisten« heißt es zynisch, nun gehe es nicht mehr um
»sinnlose, ungeplante und ziellose (Suff-)Reaktionen«. Das
sei die Strategie der Skinheads gewesen. Heute sind die »autonomen
Nationalisten« das Sammelbecken für rechte Gewalttäter
- und die gehen genauso sinnlos und mindestens so brutal vor wie unverkleidete
Glatzen. Im Juli überfallen „Freie Kräfte“ das Sommercamp
einer linken Jugendorganisation. Eine 13-Jährige erleidet lebensgefährliche
Kopfverletzungen.
„Aber“, sagt Schäfer, „die Antifa ist nicht mein
größter Feind, mein größter Feind ist das System,
der Staat, die Globalisierung. Ich kann mir vorstellen, mit den Linken
zusammen dagegen zu kämpfen, wenn die sich zusammenreißen.“
Mit dieser Meinung steht Schäfer in seinem L.ager nicht alleine da,
als „Querfront“ bezeichnet man solche Überlegungen, die
von der Gegenseite empört zurückgewiesen werden.
Auf der Dortmunder Demonstration, die Schäfer verpasst, weil er seiner
Arbeit im Einzelhandel nachgehen muss, sind sich Demonstranten und Gegendemonstranten
immerhin in der Auswahl ihrer Parolen einig, Die Linken rufen: »Bürger
lasst das Glotzen sein, auf die Straße, reiht euch ein!« Die
Rechten erwidern: »Bürger lasst das Glotzen sein, auf die Straße,
reiht euch ein“ Zunächst wirken viele unter den »autonomen
Nationalisten« wie Schauspieler bei der ersten Kostümprobe,
die sich nicht wohlfühlen in ihrer Rolle. Auch der nächste linke
Klassiker klingt aus ihren Kehlen noch zaghaft: »USA - internationale
Völkermordzentrale!« Mit jedem Atemzug aber, den die Jungs
vom schwarzen Kollektiv nehmen, saugen sie in ihre Körper nicht nur
Sauerstoff, sondern auch Wut und Hass. »Autonom. Militant. Nationaler
Widerstand«, rufen sie. Oder: »Nationaler Sozialismus. Jetzt.
Jetzt. Jetzt.« Sechzehn Polizisten werden verletzt, die lokale Presse
schreibt am nächsten Tag: »Neonazi-Demo mit bisher größtem
Aggressionspotenzial.«
Dass auch Jörg Hähnel gewaltbereit ist, zeigte sich spätestens,
als beim Berliner NPD-Vorsitzenden und Mitglied des Bundesparteivorstands
ein vierzig Zentimeter langer Teleskopschlagstock gefunden wurde, als
er gerade den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern betreten wollte. »Ich
hatte vergessen, den im Auto zu lassen«, sagt Hähnel, ein drahtiger
Mann, der noch so aussieht wie man sich einen Nazifunktionär vorstellt:
gebügeltes Hemd, akkurate Frisur. Aber Hähnel ist befreundet
mit Sebastian Schäfer, Hähnel hat gute Verbindungen zu den »autonomen
Nationalisten«, sein Landesverband war der erste, der mit den aufmüpfigen
Rechten zusammenarbeitete, gemeinsam versucht man gerade, die Jugendorganisation
»JN« wiederzubeleben. Das macht Hähnel, 33 Jahre alt,
in der NPD zu einem Mann der Zukunft.
In der ebenso abgeriegelten wie verwahrlosten Parteizentrale erklärt
Hähnel, dass die NPD die »Autonomen« braucht - auch wenn
die nicht dem Bild entsprechen, das seine Partei bisher abgab. »Ganz
ehrlich: Hip-Hop finde ich schrecklich«, sagt Hähnel, der selbst
ein völkischer Liedermacher ist, »und dieses ganze autonome
Getue ist nicht mein Stil.« Allein: Die NPD ist eine politisch und
finanziell bankrotte Partei, aktuell macht nur ihr Schatzmeister Schlagzeilen,
der über 700000 Euro veruntreut haben soll. In der NPD ist ein Generationenstreit
entbrannt. Die Alten sagen: Wir dürfen die bürgerliche Mehrheit
nicht verschrecken. Die Jungen sagen: Wir müssen alle Gesellschaftsschichten
unterwandern, wir brauchen Fußvolk. Hähnel sagt: »Mir
ist es recht, wenn neue Leute zu unseren Demonstrationen kommen. Denen
geht es zwar um Action, nicht um Inhalte, aber die politisieren wir dann
eben später!« Im letztern Jahr verfasste das Parteipräsidium
der NPD noch einen »Abgrenzungsbeschluss« gegen die freien
Nationalisten, aber der Großteil der Neonaziszene zeigte sich danach
solidarisch mit den »Autonomen«. Und so begrüßte
der Parteivorsitzende Udo Voigt, dem man auf Demonstrationen bisher ansah,
dass ihm der neuartige Ungehorsam nicht geheuer war, bei einem Auftritt
»ausdrücklich die Vertreter des schwarzen Blocks«. Die
»autonomen Nationalisten« konnten sich wieder einmal als Sieger
fühlen.
Beim Berliner Antifaschistischen Pressearchiv (»apabiz)«,
wo man seit Jahren die Aktivitäten der rechten Szene dokumentiert,
nimmt man die Entwicklung ernst. Sprecher Toni Peters sagt zwar, »das
bloße Kopieren linker Symbole« sei eher »lächerlich
als wirkungsvoll, dahinter steckt keine eigene Ideologie«, jedoch
hält er die »autonomen Nationalisten« für »völlig
hemmungslos«. Man müsse, so Peters, damit rechnen, dass es
regelmäßig zu Ausschreitungen kommen wird. »Ich gehe
auch davon aus, dass die Szene vermehrt mit Bomben oder Brandsätzen
experimentiert. Die Hemmschwelle ist niedriger geworden, die ~autonomen
Nationalisten< sind euphorisiert davon, wie schnell sie es als sehr
junge Bewegung in die Hauptnachrichten geschafft haben.«
Im Frühsommer dieses Jahres wurden in einer Einfamilienhaussiedlung
in Berlin-Rudow Brandsätze auf die Häuser einer türkisch-
und einer bosnischstämmigen Familie geworfen. Niemand wurde verletzt,
aber besonders erschreckend war: Die beiden mutmaßlichen Täter
waren sechzehn und achtzehn Jahre alt. Die jungen hatten sich der frisch
gegründeten Splittergruppe »Division Rudow« angeschlossen
und fielen unter das Muster, das Toni Peters von •apabiz«
so beschreibt: »Man kann jetzt 50 Cent hören und ein Hitlerplakat
über dem Bett hängen haben. Wir müssen unser Bild vom einfachen
Nazi überdenken.« Angesichts des Erfolgs, den die »autonomen
Nationalisten« schon jetzt mit ihrer Verwandlungstaktik haben, erscheint
auch die Anekdote, die alle Beobachter, die linken und die staatlichen,
gerne erzählen, mehr als Warnung denn als Witz.
Im letzten Jahr wurden »autonome Nationalisten« von anderen
Rechten auf einem Berliner U-Bahnsteig blutig geschlagen. Selbst die Nazis
hatten die Kameraden nicht mehr als Nazis erkannt.
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Presse
14.10.2008 Neues Deutschland
Politischen Disput mit der Faust ausgetragen
Zwei junge Antifas zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie einen Rep-Wahlstand
demoliert hatten
Die Reps, Republikaner genannt, gehören
einer aussterbenden Spezies an. Im Verfassungsschutzbericht laufen sie
gerade noch unter »sonstige« in der rechtsextremen Szene.
Richtig wahrgenommen im politischen Alltag werden sie kaum noch.
Die Mitgliederzahl wird auf 200 in Berlin geschätzt. Und auch das
dürfte noch übertrieben sein. Die Reps hatten gestern ein paar
Leute für eine Gerichtsverhandlung mobilisiert, bei der sie sich
als Opfer eines Überfalls aus der linken Szene präsentieren
konnten.
Gut zwei Jahre ist es her, da postierten sich die Herrschaften mit dem
biederen dumpf-deutschen Zuschnitt in den Nachmittagsstunden des 1. September
im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahl mit einen Informationsstand auf der
Warschauer, Ecke Revaler Straße.
Offensichtlich war den gut situiert wirkenden Damen und Herren nicht ganz
bewusst, dass sie sich hier in einem sozialen Brennpunkt Berlins –
und somit denkbar ungeeignet für ihren Propagandaakt – eingenistet
hatten und nicht bei den Wilmersdorfer Witwen Beistand suchten.
Schnell sprach es sich in der Libauer und der Simon-Dach-Straße
rum, dass da Leute Propagandamaterial verteilen, die in der Region höchst
unerwünscht sind. Und so formierte sich erst stiller, dann lauter
werdender Widerstand. Doch ein wackerer Republikaner weicht nicht der
Bürgergewalt, schon gar nicht, wenn sie von Links kommt. Die Luft
wurde knapp zwischen den Fronten.
Dann ging alles sehr schnell. Erst flogen Beschimpfungen, dann die Fäuste.
Am Ende gab es eine blutige Nase, eine zwei Zentimeter lange Platzwunde
am Kopf und einen leer gefegten Rep-Stand. Die Polizei war zur Stelle
und nahm zwei der Protestierer fest.
Die Anklage, zwei Jahre später gegen Ruben W. (30) und Maria H. (23),
lautet auf gemeinschaftlich begangene schwere Körperverletzung. Dabei
spielt es keine Rolle, wer geschlagen und getreten und wer nur Papier
zerfetzt hat. Bei einer Gemeinschaftstat wird jedem Beteiligten alles
zugerechnet, da sich der genaue Tatanteil nicht mehr nachweisen lässt.
Die beiden Beschuldigten räumten das Geschehen durch Erklärungen
ihrer Verteidiger im Prinzip ein, damit war dann schon alles gesagt. Und
der Richter konnte nach nur wenigen Minuten Verfahrensdauer im Namen des
Volkes zur Verurteilung schreiten. Er hielt eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen
zu je 15 Euro für die beiden Studenten für angemessen und blieb
damit leicht unter dem vom Staatsanwalt geforderten Satz von 20 Euro.
Es handelt sich hier um eine Straftat, erklärte der Richter weise,
nicht aber um einen Akt der politischen Meinungsbildung. Die Reps seien
eine legale Organisation, deshalb hätten sie auch das Recht, ihre
Meinung in Wort und Schrift zu verbreiten.
Der einzelne Bürger habe nicht das Recht sich auszusuchen, wer mit
Informationsständen auf die Straße geht und wer nicht. Das
entscheidet einzig und allein das Grundgesetz.
Und da die Reps nicht verboten sind, muss man es ihnen auch gestatten,
sie in der Öffentlichkeit für ihre Ziele werben zu lassen. Es
folgte ein richterlicher Vortrag über die Fundamente eines Rechtsstaats.
Mit der Genugtuung, als späte Sieger aus dem Gefecht hervorgegangen
zu sein, verließen die reifen Herrschaften von der braun angehauchten
deutschnationalen Front erhobenen Hauptes den Saal. Linke Gewalt gegen
Rechts – in welcher Form auch immer – lässt auf der linken
Seite, das zeigt sich wieder und wieder, nur Verlierer zurück.
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Presse
19.07.2008 Morgenpost
Afrikaner auf Gleise gestoßen: Haftstrafe
für 20-Jährige
Viereinhalb Monate nachdem sie einen Schwarzafrikaner vor eine einfahrende
S-Bahn gestoßen hat, ist die 20-jährige Jacqueline A. gestern
vom Landgericht Moabit wegen versuchten Totschlags zu einer Jugendstrafe
von dreieinhalb Jahren.
Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor vier Jahre Haft wegen versuchten Mordes
aus Ausländerhass gefordert. Obwohl die Neuköllnerin ihr 19
Jahre altes Opfer mehrfach als "Nigger" beschimpft hatte, sah
das Gericht ein fremdenfeindliches Motiv als nicht erwiesen an. Die Richter
attestierten der zum Tatzeitpunkt stark angetrunkenen Frau vielmehr eine
erhebliche Persönlichkeitsstörung.
Diese Störung und der Alkohol waren nach Ansicht des Gerichts die
Ursache dafür, dass Jacqueline A. ("Wenn ich anfange zu trinken,
kann ich nicht mehr aufhören") am 3. März "völlig
ausrastete", wie eine Zeugin das Verhalten der 20-Jährigen beschrieb.
Mit Freunden von einer Party kommend, stieß sie im S-Bahnhof Frankfurter
Allee auf ihr späteres Opfer. Zunächst beschimpfte sie den 19-jährigen
Angolaner ("Was glotzt du so, Nigger"), dann versuchte sie mehrfach,
den jungen Mann zu attackieren ("Lasst mich, ich will den Nigger
umbringen"), schließlich stieß sie ihn ins Gleisbett.
Beherzte Passanten zogen den 19-Jährigen sofort wieder heraus, kurz
bevor ihn eine einfahrende S-Bahn erfasste. Das ganze tue ihr leid, bekannte
die 20-Jährige im Prozess immer wieder. Sie will an ihr Opfer jetzt
1500 Euro Schmerzensgeld zahlen.
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Presse
08.07.2008 TAZ
rassistischer angriff vor gericht
Ohne Erinnerung an den Stoß vor die S-Bahn
Es war morgens um halb sieben Uhr, als der
19-Jährige von einer Party nach Hause ging. Am Bahnhof Frankfurter
Allee wollte der dunkelhäutige Afrikaner in die S-Bahn steigen. Beinahe
wäre er dabei umgekommen, denn eine 20-jährige Frau schubste
ihn unmittelbar vor einen einfahrenden Zug. Nur dank zweier aufmerksamer
Passanten und seiner Gelenkigkeit ist der Freizeitkickboxer noch am Leben.
Der Vorfall ereignete sich am 2. März. Am Montag begann vor dem Landgericht
der Prozess gegen die S-Bahn-Schubserin wegen versuchten Mordes.
Jacqueline A. ist eine sehr dicke Frau mit rot gefärbten Haaren.
Aufmerksam folgt sie der Verhandlung, in der die Dinge besprochen werden,
an die sie nur wenig Erinnerung habe, wie ihre Verteidigerin Kersten Woweries
vorträgt. A. war an jenem Samstag mit Freunden in der Disco gewesen.
Dort habe sie entgegen ihrer Gewohnheit sieben Glas Wodka getrunken, weil
sie wegen eines Streits mit einer anderen Freundin aufgewühlt war.
In der Vorhalle des S-Bahnhofs sei es dann zum Streit mit ihrem Exfreund
gekommen. Währenddessen habe sie sich von ihrem späteren Opfer
angestarrt gefühlt. Das habe sie zum Vorwand genommen, um ihn zu
beschimpfen und ins Gesicht zu schlagen. "Ich kann mir nicht erklären,
warum ich so ausgerastet bin", lässt die Angeklagte vortragen.
Die dunkle Hautfarbe habe keine Rolle gespielt, es hätte jeden treffen
können. "An den Stoß auf das Gleisbett habe ich keine
Erinnerung", so A.
Damit wolle sie nicht ihre Schuld bestreiten. Sie sei froh, dass dem Mann
durch das beherzte Eingreifen Dritter nichts passiert sei. "Ich bin
nicht rassistisch oder ausländerfeindlich eingestellt." Unter
ihren Freunden seien Ausländer, ihr Exfreund war ein Türke.
Die Worte, die sie ihrem Opfer an den Kopf warf, lassen allerdings an
ihren Beteuerungen zweifeln: "Was guckst du so, Nigger?", habe
sie ihm in der Vorhalle zugerufen, erinnert sich das 19-jährige Opfer
vor Gericht. Der Freund von Jacqueline A. habe versucht, sie zu beruhigen,
und zu ihm gesagt, er solle weitergehen, seine Freundin sei betrunken.
Auf dem Bahnsteig gab ihm A. eine Ohrfeige, schubste ihn und schlug ihn
wieder. Er habe geflucht und schon zurückschlagen wollen, aber eine
Passantin hielt ihn fest und bat ihn, sich zu beruhigen. "Für
mich war die Sache in dem Moment gegessen", sagt er vor Gericht.
Er habe sich eine Bratwurst gekauft.
Doch plötzlich sei er mit den Worten "Ich will den Nigger umbringen!"
und "Was willst du in meinem Land?" von der Angeklagten zum
Gleisbett geschubst worden. Der 80 Kilo schwere Mann verlor das Gleichgewicht
und taumelte, bis er auf den Knien im Gleisbett landete. "Ich habe
die Lichter gesehen", beschreibt er den Anblick des Zuges, der nur
noch 40 Meter von ihm entfernt war. Für einen Moment habe er überlegt,
ob er sich hinter einen Vorsprung außerhalb des Gleisbettes retten
sollte. Das wäre ebenso lebensgefährlich gewesen, erklärt
der als Zeuge geladene Triebwagenführer. Leicht hätte er die
regenfeuchte Stromschiene berühren können.
Glücklicherweise reichten ihm zwei Passanten die Hände. Unterdessen
saß Jacqueline A. bereits in der S-Bahn in die Gegenrichtung. Eine
Beobachterin wandte sich an den Fahrer und sorgte für die Verhaftung
der Täterin. Der Passantin fiel auch der Tunnelblick der Angeklagten
auf. Sie habe sich gefragt, welche Droge die junge Frau konsumiert haben
könne. "Sie hat nichts gemerkt, nichts mehr gehört",
berichtet die Zeugin, die selbst über Drogenerfahrung verfügt.
"Das war keine normale Aggressivität, da gehört mehr dazu",
schildert sie dem Gericht.
Damit könnte sie recht haben, denn in dem Prozess gegen die junge
Frau sitzt auch eine Psychiaterin, die A. begutachtet hat. Zurückhaltend
referiert Verteidigerin Woweries den Tenor des Gutachtens: Die Aggressivität
sei in der Persönlichkeit der Angeklagten begründet und schließe
eine verminderte Schuldfähigkeit nicht aus. Das Urteil wird für
übernächsten Freitag erwartet.
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Presse
07.07.2008 Berliner Zeitung
In letzter Minute aus dem Gleisbett gerettet
Mikailo F. wurde von einer Frau vor die S-Bahn gestoßen
Er hätte nichts machen können,
der S-Bahn-Fahrer Udo Korn. Mit 55 Kilometer pro Stunde fuhr sein Zug
am 2. März gegen 6.50 Uhr in den Bahnhof Frankfurter Allee ein. Wegen
einer Linkskurve konnte der 43-jährige Fahrer den Bahnsteig erst
spät überblicken. Auf dem hinteren Abschnitt sah er plötzlich
"eine Person" ins Gleisbett fallen - taumelnd und mit den Armen
rudernd. "Hoffentlich schafft der es noch", hat Udo Korn da
gedacht. "Ich hatte keine Chance, etwas zu machen." Obwohl er
eine Schnellbremsung vornahm, kam sein Zug erst fünf bis zehn Meter
hinter jener Stelle zum Stehen, an der die Person aufs Gleis gestürzt
war.
20 Jahre ist Udo Korn S-Bahn-Fahrer, zwei Menschen haben sich schon vor
einen Zug geworfen, den er fuhr, 1990 und 1997. Sie überlebten nicht.
Mit so etwas muss man rechnen als S-Bahn-Fahrer, sagt er, "so makaber
das klingt". Der 19-jährige Mikailo F. wäre sein dritter
Toter gewesen. Aber er hatte Glück und Udo Korn auch. Zwei Passanten
haben Mikailo F. in letzter Minute gerettet.
Der 19-jährige Berufsschüler war jedoch nicht lebensmüde.
Er wurde vor die Bahn gestoßen. Seit gestern steht eine 20-Jährige
aus Neukölln wegen versuchten Mordes aus Heimtücke und niederen
Beweggründen vor dem Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wirft Jacqueline
A. vor, Mikailo F. als "Nigger" beschimpft und dann ins Gleisbett
gestoßen zu haben. "Was willst du in diesem Land", soll
sie zu ihm gesagt haben.
Jacqueline A. bemüht sich, nicht zu weinen, schaut mal zur Decke,
mal zum Boden, mal sieht sie Mikailo F. an. Ihre Anwältin wollte,
dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, weil die Angeklagte
eine Stigmatisierung befürchte und vor vielen Zuhörern nicht
mit der notwendigen Offenheit reden könne. Das Gericht lehnt einen
generellen Ausschluss der Öffentlichkeit ab.
Jacqueline A. spricht nicht selbst, ihre Anwältin verliest eine Erklärung.
Darin heißt es, dass Jacqueline A. keine Rassistin sei und dass
sie nichts gegen Ausländer habe. Dafür spreche, dass ihr Ex-Freund
türkischer Abstammung sei.
Vielmehr sei sie sehr betrunken gewesen an jenem Tag und habe Streit mit
ihren Freunden gehabt. Wenn sie anfange Alkohol zu trinken, dann könne
sie nicht aufhören. Sie seien aus der Disko gekommen an jenem Tag,
heißt es in der Erklärung. Auf dem Bahnhof sei es dann zum
Streit mit Mikailo F. gekommen. Sie habe geglaubt, dass er sie angestarrt
habe, da habe sie ihn beschimpft. An Einzelheiten erinnere sie sich nicht.
Aber sie sei froh, dass er nicht ernsthaft verletzt worden sei. Sie wolle
sich noch bei ihm persönlich entschuldigen.
Mikailo F. sagt, die Frau sei wie eine Furie gewesen.
Erst habe sie ihn auf dem Bahnhof beschimpft, dann hörte er sie hinter
sich schreien, bevor er ins Gleisbett fiel. Er habe dann von rechts die
Lichter der einfahrenden S-Bahn auf sich zukommen sehen. Und gedacht,
"jetzt erwischt dich gleich die Bahn", bevor sich ihm rettende
Hände entgegenstreckten. Er hätte sonst keine Chance gehabt.
Ein paar Wochen ist er danach nicht mehr S-Bahn gefahren. Inzwischen achtet
er immer darauf, wer hinter ihm am Bahnsteig steht. Der Prozess wird am
10. Juli fortgesetzt.
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Presse
30.06.2008 XHain-Stachel
Braune Vergiftung oder der zunehmende Rechtsextremismus
in Friedrichshain
Wer an Friedrichshain denkt, dem kommen
zu allererst die bunten Szenekieze um die Simon Dach Straße und
die Sonntagstraße, der zunehmend spürbare Kinderboom im Bezirk
oder die linke Szene mit den Hausbesetzungen in den Sinn. Wer käme
bei diesen Gedankengängen schon darauf, dass der Stadtteil zunehmend
in den Fokus Rechtsradikaler rückt. Denn es vergeht kaum eine Woche
ohne rechtsextreme Gewalt- oder Straftaten in Friedrichshain.
Seit einigen Jahren ist der Bezirk trauriger Anführer der Liste rechtsextremer
Vorfälle der Berliner Opferberatungsstelle ReachOut. Sie hat vergangenes
Jahr 27 solcher Gewalttaten registriert, 2006 waren es sogar 51. Dabei
schaffen es lediglich die spektakulärsten Fälle in die Presseöffentlichkeit,
der Großteil der alltäglichen rechtsextremen Untaten geht bedauerlicher
Weise im Alltagsgeschäft unter. Kein Kiez darf sich diese Provokation
bieten lassen - ein multikultureller, linksorientierter und toleranter
Kiez schon erst recht nicht.
Eine räumliche Häufung der rechtsextremen Vorfälle lässt
sich rund um die Frankfurter Allee, das Ostkreuz und den Ostbahnhof feststellen.
Die rechtsextreme Szene verfolgt hier in den vergangenen Jahren eine besonders
offensive Strategie. In Friedrichshain leben derzeit circa 30 Personen,
die dem Senat auf Grund rechtsextremistischer Bestrebungen bekannt sind.
Nazis kommen aber auch aus anderen Stadtteilen, insbesondere aus Lichtenberg
und haben unter anderem Kneipen als Treffpunkte in Friedrichshain. Dort
in der Nähr beleidigen sie Personen, die nicht in ihr Weltbild passen
oder werden ihnen gegenüber gewalttätig. Opfer sind dabei meist
MigrantInnen und Linksalternative.
Die rechte Szene hat sich stark verändert und versucht mit ihrer
extremen Ideologie in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Das Klischee
vom glatzköpfigen, bomberjackentragendem Nazi trifft dabei fast gar
nicht mehr zu. Heute kleiden sich Rechtsextreme mit Che- Guevara-T-Shirts
oder adretter Kleidung, die erst auf dem zweiten Blick erkennbar mit völkischer
und rechter Symbolik beladen ist - wie die Kleidung der Marke Thor Steinar.
Solche Anziehsachen werden auch im Laden Doorbreaker im Ringcenter 2 angeboten,
der sich direkt auf der Lichtenberger Seite der Ringbahn befindet.
Insgesamt fühlt man sich durch die geballten Aggressivität von
Nazis und RassistInnen schnell in die Ecke gedrängt. Doch genau das
ist die falsche Reaktion; die Zivilgesellschaft ist stärker, wenn
sie sich EINMISCHT und zusammenhält. So ist Anfang März ein
19 jähriger Mann angolanischer Herkunft, der von einer Frau vor die
S-Bahn geschubst wurde, von einschreitenden HelferInnen gerettet worden.
Auch die Initiative gegen Rechts in Friedrichshain setzt sich gegen Menschenfeindlichkeit
und für ein friedliches Miteinander ein. Diese Beispiele zeigen,
dass schon viele Friedrichshainerinnen und Friedrichshainer dem Rechtsextremismus
keinen Raum in ihrem Kiez einräumen wollen und mit den demokratischen
Kräften gemeinsam für einen offenen und toleranten Bezirk kämpfen.
Unterstützt sie dabei!
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Presse
17.06.2008 TAZ
"Jedes Wochenende passiert was"
Friedrichshain ist stärker als jeder
andere Berliner Stadtteil von rechter Gewalt betroffen. Nach dem Verbot
der Kameradschaft Tor haben sich die Neonazis hier reorganisiert. Der
Nachwuchs nimmt verstärkt Antifas ins Visier. VON GEORG FAHRION
Rechtsextremismus ist überall in Berlin
anzutreffen. Einige Ecken der Stadt sind jedoch besonders betroffen. Das
zeigt eine Studie über "Rechte Gewalt", die der Berliner
Verfassungsschutz vorgelegt hat. Demnach gibt es vor allem in Lichtenberg,
dem südlichen Neukölln, aber auch in Prenzlauer Berg Kieze,
in denen sich Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund häufen. Auch
weil dort viele Täter wohnen. Die taz hat sich vor Ort umgesehen.
Friedrichshain, mit dem sich der vierte Teil unserer Serie "Rechte
Ecken" befasst, ist laut der Studie des Verfassungschutzes ein Sonderfall:
Hier würden zwar vergleichsweise wenig Neonazis wohnen, dennoch sei
der Stadtteil "überdurchschnittlich von politisch motivierter
rechter Gewalt" betroffen.
"Die Kameradschaft Tor hat früher
immer Migranten angegriffen. Heute gehen die Rechten gezielt auf Linke
los." Daniel sitzt vor einer Bäckerei in der Rigaer Straße,
nimmt einen Schluck "Club Mate" und zuckt ein wenig ratlos mit
den Schultern. Es ist ein schöner Abend im alternativ geprägten
Friedrichshainer Nordkiez. Am schräg gegenüber liegenden Infoladen
"Daneben" flattern Transparente, die Hauswände sind bunt
von Graffiti und Plakaten, die zu Punkkonzerten einladen: Scheinbar nicht
der Ort, an dem man sich Sorgen über Neonazi-Gewalt machen müsste.
Doch der 29-Jährige, der sich im "Daneben" engagiert, erzählt
von einer neuen Welle rechter Übergriffe im Kiez, von jugendlichen
Rechtsextremen, die sich ihre Sporen verdienen wollen. "Es kommen
Leute nach", sagt er. "Du kannst damit rechnen, dass jedes Wochenende
was passiert."
Friedrichshain eine rechte Gefahrenzone? Das mag zunächst überraschen,
hat der Ortsteil doch ein hippes, alternatives Image. Friedrichshain,
damit assoziieren viele das wuselige Treiben in den Bars der Simon-Dach-Straße,
wo Touristen gerne ausgehen. Die linken Hausprojekte in der Rigaer Straße
und schrammelige Technopartys in den Clubs entlang der S-Bahn-Strecke.
Die schicken neuen Klamottenläden im Südkiez, wo man mittlerweile
teuer shoppen gehen kann, falls man nicht den sonntäglichen Flohmarkt
am Boxhagener Platz bevorzugt.
Das ist ein Teil der Realität. Ein anderer ist weniger werbekampagnentauglich
und wird von vielen Anwohnern und Besuchern auch gar nicht wahrgenommen.
Die Statistiken allerdings sprechen eine deutliche Sprache. Der in Sachen
Nazigewalt stets zurückhaltende Berliner Verfassungsschutz zählte
im Zeitraum 2003 bis 2006 insgesamt 26 rechte Gewalttaten in Friedrichshain.
Im inoffiziellen "Schattenbericht" mehrerer zivilgesellschaftlicher
Organisationen werden 51 Angriffe allein für das bisher schlimmste
Jahr 2006 angegeben, die Antifa Friedrichshain listete gar 103 Opfer.
Vier der Attacken wertet sie als Mordversuche. Egal, welche Quelle man
heranzieht, ein Schluss drängt sich auf: Menschen, die ins Opferschema
rechter Schläger passen, leben derzeit nirgendwo in Berlin gefährlicher
als in Friedrichshain.
Es ist zuvorderst ein importiertes Problem. Wenige Täter wohnen hier,
die meisten stammen aus der rechtsextremen Szene im benachbarten Lichtenberg.
Die reorganisierte sich nach dem Verbot der für ihre Gewalt berüchtigten
Kameradschaft Tor im Jahr 2005 und bewies durch eine massive Zahl von
Übergriffen ihre ungebrochene Schlagkraft. Tatort war meist der Kiez
südlich der Frankfurter Allee. Dort machen Neonazis Jagd auf Andersaussehende,
wenn sie an den Wochenenden zwischen ihren Stammkneipen an den Hauptverkehrsstraßen
und den S-Bahnhöfen pendeln.
2007 war die Zahl der Angriffe wieder zurückgegangen, seit Anfang
dieses Jahres nehmen sie wieder zu. Dabei gerät zunehmend der Nordkiez
ins Visier, wo sich die meisten Hausprojekte finden. Eine neue, eher lose
organisierte Generation von Neonazis macht sich offenbar daran, das Erbe
der Kameradschaften anzutreten. Die linke Szene ist alarmiert.
"Natürlich redet da jeder drüber", sagt Daniel vor
der Bäckerei. Extrem aktiv seien die jungen Rechtsextremen; sie würden
versuchen, linke Projekte auszuleuchten. Die Blätter der Straßenbäume
rauschen leise im Wind, ab und zu brettert ein Auto das Kopfsteinpflaster
hinauf. Ein Punkerpärchen schiebt einen Kinderwagen vorbei. Daniel
blinzelt in die Abendsonne. "Der Höhepunkt war sicher die Sache
im SamaCafé."
In der linken Kneipe in der Samariterstraße fängt gegen acht
langsam der Betrieb an. Ein langhaariger Mann in einem schwarz-rot gestreiften
Longsleeve wuchtet "Sternburg"-Kästen hinter den roh gemauerten
Tresen, an dem ein früher Biertrinker sitzt. An der Wand hängt
eine Antifa-Fahne, daneben verkündet eine Wandtafel das heutige Speisenangebot,
"Eintopf à la Oma". Schwanzwedelnd schlurft ein schwarzbrauner
Hund herein und verschwindet hinter der Bar. Ein Mittdreißiger ist
damit beschäftigt, einen vergilbten PC zum Laufen zu bringen, bevor
er Zeit für ein Gespräch findet.
In der Nacht auf den 9. März ist es passiert. Gegen vier Uhr morgens
kamen zwei, drei Vermummte in den Laden und sprühten Pfefferspray.
Vielleicht zehn weitere Rechte warteten vor der Tür. Glücklicherweise
waren in dieser Nacht außergewöhnlich viele Gäste lange
geblieben, so dass es gelang, die Angreifer hinauszudrängen und die
Tür zu schließen. "Die waren sehr jung", sagt der
Computerschrauber. "Die wollten sich wohl mal ausprobieren."
Man gibt sich gelassen, aber der Schreck über den Überfall sitzt.
Der Langhaarige im schwarz-roten Longsleeve ist es, der der Verunsicherung
Ausdruck gibt: "Was ist, wenn das nächste Mal ein Molotow fliegt?"
Im Laden herrscht schummriges Halbdunkel. Eine insektenähnliche Metallskulptur
mit Gasmaske dient als Lampe, die Fenster sind abgehängt. Nur durch
die offene Tür fällt das letzte Tageslicht.
Wie man der Bedrohung begegnen kann, darauf haben sie in Friedrichshain
noch keine endgültige Antwort gefunden. Daniel hat erzählt,
dass viele Linke jetzt aufmerksamer seien. Der Langhaarige macht eine
hilflose Geste. "Aufmerksam auf was? Auf Leute, die schwarze Klamotten
anhaben?" Er deutet auf ein Poster an der Wand. Auf den ersten Blick
ähnelt es einem RAF-Fahndungsplakat, doch die Schwarz-Weiß-Fotos
zeigen Berliner Jungnazis. "Was das bringen soll, weiß ich
auch nicht", sagt der Langhaarige. "Die sehen ja aus wie du
und ich. Ist halt ein Ausdruck dieser Unsicherheit."
Es handelt sich um eine neue Strategie der Rechtsextremen. "Anti-Antifa"
nennt sich das Phänomen, das laut dem Berliner Verfassungsschutz
seit 2002 an Fahrt gewinnt und sich nach Einschätzung der Friedrichshainer
Antifa 2006 endgültig durchgesetzt hat. Eine steigende Zahl Rechter
entspricht nicht mehr dem Klischee des Neonazi-Skinheads mit Glatze, Bomberjacke
und Springerstiefeln. Stattdessen werden normale Kurzhaarfrisuren getragen
und schwarze Kapuzenpullis; sogar das Palästinensertuch haben die
Rechten sich angeeignet. Die Absicht ist, den politischen Gegner zu verunsichern,
ihm seine Symbole streitig zu machen, sich unauffälliger bewegen
zu können. Es scheint recht gut zu funktionieren.
Nicht nur das Outfit, auch die Aktionsformen kupfern sie bei der Antifa
ab. Militante Aktionen finden seltener im Rudel, dafür öfter
in Kleingruppen statt, die sich schnell auflösen und zerstreuen können.
Linke Aktivisten werden fotografiert und ausspioniert. Im Februar wagte
sich Lichtenberger Nachwuchs gar in den alternativen Szenetreff "Fischladen".
Dort bestellten die Heranwachsenden in aller Seelenruhe ein Bier, bevor
sie erkannt und auf die Straße gesetzt wurden.
Man könnte meinen, dass es sich hier um eine Auseinandersetzung handelt,
die sich zwischen Autonomen und Rechtsextremen abspielt, um Revierbeißereien,
um Jugendgruppengewalt, wie es Polizei und Verfassungsschutz mitunter
einordnen. Doch das ist mitnichten der Fall. Trotz der Konzentration auf
Linke gibt es auch in Friedrichshain eine bedeutende Zahl übelster
Angriffe auf Migranten. Im März wurde ein Angolaner im S-Bahnhof
Frankfurter Allee von einer jungen Frau rassistisch beschimpft und vor
die einfahrende S-Bahn gestoßen; nur das beherzte Zupacken Beistehender
rettete ihn davor, überrollt zu werden. Wenige Wochen später
wurde ein zehnjähriges Mädchen mit dunkler Hautfarbe Opfer eines
rassistischen Übergriffs, sie erlitt einen Schock. Doch auch ganz
durchschnittliche Herkunftsdeutsche und Vereine sind gefährdet.
Die Naturfreundejugend (NFJ) etwa ist vielleicht nicht gerade bürgerlich,
würde sich aber ganz bestimmt nicht in die Schublade "autonom"
einordnen. Sie residiert in einem sauber sanierten Haus in der Gryphiusstraße.
Auf den Balkonen der oberen Stockwerke ranken gepflegte Grünpflanzen,
Drahtspitzen auf einem Ziersims sollen die Tauben fernhalten. Die kapitalismuskritische
Organisation, die ihren Ursprung in der Arbeiterbewegung hat, bietet sanften
Tourismus für Kinder und Jugendliche an und engagiert sich in der
politischen Jugendarbeit. Offen will sie sein. Man kann das geräumige
Besprechungszimmer und das Büro mit dem hellen Laminatfußboden
gut durch die großen Schaufenster einsehen, in denen einige politische
Plakate hängen.
Die reichten offenbar, um die NFJ zum Angriffsziel für Rechte zu
machen. Im März wurde die Scheibe des Büros eingeworfen, im
Monat darauf ihr Bulli beschmiert. Anfang Mai wurde die Frontscheibe des
Autos zerstört, am Gebäude klebte ein Zettel mit der Aufforderung
"Umzug!". Um letzte Unklarheiten auszuräumen, schickten
die Täter der Geschäftsstelle eine elektronische Grußkarte.
Die liest sich so: "Der Anschlag auf euer Büro und das Fahrzeug
ist eine Antwort auf euer antideutsches Nestbeschmutzertum. Rotfront verrecke!!!"
Die Polizei, die von anderen Akteuren im Kiez ein passables Zeugnis ausgestellt
bekommt, erwies sich in diesem Fall als keine große Hilfe. "Die
haben das nicht so ernst genommen", sagt Irene Poczka, die bei der
NFJ arbeitet. Nachdem die Streifenpolizisten den Tatort fotografiert hätten,
hätten sie sich selbst vor dem beschädigten Auto abgelichtet,
berichtet die Politologin. "Ich hab nicht das Gefühl, dass es
da Solidarität oder Verständnis oder potenzielle Ansprechpartner
gibt."
Die Einschüchterung ist nicht derart, dass die Organisation einen
Ortswechsel ins Auge fassen würde. Doch inzwischen schließen
sie die Tür ab, wenn sie zum Arbeiten da sind. Interessierte müssen
ans Fenster klopfen, wollen sie auf ein Gespräch hereinschauen oder
am Infotisch stöbern.
Von Matthias Röseners sorgsam bepflanzten Balkon, seinem Lieblingsplatz,
blickt man auf die Geschäftsstelle der NFJ auf der anderen Straßenseite
hinab. Nach dem letzten Anschlag hat der Verwaltungswissenschaftler den
Mitarbeitern in einem Brief seine Solidarität zugesichert. Der Vorfall
hat üble Erinnerungen geweckt. Sieben Jahre hat Rösener in Halberstadt
gelebt - jener Stadt in Sachsen-Anhalt, die leider nicht nur für
ihren prächtigen Domschatz bekannt ist, sondern auch für einen
brutalen Neonazi-Überfall auf ein Theaterensemble im vergangenen
Jahr. Rösener hat dort für die SPD im Kreistag gesessen, sich
gegen rechts engagiert - und dabei wenig Unterstützung erfahren.
Vor drei Jahren ist er nach Berlin gezogen, weil er sich in Halberstadt
wegen der rechten Dauerpräsenz nicht mehr wohl und sicher fühlte.
Nun hat es den Anschein, als hole ihn das Problem wieder ein.
Es ist zu erahnen, wie die rechten Aktionen den noch jungen Mann mit der
hohen Stirn und den tief liegenden Augen beunruhigen. Zweimal schon ist
er in Friedrichshain in eine bedrohliche Situation geraten, weil er Zivilcourage
gezeigt hat. Er hat keine Heldentaten begangen, aber eben demonstrativ
hingeguckt. Beide Male endete es glimpflich, Pöbeleien waren die
Antwort. Er stelle sich auf die veränderte Situation ein, erzählt
er bei einer Tasse Kaffee in seiner mustergültig aufgeräumten
Küche. "Man ändert ein bisschen seinen Tagesablauf, geht
andere Wege."
In der Beurteilung der Lage sind sich alle einig. "Die Leute glauben,
dass die Nazis mit neuen, subversiven Taktiken versuchen, hier wieder
Fuß zu fassen", erzählt der Langhaarige aus dem SamaCafé.
"Die Nazis wollen diesen Kiez wohl erobern", vermutet Irene
Poczka von der NFJ. "Zielgerichtet in den Kiez reingehen, dort Präsenz
zeigen, dominant auftreten, das hat zugenommen", sagt Anwohner Matthias
Rösener. Dass die rechten Umtriebe in Friedrichshain noch nicht das
beängstigende Niveau von 2006 erreicht haben und es sich in den vergangenen
Wochen wieder vermehrt um Propagandadelikte handelt, hält Aktivist
Daniel indes für keinen Grund zur Entwarnung: Damit habe es bei der
Kameradschaft Tor schließlich auch angefangen.
<<< Presse
16.04.2008 RBB-Abendschau
Rechte etablieren sich in Friedrichshain
Über 50 Angriffe von Rechtsextremen
auf Anwohner innerhalb der eltzten 12 Monate hat eine Bürgerinitiative
in Friedrichshain registriert. Grundgenug für die Friedrichshainer
Initiative für eine Werbeaktion für mehr Zivilcourage - samt
Merkzettel für richtiges Verhalten, allerdings möglichst ohne
sich selbst in Gefahr zu bringen.
Die Initiative zeichnet auch Helfer in Gefahrensituation aus - mit kleinen
Geschenken wie Blumen, Gutscheine für ein Abendessen, für einen
Besuch im Cafe und im Kino nebenan - jeweils gespendet von Gewerbetreibenden,
die genug haben von rechtsextremen oder rassistischen Übergriffen
in Friedrichshain.
Die Gewerbetreibende in Friedrichshain machen mobil gegen eine erstarkende
rechte Szene - auch weil die offenbar versucht, im Kietz salonfähig
zu werden.
Selbst im Shoppingcenter neben dem S-Bahnhof wird in einem Laden Neonazi-Mode
von Thor-Steinar verkauft, klagen Kritiker. Video
<<<
Presse
10.4.2008 Zitty
So nette Nazis!
Hübsche Antifa-Steckbriefe in Friedrichshain
Die Rechten haben es im vorigen Jahr in Pankow vorgemacht, jetzt
machen es die Linken in Friedrichshain nach: Sie outen ihre Gegner per
Steckbrief. Weil sich rechte Übergriffe im linken Kiez gehäuft
haben, und Rechte ja auch seit einiger Zeit aussehen wie Autonome, hängen
seit Anfang April rund um den Boxhagener Platz Erkennungstafeln. Die zehn
Geouteten werden in Zusammenhang gebracht mit einem rassistischen Überfall
Anfang März und mit dem Überfall auf eine linke Kneipe Ende
des Monats. Auffällig ist: Mehrere der Ausgehängten sehen nicht
nur richtig nett aus. Mindestens drei der Fotos scheinen auch privat zu
sein - mutmaßlich von Facebook oder ähnlichen Commu nities.
War das etwa Datenklau? Nach dem Motto: Big Antifa is watching you?
<<<
Presse
09.04.2208 Tagesspiegel
Rechte Persönlichkeitsrechte - Mit Fotos gegen
den Feind
In Friedrichshain schlagen Neonazis häufiger zu als
in anderen Bezirken. Nun werden Rechtsextreme auf Plakaten im Kiez geoutet.
Die rechte Szene reißt sie wieder runter. Der Staatsschutz hat sich
eingeschaltet.
Ihre Gesichter sind klar zu erkennen, ihre Namen stehen
drunter und jeder der diese Bilder sieht weiß: Achtung Neonazis!
In den vergangenen Tagen sind unzählige solcher Plakate im Friedrichshainer
Südkiez an Wände und Litfasssäulen geklebt worden. Auf
ihnen wird vor bekannten Rechtsextremen gewarnt, die sich immer wieder
im traditionell linken Bezirk aufhalten. Nun machen Neonazis mobil. In
den vergangenen Nächten sind mehrfach kleine Gruppen junger Männer
beobachtet worden, die mit Messern ausgerüstet die Plakate von den
Wänden kratzten. Die Polizei bestätigt, dass eine Anzeige wegen
Urheberrechtsverletzung vorliegt. "Der Staatsschutz ermittelt noch
gegen unbekannt", sagte ein Polizeisprecher.
Die Plakate sind offenbar anonym verbreitet worden, da auf ihnen nicht
zu Straftaten gegen die abgebildeten Personen aufgerufen wird, wird die
Polizei nur dann aktiv, wenn einer der Betroffenen Anzeige erstattet.
So bleibt es den Rechten vorbehalten, wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten
gegen die mutmaßlichen Plakatierer vorzugehen. "Ein Verstoß
gegen das Urheberrecht kann immer dann vorliegen, wenn eine Person klar
erkennbar gegen ihren Willen veröffentlicht wird", sagte Jurist
Sven Richwin, der in einem anderen Fall beschuldigte Linke vertritt, die
ähnliche Plakate verbreitet haben sollen. Vor einigen Wochen outeten
Antifaschisten in Potsdam mutmaßliche Rechtsextreme: 27 Personen
aus der Region wurden im Internet abgebildet - mit Foto, Adresse und Namen.
Bewaffnete Auseinandersetzungen
Fast zeitgleich sorgte Anfang des Jahres eine Aktion des Landeskriminalamtes
(LKA) für Wirbel: Im September 2007 entdeckten LKA-Beamte ein Plakat
mit Porträts von Neonazis. Um in der linken Szene ermitteln zu können,
schrieb der Staatsschutz die fotografierten Rechten an und wies sie darauf
hin, dass sie Anzeige stellen könnten. Polizeipräsident Dieter
Glietsch hielt dieses Vorgehen später allerdings für "nicht
sachgerecht", Verstöße gegen das Kunsturheberrecht seien
nicht Schwerpunkt der Polizeiarbeit.
In den vergangenen Monaten hatte es mehrfach bewaffnete Auseinandersetzungen
zwischen linken und rechten Jugendgruppen in Friedrichshain gegeben. Auffällig
ist in ganz Berlin, dass rechtsextreme Schläger in den letzten Jahren
immer häufiger in auch bei Linken beliebten Kneipengegenden angreifen.
Die Opferberatungsstelle Reach Out zählte in Friedrichshain für
das vergangene Jahr 24 rechte Gewalttaten, wie schon 2006 ist die Gegend
in Berlin damit führend. "Neonazis finden dort besonders schnell
vermeintliche Linke", erklären Rechtsextremismus-Experten. Antifa-Gruppen
haben inzwischen vier Friedrichshainer Lokale als "Nazi-Kneipen"
im Visier.
<<< Presse
April 2008: Bezirkszeitung der LINKEN
Spielwiese für Neonazis – Friedrichshain
im Sog rechter Gewalt
Dass es auch im Allgemeinen als alternativ
bekannten Friedrichshain zu rechtsextremen Gewalttaten kommt, ist nichts
Neues. Laut der Opferberatungsstelle ReachOut lag Friedrichshain mit 24
Gewalttaten durch rechtsradikale Schläger im Jahr 2007 sogar an der
Berliner Spitze.
Neu ist allerdings die Qualität der Gewalt. Seit Anfang 2008 gerieten
alternative Wohnprojekte und Kneipen in Friedrichshain gezielt ins Visier
rechter Gewalttäter. Es kam zu Steinwürfen gegen Schaufensterscheiben
und Überfällen von vermummten Gruppen auf Kneipen und vermeintlich
linke und alternative Personen. Trauriger Höhepunkt war der Überfall
am 9.März 2008 auf das alternative „Sama-Cafe“ in der
Samariterstraße. In den frühen Morgenstunden stürmte eine
Gruppe von zehn bis 15 vermummten Neonazis in das Lokal, sie besprühten
die Anwesenden mit Pfefferspray und bewarfen sie mit Flaschen.
Nicht nur die Aktionsformen und das damit verbundene offensivere und selbstbewusstere
Auftreten der rechten Banden haben sich in den letzten Jahren geändert,
sondern auch das Aussehen und die politische Ausrichtung. Die Zeiten,
in denen Neonazis durch martialisches Auftreten mit Glatze, Bomberjacke
und Springerstiefeln erkennbar waren, sind lange vorbei.
Sie nennen ihre Zusammenschlüsse nicht mehr „Kameradschaften“,
sondern bezeichnen sich als „Autonome Nationalisten“. Sie
kopieren das Aussehen alternativer Jugendkulturen und der Autonomen Szene.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Neonazis von heute mit schwarzen
Kapuzenpullovern, Piercings, Ansteckern und bunten Haaren auftreten, viel
mehr ist das ein Teil ihrer Strategie.
„Autonome Nationalisten“, die im Nachbarbezirk Lichtenberg
durch Hass und Gewalt Angsträume geschaffen haben, begeben sich nun
vermehrt in Friedrichshain auf die Jagd nach Andersdenkenden. Ihr inhaltsleeres
und äußerlich alternatives Auftreten ermöglicht es ihnen
auf den Partys und in den Kneipen hier im Bezirk unterzutauchen, Freundschaften
zu knüpfen und neue Anhänger zu gewinnen. Die Polizei ist mit
dieser neuen und nicht sofort erkennbaren Neonaziszene überfordert.
Es liegt mit an den Friedrichshainer Bürgerinnen und Bürgern,
für Toleranz und Weltoffenheit in ihrem Kiez zu kämpfen. Alternative
Projekte und die Bürger müssen aufeinander zugehen und Barrieren
abbauen. Nur so ist es zu schaffen, Friedrichshain wieder zu dem Bezirk
zu machen, der er einmal war und wofür er in der Öffentlichkeit
immer noch steht: Ein alternativer, vielschichtiger und bunter Kiez für
alle Menschen.
Deshalb: „Initiative gegen Rechts – Friedrichshain“
(http://www.initiative-gegen-rechts.de)
<<<
Presse
02.04.2008 Junge Welt
»Das schafft man nur gemeinsam«
Berlin-Friedrichshain: Neonazis machen verstärkt Jagd auf Linke.
Antifa will dafür sensibilisieren und Gegenstrategien erarbeiten.
Ein Gespräch mit Markus Roth
Markus Roth ist Sprecher der Antifa Friedrichshain. Informationen und
Chronik zu rechter Gewalt unter antifa-fh.de.vu
Am frühen Sonntag
morgen wurde in Berlin-Friedrichshain eine Gruppe Jugendlicher von Neonazis
angegriffen, einige wurden verletzt. Was ist genau passiert?
Der Vorfall reiht sich ein in eine ganze Serie von rechten Angriffen in
den letzten Wochen in Friedrichshain. Die jungen Leute waren am Sonntag
gegen 6.30 Uhr auf dem Rückweg von einer HipHop-Party und wollten
zum S-Bahnhof Frankfurter Allee. Auf der Höhe der Disko »Jeton«
rannten etwa 15 mit Schlagstöcken ausgerüstete Vermummte auf
sie zu und jagten die Gruppe bis zum Bahnhof. Nur durch einen Sprung auf
die Gleise konnten sich die Verfolgten retten, einige trugen Schürfwunden
und Prellungen davon. Die Polizei traf erst nach zehn Minuten ein.
Bevor die Angegriffenen Anzeige erstatten, werden sie die Berliner Opferberatungsstelle
»Reachout« aufsuchen. Die Polizei hat sich in letzter Zeit
nicht sehr rühmlich gegenüber Menschen verhalten, die von Neonazis
angegriffen worden waren. Als vor kurzem beispielsweise die linke Kneipe
»Sama-Café« in der Samariterstraße von Neonazis
gestürmt wurde, wehrten sich die Gäste erfolgreich. Die Polizei
stufte die Notwehr als kriminelle Selbstjustiz ein und verhaftete sogar
einige der Angegriffenen, während die festgesetzten Neonazis nach
Personalienprüfung gehen durften.
Zuletzt haben Berichte
über Neonaziaktivitäten in Friedrichshain wieder zugenommen.
Warum vergeht kein Wochenende dort ohne rechte Gewalt?
Wir gehen davon aus, daß sich der Täterkreis auf einige wenige
Lichtenberger Neonazis und Fußball-Hooligans eingrenzen läßt.
Nach dem Verbot mehrerer Berliner »Kameradschaften« durch
den Innensenator vor zwei Jahren versinken deren Nachfolgeorganisationen
in politischer Bedeutungslosigkeit. Ihre Aktionen erschöpfen sich
in Angriffen auf Linke und deren Hausprojekte. Friedrichshain hat erfreulicherweise
eine recht große, sich als links definierende Szene und eine alternative
Kneipenkultur. Für Neonazis gibt es hier also mehr Reibungspunkte
als in Lichtenberg, wo sie in einigen Straßen die Vorherrschaft
erkämpft haben.
Aber es scheint auch
in Friedrichshain Clubs zu geben, die keine Probleme mit Neonazis haben.
Ja, das bereits erwähnte »Jeton« in der Frankfurter Allee
oder beispielsweise das ehemals linke »K17« in der Pettenkoferstraße
stören sich wenig an rechtsextremen Gästen, solange es keinen
Ärger gibt. Daß die Neonazis ihr Aussehen immer mehr an den
Look der linken Autonomen anpassen, macht es allerdings nicht einfacher,
sie zu erkennen. Und wenn auf der Straße eine Gruppe schwarz Vermummter
eine andere Gruppe angreift, wissen Passanten häufig nicht, was los
ist. An Neonazigewalt denken zunächst die wenigsten. Da ist noch
viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Derzeit müssen die Friedrichshainer
verstärkt damit rechnen, nachts Zeuge von rechten Übergriffen
zu werden oder selbst von ihr betroffen zu sein. Wer das Geschehen schnell
einordnen kann, ist auch fähig, besonnen zu reagieren und nach eigenem
Ermessen einzugreifen. Die Polizei wird, wenn überhaupt, erst im
nachhinein tätig. Das hilft den Betroffenen wenig.
Welche Strategien entwickeln
Antifaschisten gegen die Neonazis?
Da stehen wir noch am Anfang. Einerseits muß es darum gehen, daß
die Angriffe in der lokalen Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert
werden. Andererseits müssen die Bewohner befähigt werden, Neonazis
zu erkennen und kompetent reagieren zu können. Auch um eine bessere
Vernetzung werden wir nicht herumkommen. Die alternativen Hausprojekte
und linken Kneipen haben sich in den letzten Jahren im Kiez zu sehr isoliert
und mitunter den Draht zur Nachbarschaft verloren. Es muß ein Klima
entstehen, in dem sich Neonazis nicht mehr wohlfühlen – das
schaffen Bewohner und Organisationen vor Ort nur gemeinsam.
<<<
Presse
März 2008 Blick Nach Rechts Nr 07
Jagd auf Linke
In Berlin-Friedrichshain häufen sich rechtsextreme Übergriffe.
Die Angreifer kamen in den frühen Morgenstunden
des 9. März. Um 4.45 Uhr versuchten etwa 15 Vermummte das Sama-Cafe,
eine alternative Kneipe im Berliner Stadtteil Friedrichshain, zu stürmen.
Wegen der Gegenwehr der Gäste mussten sich die Eindringlinge, darunter
Aktivisten der Freien Kameradschaften, zurückziehen.
Eine Woche später sprühten zwei Rechtsextremisten Reizgas in
den Vorraum einer anderen alternativen Kneipe in dem Stadtteil. Wenige
Tage zuvor gingen die Scheiben eines Veranstaltungsorts in unmittelbarer
Nähe zu Bruch. Dort hatten bekannte Rechtsextremisten zuvor Hausverbot
bekommen.
„Sie kommen vor allem aus dem angrenzenden Stadtteil Lichtenberg
am Wochenende nach Friedrichshain, um einen Discobesuch mit der Jagd auf
Linke zu verbinden“, meint Markus Roth von der Friedrichshainer
„Initiative gegen Rechts“, in dem sich Parteien, Stadtteilinitiativen
und Antifagruppen zusammen geschlossen haben. Für die Zunahme der
rechtsextremen Übergriffe macht Roth auch neue Entwicklungen in der
Freizeitkultur verantwortlich. So hat sich in Friedrichshain eine Großdisco
etabliert, in der Gäste aus der rechten Szene fest integrierter Bestandteil
sind. Dieser Ort habe den Rechtsextremisten in der Vergangenheit öfter
als Treffpunkt und Rückzugsort gedient.
Seit 2006 kommt es in Friedrichshain immer wieder zu Übergriffen
auf Menschen, die nicht ins rechte Weltbild passten. „Da genügt
es schon, wenn jemand Rastahaare oder eine Punkfrisur hat“, meint
Roth, der Mitautor einer Chronik rechter Gewalt in Friedrichshain ist.
Darunter sind auch mehrere Mordversuche aufgelistet, bei denen die Angegriffenen
auf die Gleise der S-Bahn oder auf eine vielbefahrene Straße geworfen
wurden. So beispielsweise am 2. März 2008 im S-Bahnhof Frankfurter
Allee.
Die 20-jährige Anja F. stößt einen Farbigen, den sie zuvor
mit rassistischen Sprüchen beleidigt hatte, vor den einfahrendenn
Zug. Das Opfer kann von Passanten im letzten Moment vom Gleisbett gezogen
werden. Die Täterin wird in der Nähe des Bahnhofs festgenommen.
<<<
Presse
28.03.2008 Neues Deutschland
Das Präsidium sagte allein Danke
Bürgerinitiative verärgert: Polizei bei Ehrung
nach Übergriff auf Angolaner wenig kooperativ
In einem Brief an den Polizeipräsidenten
Dieter Glietsch hat sich die Friedrichshainer Bürgerinitiative gegen
Rechts über einen polizeiseitig mangelnden Willen zur Zusammenarbeit
mit Bürgerinitiativen beklagt. Hintergrund ist der Überfall
vom 2. März, als gegen 6.45 Uhr ein Schwarzer auf dem S-Bahnhof Frankfurter
Allee auf die Schienen gestoßen worden war – zweifellos rassistisch
motiviert, wie sich bestätigte.
Eine Frau und zwei Männer griffen gerade noch rechtzeitig ein, zogen
– selbst in Lebensgefahr – den Angolaner vom Gleisbett. Wenig
später rollte ein Zug in den Bahnhof. Er hätte aller Erfahrung
nach nicht mehr gestoppt werden können. Die junge Frau hielt die
um sich schlagende Täterin fest, bis die Polizei eintraf.
Zu Beginn dieser Woche nun ehrte die Polizeiführung die drei mutigen
Lebensretter, fern jedweder Friedrichshainer Kiezöffentlichkeit irgendwo
im Landeskriminalamt, wie Rechtsanwältin Canan Bayram, Mitglied der
SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus gestern dem ND sagte. Die Angehörige
der Bürgerinitiative bedauerte den Vorgang, weil die Initiative bereits
am 5. März Kontakt zur Leitung des zuständigen Polizeiabschnittes
aufgenommen hatte.
»Die Idee der Initiative war es, die Helfer gemeinsam mit den Gewerbetreibenden
aus Friedrichshain zu ehren«, heißt es in dem Schreiben. Mit
der Aktion »Der Kiez sagt Danke« hätten sich die ansässigen
Bewohner für die Zivilcourage bedanken wollen. Rechtsextremistische
Übergriffe würden insbesondere in einem Klima der Gleichgültigkeit
und des Wegschauens Raum greifen. »Mit der geplanten Idee sollte
aus der Gesellschaft heraus – und nicht nur von Seiten des Staates
– ein Zeichen gesetzt werden, das zu Engagement gegen Rechtsextremismus
und zum Eingreifen ermutigt.« Dass die Initiative weder kontaktiert
noch versucht wurde, Friedrichshainer Bürger einzubeziehen, hält
Canan Bayram für befremdlich. Wertschätzung demokratischer Zivilgesellschaft
und deren Engagement sehe anders aus.
Für Bayram und die anderen aus der Bürgerinitiative ist die
Missachtung ihrer Idee lediglich ein Indiz von vielen, dass sich die Polizei
wenig kooperativ verhält, wenn es um Rechtsextremismus in Friedrichshain
geht. Es gebe ja seit mehr als zwei Jahren Kontakte und Gespräche,
so die Abgeordnete. Aber dabei entstünde immer wieder der Eindruck,
dass es der Polizei nicht gefällt, wenn Probleme mit dem Rechtsextremismus
offengelegt werden sollen. Markantes Beispiel sei die Biermeile, bei der
seitens der Polizei immer wieder vorgetragen werde, dass es keine Probleme
mit Rechten gebe.
Andererseits: Die Polizei könne nicht die Zivilgesellschaft ersetzen,
benennt Bayram ein beliebtes Argument. Das wolle auch keiner. Aber tauglicher
für die Zivilgesellschaft müsse Polizei wohl werden, meint die
Abgeordnete. Eine Zusammenarbeit von Polizei und Zivilgesellschaft, wie
sie regelmäßig eingefordert werde, »scheint uns auf dieser
Grundlage nicht möglich«, wird im Brief festgestellt.
Die Sicht der Behörde zu dem Brief war vorerst nicht zu erfahren.
Nach Angaben der Polizei-Pressestelle war das Schreiben bis zum späten
Nachmittag noch nicht eingetroffen.
<<< Presse
27.03.2008 Jungle World
Nazi trägt Kapuzi
Im Berliner Bezirk Friedrichshain wurden in den vergangenen
Wochen mehrere linke Läden und ehemals besetzte Häuser angegriffen.
Die Antifa vermutet, dass es sich bei den Tätern um »Autonome
Nationalisten« handelt.
»Hängt euch die Plakate am besten
aufs Klo. Dann merkt man sich die Gesichter und kann handeln, wenn man
sie in Kneipen oder auf der Straße erkennt.« Das sind die
ersten Worte von Max* bei einer Informationsveranstaltung im Sama-Café.
Max ist Mitglied der Antifa Friedrichshain, die wegen der vermehrten Angriffe
auf Linke in den vergangenen Wochen geladen hat. Auf den Postern sind
Fotos und Namen von Personen, die als Neonazis gelten und derzeit im Kiez
ihr Unwesen treiben sollen. Sie sind auch auf den zweiten Blick optisch
kaum von linken Autonomen zu unterscheiden, und darin liegt auch das Problem.
Am 23.?Februar versuchten zwei Unbekannte, die Frontscheibe der alternativen
Kneipe »Fischladen« zu zertrümmern. In derselben Nacht
wurde das Hausprojekt in der Scharnweberstraße 38 unter Rufen wie
»Sieg Heil« mit Flaschen und Steinen beworfen.
Das Sama-Café in der Samariterstraße, wo die Antifa informiert,
wurde in den frühen Morgenstunden des 9.?März von zehn bis 15
Vermummten angegriffen, die die anwesenden Gäste mit Pfefferspray
besprühten. Die Angegriffenen reagierten schnell, drängten die
Eindringlinge zurück und schlugen sie in die Flucht. Etwa 15 Besucher
des Sama-Cafés verfolgten sie bis zur Ecke Voigtstraße/Rigaer
Straße, wo es zu einer Auseinandersetzung kam. Dabei
wurden drei der Angreifer leicht verletzt.
Bei dem folgenden Polizeieinsatz verletzte ein Zivilbeamter einen der
Besucher des Sama-Cafes mit einem Schlagstock so schwer, dass er ambulant
im Krankenhaus behandelt werden musste. Überhaupt schenkte die Polizei
nach Angaben der Antifa Friedrichshain vor allem den Angreifern Glauben
und nahm nur widerwillig ihre Personalien auf.
Anfang voriger Woche bekam das schon erwähnte Wohnprojekt »Scharni38«
gleich mehrmals unerwünschten Besuch. Am frühen Morgen des 16.?März
wurden sieben Personen, die gerade die Vereinsräume des Gebäudes
verließen, von zwei vermummten Männern mit einem Reizstoffsprühgerät
in der Größe eines Feuerlöschers angegriffen und verletzt.
Am nächsten Morgen schlugen zwei Unbekannte mit Beilen auf eine Plakatwand
ein, die sich direkt neben dem Haus befindet. Daran klebten die Plakate
mit den Steckbriefen bekannter Neonazis. In der Nacht zum 19.?März
fuhren zwei vermummte BMX-Radfahrer mehrmals am Haus vorbei, grölten
Sprüche und verabschiedeten sich mit den Worten: »Bis morgen,
ihr Spacken!« Die Hausbewohner sind sich sicher, dass die selben
Täter, die sie der rechtsextremen Szene zuordnen, für alle Aktionen
verantwortlich sind. Warum diese es ausgerechnet auf ihr Haus abgesehen
haben, wissen sie nicht.
Die Berliner Neonaziszene hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert,
da sind sich die Betroffenen und die Antifas weitgehend einig. Sie ist
anders organisiert, agiert anders und sieht anders aus. Bis vor ungefähr
drei Jahren waren die meisten parteiunabhängigen Neonazis in Kameradschaften
organisiert. Die Mehrzahl von ihnen entsprach in Aussehen und Auftreten
den gängigen Klischees und war deshalb relativ leicht auf der Straße
auszumachen.
Springerstiefel und Bomberjacken sind mittlerweile vor allem bei
der »jüngeren Generation« nicht mehr angesagt. Der Trend
bei den »Autonomen Nationalisten«, wie sie sich nennen, geht
zu noch spärlicheren Inhalten als zuvor und zu gewalttätigen
Übergriffen. Lose Gruppierungen und Freundeskreise haben fest organisierte
Gruppen ersetzt. »Autonome Nationalisten« ist ein Label, das
jeder benutzen kann.
Sie tragen Kleidung und Accessoires, die einmal als typisch für die
linke Szene galten: schwarze Kleidung, Caps, Gürteltaschen, Buttons,
Aufnäher und Piercings. Auch Parolen, Flyer und Webseiten der
Nazis sind auf Anhieb kaum noch als solche zu erkennen. So haben die »Autonomen
Nationalisten« zum Beispiel im Logo der Antifaschistischen Aktion
die rote Fahne durch eine zweite schwarze ersetzt und den Slogan »Good
Night White Pride«, der ursprünglich aus der Hardcore-Szene
stammt, in »Good Night Left Side« umgedichtet. Wie die Antifas
agieren sie bei Aktionen in Kleingruppen oder bilden »Black Blocks«
bei ihren Aufmärschen. Immer wieder auf der Tagesordnung stehen auch
Forderungen nach »nationalen Jugendzentren«.
Das Erstarken der »Autonomen Nationalisten« bezeichnete der
Verfassungsschutz in einer aktuellen Studie mit dem Titel »Im Fokus:
Rechte Gewalt in Berlin« als Ursache dafür, dass Linke vermehrt
Opfer rechter Gewalttaten werden. Danach würden rechte Schläger
inzwischen häufiger Linke oder vermeintliche Linke angreifen als
Leute mit migrantischem Hintergrund, auch wenn erst in der verganenen
Woche ein zehnjähriges Mädchen in Friedrichshain rassistisch
beleidigt und attackiert wurde.
Seit dem Verbot der »Kameradschaft Tor« im Jahr 2005 gibt
es keine kameradschaftliche Neonaziorganisation mehr in Berlin. Seitdem
sind die »Autonomen Nationalisten« vermehrt in Erscheinung
getreten. Die Antifa Friedrichshain vermutet einen relativ begrenzten
Kreis junger Neonazis, die größtenteils in Lichtenberg wohnen.
Einige von ihnen seien jedoch in Friedrichshain zurück und würden
sich daher gut im Kiez auskennen.
Bei den Angriffen, die sich seit Ende vorigen Jahres deutlich gehäuft
haben, begeben sich die Täter vermehrt auf »feindliches Terrain«,
also in die Nähe von linken Kneipen und Projekten. Dass es sich bei
den Angriffszielen der vergangenen Wochen nicht unbedingt um ausgewiesene
Treffpunkte der Antifa handelt, wird der Unkoordiniertheit der Nazis zugeschrieben.
Man vermutet, es gehe ihnen offenbar primär darum, Macht zu demonstrieren
und zu provozieren. Wegen dieser Beliebigkeit ist es nicht leicht, sich
gegen die Angriffe zu schützen.
Die Bewohner und Nutzer linker Räumlichkeiten in Friedrichshain haben
sich bei ersten Treffen Gedanken über eine gemeinsame Strategie gemacht.
Auf die Schnelle ein Konzept auf die Beine zu stellen, scheint jedoch
schwierig zu werden, da die Vorstellungen der Beteiligten weit auseinander
gehen. Ein weiteres Problem ist, dass diesbezüglich bisher nur wenig
Verständigung zwischen den Projekten stattgefunden hat. Die Organisation
der Zusammenarbeit wird vermutlich viel Zeit in Anspruch nehmen, die effektiver
genutzt werden könnte. * Name geändert
<<< Presse
26.03.2008 Tagesspiegel
Ausgezeichnete Hilfe
Eine deutsche Frau hatte den 19-jährigen
Mikailu F. rassistisch beschimpft und ins Gleisbett am Berliner S-Bahnhof
Frankfurter Alle geschubst. Drei Berliner wurden nun von der Polizei geehrt.
Sie hatten den Angolaner im letzten Moment gerettet.
Wahrscheinlich wäre Mikailu F. tot, hätten ihm die Drei an jenem
Morgen am 2. März nicht geholfen. Eine deutsche Frau hatte den 19-jährigen
Angolaner zunächst rassistisch beschimpft und ihn dann ins Gleisbett
am S-Bahnhof Frankfurter Alle geschubst – während der einfahrende
Zug immer näher heranrollte. Jushua Manono (30) und Marco Weber (28)
zogen das Opfer aus dem Gleisbett. Cindy Faedrich (29) hielt die 20-jährige
Tatverdächtige fest. Für ihre Zivilcourage wurden die Helfer
gestern von Vize-Polizeipräsident Gerd Neubeck geehrt.
Als Mikailu F. vom Tagesspiegel am Telefon davon erfuhr, war er
begeistert. „Ich finde es toll, dass sie belohnt werden für
ihren Einsatz“, sagte er. Je 100 Euro und eine Urkunde gab es gestern
vom Vize-Polizeichef für den „beherzten Einsatz“. Dieses
Verhalten sei „nicht selbstverständlich“, sagte Neubeck.
Mit der Ehrung solle auch anderen Berlinern Mut gemacht werden, in einer
solchen Situation Zivilcourage zu zeigen.
Mikailu F., Kind angolanischer Bürgerkriegsflüchtlinge, lebt
seit 18 Jahren in Moabit. Er macht eine Ausbildung zum Metallbauer. Am
Telefon erzählt er, dass er immer noch mitgenommen sei von dem, was
in jener Nacht zum 2. März geschah. Mikailu schildert die schlimmsten
Minuten seines Lebens so: Mit seinem deutschen Kumpel René war
er bis zum Morgen in einer Disko. Gegen 6.45 Uhr zog er sich am S-Bahnhof
Frankfurter Allee Geld am Automaten, ging dann in Richtung Bahnsteig.
Er sah eine korpulente deutsche Frau, die sich lautstark mit ihrem Freund
stritt. „Ich schaute im Vorbeigehen kurz hin“, sagt Mikailu.
Daraufhin beschimpfte ihn die Frau mit den Worten „Was guckst Du
so, Nigger?“ Mikailu erwiderte: „Haben Sie ein Problem?“
und ging weiter. „Plötzlich spürte ich bloß noch
den Stoß von hinten und war im tiefen Gleisbett“, schildert
er. „Ich überlegte in dieser Sekunde, ob ich in die Einbuchtung
kriechen sollte.“
Im selben Moment schrie Jushua Manono „Gib mir deine Hand!“
– auf Englisch und Französisch. Der Hotelier, der in Kamerun
geboren ist und seit sieben Jahren in Berlin lebt, hatte den Streit am
Bahnsteig wenige Sekunden zuvor mitbekommen. „Ich töte diesen
Scheißnigger!“, soll die dicke Frau gebrüllt haben. „Dann
sah ich, wie sie ihn schubste“, berichtet Manono. Während er
dem Opfer die Hand reichte, waren bereits die Scheinwerfer der einfahrenden
Bahn zu sehen. Auch Marco Weber, der die ganze Nacht durch Clubs gezogen
war, kam hinzu und hielt Manono im wahrsten Sinne des Wortes „den
Rücken frei“. Denn der Retter hatte Angst, „dass diese
Frau mich auch noch von hinten ins Gleis schubst, während ich den
Mann hochziehe“.
Doch die Tatverdächtige war in diesem Moment bereits in den eingefahrenen
Zug auf dem gegenüberliegenden Gleis gesprungen, um davon zu fahren.
Allerdings hinderte Cindy Faedrich sie in letzter Sekunde daran. Die Imbiss-Mitarbeiterin
sprang aus ihrem Kiosk und zog die schwergewichtige und total betrunkene
Frau aus dem Zug. „Ich habe gar nicht viel nachgedacht, sondern
einfach zugepackt“, sagt sie. Die Täterin wehrte sich, Cindy
erlitt eine Schulterprellung. „Ich konnte sie nur festhalten, weil
sie so betrunken war“, sagt die 29-Jährige. Sie schaffte es,
die Frau so lange unter Kontrolle zu halten, bis die Polizeibeamten eintrafen.
Die Frau sitzt seitdem wegen versuchten Mordes in Untersuchungshaft. Tanja
Buntrock
<<< Presse
25.03.2008 BZ
So feige!
Samantha (10) von drei Jugendlichen am Bahnhof Frankfurter
Allee angegriffen, beschimpft, zu Boden geworfen. Täter flüchtig.
Staatsschutz ermittelt
Sie war auf dem Weg nach Hause. Samantha
(10) hatte den U-Bahnhof Frankfurter Allee fast erreicht, als sie von
Jugendlichen erst rassistisch beleidigt und dann zu Boden gestoßen
wurde.
Es passierte am Osterwochenende. Samantha, die Mutter Deutsche, der Vater
gebürtiger Mosambikaner, hatte einen Nachmittag bei einer Freundin
in Friedrichshain verbracht. Müde und glücklich wollte das Mädchen
allein zurück zu ihren Eltern in Kaulsdorf.
Plötzlich rief hinter ihr jemand: „Hau ab, Du Scheiß-Negerin!“
Sie drehte sich um, sah drei Jugendliche, ungefähr 14 Jahre alt.
Alles ging sehr schnell. „Einer rannte auf mich zu.“
Er stieß die Kleine mit voller Wucht zu Boden. „Ich hatte
richtig Angst.“ Immerhin gelang es ihr zu flüchten. Der B.Z.
erzählt sie, dass sie wieder aufstand und davon rannte, so schnell
sie konnte. An die Gesichter der Angreifer kann sie sich nicht mehr erinnern.
Sie weiß nur noch: „Die sind stehen geblieben und haben laut
gelacht.“
Kein Passant hat dem
Mädchen geholfen
Geholfen hat dem Mädchen niemand. Obwohl, wie sie sich erinnert,
sehr viele Passanten oben vor dem U-Bahnhof Frankfurter Allee standen.
Samantha hatte Glück, unverletzt erreichte sie ihr Zuhause. Ihre
Mutter Claudia gestern zur B.Z.: „Samantha war ganz aufgelöst,
sie hat viel geweint und hatte wohl einen Schock.“ Die Mutter erstattete
Anzeige bei der Polizei, jetzt ermittelt der Staatsschutz. Gesucht werden
Zeugen, die den rassistischen Übergriff beobachtet haben.
<<< Presse
12.03.2008 Neues Deutschland
Das Problem sind die Rechten, nicht die Punks
Nach Angriff auf linke Kneipe im alternativen Friedrichshain:
Anwohner kritisieren Polizeieinsatz
Neonazis schlagen immer dreister in Friedrichshain
zu. »Die sind keinen Meter in die Kneipe gekommen«, erzählt
Markus Roth. Als gegen 4.45 Uhr am vergangenen Sonntagmorgen plötzlich
15 Vermummte das linke »SamaCafé« in der Samariterstraße
stürmen wollten, hätten die Gäste schnell und besonnen
reagiert. Die Angreifer, darunter stadtbekannte Neonazis, seien geflüchtet
und zwei Ecken weiter von Linken gestellt worden, hieß es von Anwesenden.
Die Polizei bestätigte den Vorfall: Auch die Beamten sprachen von
»Vermummten, die vermutlich der rechten Szene zuzurechnen sind«.
Auf ihrer Flucht hätten die Angreifer mit Pfefferspray auf die Linken
gesprüht, so Roth, der sich den Vorfall von einer Tresenkraft hat
schildern lassen. Die Frau habe ihm auch erzählt, dass die Rechten
die »ganze Kneipe auseinandergenommen hätten«, wenn niemand
eingeschritten wäre. Er begrüße diese Zivilcourage ausdrücklich.
Roth engagiert sich seit Jahren in antifaschistischen Initiativen und
ist seit eineinhalb Jahren in einer Bürgerinitiative gegen Rechts
in Friedrichshain aktiv. Diese wurde 2006 aufgrund stark ansteigender
rechter Übergriffe gegründet.
Nicht zum ersten Mal in diesem Jahr haben Neonazis einen linken Laden
in Friedrichshain angegriffen. Die Zahlen seien jedoch nach dem enormen
Anstieg 2006 wieder gesunken, berichtet Roth. Einen Grund zur Entwarnung
gebe es aber nicht. Dass Neonazis sich direkt gegen Wohnhäuser und
Kneipen wenden, sei eine neue Qualität. Dem müsse man sich entgegenstellen.
»Die Täter stammen überwiegend aus Lichtenberg«,
sagt Roth. In Friedrichshain gebe es keine organisierte rechte Szene.
In den Kneipen, in denen sich die Mitglieder der 2005 verbotenen neonazistischen
»Kameradschaft Tor« getroffen hätten, sei auch »nichts
mehr los«. Es habe ein Generationenwechsel stattgefunden, hat Roth
beobachtet: Heute würden überwiegend sehr junge Nazis im Freundeskreis
oder losen Cliquen losziehen, um gezielt Auseinandersetzungen mit Linken
zu suchen. Ihnen gehe es weniger um feste Organisationsstrukturen. Vielmehr
machten sie subkulturelle Politik und sprächen damit gezielt Jugendliche
an. Dagegen müsse verstärkt in Jugendarbeit investiert werden,
meint Roth.
Canan Bayram, SPD-Abgeordnetenhausmitglied aus Friedrichshain, meint,
»die Übergriffe haben nie wirklich aufgehört«. Sie
werde oft von Anwohnern gefragt, wieso sich die Nazis überhaupt nach
Friedrichshain trauen. In der Bürgerinitiative, die Bayram mit ins
Leben gerufen hat, gehe man davon aus, dass die Neonazis in Lichtenberg
nicht genug Gegenwehr erfahren und deshalb im alternativen Szenekiez provozieren.
Die Behörden müssten zudem »ihren Blick überprüfen«,
so Bayram. Auf einem Treffen habe eine Sprecherin der S-Bahn gesagt, man
hätte kein Problem mit den Rechten, sondern mit den Punks. Oft würden
die Linken als die Störenfriede gesehen. Noch in dieser Woche treffe
sich die Initiative, um über das weitere Vorgehen zu beraten.
Zeugen berichteten unterdessen, ein Linker sei bei dem sonntäglichen
Einsatz von einem Zivilbeamten mit dem Schlagstock so verletzt worden,
dass er zur ambulanten Behandlung ins Krankenhaus musste. »Die herbeigerufene
Polizei schenkte den Angreifern zunächst mehr Glauben und nahm nur
widerwillig die Personalien der Neonazis auf«, kritisiert die Antifa
Friedrichshain. Die Polizei wollte sich dazu nicht äußern –
die Ermittlungen dauern an.
Rechte Überfälle 2008
• 9. März: Um 4:30 Uhr versuchen 15 Vermummte, das alternative
»SamaCafé« in der Samariterstraße zu stürmen.
Gäste drängen sie zurück.
• 2. März: Eine 20-jährige Neuköllnerin beleidigt
am Bahnhof Frankfurter Allee einen dunkelhäutigen 19-Jährigen
rassistisch und stößt ihn vor eine einfahrende S-Bahn. Er wird
von Fahrgästen gerettet.
• 23. Februar: Zwei vermutlich Rechte versuchen, die Scheiben der
alternativen Kneipe Fischladen zu zertrümmern. In der gleichen Nacht
wollen vermutlich Rechte mit Steinen Fenster eines Wohnprojekts in der
Scharnweberstraße zerstören.
• 29. Januar: Eine Gruppe Neonazis verfolgt, bedroht und schlägt
zwei linke Jugendliche am Ostkreuz.
• In der Silvesternacht werden acht Jugendliche am Bersarinplatz
angegriffen.
Quelle:Antifa Friedrichshain
<<<
Presse
05.03.2008 Morgenpost
Afrika-Rat warnt vor rassistischer Gewalt
in Berlin
Nach dem Überfall auf einen Afrikaner
auf dem S-Bahnhof Frankfurter Allee hat der Afrika-Rat vor einer Verharmlosung
von rassistischer Gewalt gewarnt. Rassismus und rassistische Übergriffe
gehörten in Berlin mittlerweile zum alltäglichen Leben von Ausländern
vor allem aus Afrika, kritisierte der Rat am Dienstag.
Wie der Rat weiter betonte, seien die zuständigen Behörden darauf
wiederholt aufmerksam gemacht worden. Ein entschlossenes Handeln des Senats
sei aber nicht sichtbar. Innensenator und Polizei verharmlosten das Problem.
Anlass für die Kritik ist ein Vorfall am Sonntag. Eine 20-jährige
Frau hatte einen Afrikaner erst fremdenfeindlich beschimpft und dann vor
einen einfahrenden S-Bahnzug gestoßen. Das Opfer konnte sich retten.
epd
<<< Presse
04.03.2008 TAZ
S-Bahn-Schubserin in Haft
Stoß war rassistisch motiviert. Staatsschutz
ermittelt wegen versuchten Mords
Bahn-Schubser hat es in den vergangenen
Jahren immer wieder gegeben. Rassistische Übergriffe in wesentlich
höherer Anzahl auch. Ein rassistisch motivierter Stoß aufs
Gleisbett ist jedoch eine neue Qualität fremdenfeindlicher Gewalt
in Berlin.
Eine 20-jährige Frau hat am frühen Sonntagmorgen einen dunkelhäutigen
19-Jährigen am S-Bahnhof Frankfurter Allee vor einen herannahenden
Zug gestoßen und ihn laut mehrerer Zeugen dabei rassistisch beschimpft.
Nur mithilfe von zwei Fahrgästen gelang es dem 19-Jährigen,
zurück auf den Bahnsteig zu klettern.
Die Polizei zumindest geht davon aus, dass es sich um einen rassistisch
motivierten Mordversuch handelt. "Wenn die Zeugenaussagen sich bestätigen,
war es ein fremdenfeindlicher und rassistischer Übergriff",
sagte ein Sprecher. Nach diesen Aussagen soll die Frau bereits am Eingang
des S-Bahnhofes ihr Opfer rassistisch beschimpft haben. Der Staatsschutz
des Landeskriminalamts, der für politisch motivierte Straftaten zuständig
ist, hat daher die Ermittlungen aufgenommen. Die 20-Jährige wurde
am Montag einem Ermittlungrichter vorgeführt, der einen Haftbefehl
erwirkte.
Ob es sich bei der Frau um eine Rechtsextremistin handelt oder sie sonst
enge Kontakte zur Neonazi-Szene pflegt, konnte der Polizeisprecher nicht
beantworten. "Sie ist noch nicht einschlägig aufgefallen",
sagte der Sprecher. In Friedrichshain kommt es immer wieder zu Übergriffen
von Neonazis. Zumindest in letzter Zeit richteten sie sich aber zumeist
gegen Angehörige der linken Szene.
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Presse
25.12.2007 EiskrautundSauerbein
Ein Gespenst geht um in Friedrichshain…
Die Gentrification verändert das Gesicht eines
ganzen Stadtviertels
Björn Höfs
Andrej Holm ist ein gefragter Mann. Doch
nicht nur seine Studenten an der Humboldt-Universität interessieren
sich für die wissenschaftliche Arbeit des 37-jährigen Stadtsoziologen.
Auch die Bundesanwaltschaft wollte den promovierten Politologen näher
kennen lernen und lud ihn Ende Juli zu einer dreiwöchigen Rundreise
nach Karlsruhe und Berlin-Moabit ein. Der Vorwurf: Geistiger Kopf der
terroristischen Vereinigung »militante gruppe« (mg). Schließlich
gäbe es Übereinstimmungen zwischen einer knapp zehn Jahre alten
Publikation Holms zum Thema Stadtentwicklung und diversen Bekennerschreiben
der mg. Die Parallele entdeckten findige Beamte des Bundeskriminalamtes
(BKA), nachdem sie die von der mg verwendeten Begriffe Gentrification
und Prekarisierung im Zuge aufwändiger Onlinerecherchen bei Google
eintippten. Pech für Holm: Auch er forscht zum Thema Gentrification.
Die in seinen Publikationen verwendeten und in der Soziologie weltweit
gängigen Fachtermini machte sich auch die mg zu Eigen. Darüber
hinaus sei er als Wissenschaftler intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen
Bekennerschreiben zu verfassen und könne mit seinem Zugang zu den
Universitätsbibliotheken die nötigen Recherchen unauffällig
durchführen.
Um die Frage, inwieweit eine kritische Wissenschaft dadurch in ihrer Unabhängigkeit
in Forschung und Lehre bedroht ist, soll es hier nicht gehen. Auch nicht,
ob es vielleicht nicht sicherer wäre, doof zu sein, wie die Berliner
Zeitung dazu konstatierte. Viel interessanter ist es, das durch Holms
Festname ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit gerückte
Forschungsgebiet zu beleuchten. Im Folgenden soll am Beispiel Friedrichshains
gezeigt werden, was sich hinter dem Begriff Gentrification verbirgt.
Gentrification in Friedrichshain
Gentrification ist ein Begriff aus der Stadtsoziologie und wurde bereits
1964 von Ruth Glass in Anlehnung an den Ausdruck gentry (engl. für
‚niederer Adel‘) geprägt. Vereinfacht lässt er sich
als Aufwertung und Veredelung innenstadtnaher Wohngebiete beschreiben,
wobei die steigenden Mieten zu einer Verdrängung der alteingesessenen
Bewohner zugunsten einer einkommenstärkeren, statushöheren Schicht
führen. Beschleunigt wird dieser Vorgang durch die Spekulation privater
Investoren mit dem immer interessanter werdenden Wohnraum. Letztlich kann
dies ein Kippen des ursprünglichen Charakters eines ganzen Kiezes
bedeuten. So würden weite Teile Friedrichshains von einer Mittel-
und Oberschicht dominiert, während die einkommensschwächere
Bevölkerung in anderen Wohnvierteln unter sich bliebe. Folglich spricht
man auch von einer sozialen Entmischung.
Wer den Charme bereits gentrifizierter Stadtteile erleben will, muss nicht
bis nach Manhattan, der Mutter aller Umstrukturierungen, fahren. Nein,
es reicht ein Spaziergang in Mitte oder am Prenzelberger Kollwitzplatz.
Wer jedoch verstehen will, wie solch eine Umstrukturierung abläuft
und welche Auswirkungen sie auf die dort lebenden Menschen hat, der blickt
nach Friedrichshain. Denn nirgendwo sonst in Berlin vollzieht sich der
Wandel so rasant wie hier.
Vertreibung der Pioniere
Ideals don‘t burn. We will rise from the ashes! - wie ein Pflaster
schmückt das riesig bunte Banner die Fassade des Hauses, als wolle
es Trost spenden und die Wunden verdecken, die das Feuer verursacht hat.
Tatsächlich ist der Schaden enorm, den der Großbrand Ende Mai
in Friedrichshain anrichtete. 500 Quadratmeter Dachstuhl des Eckhauses
Rigaer- / Proskauer Straße sind zerstört, ebenso weite Teile
der 4. Etage. Was die Flammen verschont haben, hat das Löschwasser
unbewohnbar gemacht. Seitdem fehlt den 48 Bewohnern der Rigaer Straße
84 im Gegensatz zu ihren Ecknachbarn nicht nur ein Dach über dem
Kopf, sondern auch ein Kino, eine Kneipe, eine Volxküche, ein Schlafplatz
für Gäste aus aller Welt sowie ein Konzert- und Sitzungsraum.
Denn dies hier war kein gewöhnliches Mietshaus. In dem ehemals besetzten,
durch Mietverträge längst legalisierten Gebäude hat sich
seit 17 Jahren ein alternatives Wohnprojekt befunden.
Der Fall erinnert an die »warme Sanierung« 10 Jahre zuvor:
Schon im Sommer 1997 brannte der Dachstuhl der Rigaer84 unter dem Einsatz
von Brandbeschleunigern nieder, wobei viele ex-besetzte Häuser im
Samariterviertel auf die gleiche Weise unbewohnbar wurden. Nun verbittet
es sich, eine direkte Verbindung zwischen den privaten Hausbesitzern und
den Bränden zu ziehen. Fakt aber ist, dass nun möglich war,
was die Bewohner aufgrund ihres Mietrechts zuvor hinausgezögert hatten:
die aufwändige Sanierung der baufälligen Altbauten, was eine
enorme Wertsteigerung mit sich brachte.
Ob Køpi, RAW-Tempel (Heimat der poetry slammer »Chaussee
der Enthusiasten« - die Ohrbooten hatten hier einen ihrer ersten
Auftritte) oder Oststrand (Austragungsort der jährlichen Strandvölkerball-WM):
Die Liste bedrohter politischer und kultureller Projekte in Friedrichshain
und Umgebung ließe sich beliebig fortführen. Dies verdeutlicht
aber, dass als erste die so genannten Pioniere betroffen sind, also gerade
jene Menschen, die Friedrichshain erst zum quirligen und bunten Szenebezirk
werden ließen, in welchem unterschiedliche Lebensentwürfe toleriert
werden.
Doch mit dem Verschwinden
der Pioniere erstarkt auch der Rechtsextremismus
Friedrichshain gilt weit über die Landesgrenzen hinaus als alternativer,
weltoffener Kiez. Tatsächlich ist der Bezirk Brennpunkt rechter Gewalt.
Nirgendwo sonst in Berlin gibt es mehr rechtsextrem motivierte Straftaten
als hier und das bereits seit 2005. Darunter fallen das Kleben von Rudolf-Hess-Bildchen
oder das Zeigen des Hitler-Grußes. Klingt harmlos, bleibt aber nicht
folgenlos, wenn etwa Propagandadelikte zu körperlicher Gewalt gegen
Migranten, (vermeintliche) Linke und Andersdenkende werden. Drei Beispiele
aus der Chronik der Opferberatung ReachOut:
Am 15.06.2007 wird eine schwangere Frau
mit alternativem Outfit am S-Bhf. Frankfurter Allee von einer Gruppe Männer
mit einer Flasche auf den Kopf geschlagen. Sie meinen: So ein Pack darf
sich nicht vermehren.
01.08.2006: Zwei Wahlhelfer der SPD werden
beim Plakate aufhängen vom Publikum des Imbiss Holteistraße
/ Sonntagstraße mit den Worten bedrängt: Hier ist Nazi-Deutschland,
verschwindet. Eine Person versucht einen Wahlhelfer von der Leiter zu
stoßen und flüchtet, bevor die Polizei eintrifft.
22.04.2006: In der Nacht zu Sonntag wird
eine dunkelhäutige Frau am S-Bhf. Frankfurter Allee von sechs Neonazis
(gekleidet im HipHop-Style) ohne Vorwarnung festgehalten, zusammengeschlagen
und beraubt. Sie erlitt erhebliche Verletzungen und musste ins Krankenhaus
(Rippenprellung, Unterleibsprellung, angebrochenes Jochbein).
Die Vorfälle zeigen, wie heterogen
sich das rechte Spektrum in Friedrichshain gestaltet. Die größte
Gruppe umfasst unorganisierte Jugendliche und Hooligans mit rechtsgerichtetem
bis rechtsextremem Meinungsbild. Aggressives Auftreten und Gewalt richten
sich eher spontan und nicht selten unter Alkoholeinfluss gegen potentielle
Opfer. Zu ihnen zählen Linke und Alternative, Migranten, Homosexuelle
sowie Normalbürger, welche ihren Unmut gegenüber rechter Gewalt
äußern. Darüber hinaus ist ein deutliches Erstarken organisierter,
rechter Strukturen in Form von Freien Kameradschaften, zu beobachten,
welche sich in einigen Kneipen und bestimmten Gebieten etablieren konnten.
Sie kommen entweder aus Friedrichshain selbst, wie die noch recht junge
»Kameradschaft Friedrichshain« (KSF), oder dem nahe gelegenen
Weitlingkiez im Nachbarbezirk Lichtenberg, wo die »Freien Kräfte
Berlin«, dem Nachfolger der verbotenen »Kameradschaft Tor«,
mobilisieren.
Der Anstieg rechter Übergriffe ist auch eine Folge der aktuellen
Umstrukturierung. Denn mit der zunehmenden Verdrängung der alternativen
Subkultur bricht ein Bevölkerungsteil weg, der bisher den Gegenpol
zu einer rechten Alltagskultur gebildet hat. War es Anfang der 1990er
Jahre für Rechtsextreme undenkbar, sich in Friedrichshain zu betätigen,
stießen sie in den letzten Jahren kaum auf Gegenwehr. Nicht zuletzt
deshalb, weil sie äußerlich meist nur noch schwer als Neonazis
zu erkennen sind, da sie mittlerweile Kleidung und Symbole anderer Jugendkulturen
übernehmen. Gleichzeitig geht den Bürgern im Kiez die Sachkompetenz,
das heißt die Sensibilität für gesellschaftlich-politische
Probleme, verloren.Von der voranschreitenden Gentrification sind zunehmend
sozial Schwache betroffen
Fungieren die verdrängten Pioniere als Indikator für eine beginnende
Gentrification, kann man deren Fortschreiten nun am wachsenden Kreis der
Betroffenen ablesen. Denn angelockt vom alternativen Flair in Verbindung
mit top sanierten Altbauten, zieht es solvente Singles und junge Paare
in den Bezirk, die in der Soziologie als Yuppies (young urban professionals)
und Dinkies (double income, no kids) charakterisiert werden. Auf Grund
der zunehmenden Luxussanierung in jüngster Vergangenheit und Umwandlung
von Mietraum in Eigentumswohnungen werden preiswerte Wohnungen zunehmend
knapper. Davon betroffen sind zum einen viele alteingesessene Mieter (im
ehemaligen Ostberliner Arbeiterbezirk eher finanziell schwach) sowie alle
Personen, die Friedrichshain wegen der ehemals geringen Miete bewohnen:
Studenten, Rentner, viele Migranten und Empfänger von Hartz IV.
Andrej Holms Doktorvater, Hartmut Häußermann, bemerkte in seinem
Buch Neue Urbanität zum Ergebnis der Gentrification: Statt Müsli
und naturtrübem Saft stehen dann Sekt und Kaviar auf dem Tisch. Na
dann, Prost Friedrichshain! Orginal-Post
<<< Presse
26.11.2007 Neues Deutschland
1700 Teilnehmer bei Antifa-Demo
Silvio-Meier-Gedenken zum 15. Mal / Übergriffe von Beamten am Ende
der Manifestation
Vor der Gedenktafel im Friedrichshainer
U-Bahnhof Samariterstraße liegen Blumen, einige Kerzen sind entzündet
worden. Die Tafel, die an die Ermordung des Hausbesetzers Silvio Meier
durch Rechtsextremisten vor 15 Jahren erinnert, ist neu. »Ich habe
gesehen, wie sie die eingebaut haben«, sagt die Künstlerin
Uta Donner. »Die Tafel wurde nicht nur einbetoniert, sogar die Schienen
sind genietet worden. So schnell wird die nicht geklaut.« Donner
dokumentiert seit Jahren den Diebstahl und das Verschwinden der Tafel.
Antifaschisten vermuten Neonazis als Diebe – aber auch die BVG entfernte
zwei Mal die Tafel.
Während unten in Trauer an den Hausbesetzer Silvio Meier gedacht
wird, sammeln sich überirdisch rund 1700 Demonstranten, so viele
wie lange nicht mehr, um an der jährlichen Gedenkdemonstration teilzunehmen.
Zum 15. Mal seit 1992 wird sie von einem linken Bündnis veranstaltet.
Das Motto: »Antifa heißt Angriff! Linke Freiräume verteidigen.«
Weil viele alternative Wohnprojekte in Friedrichshain gefährdet sind,
möchte man Solidarität mit ihnen zeigen. Im Gegensatz zu den
letzten Jahren, wo die Demo oft nach Lichtenberg führte, streift
sie den östlichen Bezirk diesmal nur leicht.
»Wir wollen auf die rechtsextremen Übergriffe in Friedrichshain
aufmerksam machen«, sagt Sebastian Lorenz von der Antifaschistischen
Linken (ALB), die den Aufzug mitorganisiert hat. Zwar mag es paradox klingen,
in den alternativen Szenebezirk würden jedoch häufig Rechtsextreme
kommen, um Migranten, Punks und alternative Kids anzugreifen. Eine Stelle,
an der es häufig dazu gekommen war, ist die Ambrosiusbar an der Warschauer
Straße. Deshalb legt die Demonstration hier einen Zwischenstopp
ein. Zum ersten Mal ziehen Polizisten in Kampfmontur auf. Der Aufzug ist
bisher ohne Polizeibegleitung ausgekommen.
Obwohl sich die Situation auch an der Ambrosiusbar schnell wieder beruhigt,
wird das Polizeispalier nicht mehr abgezogen. Am Ende der Demonstration,
die vom Veranstalter wenig später an der Ecke Revaler / Libauerstraße
aufgelöst wird, kommt es zu kurzen, aber heftigen Angriffen durch
sogenannte Greiftrupps der Polizei, die Teilnehmer verhaften. Die verbliebene
Menge antwortet mit einzelnen Flaschenwürfen auf den Einsatz.
»Im Zuge des brutalen Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatzes wurden
mindestens acht Menschen verletzt«, sagt Sebastian Lorenz am Tag
danach. Beim Ermittlungsausschuss (EA), der Festgenommene betreut, hätten
sich dreizehn Personen gemeldet. Die Veranstalter wollen den Einsatz juristisch
prüfen lasen. »Es ist ein Skandal, dass es in Berlin nicht
möglich ist, eine linke Demo ohne Polizeigewalt durchzuführen«,
kritisiert Lorenz. Eine linke Kundgebung in Lichtenberg am selben Tag
verlief allerdings störungsfrei. Die Veranstaltung der Linkspartei,
die von der Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (LINKE) organisiert
wurde, richtete sich gegen eine Kundgebung von 50 Neonazis.
<<<
Presse
26.11.2007 Berlin Zeitung
"Latsch-Demo" mit Feuerwerk
Rangeleien und Festnahmen beim Gedenken an ermordeten Silvio Meier
Am Rande der Demonstration zum Gedenken
an den 1992 ermordeten Hausbesetzer Silvio Meier hat die Polizei zwölf
Personen festgenommen. Diese Bilanz gab die Behörde gestern bekannt.
Der Aufzug hatte laut Polizei rund 1 600 Teilnehmer. Die Veranstalter
sprachen von 2 500. Die Polizei war mit rund 1 000 Beamten im Einsatz.
Bis zum Ende verlief die Demo größtenteils friedlich. Mit 45
Minuten Verspätung startete sie gegen 17.45 Uhr am U-Bahnhof Samariterstraße.
Zuvor waren einige Teilnehmer gegeneinander handgreiflich geworden, weil
jemand eine Israelfahne entrollt hatte.
Die Demonstranten zogen zunächst durch den Kiez nördlich der
Frankfurter Allee und dann südlich durch die Mainzer- und die Warschauer
Straße. Sie trugen Transparente mit Parolen wie "Kein Vergeben,
kein Vergessen" und "Nazistrukturen zerschlagen". Dazu
gab es immer wieder lange Ansprachen vom Lautsprecherwagen. Teilnehmer
zogen das spöttische Fazit: "Eine langweilige Latsch-Demo".
Laut Polizei wurden während des Aufzugs allerdings mehrere geparkte
Autos beschädigt. Auch wurden immer wieder Leuchtraketen während
der Demonstration in die Luft geschossen. Auf einem Dach an der Warschauer
Straße entzündeten Linke ein bengalisches Feuer und schwenkten
Antifa-Fahnen. Zwischenkundgebungen gab es unter anderem vor einer Kneipe
in der Warschauer Straße, wo angeblich Neonazis ihr Bier trinken.
In Richtung des Lokals flogen Steine, die aber nicht trafen.
Nachdem die Demo an der Revaler Straße geendet hatte, begannen die
Auseinandersetzungen mit der Polizei, unter anderem, weil sich Demonstranten
vermummt hatten und weil Kurden, die sich unter die Demo gemischt hatten,
Fahnen mit dem Konterfei des Führers der verbotenen PKK, Abdullah
Öcalan, schwenkten. Vereinzelt flogen Flaschen. Festnahmetrupps der
Bereitschaftspolizei griffen sich die "Störer" heraus.
"Gegen sie wurden Ermittlungsverfahren unter anderem wegen schweren
Landfriedensbruchs und versuchter Gefangenenbefreiung eingeleitet",
sagte eine Polizeisprecherin. "Nach kurzer Zeit entspannte sich aber
die Lage wieder." Die Veranstalter wiederum warfen der Polizei brutales
Vorgehen vor. Sie kritisierten einen "brutalen Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatzes".
Vor dem Aufzug hatte es bereits zwei Kundgebungen gegeben, die ohne Vorkommnisse
verliefen. In der Margaretenstraße im Weitlingkiez hatten sich 43
Neonazis versammelt. Am Münsterlandplatz hatten rund 60 Gegendemonstranten
dagegen protestiert.
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Presse
25.11.2007 DPA
Polizei sichert Demo mit Großaufgebot - 1600 Teilnehmer gedenken
ermordeten Hausbesetzers - Vier Festgenommenen droht U-Haft
Die befürchteten Auseinandersetzungen
zwischen Linken und Rechten am Wochenende in Berlin sind ausgeblieben.
Wie ein Polizeisprecher am Sonntag sagte, verlief die diesjährige
Silvio-Meier-Gedenkdemonstration mit rund 1600 Teilnehmern am Samstagabend
bis zum Ende weitgehend friedlich. Im Anschluss sei es jedoch zu Stein-
und Flaschenwürfen auf Beamte gekommen.
Insgesamt wurden 13 Personen wegen Landfriedensbruchs, Verstoßes
gegen das Versammlungsgesetz, versuchter Gefangenenbefreiung und Körperverletzung
festgenommen. Vier von ihnen sollten im Laufe des Sonntags einem Haftrichter
vorgeführt werden. Zudem wurden entlang der Wegstrecke mehrere Autos
beschädigt.
Bei dem rund zweistündigen Marsch durch die Stadtteile Friedrichshain
und Lichtenberg protestierten die vorwiegend aus dem linken Spektrum stammenden
Teilnehmer mit Transparenten und Sprechchören gegen Neonazis. Anlass
des jährlich stattfindenden Aufzuges war der 15. Todestag des erstochenen
Hausbesetzers Silvio Meier.
Die Polizei war am Samstag wegen der Gedenkdemonstration sowie zwei kleineren
Veranstaltungen mit 1000 Beamten im Einsatz. Am Nachmittag hatten 50 Rechtsgerichtete
eine Gegendemonstration abgehalten, die Partei Die Linke protestierte
gegen diese Kundgebung parallel mit 60 Personen.
Die abendliche Demonstration führte vom U-Bahnhof Samariterstraße
durch den angrenzenden Bezirk Lichtenberg zurück nach Friedrichshain.
Eine als rechter Treff bekannte Gaststätte in der Alfred-Jung-Straße
war von Sicherheitskräften noch weiträumig abgesperrt worden.
Zum Abschluss der Demo wurde laut Polizei allerdings ein Lokal der rechten
Szene in der Warschauer Straße mit Steinen beworfen. Dabei wurde
den Angaben zufolge ein Fotograf verletzt. Die Veranstalter sprachen davon,
dass bei den Auseinandersetzungen im Anschluss an die Demonstration acht
Personen von der Polizei durch Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz verletzt
wurden.
Angemeldet worden war der Protestmarsch vom Lichtenberger Bezirksverordneten
Kirill Jermak (Die Linke). Jermak bezeichnete den Aufzug als «kämpferisch,
aber friedlich». Im U-Bahnhof Samariter-Straße wurde unterdessen
eine in der Vergangenheit mehrfach beschädigte oder entwendete Gedenktafel
erneuert. Zahlreiche Blumen und Kerzen erinnerten an den Tod Silvio Meiers
am 21. November 1992.
Der 27-Jährige war damals dort bei einer Auseinandersetzung mit rechtsorientierten
Jugendlichen erstochen worden. Der Täter, ein 17-jähriger Hooligan,
war im Oktober 1993 wegen Totschlags zu vier Jahren und sechs Monaten
Haft verurteilt worden.
Bereits für kommenden Samstag mobilisiert die linke Szene gegen einen
Aufmarsch von Rechtsradikalen, mit dem diese im Berliner Südosten
für ein «Nationales Jugendzentrum» demonstrieren wollen.
Der Aufzug der Neonazis soll am U-Bahnhof Rudow beginnen und zum S-Bahnhof
Schöneweide führen. Zu einer Gegenkundgebung ruft das Bündnis
«Antifa-Event statt Nazi-Advent!» auf.
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Presse
24.11.2007 Tagesspiegel
Auf dem Weg zur Konfrontation
Die Demonstranten zum Gedenken an Silvio Meier zieht am Samstag durch
Friedrichshain. Die Linken verzichten auf die Konfrontation mit den Nazis.
Die Polizei befürchtet Gewalt von rechts.
Anders als in den Vorjahren soll der Protest
von mindestens 1000 Teilnehmern nicht nach Lichtenberg führen, hinein
in den als rechte Hochburg verrufenen Weitlingkiez. Bislang musste die
Polizei auf der Frankfurter Allee immer schweres Gerät und über
1000 Beamte postieren, um beide Gruppen zu trennen. Wie der Anmelder der
Demo, der Bezirksverordnete Kirill Jermak der Linken, sagte, wolle man
in diesem Jahr die „Solidarität mit alternativen Projekten
thematisieren“.
Also führt das Silvio-Meier-Gedenken heute ab 16 Uhr im „eigenen“,
linken Friedrichshain im Kreis. Die Entscheidung stieß bei der Polizei
auf Erleichterung. Denn nach dem Schlagstocküberfall von Linksautonomen
auf fünf Rechte in einem Schnellrestaurant ist die Stimmung angespannt.
Der Tatort lag genau am U-Bahnhof Samariterstraße, in dem 1992 der
Hausbesetzer Silvio Meier von Neonazis ermordet worden war. Deshalb werden
jetzt Racheakte befürchtet. Wie berichtet, gibt es bereits Drohungen
im Internet gegen Jermak. Dieser ist bereits zweimal attackiert worden.
Unklar ist, ob neben der von Neonazis in Lichtenberg angemeldeten Kundgebung
heute doch noch irgendwo der Landesparteitag der NPD stattfinden wird.
Nachdem NPD-Chef Eckart Bräuniger am vergangenen Sonntag im Tagesspiegel
angekündigt hatte, dass der Parteitag auf jeden Fall an diesem Sonnabend
stattfinden solle, war er am Montag davon wieder abgerückt. Offiziell
heißt es, dass keine Räume gefunden wurden.
In Lichtenberg ruft Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (Linke)
für 14 Uhr auf dem Münsterlandplatz zu einer „Kundgebung
gegen rechts“ auf. 500 Meter weiter findet an der Ecke Weitling-/Margaretenstraße
zur gleichen Zeit die Versammlung von etwa 50 Neonazis statt unter dem
Motto „Unser Kiez will keine Schläger“. Ha
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Presse
20.11.2007 Junge Welt
»Ohne öffentlichen Druck würde
keine Tafel hängen«
Gedenken an vor 15 Jahren von Neonazis ermordeten Berliner Antifaschisten
Silvio Meier. Ein Gespräch mit Ute Donner
Wann haben Sie sich erstmals näher
mit dem Antifaschisten Silvio Meier beschäftigt, der vor 15 Jahren
von Neonazis in Berlin-Friedrichshain ermordet wurde?
Angefangen hat alles an einem Morgen im Oktober 1998. Immer, wenn ich
die Treppe vom U-Bahnhof Samariterstraße hinaufstieg, fiel mein
Blick auf eine Gedenktafel mit der Aufschrift »Hier wurde Silvio
Meier am 21. November 1992 von Faschisten ermordet«. Plötzlich
war die Tafel weg, und ich konnte das nicht einfach so hinnehmen. Ich
brachte eine provisorische Gedenktafel und gemalte Bilder an der leeren
Stelle an, die jedoch immer wieder entfernt wurden. Ich erstattete Anzeige
und kontaktierte die lokale Bezirksverordnetenversammlung. Plötzlich
tauchte die Tafel bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) wieder auf
und wurde am Vortag des 21. November 1998 erneut angebracht.
Doch wenige Tage später verschwand sie ein zweites Mal. Damit begann
die Geschichte um das mysteriöse Verschwinden der Gedenktafel. Eine
dritte Platte wurde im Herbst vergangenen Jahres vermutlich von Neonazis
aus der Verankerung gerissen und gestohlen. Diese Auseinandersetzung dokumentiere
ich in meiner Ausstellung »Für Silvio«.
Warum liegt Ihnen das Gedenken an Silvio
Meier am Herzen?
Für mich als einen politisch denkenden Menschen, der sich mit Malerei
und Aktionskunst gesellschaftskritisch äußert und noch dazu
in direkter Nachbarschaft zum Todesort von Silvio Meier wohnt, liegt das
einfach auf der Hand. Silvio Meier war zudem nicht nur Hausbesetzer und
Antifaschist. Er war Vater und Liebender, war in den Wendezeiten Oppositioneller
und in der Kirche von Unten aktiv, und er war Pazifist. Da fühle
ich mich ihm sehr nahe.
In meiner Ausstellung »Für Silvio«
verknüpfe ich Bilder mit Texten von Rio Reiser, weil die am besten
zu ihm passen. »Der Traum ist aus – aber ich werde alles geben,
daß er Wirklichkeit wird.« Durch meine Aktionen will ich andere
Wege aufzeigen, der Lethargie etwas entgegensetzen, Brücken bauen
für Menschen, die auch aufstehen wollen, denen es nicht egal ist,
wenn alles den Bach runtergeht.
Welche Reaktionen gibt es auf Ihr Engagement?
Die Medien und die Öffentlichkeit sind an diesem Thema sehr interessiert.
Die Ausstellung wurde bisher in verschiedenen Lokalen in Friedrichshain
und auch schon im Rathaus Kreuzberg gezeigt. Nach der Präsentation
in der Alice-Salomon-Fachhochschule gab es ein großes Interesse
von Studierenden. Die Dokumentation wird seither als Wanderausstellung
an den Berliner Hochschulen gezeigt. Zuletzt war sie in der Technischen
Fachhochschule zu sehen.
Die Ausstellung beschäftigt sich vor
allem mit dem Ringen um die Gedenkplatte für Silvio Meier. Warum
wird eine kleine Tafel zum Streitobjekt?
Es geht ja nicht nur um eine Gedenktafel, sondern um den Umgang mit rechter
Gewalt in unserer Gesellschaft. Schließlich ist hier ein Mensch
von Neonazis ermordet worden – und das nicht 1933, sondern 1992.
Das darf nie vergessen werden.
Ich finde es erschreckend, wieviel Gleichgültigkeit
es immer noch gegenüber rechtsextremem Gedankengut gibt und wie schwer
sich die BVG mit der Erinnerung an rechte Gewalt tut. Ohne öffentlichen
Druck und den Einsatz von Einzelpersonen, darunter Freunde Silvio Meiers,
wäre die Tafel nicht ersetzt worden.
Vergangene Woche wurde erneut eine Gedenktafel
montiert. Hat sich der Einsatz gelohnt?
Ich hätte fast nicht mehr daran geglaubt, daß vor dem 15. Todestag
von Silvio Meier am Mittwoch noch eine Tafel hängt. Bis zuletzt mußte
erheblicher Druck auf die zuständigen Mitarbeiter der BVG ausgeübt
werden.
Wo ist die Ausstellung »Für Silvio«
als nächstes zu sehen?
Vom 23. November bis 30. Dezember 2007 kann man sie sich im Wahlkreisbüro
der Berliner SPD-Abgeordneten Canan Bayram in der Samariterstraße
6 ansehen. Eine feierliche Eröffnung mit musikalischer Begleitung
findet am kommenden Freitag um 18 Uhr statt.
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Presse
14.11.2007 Junge Welt
15 Jahre Silvio-Meier-Gedenken
Jährliches Erinnern an 1992 von Neonazis erstochenen
Antifaschisten und Hausbesetzer in Berlin
Silvio Meier – Antifaschist und Aktivist
der Hausbesetzerbewegung in Berlin – wurde am 21. November 1992
von Neonazis getötet. Er und einige Freunde gerieten vor 15 Jahren
auf dem U-Bahnhof Samariterstraße in Berlin-Friedrichshain mit Neonazis
in Streit. Es folgte eine Schlägerei, zurück blieben mehrere
schwer verletzte Antifaschisten; Silvio Meier verstarb kurze Zeit später
an einer Stickwunde.
Das Wochenende 21./22. November 1992 war einer der Höhepunkte des
mörderischen Neofaschismus in den frühen 90er Jahren. Am gleichen
Abend starben in Mölln drei Türkinnen bei einem rassistisch
motivierten Brandanschlag. Zu diesem Zeitpunkt waren erst wenige Monate
vergangen, seitdem in Rostock-Lichtenhagen Rechte unter dem Beifall von
Anwohnern eine Ausländerunterkunft in Brand setzten.
Der Tod von Silvio Meier traf die linke Szene in den Umbruchsjahren kurz
nach der Wende hart. Die Situation, in der Silvio Meier starb, war keine
Seltenheit; nur durch Glück kam es zu keinen weiteren Todesopfern.
Skinheadkult und eine zum großen Teil rechtsextreme Hooliganszene
prägten viele Stadtteile Ostberlins. Der angrenzende Bezirk Lichtenberg
galt schon damals als rechte Hochburg.
Antifaschisten nehmen seitdem alljährlich den Tod von Silvio Meier
zum Anlaß, um mit einem lokalen Bezug gegen rechts zu demonstrieren.
So etwa 1998, als das Café Germania im Bezirk Lichtenberg öffnete.
Der Neonazitreffpunkt mußte kurz nach der Demo schließen.
In den Folgejahren geriet vor allem die militante »Kameradschaft
Tor« ins Visier der Antifa.
In diesem Jahr findet die Silvio-Meier-Demo am 24. November unter dem
Motto »Antifa heißt Angriff! Linke Freiräume verteidigen!«
statt. Die Organisatoren schlagen den Bogen von antifaschistischer Selbsthilfe
zu bedrohten linken Projekten im Kiez. Für die Antifaschistische
Linke Berlin (ALB) ist dies kein Widerspruch: »Die beste Aktion
gegen rechts ist eigene linke Politik«, so ALB-Sprecher Sven Laumeyer
gegenüber junge Welt. Letztere wird nicht nur in Lichtenberg, sondern
auch im angrenzenden Friedrichshain zurückgedrängt. Zwar ist
Friedrichshain noch immer durch eine starke linke Szene mit besetzten
Häusern, alternativen Kneipen, Wagenplätzen und Hausprojekten
geprägt. Doch auch hier nimmt die Verdrängung alternativer Wohn-
und Lebensräume in rasantem Tempo zu.
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Presse
29.10.2007 Maikbaumgaertner.de
Das „Irrenhaus“ Berlin - Friedrichshain
Kneipe “Irrenhaus”“Scheiss
Englisch – Amikacke - Verpiss dich!“, so wurde, wie erst jetzt
bekannt wurde, laut Zeugenaussagen, ein Italiener in der Nacht vom 28.09.
zum 29.09. von einigen Stammgästen in der Kneipe „Irrenhaus“
in Berlin - Friedrichshain empfangen, als er sein Bier am Tresen nicht
auf Deutsch bestellte. Eine junge Frau, die daraufhin wissen wollte, ob
der augenscheinliche Neonazi – im klassischen rechten Skinheadoutfit
- ein Problem mit Ausländern habe, wurde u.a. als „Judenfotze“
beschimpft und beleidigt. Die Wirtin nannte den Haupttäter beim Vornamen
und versuchte auf ihn einzuwirken „jetzt nicht hier“ damit
weiter zu machen. Als sich die Gruppe um den Italiener einige englische
Lieder in der Jukebox der Kneipe aussuchte, eskalierte die Situation,
in deren weiteren Verlauf wurde ein deutscher Jugendlicher und Freund
des Italieners von einem Nazi ins Gesicht geschlagen. Ein weiterer wurde
von dem Schäferhundmischling der anfangs nur pöbelnden Nazigruppe
zweimal in den Lendenbereich gebissen. All das spielte sich in den Räumlichkeiten
des „Irrenhaus“ unter den Augen der Wirtin und der anderen
Gäste ab. Als die Jugendlichen die Polizei verständigten, flüchteten
die Täter – 3 Männer und 1 Frau mit dem Hund – von
denen einer in unmittelbarer Nähe noch von den Beamten aufgegriffen
werden konnte. Nachdem die Anzeige aufgenommen und der durch Bisswunden
verletzte Mann durch einen Rettungswagen erstversorgt wurde, zog sich
die Polizei zurück. Eine Gruppe jüngerer Neonazis, die sich
noch in der Kneipe an einem anderen Tisch aufhielten, wurden weder als
Zeugen notiert, noch wurde von der Polizei auf Hinweise der Opfer, dass
diese sie ebenfalls bedroht hätten, reagiert. Zum Abschied sollen
die jungen Nazis gewunken haben und deuteten das symbolische „Kopf
ab“ - mit dem Zeigefinger am Hals entlangfahren - in Richtung der
Opfer. „Dieser Übergriff zeigt einmal mehr, dass der Kiez ein
strukturelles und nicht zu leugnendes Neonaziproblem hat.“, sagte
Markus Roth, ein Sprecher der Initiative gegen Rechts Friedrichshain.
„Während die organisierte Naziszene in Berlin kaum mehr Wirkung
entfalten kann, beweist dieser Vorfall erneut, wie tief Rassimus in der
Mitte der Gesellschaft verankert ist.“, so Roth weiter.
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Presse
06.10.2007 TAZ
Wut vorm Rathaus
Linkes Bündnis demonstriert in Friedrichshain
gegen die Sparpolitik des Bezirks. Grüne solidarisieren sich
Vor dem Rathaus Friedrichshain in der Frankfurter Allee herrschte am Donnerstagnachmittag
ungewohnter Andrang. Rund fünfzig AktivistInnen des linken Mayday-Bündnisses
protestierten mit Transparenten und in Redebeiträgen gegen die Sparpolitik
von Senat und Bezirk.
Das Bündnis, in dem unter anderem die Gruppen "Für eine
linke Strömung" (fels), die Antifa Friedrichshain und die Internationalen
KommunistInnen aktiv sind, hatte bisher zwei Mayday-Paraden "gegen
Prekarisierung aller Arbeits- und Lebensverhältnisse" von Kreuzberg
nach Neukölln organisiert. Mit der Kundgebung wolle man zeigen, dass
es nötig sei, nicht nur am 1. Mai aktiv zu werden, sondern in aktuelle
sozialpolitische Auseinandersetzungen einzugreifen, betonte Sabine Schuster
vom Mayday-Bündnis. Die Debatte über den Sparhaushalt war bisher
hauptsächlich zwischen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg
und dem Senat geführt worden. Die BVV hatte den Haushalt im September
mehrheitlich zurückgewiesen.
"Wir wollen mit der Kundgebung die Stimmen der zahlreichen außerparlamentarischen
Initiativen und sozialen Projekte in Friedrichshain zu Gehör bringen",
deren Arbeit durch die Kürzungen stark beeinträchtigt würde,
sagte Mitorganisator Rainer Wahls von der AG Soziales Berlin im Berliner
Sozialforum.
Die grüne BVV-Fraktion von Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich in
einem offenen Brief mit den Protesten solidarisiert, hält aber die
BVV für den falschen Adressaten. "Sarrazins Chef Wowereit sitzt
im Roten Rathaus und zum Glück nicht in der Frankfurter Allee",
heißt es dort. Das Mayday-Bündnis betonte allerdings seine
parteipolitische Unabhängigkeit und verlangte auch von den Grünen
mehr Konsequenz. "Sie können sich nicht darauf beschränken,
die Verantwortung einmal symbolisch an den Senat weiterzureichen und dann
mit dem Argument der drohenden Zwangsverwaltung den Haushalt doch zu beschließen",
antwortete Wahls auf der Kundgebung.
Die Initiative "Gegen Rechts in Friedrichshain" sah in ihrem
Redebeitrag die Etablierung einer rechten Subkultur im Stadtteil auch
als Folge der Umstrukturierung und Perspektivlosigkeit vor allem junger
Menschen im Kiez. Das Protestbündnis will auch in Zukunft aktiv bleiben.
So wird die Initiative für die Errichtung eines sozialen Stadtteilzentrum
in Friedrichshain unterstützt, das von interessierten KiezbewohnerInnen
und Initiativen gemeinsam genutzt werden soll.
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Presse
08.09.2007 reflect!
"Rechte im Kiez" - Rechtsextreme Strukturen
und zivilgesellschaftliche Gegenstrategien in Berlin-Neukölln und
Friedrichshain
reflectures-Veranstaltung am 4.04.07 in der Friedel54 und
am 21.06.07 in der K9
Die Organisatoren dieses Abends haben sich
dazu entschieden, das Thema dem jeweiligen Veranstaltungsort spezifisch
zuzuordnen, d.h., beim Veranstaltungstermin am 10. April 2007 in der Friedel54
in Neukölln ging es um rechtsextreme Strukturen und zivilgesellschaftliche
Gegenstrategien im eben jenem Bezirk, bei der zweiten Veranstaltung am
21. Juni 2007 in der K9 um die jeweiligen Strukturen in Berlin-Friedrichshain.
Die erste Veranstaltung war sehr gut besucht, etwa 40 Personen waren anwesend.
Die Veranstaltung wurde von reflect! moderiert und Kernstück war
ein detaillierter Vortrag über die Strukturen der rechtsextremen
Szene in Neukölln, mit Erwähnung der jeweiligen Situationen
im Bezirk Treptow-Köpenick und Kreuzberg, da diese Bezirke an Neukölln
grenzen. Im Publikum saß ein Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams
Berlin, der in der anschließenden Diskussion einerseits Verständnisfragen
beantwortete und anderseits ergänzende Gedanken/Fachwissen aus seiner
Arbeit zur Thematik äußerte.
Allerdings verlief die anschließende Diskussion nicht so wie erhofft;
es wurde nicht kontrovers diskutiert, sondern blieb bei einer Frage-Antwort-Runde.
Das lag sicherlich an einem einseitig interessierten Publikum als auch
an den Referenten, die der anvisierten Thematik der zivilgesellschaftlichen
Gegenstrategien in Neukölln zu wenig Raum boten. Nach der Veranstaltung
erfolgte eine Feedbackrunde, die das Gelingen des zweiten Abends sehr
beförderte.
Die Veranstaltung am 21. Juni 2007 in der K9 verlief in vielerlei Hinsicht
besser: Es waren zwar weniger Leute da, was sicherlich an einem dominanten
Musikfestival in Berlin und dem schlechten Wetter lag, aber das Publikum
(18-20 Leute) war sehr interessiert. Er begann mit einem informativen
Vortrag über Rechtsextremismus in der DDR in besonderem Hinblick
auf Berlin, woran sich der Vortrag über rechtsextreme Strukturen
seit 2005 bis zur Gegenwart anschloss. Dabei wurden der organisierte,
parteiengebundene Rechtsextremismus und die nichtorganisierte rechtsextreme
Szene unter dem Gesichtspunkt des besonderen Schulterschlusses der NPD
zu den Kameradschaften betrachtet, da diese von der NPD angewandte Strategie
seit einigen Jahren dem Rechtsextremismus in mehreren ostdeutschen Bundesländern
enormen Zulauf und politischen Aufwind bringt.
Der letzte Vortrag unserer Gäste, des „Bündnisses gegen
Rechts Friedrichshain“, befasste sich mit zivilgesellschaftlichen
Gegenstrategien, die vor einiger Zeit besonders von einem Zusammenschluss
engagierter BürgerInnen im Friedrichshain aktiv erarbeitet wurden.
Im Referat wurden die Erfolge und Misserfolge deutlich herausgearbeitet,
die beim zivilgesellschaftlichen Engagement gegen Rechtsextremismus entstehen
– wie schwer es ist, BürgerInnen des Bezirks mit einzubinden,
Aufklärung über die rechtsextreme Szene zu betreiben und vor
allem Durchhaltevermögen zu entwickeln - um nur einige Schwierigkeiten
zu nennen.
Im Anschluss an diese aufeinander aufbauenden Vorträge entstand eine
lebendige Diskussion über Möglichkeiten und Strategien gegen
Rechtsextremismus sowie über Aufklärung und Hilfestellungen
für Opfer rechtsextremer Übergriffe.
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Presse
28.08.2007 Morgenpost
Netzwerk gegen Rechtsextremismus
Integrationssenatorin Heidi Knake-Werner kündigt
neues Konzept an. Expertenteam berät Politiker
Berlins Integrationssenatorin Heidi Knake-Werner
(Die Linke) hat gestern ein neues Landesprogramm gegen Rechtsextremismus,
Rassismus und Antisemitismus vorgestellt. Ziel sei es, "die demokratische
Stadtkultur auch im Alltag zu unterstützen". Bei der Vorstellung
sagte sie: "Menschen in allen Bezirken der Stadt sollen in ihren
Wohn-, Lern- und Arbeitsorten die Fähigkeit entwickeln, Handeln gegen
Rechtsextremismus selbstständig zu initiieren."
Wie notwendig das ist, zeigte ein Vorfall in Friedrichshain in der Nacht
zu Montag. Dort kam es zu einem gewalttätigen Angriff mit rechtem
Hintergrund. An einem Döner-Imbiss griffen in den frühen Morgenstunden
des Montags zwei angetrunkene Männer im Alter von 22 und 25 Jahren
eine 19-Jährige und einen 20-Jährigen an. Sie beschimpften sie
als "Ökoschlampen" und riefen rechtsradikale Parolen. Die
Täter flüchteten, konnten aber nach kurzer Zeit von der Polizei
gefasst werden. Sie sind inzwischen wieder auf freiem Fuß. Die Opfer
erlitten Gesichtsverletzungen. Der Polizeiliche Staatsschutz ermittelt
wegen gefährlicher Körperverletzung und Volksverhetzung.
Wie berichtet, haben sich rechtsradikale Gewalttaten im Vergleich zum
Vorjahr im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt: 110-mal wurde zugeschlagen.
Die Opferberatungsstelle "ReachOut" zählte sogar 161 rassistische
Gewalttaten, 2005 waren es 116. Bis zum Juli dieses Jahres meldeten sich
schon 56 Opfer rechter Gewalt. Die Zahl werde wohl noch deutlich höher,
weil viele Vorfälle erst später bekannt würden.
Programm erhält
1,5 Millionen Euro
Senatorin Knake-Werner hält es deshalb für sinnvoll, die demokratische
Stadtgesellschaft weiter zu stärken. "So richtig und wichtig
der allgemeine Aufschrei über die Hetzjagd von Mügeln ist, so
problematisch ist der auf solche Ereignisse folgende Aktionismus. Rechtsextremismus
ist kein Ost-Phänomen, sondern eine menschenverachtende Denk- und
Verhaltensweise, der wir nicht erst dann begegnen dürfen, wenn sie
eskaliert", sagte Knake-Werner. Das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus
soll bis Jahresende vorliegen. Am 5. September werde sich ein Expertenteam
in einem Beratungsnetzwerk konstituieren, das dann Politikvorschläge
unterbreiten soll. Ziel sei es, "Bürger zum selbstständigen
Handeln gegen Rechts zu motivieren". Das Programm soll von 1,2 auf
1,5 Millionen Euro im Jahr 2008 aufgestockt werden.
Der Integrationsbeauftragte Günter Piening verwies gleichfalls darauf,
dass man weniger auf Aktionismus setze, denn auf eine Stärkung der
Strategie. Zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gehöre die polizeiliche
Repression wie der Ausbau von Initiativen und eine "klare Positionierung
der politischen Führung." Man brauche einen "Anstand der
Zuständigen", so Piening. "Wenn wir rechtsextreme Strömungen
dulden, gefährden wir die Grundlagen des Zusammenlebens." Mit
dem Beratungsnetzwerk habe man aber eine "große Chance",
Konzepte zu entwickeln und dem Senat anschließend Vorschläge
zu unterbreiten.
"Aufgepasst: Neonazis
an der Schule"
Das brandenburgische Bildungsministerium hat zum Schulbeginn seine Aktivitäten
verstärkt. Es rief angesichts eines NPD-Schulhofblatts zu einem offensiven
Umgang mit Propaganda der rechtsextremen NPD an Schulen auf. Mitglieder
der SPD-Jugendorganisation Jusos verteilen in diesen Tagen etwa 20 000
Exemplare der Schülerzeitung "Rote Rose" vor mehr als 100
Schulen in 30 Städten und Gemeinden Brandenburgs. "Wir wollen
nicht wie Kaninchen auf die Schlange schauen", sagte SPD-Generalsekretär
Klaus Ness. Die Schlagzeile der ersten Ausgabe: "Aufgepasst: Nazis
an der Schule". Die rechtsextreme Partei will laut Verfassungsschutz
mit provokativen Auftritten für die Kommunalwahlen im Herbst 2008
werben.
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Presse
09.08.2007 JugendFürEuropa.De
"Berlin ist nicht Germany"
Erhan Ersöz engagiert sich als Europäischer Freiwilliger bei
der Arbeiterwohlfahrt für eine Welt ohne Rassismus
Wenn sich die Humanität einer Gesellschaft daran erkennen lässt,
wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht, so, wie es der
amerikanische Soziologe und Gesellschaftsphilosoph John Rawls einmal gesagt
hat, dann kann auch Erhan Ersöz nur zustimmend beipflichten. Wenn
der 21-jährige Politikstudent aus Istanbul aber an den Alltag des
von alternativen Lebensmodellen bestimmten Berliner Ost-Szene-Bezirks
Friedrichshain denkt, kommen Erhan Zweifel. Noch fühlt er sich wohl
in diesem Stadtteil, der weit über die Grenzen Berlins hinaus für
sein "hippes Image" bekannt geworden ist. Doch die abwechslungsreiche
Vielfalt in Friedrichshain ist zunehmend in Gefahr. Auch hier wird die
bunte Kiezkultur zunehmend vom Schickeria-Mainstream abgelöst.
Das weitaus gravierendere Problem heißt derzeit aber rechte Gewalt.
Mit mehr als 50 Übergriffen im Jahr 2006 ist Friedrichshain zum Spitzenreiter
rechtsextremer Übergriffe und Gewalttaten in Berlin avanciert, in
diesem Jahr zählte die Antifa bereits 42 Vorfälle. Die Polizei
wollte die Zahlen nicht kommentieren. Von Angsträumen, einer trügerischen
Idylle und Behörden, die solche Übergriffe immer wieder leugnen,
spricht die Initiative gegen Rechts in diesem Bezirk. Erhan ist längst
einer ihrer Hauptunterstützer geworden.
Knapp zehn Monate lebt und arbeitet der in Kadiköy, einem asiatischen
Stadtteil von Istanbul, aufgewachsene Türke nun schon in der Hauptstadt
– als Europäischer Freiwilliger für die Arbeiterwohlfahrt
Friedrichshain-Kreuzberg. "Eigentlich hatte ich mit Italien, Frankreich
oder Spanien geliebäugelt. Ich wollte erst gar nicht hierher kommen“,
verrät Erhan, "als Türke ist man in Deutschland ja nicht
gerade ein Exot.“ Doch dann erfährt er von den Projektmöglichkeiten
der Arbeiterwohlfahrt, und seine türkischen Kollegen von Greenpeace
entsenden ihn ins 2200 Kilometer entfernte Berlin. "Ökologie
oder Sozialpolitik – diese beiden Themenfelder kamen für ein
Engagement in Frage.“
Bei der Arbeiterwohlfahrt entscheidet sich Erhan für eine Kampagne
gegen Rassismus. Seit Januar recherchiert er über den Bezirk Friedrichshain,
spricht mit Politikern, vernetzt sich mit Initiativen und lernt die deutsche
Bürokratie kennen. "Ich wollte eine kleine Kulturveranstaltung
organisieren. Meine türkischen Freunde können nicht glauben,
mit wie viel Leuten ich dafür sprechen musste.“
Sprachbarrieren überwindet Erhan schnell. Man versteht sich, wenn
man sich verstehen will, ist Erhan sicher und lacht: "Berlin ist
eine so liberale Stadt“. Dann wechselt er mal wieder die Sprache.
"No, im ernst, Berlin ist nicht Germany.“ Die "bunten
Vögel“ von Friedrichshain haben es ihm angetan, "die tragen
ja Klamotten, wie sie Lust haben. Bei uns in Kadiköy wäre das
unvorstellbar.“ Es sei faszinierend zu sehen, wie die Menschen nicht
nur von Freiheit sprechen, sondern Freiheit auch gleichermaßen leben
– unabhängig vom finanziellen Hintergrund, auch wenn vielen
die Gabe des Lächelns nicht angeboren scheint.
Rassistischen Anfeindungen in Friedrichshain hat sich Erhan selbst noch
nicht ausgesetzt gesehen. Doch er weiß, wie schnell es zu Übergriffen
kommen kann. "Es gibt unzählige Pöbeleien und Beleidigungen,
die nicht protokolliert sind. Es ist wichtig, dass sich die Menschen vor
Ort selbst organisieren, dass sie genau hinsehen, was vor ihrer Haustür
passiert.“
Ende Juli konnten sich die Friedrichshainer persönlich davon überzeugen,
wie Erhan und seine Mitstreiter mit einer Veranstaltung am Boxhagener
Platz ein bisschen Unruhe in die "Dominanzkultur“ des Bezirks–
so die Initiative gegen Rechts wörtlich – bringen wollten.
Unter dem Motto "Wir kommen zusammen und sagen NEIN zu Rassismus“,
rief die Arbeiterwohlfahrt zu einer Demonstration auf. Erhan hatte sie
organisiert. Auch einige Tage später kann Erhan allerdings noch nicht
verstehen, warum der Dauerregen erst mit dem allerletzten Programmpunkt
der Kundgebung ein Einsehen hatte. 50 bis 60 Regenschirme hatten die Veranstalter
gezählt. Die türkischstämmige Berliner Abgeordnete und
Rechtsanwältin Canan Bayram (SPD) hatte die Bewohner Friedrichshains
aufgerufen, alles dafür zu tun, damit die rechte Szene den Bezirk
nicht noch weiter in Beschlag nehme.
Erhan Ersöz will die Entwicklungen im Berliner Osten jedenfalls auch
von Istanbul aus weiterverfolgen. Eigentlich würde er gerne noch
länger in Deutschland bleiben. Doch die Universität zu Hause
wartet schon wieder auf ihn. "Der Europäische Freiwilligendienst
hat mich enorm bereichert“, sagt Erhan, "doch eines werde ichbestimmt
nicht vermissen: die Sonntage. Mal im Ernst, wenn die Geschäfte nicht
geöffnet haben, was soll man da eigentlich machen?“
<<< Presse
31.07.2007 TAZ
Alkoholausschank mit rechter Umdrehung
Antifa Friedrichshain spricht von zunehmender rechter Gewalt im alternativ
geprägten Stadtteil. Eine Bar an der Warschauer Straße sei
Treffpunkt der Rechtsextremen. Mitarbeiter dementiert. Bündnis gegen
Rechts demonstriert
Friedrichshain gilt gemeinhin als einer
der alternativen Stadtteile Berlins. Dennoch sind dort auch immer wieder
Neonazis anzutreffen. Einer ihrer Treffpunkte ist nach Angaben der Antifa
Friedrichshain die Ambrosius-Bar an der Warschauer Straße. "Jeden
Freitag treffen sich rund 15 Neonazis und rechte Hooligans dort",
sagte eine Sprecherin der Stadtteilantifa. In der Kneipe seien bekannte
Rechte, darunter ehemalige Mitglieder der verbotenen Kameradschaft Tor
und Lichtenberger Rechtsaktivisten, ausgemacht worden.
Gemeinsam mit dem Bündnis gegen Rechts
organisierte die Antifa daher am Sonntagabend eine Kundgebung auf dem
Boxhagener Platz. Die richtete sich in erster Linie an das Publikum des
dortigen Flohmarktes. Gegen die zunehmenden rechten Aktivitäten müsse
man entschieden sein Wort erheben, forderte dort etwa der stellvertretende
Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, Ricardo Fonseca. Man
müsse deutlich machen, dass die Mehrheit im Bezirk für Weltoffenheit
und Toleranz stehe, betonte er. Auch Canan Bayran, SPD-Abgeordnete aus
Friedrichshain, betonte bei der Kundgebung, es dürfe im Stadtteil
keine Plätze geben, wo Menschen, die nicht ins Bild der Rechten passen,
Angst haben müssen.
Die Stadtteilantifa hält die Ambrosius-Bar für solch einen Ort.
In deren Nähe seien in der Nacht zum 14. Juli zwei Menschen türkischer
Herkunft mit Reizgas angegriffen worden. Eins der Opfer sei am Kopf verletzt
worden. Aus der Gruppe der Angreifer seien Rufe wie "Wir sind Neonazis"
zu hören gewesen.
Ein Mitarbeiter der Ambrosius-Bar will auf Nachfrage nicht ausschließen,
dass es auch Rechte unter seinen Gästen gibt. Allerdings seien 90
Prozent des Publikums nicht rechts. Auch viele AusländerInnen kämen
in das Lokal. Er warnt davor, dass das Problem hochgespielt werde. Schließlich
sei es schon vorgekommen, dass eine Sportgruppe für Neonazis gehalten
werde.
Am kommenden Wochenende werden wieder die Kampftrinker zum Besäufnis
auf der Karl-Marx-Allee erwartet. Bei der mittlerweile elften Biermeile
wird nach Angaben der Organisatoren der "längste Tresen der
Welt" aufgebaut. "Seit Jahren ist dieses seltsame Fest Anlaufpunkt
für Neonazis und rechte Hooligans aus Berlin und Brandenburg",
klagt ein Sprecher der Antifa Friedrichshain. Deshalb werde am Freitag
und Samstag in der Liebigstraße 34 ein Infopunkt und Schutzraum
für von rechten Angriffen Betroffene eingerichtet.
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Presse
31.07.2007 Neues Deutschland
»Wir kommen zusammen« gegen Rechts
Stadtteilbündnis warnte mit Kundgebung vor verstärkten neonazistischen
Aktivitäten in Friedrichshain
Unter dem Motto »Wir kommen zusammen und sagen Nein zu Rassismus«
organisierte am vergangenen Sonntagnachmittag ein Stadtteilbündnis
in Friedrichshain eine Kundgebung am Boxhagener Platz. Veranstaltet wurde
sie vom Bündnis gegen Rechts. Unterstützung kam von den Parteien
Die LINKE, SPD, Grüne sowie der Beratungsstelle für Opfer rechter
Gewalt »Reach Out«.
Mit der Aktion sollten die Besucher des dort zeitgleich stattfindenden
Flohmarktes auf ein Problem hingewiesen werden, das den Initiativen zunehmend
Sorge bereitet: Die rechte Gewalt im Stadtteil hat sich in der letzten
Zeit verstärkt. Allein in diesem Jahr habe es bereits 42 rechte Übergriffe
gegeben, erklärte eine Sprecherin der Antifa-Friedrichshain in ihrem
Redebeitrag. Besonders um die Ambrosius-Bar in der Warschauer Straße
hätten sich in der letzten Zeit häufig Personen aus dem rechten
Umfeld, z. B. der ehemaligen Kameradschaft Tor, getroffen. Ein Mitarbeiter
des Lokals erklärte auf Nachfrage, es sei möglich, dass sich
auch Rechte in der Bar treffen. Das könne er auch nicht verbieten.
Doch 90 Prozent der Kundschaft hätten keinen rechten Hintergrund.
Allerdings fühlen sich durch die rechte Präsenz Menschen mit
migrantischem Hintergrund eingeschüchtert und bedroht. Dazu gehört
Canan Bayram, die für die SPD im Abgeordnetenhaus sitzt. Sie betonte
auf der Kundgebung, dass es für Rechte keine Rückzugsräume
im Stadtteil geben dürfe.
Eine Verbindung zwischen der sozialen Lage und den rechten Aktivitäten
zog ein Sprecher der Gruppe Interkomm, die im Stadtteilladen Zielona Gora
aktiv ist. Er betonte die Notwendigkeit, die antifaschistische Arbeit
mit der Organisierung von sozialem Widerstand zu verbinden. Als konkrete
Beispiele nannte er den Kampf gegen die drohende Vertreibung von Menschen
mit wenig Einkommen durch höhere Mieten und Umstrukturierung.
Die Organisatoren der Kundgebung bedauerten, dass durch das regnerische
Wetter die Resonanz geringer war als erhofft. Sie wollen aber auch in
Zukunft mit ähnlichen Aktionen die Bevölkerung im Stadtteil
informieren. Gegen die zunehmenden rechten Aktivitäten müsse
man entschieden sein Wort erheben und deutlich machen, dass die Mehrheit
im Bezirk für Weltoffenheit und Toleranz stehe, betonte der stellvertretende
Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Ricardo Fonseca.
<<<
Presse
26.06.2007 Neues Deutschland
Zerrieben zwischen Besitzer und Besetzern
Brunhild Freiwald war einst Terroropfer und versucht
immer wieder einen Neuanfang
Diese Berlinerin ist eine echte Frohnatur
und ziemlich blauäugig. Dabei hätte sie tausend Gründe,
Gott und die Welt zu verfluchen. Immer wieder musste sie schwere Tiefschläge
verkraften, immer wieder hat sie sich aufgerappelt. Da sitzt Brunhild
Freiwald in ihrer schönen großen Kneipe in der Berliner Rigaer
96 im Stadteil Friedrichshain, doch Gäste sind Mangelware. »Zimt
und Zunder« heißt ihr Etablissement, unter Kennern als Kulturkneipe
mit musikalischem Einschlag als Geheimtipp gehandelt. Auf der Internetseite
ist zu lesen: »Aus technischen Gründen können wir leider
keine warmen Speisen anbieten.« Ohne Essen läuft der Laden
nicht, bringt nicht das Geld für die Kosten. Brunhild Freiwald ist
nicht kleinzukriegen - bisher nicht, obwohl ihr das Wasser bis zum Halse
steht.
Die »technischen Probleme«, weiß sie, tragen einen -
Namen: Suitbert Beulker. Er ist der Besitzer der Rigaer 96. Mit ihm liegt
Brunhild Freiwald im Dauerstreit. Er erfüllt seine vertraglichen
Verpflichtungen zum ordnungsgemäßen Ausbau nicht, sie zahlt
keine Miete. Und so landet die Sache vor Gericht. Beulker ist ein Mann,
der sich um seinen guten Ruf nicht mehr sorgen muss - der ist schon lange
ramponiert. Immer wieder geriet er in die Schlagzeilen. Es waren niemals
positive.
Wohnungen zugemauert
Mit seinen ruppigen Methoden, die Häuser zu entmieten, hat er sich
nur Feinde gemacht. Dem Beulker, so heißt es, gehören die Miethäuser
94 und 96 sowie eines in der Liebigstr. 14. In den Häusern ist die
autonome Szene eine Macht. Der einstige Mitarbeiter der Freien Universität
kaufte Schrottimmobilien billig ein und hoffte auf den großen Profit.
Der ist ausgeblieben und Beulker ist, so heißt es, pleite. Also
versucht er mit Dauerdruck, wie auch immer Geld aus seinen Immobilien
herauszupressen. Die Geschichte die Bösartigkeiten dieses Mannes
gegen seine Mieter füllt Bände. Er ließ Eingänge
zumauern, drang in Wohnungen ein, setzte körperliche Gewalt ein,
erkannte Verträge nicht an, sprach massenweise Kündigungen aus,
holte sich Polizeiverstärkungen und ist Dauerkläger vor Gericht.
Im Gegenzug fand er platte Autoreifen vor, stand vor Verschlossenen Türen
und verschmierten Fassaden.
Die Kneipenfrau ist in einer verzwickten Lage. Laut Gesetz muss sie Miete
zahlen - wenn auch mit erheblichen Abstrichen. Nichtzahlen auf eigene
Faust gibt dem Vermieter das Recht zu kündigen.
Räumt sie das Feld, muss sie etwas zahlen, könnte aber im Gegenzug
über eine Schadensersatzklage mehr rausholen als Beulkers Forderungen
betragen. Doch da der Vermieter nicht flüssig ist, ist der Schadensersatz
vorerst nur das Papier wert, auf dem ein mögliches Urteil zu ihren
Gunsten stehen würde. Der Pachtvertrag hätte noch präzisier
seine Verpflichtungen dokumentieren müssen. Das wurde versäumt.
Hinterher ist man immer klüger.
Aber Brunhild Freiwald will ja auch bleiben. Dann aber muss sie einen
noch auszuhandelnden Betrag in Raten zahlen. Kommt sie in Verzug, wird
mit einem Schlag die Gesamtsumme fällig und sie wird trotzdem zwangsgeräumt.
Und der Vermieter hat noch eine Waffe in der Hinterhand: Je nach Belieben
kann er mit einer Abmahnung einen Rausschmiss erzwingen. Etwa wegen Lärmbelästigung,
wenn eine Band spielt. Dann ist Freiwald alles los. Wie also entscheiden,
wenn die Zeit wegläuft und die Einnahmen ausbleiben, weil aus »technischen
Gründen« nicht gekocht werden kann. Der Hausbesitzer sitzt
am längeren Hebel. Das Beste für beide wäre eine gütliche
Übereinkunft. Doch dazu gehören immer zwei.
Die autonome Szene in der Straße macht vielen Bewohnern Angst, nicht
so sehr das Kapitalistengesindel und die Immobilienspekulanten, wie an
den Häuserwänden zu lesen ist. Nicht, weil sie anders leben
und anders aussehen als der »gesittete Bürgen«. Es sind
einige darunter, die pöbeln, brüllen und werden sofort aggressiv.
Wer nicht in ihr Weltbild passt, wird schnell als Fascho beschimpft, der
sich zu verpissen hat. Dumpfe Typen, mit denen man nicht reden karm. Wie
so oft: eine kleine Minderheit prägt das Bild einer Gruppe und nicht
die Mehrheit, die einfach nur anders und selbstbestimmt leben will. Auch
einige Schwarze aus Westafrika, die in der Rigaer zu Hause sind, müssen
darunter leiden.
Hinter vorgehaltener Hand werden die Unappetitlichkeiten angesprochen.
In der Öffentlichkeit will sich keiner äußern. »Zu
mir kam einer in den Laden, und brüllte mich an:. Wenn du den Bullenschweinen
noch einmal einen Kaffee verkaufst fackeln wir deine Bude ab«, erzählt
ein Geschäftsbesitzer. Ein anderer: »Mir haben sie gleich die
Fenster eingeschlagen, als ich ihnen sagte, sie sollen ihre drei Hunde
vor der Tür lassen.« Viele Anwohner halten still. Nur nicht
auffallen, sonst ist man der nächste.
Barrikaden und brennende
Container
Wenn woanders das abendliche Leben logeht, fühlt man sich in der
Rigaer bedrängt. Polizeifahrzeuge und Streifen patrouillieren bis
in den frühen Morgen, die Mieter bleiben in ihren Wohnungen. Die
Rigaer leidet unter einem permanenten Ausnahmezustand. Straßenleben
kann sich so nicht entfalten. Am 1. Mai brannten Container mitten auf
der Straße, die Flammen schlugen vier Meter hoch. Im April gab es
eine Straßenschlacht zwischen 200 Autonomen und der Polizei. »Das
macht es einem wirklich schwer, Sympathie zu empfinden«, sagt die
Kneipenchefi. Auch als in der Nacht vom 26. zum 27. Mai der Dachstuhl
der Rigaer 84 brannte und die Bewohner aus 'der autonomen Szene mit einem
Schlag obdachlos wurden, hielt sich das Mitfühlen der Nachbarn in
Grenzen. Obwohl Brandstiftung als Ursache feststeht, ist nicht klar, wer
gezündelt hat. Anwohner vermuten eher, dass irgend ein zugekiffter
Punk das Flammeninferno verursacht hat. Beweise gibt es nicht.
Tagelang saßen die Wohnungslosen auf der Straße hinter der
Brandabsperrung auf vergammelten Sofas und Kisten und tranken ihr Bier
- wie sie es schon vorher getan haben. Das Haus ist baufällig geworden,
die Leute mussten das Areal räumen. Bis es kalt wird, muss eine Lösung
her. Die »anderen« Bewohner der Straße hoffen, dass
»die« irgendwo abtauchen mit ihrem Krempel, nur nicht in der
Rigaer. Und für die anderen sind es noch immer die Hausbesetzer,
obwohl die Rigäer 84 längst zu einem selbstverwalteten Wohnund
Kulturprojekt wurde mit ordentlichen Mietverträgen für die Mehrheit.
An den Wänden ist zu lesen: »Körting (Berlins Innensenator)
ich bin Mörder und Versager«, »Bullenschweine und Atomterroristen,
raus aus Berlin«, »Am 1. Mai und beim G8 - Deutschland abschlachten«.
Dumme Sprüche, hinter denen sich üble Gesinnung und Menschenverachtung
verstecken.
Brunhild Freiwald verteidigt sie, obwohl man ihr auch schon eine große
Scheibe zertümmert und auf ihrer Treppe die leise Warnung »No
Nazis, No Beukler, Antifa« gesprayt hat. »Die haben manchmal
tolle Ideen, machen gute Stirnmung, die von der 94. Sie können von
mir aus machen, was sie wollen, nur nicht andere terrorisieren.«
Irgenwo steht sie zwischen den Fronten.
Mit der Kneipe wollte sich Brunhild Freiwald einen Traum erfüllen.
Ein Restaurant, kein Edelschuppen, doch angenehm in der Atmosphäre,
im Kiez verankert und mit einem interessanten Kulturangebot. Und dafür
hat sie ihrren kleinen. Schatz eingesetzt, der vor drei Jahren unerwartet
über sie hereinbrach.
Brunhild Freiwald gehörte zu den Opfern des La-Belle-Attentats 1984
im alten Westberlin. Am 5. April 1984 gegen 1.40 Uhr explodierten drei
Kilo-Sprengstoff in der Diskothek La-Belle in Friedenau, drei Menschen
starben, fast 300 Gäste wurden verletzt. Hinter dem Anschlag steckte
der libysche Geheimdienst. Die damals -18-Jährige wurde unter Trümmern
begraben. Sie erlitt Verletzungen, verlor ihr ungeborenes Kind, ihre Liebe
zerbrach und sie wurde arbeitslos. Horror, der ein Leben lang wirkt. 2004,
nach so vielen Jahren, dannn die Nachricht: Die libyische Gaddafi-Stiftung
zahIt den Opfern des Attentats eine Entschädigung. Von dem Geld wollte
sie die Ausbildung ihrer Tochter finanzieren, eine schöne Reise machen
und eine Kneipe aufziehen. Nun steht sie vor dem Aus. Aber vielleicht,
so hofft sie, gibt es doch noch eine Lösung.
21.03.3007 WELT
Ausländer in Berlin immer häufiger Opfer
von Gewalttaten
Laut Polizei ist die Zahl der fremdenfeindlichen
Übergriffe im Jahr 2006 um 172 Prozent gestiegen. Oft werden Menschen
allein wegen ihres Aussehens verletzt. Mehr als ein Drittel der rechten
Gewalttaten wurde in Bezirken im Osten der Stadt verübt. Erfreulich
ist nur: Die Aufklärungsquote ist gestiegen.
Zum Welttag gegen Rassismus am Mittwoch haben Politiker europaweit ihren
Willen bekundet, der gestiegen Zahl von Übergriffen und Gewalttaten
entgegenzuwirken. „Die EU verurteilt alle Formen von Rassismus,
Rassendiskriminierung, Intoleranz und Diskriminierung scharf“, heißt
es in der Erklärung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.
Wie gegenwärtig das Thema Rassismus auch in Berlin ist, zeigen die
Anfang der Woche veröffentlichten Zahlen des Landeskriminalamtes
(LKA) zur politisch motivierten Kriminalität. Auf 32 Seiten haben
die Ermittler des Staatsschutzes ihre Erkenntnisse über die kriminellen
Aktivitäten von Rechts- und Linksextremisten sowie ausländischer
Extremistengruppen zusammengetragen.
Insgesamt stieg die Zahl politisch motivierter Straftaten 2006 um 23 Prozent
gegenüber dem Vorjahr. 3673 Delikte zählte das LKA, 2005 waren
es 2980 gewesen. Auch die Zahl der Gewalttaten stieg deutlich von 232
auf 298. Dabei ermittelte das LKA 2071 Tatverdächtige, 144 mehr als
im Vorjahr. Alarmierend ist die Entwicklung bei rechtsextremistisch motivierter
Kriminalität. Die Gesamtzahl der von Rechten verübten Straftaten
stieg von 1602 auf 1964, die Zahl der Gewaltdelikte hat sich gegenüber
2005 mehr als verdoppelt; sie stieg von 52 auf 110.
Fünf der 110 registrierten Gewaltdelikte hatten einen antisemitischen
Hintergrund, 48 richteten sich gegen Linke und 49 Taten waren fremdenfeindlich
motiviert. Das macht bei letzterer Gruppe einen Anstieg gegenüber
dem Vorjahr von 172 Prozent.
Mehr als ein Drittel der rechten Gewalttaten wurde in Bezirken im Osten
der Stadt verübt. Im Bereich der Polizeidirektion 6 (Lichtenberg,
Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick) wurden 39 Taten erfasst. Auch
in Neukölln (20) und im Berliner Norden mit Reinickendorf und Pankow
(18) stieg die Zahl der Delikte. Die wenigsten rechtsextremistischen Straftaten
(6) gab es im Südwesten.
Die Aufklärungsquote ist gestiegen
Erfreulich ist aus polizeilicher Sicht der deutliche Anstieg der Aufklärungsquote.
2006 konnten die Staatsschützer 854 Tatverdächtige aus dem rechten
Spektrum ermitteln, 200 mehr als im Jahr zuvor.
Zwei herausragende Ereignisse im Zusammenhang mit rechtsextremistischen
Straftaten nennt der Staatsschutz für das Jahr 2006: den Überfall
auf einen türkischstämmigen Abgeordneten der PDS-Fraktion in
Lichtenberg und einen Brandanschlag auf das Dokumentationszentrum für
NS-Zwangsarbeit in Schöneweide.
Die Berliner Politik hat das Problem nicht erst seit diesen spektakulären
Fällen erkannt. Am 14. März 2006 trat die Stadt der Europäischen
Koalition der Städte gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung
bei. Ein Zehn-Punkte-Programm der Koalition verlangt unter anderem eine
verstärkte Wachsamkeit, die Schaffung eines Solidaritäts-Netzwerkes,
die verstärkte Unterstützung der Opfer, die Schaffung von Chancengleichheit
und verstärkte Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen.
Ein Jahr später zieht Günter Piening, Integrationsbeauftragter
des Senats, eine „zwiespältige Bilanz“. Die aktuellen
Zahlen seien „erschreckend“, sagt er. Sie zeigten aber auch,
dass Berlin recht daran tue, das Problem ständig zu thematisieren
und nicht totzuschweigen. Piening fordert vor allem eine konsequente Verfolgung
und Bestrafung der Täter, Schutz und Hilfe für die Opfer und
einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft.
Eins der zentralen Projekte gegen Rassismus ist die Opferberatungsstelle
ReachOut an der Kreuzberger Oranienstraße. 155 Fälle von rechter,
rassistischer und antisemitischer Gewalt – Bedrohungen und Körperverletzungen
zumeist – haben die Mitarbeiter im vergangenen Jahr dokumentiert.
Ein Plus von 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch nach der Statistik
der Beratungsstelle liegen die Schwerpunkte der Gewalt im Osten der Stadt
– vor allem in Friedrichshain, Lichtenberg und Prenzlauer Berg.
Eilige Schlüsse auf ein hohes rechtes Potenzial relativiert ReachOut-Mitarbeiterin
Helga Seyb allerdings. Übergriffe gebe es in fast allen Bezirken.
Ein trauriger Rekord wie die 50 dokumentierten Taten allein in Friedrichshain
habe zudem viele Gründe. Da ein Großteil der Gewalttaten in
öffentlichen Verkehrsmitteln, in und um Bahnhöfe und in öffentlichen
Parks geschähen, sei der Stadtteil mit den Stationen Ostkreuz, Warschauer
Straße und Frankfurter Allee sowie dem Volkspark als Schmelztiegel
politischer und ethnischer Gruppen besonders belastet. Rechte und rassistisch
motivierte Gewalt richte sich vor allem immer wieder gegen Schwarzafrikaner,
sagt Seyb. An zweiter Stelle der Statistik folgen meist junge Opfer, die
optisch der linksalternativen Szene zuzuordnen sind. Fast immer sind Opfer
wie Täter Männer. Und in den meisten Fällen, die bei der
Beratung landen, geben die Opfer an, allein wegen ihres Aussehens bedroht,
beschimpft, geschlagen worden zu sein.
Bei der Frage nach dem Warum kann aber auch Helga Seyb nur mutmaßen.
„Ich habe den Eindruck, dass mehr und mehr Tabus fallen“,
sagt sie. Auch Menschen, die nicht unmittelbar zur rechten Szene zählten,
kämen inzwischen diskriminierende Sprüche „leichter über
die Lippen als vor einigen Jahren.“
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Presse
08.03.2007 TAZ
"Neue Qualität der Gewalt"
Nirgendwo in der Stadt gibt es so viele
rechte Übergriffe auf Migranten und alternative Jugendliche wie in
Friedrichshain und Lichtenberg. Dabei gehen die Neonazis immer organisierter,
gezielter und brutaler vor Geht es um Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten
und Neonazis, fällt immer wieder das Wort "Lichtenberg".
Besonders der Weitlingkiez ist bekannt für
seine rechte Szene. Die Gewalt hat sich in jüngster Zeit jedoch mehr
und mehr in das angrenzende Friedrichshain verlagert. Zudem ist das Auftreten
der Rechten brutaler geworden. "Wir haben es mit einer neuen Qualität
der Gewalt und einer Militarisierung der rechten Szene zu tun", sagt
Kirill Jermak, 18-jähriger Bezirksverordneter und jugendpolitischer
Sprecher der Linkspartei in Lichtenberg.
Während es früher meist spontane Gewalttaten aus einem Alkoholrausch
heraus gegeben habe, so Jermak, sei die Kameradschaftsszene inzwischen
"erschreckend gut" organisiert. Rechte Übergriffe würden
beinahe militärisch durchgeplant. "Wenn man sich in Berlin öffentlich
gegen rechts engagiert, läuft man leider Gefahr, tätlich angegriffen
zu werden." Jermak weiß, wovon er spricht: 2006 wurde er zweimal
von Neonazis hinterrücks angegriffen und niedergeschlagen. Kein Einzelfall:
Im letzten Mai wurde der aus der Türkei stammende PDS-Abgeordnete
Giyasettin Sayan in der Weitlingstraße vermutlich von Rechten zusammengeschlagen.
"Wir haben den Eindruck, dass die Angriffe auf linke und alternative
Jugendliche gezielt geschehen, während es sich bei rassistischen
Gewalttaten eher um Gelegenheitsangriffe handelt", sagt Sabine Seyb
von der Beratungsstelle "ReachOut" für Opfer rechter Gewalt.
Allein in Friedrichshain habe es im vergangenen Jahr 50 gewalttätige
rechte Übergriffe gegeben. Oft seien die Täter maskiert, mit
Schlagstöcken bewaffnet und äußerst brutal vorgegangen.
In Lichtenberg wurden lediglich 23 Überfälle gezählt. Seyb
geht davon aus, dass es im alternativen Friedrichshain für die rechten
Täter schlichtweg leichter ist, potenzielle Opfer zu finden.
Teilweise suchen Neonazis aber auch die direkte Konfrontation, indem sie
in einer größeren Gruppe zu linken Konzerten oder Podiumsdiskussionen
gehen. Häufig kommt es dann zu handgreiflichen Auseinandersetzungen
mit Antifas, die die Veranstaltung schützen. "Da uns in diesem
Zusammenhang oft das Vertrauen in die Polizei fehlt, ist es notwendig,
solchen Angriffen energisch entgegenzutreten", erklärte Mario
Behmke, Sprecher der Antifaschistischen Linken. Nach einer Antifa-Kampagne
mit Konzerten, Infoveranstaltungen und Demos in Lichtenberg und Friedrichshain
im Sommer war die Zahl rechter Übergriffe gesunken. Ob diese Tendenz
anhält, ist ungewiss. Auch 2007 wurden bei ReachOut bereits zahlreiche
rechte Gewalttaten gemeldet. "Ehrlich gesagt, kommen wir mit dem
Bearbeiten der Fälle kaum noch hinterher", so Seyb. JOHANNES
RADKE
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Presse
04.12.2006 DDP
Hohes Maß an Zivilcourage
Zwei Treptower haben am frühen Sonntagmorgen möglicherweise
einen Angriff von rechtsgerichteten Männern gegen zwei dunkelhäutige
Menschen verhindert. Die 31-jährige Frau und ihr 26-jähriger
Begleiter nahmen die beiden Ausländer gegen 4.00 Uhr in einer S-Bahn
auf dem Ring gegen eine verbale volksverhetzende und rassistische Attacke
in Schutz, wie die Polizei mitteilte.
Berlin (ddp-bln). Zwei Treptower haben
am frühen Sonntagmorgen möglicherweise einen Angriff von rechtsgerichteten
Männern gegen zwei dunkelhäutige Menschen verhindert. Die 31-jährige
Frau und ihr 26-jähriger Begleiter nahmen die beiden Ausländer
gegen 4.00 Uhr in einer S-Bahn auf dem Ring gegen eine verbale volksverhetzende
und rassistische Attacke in Schutz, wie die Polizei mitteilte.
Die Gruppe von etwa zehn Rechten und Hooligans war an der
Frankfurter Allee zugestiegen und grölte in der Bahn herum. Als die
beiden Ausländer am Ostkreuz einstiegen, wurden sie sofort rassistisch
beleidigt.
Daraufhin sprach der 26-jährige Treptower die Gruppe an und verbat
sich ein solches Verhalten. Er und seine Begleiterin wurden daraufhin
von einem 20-Jährigen beschimpft. Weitere Zeugen sowie einer der
rechtsgerichteten Männer hielten den bereits einschlägig durch
Staatsschutzdelikte bekannten Angreifer von weiteren Handlungen ab.
Am S-Bahnhof Treptower Park stiegen sowohl die Rechten als auch das Treptower
Paar aus. Dabei stießen drei Männer den 26-Jährigen zu
Boden und beleidigten ihn. Der zuvor schon in Erscheinung getretene 20-jährige
Angreifer trat gegen den Kopf des Treptowers. Ein Komplize versuchte,
auf das am Boden liegende Opfer einzuschlagen.
Der 26-Jährige konnte sich jedoch wehren. Weitere Attacken wurden
von seiner Freundin, weiteren Zeugen und Begleitern des Angreifers verhindert.
Zudem hatte die Treptowerin unterdessen die Polizei alarmiert. Diese nahm
den 20-Jährigen fest. Der Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung,
gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung aufgenommen.
<<< Presse
27.11.2006 Berliner Zeitung
Linke und Rechte demonstrierten
Gedenken für Silvio Meier - Antifa überlistet
Polizei
Hunderte Menschen haben am Wochenende in
Friedrichshain und Lichtenberg gegen Rechtsex-tremismus demonstriert.
Die Demonstranten, die am Sonnabend vom U-Bahnhof Samariterstraße
zum Bahnhof Lichtenberg zogen, erinnerten an den vor 14 Jahren von Rechten
ermordeten Hausbesetzer Silvio Meier. Nach Angaben der Veranstalter beteiligten
sich 1 300 Menschen an der Demonstration. Die Polizei zählte etwa
800 Teilnehmer.
Zeitgleich begannen Neonazis am Bahnhof Lichtenberg eine Gegendemonstration
unter dem Motto "Unser Kiez will keine Schläger". Die Polizei
zählte dort genau 69 Teilnehmer. Drei Rechtsextremisten wurden festgenommen,
weil sie verbotene Nazisymbole beziehungsweise den Hitlergruß gezeigt
hatten. Unter ihnen ist auch der Anmelder der rechten Gegendemo, dem auch
versuchte Gefangenenbefreiung vorgeworfen wurde.
Beide Gruppen wurden durch ein Großaufgebot von 1 200 Polizeibeamten
getrennt. Sie sperrten die Demonstrationsstrecke und den Weitlingkiez
in Lichtenberg weiträumig ab. Der Verkehr auf der U-Bahn-Linie U
5 war stark beeinträchtigt. So durften die Züge zeitweise zwischen
Weberwiese und Lichtenberg nicht halten.
Dennoch gelang es 32 Antifa-Anhängern, bis zum S-Bahnhof Lichtenberg
durchzudringen. Polizisten hatten offenbar zunächst Probleme, die
linken von den rechten Demonstranten zu unterscheiden. Vor allem in Berlin
kleiden sich viele Neonazis seit einigen Jahren ähnlich wie ihre
linken Gegenspieler von der Antifa. Die Irritationen dauerten aber nur
kurz. Die Eindringlinge wurden von Polizisten nach Friedrichshain geleitet.
Im Internet feierte die linke Szene diesen Durchbruch als "1:0 für
die Antifa".
Nach Angaben einer Polizeisprecherin verliefen beide Veranstaltungen "ruhig".
Dagegen warfen die Veranstalter der "Silvio-Meier-Demo" der
Polizei vor, den Demonstrationszug, mehrfach grundlos bedrängt zu
haben. Als die Demonstranten von der genehmigten Route abweichen wollten,
um an einer von Nazis besuchten Kneipe in der Weitlingstraße vorbeizuziehen,
wurden sie von der Polizei, zum Teil mit Schlagstöcken, daran gehindert.
(kop.)
<<< Presse
25.11.2006 Junge Welt
Provokation gegen Silvio-Meier-Demonstration
Berlin: Neonazis kündigen Protest gegen Antifaaufzug
an. Vermutlich stecken sie auch hinter Gedenktafel-Diebstahl
Gegen die jährlich von antifaschistischen Gruppen initiierte
Silvio-Meier-Demonstration an diesem Samstag machen Aktivisten aus dem
rechtsextremen Berliner »Kameradschafts«-Spektrum mobil. Die
einschlägig bekannten Neonazikader Sebastian Sch. und Oliver Sch.
haben in unmittelbarer Nähe zur Gedenkdemo für den 1992 von
jungen Rechten erstochenen antifaschistischen Hausbesetzer Silvio Meier
Proteste angekündigt. Anlaß ist ihnen auch ein Brandanschlag
vor wenigen Tagen auf das Auto eines rechten Kneipenwirtes in Lichtenberg,
zu dem sich eine »Antifa-Gruppe Silvio Meier« bekannte.
Auf einer Internetseite wird für einen Aufmarsch ausgerechnet unter
dem Motto »Wo ist Silvio?« mobilisiert. Diesen Spruch hatten
auch die Diebe der Gedenktafel für Silvio Meier in der Nacht zum
Dienstag im U-Bahnhof Samariterstraße mit roter Farbe gesprüht
(jW berichtete). Sebastian Lorenz von der »Antifaschistischen Linken
Berlin« (ALB) erklärte gegenüber junge Welt, daß
»nunmehr offensichtlich ist, daß Neonazis aus dem Umfeld der
verbotenen Kameradschaft Tor für den Diebstahl verantwortlich sind«.
Die Rechtsextremen möchten ihren Aufmarsch am Samstag obendrein als
Protest gegen »Faschismus und Intoleranz« verstanden wissen.
Berlins Neonazis versuchen seit Jahren – sei es im Vokabular, in
Kleidung und Aktionsformen – linken oder links-geltenden Lifestyle
zu übernehmen. Sie bezeichnen sich als »«nationale Sozialisten«,
tragen Palästinensertücher oder Che-Guevara-Pullover, kleiden
sich schwarz und wohnen in WGs.
Bereits im Vorjahr hatten – von der Polizei geduldet – Neonazis
die Strecke der Antifademo belagert, die Beamten gingen anschließend
brutal gegen die Nazigegner vor. Lorenz ruft Antifaschisten diesmal dazu
auf, vor der Silvio-Meier-Demo gegen den Neonaziaufmarsch zu protestieren.
Ein geeigneter Anlaufpunkt wäre ab 12 Uhr der Bahnhof Lichtenberg.
»Keinesfalls werden wir unsere Demo aber wegen der Naziprovokation
absagen«, so Lorenz weiter. Die Silvio-Meier-Demo beginnt 14 Uhr
am U-Bahnhof Samariterstraße.
<<< Presse
02.11.2006 Tagesspiegel
Mann auf S-Bhf. bewusstlos geprügelt
Im April wurde ein 37-Jähriger auf
dem S-Bahnhof Frankfurter Allee von vier Männern brutal zusammengeschlagen.
Nach eigener Aussage wollte er die Schläger wegen "Sieg Heil"-Rufen
zur Rede stellen. Jetzt hat der Prozess gegen den vermutlichen Haupttäter
begonnen.
Berlin - Ein 23-Jähriger muss sich seit Mittwoch wegen gefährlicher
Körperverletzung vor dem Landgericht Berlin verantworten. Ihm wird
vorgeworfen, im April einen 37-Jährigen auf den S-Bahnhof Frankfurter
Allee gemeinsam mit drei Komplizen bis zur Bewusstlosigkeit mit Schlägen
und Tritten misshandelt zu haben. Selbst als das Opfer ohnmächtig
am Boden lag, sollen die Männer noch zugetreten haben. Der 37-Jährige
erlitt eine stark blutende Kopfplatzwunde. Bei dem Angeklagten wurde ein
Blutalkoholwert von 1,82 Promille gemessen.
Im Prozess berief sich der 23-Jährige auf Erinnerungslücken.
Er sei ziemlich "verpeilt" gewesen, als er mit seinen Freunden
eine Friedrichshainer Diskothek verlassen habe. Auf dem Weg zum S-Bahnhof
habe er kurzzeitig seine Begleiter aus den Augen verloren. Als er sie
auf dem Bahnsteig wieder traf, habe er schon "die Fäuste fliegen
sehen". Er sei dazwischen gegangen, habe dann aber einen Blackout
gehabt.
Nach Aussage des Opfers wurde er zusammengeschlagen, als er einen der
Männer wegen "Sieg Heil"-Rufen zur Rede stellen wollte.
Mehrere Personen seien auf ihn zugekommen, hätten ihm die Jacke über
den Kopf gezogen und dann zugeschlagen und getreten.
Der Prozess wird am Mittwoch nächster Woche fortgesetzt. Von den
Komplizen des 23-Jährigen wird einer gesondert verfolgt. Die Identität
der beiden anderen Männer konnte nicht geklärt werden.
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Presse
27.10.2006 Morgenpost
Bauarbeiter gesteht Überfall
Im Prozess um den mutmaßlich
fremdenfeindlichen Überfall auf einen Kolumbianer im Februar 2004
hat einer der drei Angeklagten seine Beteiligung zugegeben. Im Verfahren
vor dem Landgericht sagte der 26-Jährige, die Auseinandersetzung
habe sich nach einer versehentlichen Rempelei auf der Treppe der S-Bahnstation
Warschauer Straße ergeben. Den Angeklagten werden Körperverletzung,
Volksverhetzung und das Rufen von Nazi-Parolen vorgeworfen. Das heute
41-jährige Opfer war wochenlang arbeitsunfähig. Wegen seiner
damaligen Trunkenheit will sich der 26-Jährige aus Pankow kaum an
die Ereignisse erinnern können. dpa
<<< Presse
22.09.2006 Neues Deutschland
Kiezparade quer durch Friedrichshain
Demo endet mit Straßenfest auf dem Boxhagener
Platz / Protest gegen braunes Gedankengut
Eine Kiezparade startet am Sonnabend um 15 Uhr am Frankfurter Tor. Sie
soll, musikalisch begleitet von Bands auf acht bis zehn Wagen, quer durch
Friedrichshain führen und abends mit einem Straßenfest auf
dem Boxhagener Platz enden. Als Motto nennt die Bürgerinitiative
gegen Rechts »Kein Kiez für Nazis, Monotonie stinkt –
Vielfalt statt Einfalt«. Es gehe vor allem darum, Courage gegen
rechtsextremes Gedankengut und Nazi-Gewalt zu zeigen, heißt es in
dem Aufruf.
Zwar hätte die NPD und mit ihr die militante braune Szene im Abgeordnetenhaus
und in der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg
bei der Wahl weder Sitz noch Stimme bekommen, dennoch gebe es allen Grund,
einem weiteren Vormarsch der Nazis etwas entgegenzusetzen, wie Steffen
Zillich (Linkspartei), einer der Anmelder der Veranstaltung, dem ND sagte.
Die Ergebnisse in Stadtbezirken, in denen NPD und Republikaner in die
BVV einzogen, wiesen darauf hin.
Zudem: Gerade in Friedrichshain habe man dieses Jahr eine Häufung
rechter Übergriffe festgestellt – mehr Nazi-Gewalttaten als
sonst in den Stadtkiezen. Die NPD hätte manchenorts auch im Bezirk
starke Zuwächse an Stimmen erlangt. Nach Ansicht der Bürgerinitiative
hängt das vor allem auch mit den Umstrukturierungen der zurückliegenden
Jahre zusammen, die letztlich zu Lasten linker Projekte und alternativer
Lebensweisen gingen, die vorher das Straßenbild geprägt hätten.
Es seien Lücken entstanden, die unerwünschterweise von der braunen
Szene ausgefüllt wurden.
Uns »geht es vor allem auch da- rum, rechtzeitig für ein Klima
in den Kiezen zu streiten, in dem Angsträume und derartige Übergriffe
nicht zugelassen werden«, meinte Zillich. Opfer sollen Solidarität
erfahren. Man will eine gewisse Erinnerungskultur pflegen – indem
man beispielsweise die Bürger über regionale Bezugspunkte zu
den Verbrechen der Nazizeit informiert, etwa über den einstmaligen
SA-Folterkeller in der Petersburger Straße. Die Leute sollen auch
wissen, in welchen Kneipen sich die Jungnazis versammeln, wo sich jene
Örtlichkeiten befinden, an denen zuletzt gehäuft braune Übergriffe
geschehen sind, und was man letztlich gegen all dies unternehmen kann,
erläuterte Steffen Zillich.
Die Bürgerinitiative rechnet mit rund 1000 Teilnehmern an Kiezparade
und Fest und freute sich natürlich, wenn es noch mehr würden.
Wichtig ist den Organisatoren, dass sich möglichst viele Bürger
einbringen – von Straßenmusikern und Laien-Mimen bis zu Kinder-
oder Schülergruppen. Auch am Platze ansässige Cafés,
Geschäfte und Bars sind eingeladen, an diesem Tag in irgend einer
Weise mitzutun, »um für ein selbstbestimmtes, vielfältiges
und multikulturelles Friedrichshain einzustehen«.
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Presse
29.08.2006 Tagesspiegel
Faustrecht am Boxhagener Platz
Eine gewalttätige Gruppe verbreitet Angst
bei den Anwohnern. Die Polizei erteilte mehrere Platzverweise
Das Bild des Boxhagener Platzes an diesem
Montagmittag ist ein vertrautes: In der Mitte, auf der grünen Rasenfläche,
liegen vereinzelt junge Menschen auf Decken im Gras, lesen, unterhalten
sich. Um die Rasenfläche herum verläuft ein Zaun. Hinter dem
Zaun sind alle Bänke besetzt, fast alle von kleinen Gruppen zerrissen
aussehender Männer und Frauen mit Bierflaschen, Jägermeister
und riesigen Hunden. Auf dem Spielplatz, der auch zum Platz gehört,
toben ein paar Kinder, die Mütter sitzen auf den Bänken und
lesen.
Jörg Richert sagt, dass viele der Leute, die sonst auf den Bänken
die Zeit totschlagen und Bier trinken, zurzeit nicht mehr zum Boxhagener
Platz kämen. Weil sie Angst haben. Jörg Richert ist Geschäftsführer
von „Karuna e.V.“, einem Verein, der Hilfe für suchtgefährdete
und suchtkranke Kinder und Jugendliche bietet. Der Verein betreibt auf
dem Boxhagener Platz ein Café, in dem straffällig gewordene
Jugendliche ihre Sozialstunden ableisten können.
Seit vier Monaten terrorisiert eine etwa zwölf- bis 15-köpfige
Gruppe den Boxhagener Platz, der harte Kern besteht aus sechs Männern.
Dieser Gruppe haben die Betroffenen selbst den Namen „Stress-Brigaden“
gegeben, sagt Polizeisprecher Klaus Schubert. Die Mitglieder der Gruppe
sind um die 30 bis 45 Jahre alt. „Die Gruppe will auf dem Platz
bestimmen, wer dort abhängen kann und wer nicht, sie will Macht ausüben“,
sagt Schubert. Die Gruppe versuche, Leute vom Platz zu vertreiben, wenn
sich jemand wehrt, komme es zu Pöbeleien und Körperverletzungen.
„Wer nicht spurt, kriegt Prügel.“ Die Gruppe verbreite
auf dem Platz ein Klima der Angst und der Einschüchterung, die Zahl
der Anzeigen sei allerdings nicht gestiegen. „Vielleicht haben die
Leute Angst vor Repressalien.“
Andrea Licher-Armbruster ist 46, arbeitslos und kommt fast jeden Tag auf
den Platz, um Bier zu trinken. „Hier sind keine Faschos oder Schläger“,
sagt sie. Als eine Bekannte sich einmischt und von einer Gruppe erzählt,
die Leute bedroht und verprügelt habe, wehrt sie ab.
Die Polizei hat ihre Präsenz auf dem Platz schon seit Juni verstärkt.
Pro Woche durchkämmen zehn bis 15 Beamte gleichzeitig den Platz,
es habe verstärkt Platzverweise und Festnahmen gegeben. Zwei Mitglieder
der „Stress-Brigaden“ befänden sich derzeit in Untersuchungshaft,
sagt Klaus Schubert.
Die Probleme auf dem Boxhagener Platz könne nicht die Polizei alleine
lösen, sagt Jörg Richert. „Selbst wenn die Stress-Brigaden
weg sind, bleiben eine Menge anderer Probleme.“ Der Alkoholkonsum
auf dem Platz, die vielen Hunde, die vielen Bevölkerungsgruppen,
die den Platz für sich beanspruchen. Eine junge Mutter auf dem Spielplatz
erzählt, dass sie neulich von ihrem Balkonfenster aus beobachtet
habe, wie eine Gruppe rechts aussehender Männer einen Punk verprügelt
hätte. „Viele meiner Freunde, die punkig aussehen, werden in
der Gegend um den Boxhagener Platz von Rechten angepöbelt“,
erzählt sie.
Jörg Richert merkt an der schwindenden Gästezahl im Café,
dass viele Menschen den Platz meiden. „Der Platz muss friedlich
zurückerobert werden“, sagt er. Deshalb hat er auch für
nächste Woche ein Treffen organisiert. Sein Ziel ist es, einen ständigen
Runden Tisch einzurichten, zu dem Bürger, Besucher des Platzes, Bezirksamt
und Polizei regelmäßig zusammenkommen. Richerts Meinung nach
ist nach der Sanierung des Platzes einiges schiefgelaufen. Mit der Wiedereröffnung
des Platzes Mitte des vergangenen Jahres wurde das Quartiersmanagement
für den Boxhagener Platz beendet.
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Presse
13.08.2006 FAZ
Berliner Bierfestival: Fahne zeigen!
Seit zehn Jahren verwandelt sich die deutsche Hauptstadt Anfang August in den „längsten Biergarten der Welt“. Vom Kronkorkensammler über Nonnen bis zum langhaarigen Antifaschisten: Szenen vom Berliner Bierfestival.
Auf uns Männer und die Frauen, die uns später abholen!“ Ihren Trinkspruch haben sie vorhin am Heineken-Stand aufgeschnappt, weiter vorne, in Richtung Frankfurter Tor. Es ist später Nachmittag. Gelegenheiten zum Anstoßen hatten Heinz, Silvio und Markus schon viele. Jetzt lehnen sie am Tresen von Maisel's Weiße und stoßen wieder an. Auf die Männer und die Frauen, die sie später abholen. Oktoberfest? Braucht kein Mensch. Heinz, 53 Jahre alt, wischt sich den Schaum von den Lippen. Sein Hemd spannt, der 200-Milliliter-Krug sieht in seiner Hand wie ein Spielzeug aus.
Den kleinen „ProBierKrug“ tragen fast alle Besucher des Berliner Bierfestivals mit sich herum, für möglichst viele Kostproben von 1750 Biersorten. Seetangbier, belgisches Kirschbier, Reisbier, afrikanisches Palmenfruchtbier - einmal Auffüllen für 1,50 Euro, an allen Ständen mit dem Biermeilen-Logo: Ein Teddy hebt einen Bierhumpen, im Hintergrund die Silhouetten vom Fernsehturm und Brandenburger Tor.
„Bier formte diesen wunderschönen Körper“
Seit zehn Jahren verwandelt sich beim Berliner Bierfestival die Karl-Marx-Allee in Friedrichshain zwischen Strausberger Platz und Frankfurter Tor am ersten Augustwochenende in den „längsten Biergarten der Welt“ (andere würden Saufmeile dazu sagen). Wo man einst Militärparaden zwischen Arbeiterpalästen im Zuckerbäckerstil zusah, drängen sich heute 700.000 Besucher im Bier- und Fleischdampf: Thüringer, Rostbratwurst, Pferdewurst und Nürnberger, gebrüht und ungebrüht.
Auf Bühne 3 stampft DJ Luis Alpin mit den Stiefeln den Takt auf die Holzbohlen: „Erste Liebe beginnt wie ein Spiel“, singt er dem Publikum entgegen. Von nebenan erklingen ähnliche Schunkelklassiker: „Marmor, Stein und Eisen bricht“, „Viva Colonia“ und „So ein Tag“. Die Zuhörer zeigen sich eher unbeeindruckt. Viele sitzen stumm und kippen ihren Blick ins Glas. Anders als die vielen verschiedenen Biersorten tritt das Publikum eher homogen auf: Die üblichen T-Shirts mit Aufdrucken wie „Bier formte diesen wunderschönen Körper“ oder „Two beer or not two beer“, abgelatschte Turnschuhe, rote Gesichter und Bäuche. Gewaltige Bäuche.
Wohnungswände mit Bierdosen zutapeziert
Hinter dem Brauhaus Spandau liegt das kleine Reich der Sammler. Auf Tapetentischen stapeln sich Bierdeckel und nostalgische Blech-Bierdosen. Wer hier in den Kronkorken wühlt, ist Mitglied in der „Fördergemeinschaft von Brauerei-Werbemittel-Sammlern“ (FvB) oder im „Internationalen Brauereikultur Verband“ (IBV), und denkt bei „BDM“ zuerst an das „Bierdeckel-Magazin“. Für Hans-Jürgen Steffin ist dies ein guter Tag, er hat viele neue Stücke ergattert. 20.000 Bierdosen hat der Berliner schon gesammelt, stolz zeigt er Fotos von seiner Wohnung: Die Wände hat er komplett mit Dosen zutapeziert. Auf Sammler wie ihn sind die Brauereien vorbereitet, auf den Tresen stehen kleine Körbe mit Sammlergut bereit.
Inmitten der Trinkfestspiele hat die Antifa dieses Jahr einen Info-Stand aufgebaut. Hinter Handzetteln über ausländerfeindliche Übergriffe und verbotene germanische Symbole sitzen drei Mittzwanziger, nippen am Kaffee, und natürlich wollen sie mit diesem Stand provozieren, klar. Ihre Namen möchten sie nicht nennen. Auch klar. In den letzten Jahren kam es oft zu Schlägereien auf der Biermeile, es gab Platzwunden und grölende Neonazis. Das bestätigen Pressearchive und die Berliner Polizei. Vor allem ein inzwischen verbotener Stand des brandenburgischen „Odin-Trunks“ zog strammdeutsche Stammtischler an.
„Die Antifas sollen ruhig Fahne zeigen“
Einige Besucher bleiben stehen. „Wat soll'n das hier?“ fragt ein Mann mit bunter Windjacke, „det paßt doch nicht hierher!“ Das ist noch milde. An diesem Stand zu sitzen härtet ab. Einer klopft mit dem Zeigefinger auf den Zettel über verbotene Symbole. „Das Kreuz hier“, beharrt er, „ist nicht verboten, das kann ich euch aber mal sagen.“ Die drei reagieren nur mit Achselzucken. Bis zum Einbruch der Dunkelheit werden sie noch die Stellung halten. Klar.
„Die Antifas sollen ruhig Fahne zeigen“, sagt Lothar Grasnick, der Betreiber des Bierfestivals von der Präsenta Messe GmbH. Den Stand habe er unterstützt. Es stört ihn, daß sein Bierfest als Plattform für Rechte wahrgenommen wird. Auf Volksfesten versammele sich nun mal ein gemischtes Publikum, er will keine Extreme, egal, ob recht oder links. Dieses Jahr habe er schon vorher gehandelt, um „rechte Tendenzen auszumerzen“. Teilweise sei er sogar zu den Brauereien hingefahren, um sich anzuschauen, was das „für welche sind“. Er spricht von einem Fest für Bierfreunde, von einer Probiermeile.
„Wir stehen hier, damit es keinen Streß gibt“
Die Betreiber des vietnamesischen Biergartens, des größten des Festes, haben vorsichtshalber eine private Sicherheitsfirma bestellt. Alle paar Meter thront ein schwarzgekleideter Breitschultriger mit Kabel hinter dem Ohr und läßt seinen Blick über die vietnamesischen Familien schweifen, die Saigon-Bier trinken und Hühnchen mit Zitronengras essen. „Die hatten Ehrengäste da“, sagt Grasnick später, „da wollten sie sich doppelt absichern.“ Die Sicherheitskräfte dürfen keine Auskunft geben, aber als der Chef nicht guckt, sagt einer der Männer: „Wir stehen hier, damit es keinen Streß gibt.“ Mit wem? „Na, mit den Rechten.“
Später hat es dann doch keinen Streß gegeben, dieses Jahr nicht. Die Polizisten haben Besoffene beruhigt oder verlorene Kinder betreut, mehr nicht. Der Langhaarige an der knallroten Bude „Roter Oktober“ erzählt, daß vor einem Jahr an seinem Stand gepöbelt wurde. Er wiegelt aber gleich wieder ab: „Die Polizei, das muß ich denen mal lassen, hat gleich deeskaliert.“ Der Langhaarige heißt Gunter Reimann, seit fünf Jahren verkauft er hier „Roter-Oktober-Bier“ und CDs mit Arbeiterliedern, die „Trotz alledem“ heißen.
„Berlin ist halt 'ne Proletenstadt“
Reimann ist gut gelaunt, einem Lieferanten spendiert er ein Bier. Ihm gefällt das Festival. Hier erreicht er die Menschen, sagt er, diskutiert mit ihnen über Kommunismus, die DDR und Politik allgemein. Über andere Linke ärgert er sich manchmal, „die quatschen immer nur untereinander“. Seine Freunde weigern sich, ihn hier zu besuchen. Dabei sei die Biermeile ein schöner Querschnitt der Berliner Bevölkerung. Er zuckt mit den Schultern. „Berlin ist halt 'ne Proletenstadt, da kann man nix dran drehen.“
Ob Deutsch-Amerikanisches Volksfest oder die Weihnachtsmärkte - Volksfeste in Berlin tun sich schwer, allen zu gefallen. Das findet auch Helmut Russ, der Betreiber des Weihnachtsmarktes am Gendarmenmarkt. Der ist das Gegenteil vom lauten Budenzauber am Ku'damm: Sterneköche kochen in Nachbarschaft vom Restaurant „Lutter und Wegener“, man zahlt einen Euro Eintritt, an den Eingängen wird kontrolliert. Russ besucht selten Volksfeste, aber dieses Jahr hat er sich erstmals auf die Biermeile gewagt. Zwei seiner Bier-Vertragspartner standen dort. „Ich fand's nicht so schlimm wie erwartet“, sagt er später, Sturzbesoffene hat er nicht gesehen, allerdings war er auch nachmittags da.
„Schnaps ist hier verboten“
Abends, erzählt die Nonne am Katharinenbier-Stand, sei sie schon manchmal froh über den massiven Holztresen zwischen sich und manchen Besuchern. An der Wand klebt ein Luther-Filmplakat, das Habit ist nur Kostüm: Ludwiga Zerbs, Luther-Nachfahrin in 14. Generation, besitzt das alleinige Braurecht der Katharina von Bora, Luthers Ehefrau. Ein wenig bedauert sie, daß sie ihre Liköre nicht verkaufen darf. „Schnaps ist hier verboten“, sagt sie.
Auf dem Mittelstreifen der Karl-Marx-Allee lächeln riesige Politikergesichter starr in Richtung Trinkerkarawane, keiner beachtet sie in diesen Tagen. Es ist Wahlkampf in Berlin, auch hier. Der Wirtschaftssenator von der Linkspartei hat zwar am Freitag das Faß angestochen, auf der Meile ist jedoch nur die Bezirks-CDU vertreten: Am Strausberger Platz verteilt sie Flugblätter, ausgerechnet hinter dem bayerischen Festzelt. Drinnen auf der Bühne schunkeln „Rico und seine Musikanten“, der Schlager „Für mein Schatz gibt's kein Ersatz“ klingt bis nach draußen. Nur wenige Passanten lassen sich die Wahlkampfzettel in die Hand drücken. Das Wahlmotto der CDU heißt „Berlin kann mehr“.
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Presse
13.06.2006 Gerichtsbericht
"Der Deutsche war der Arsch!"
Drei Berliner Bauarbeiter sind angeklagt,
am 18. Februar 2004 gegen 16:00 auf der Treppe des S-Bahnhofs Warschauer
Straße (Friedrichshain) einen aus Kolumbien gebürtigen Mann
zu Boden gestoßen, geschlagen und getreten zu haben. Auch zu Hilfe
eilende Passanten griffen sie an, gaben dabei fremdenfeindliche Parolen
von sich und zeigten den Hitlergruß, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft.
Am 18. Februar 2004 befindet sich Kevin
A. (41) auf dem Heimweg. Der verheiratete Kolumbianer ist Grafiker, lebt
seit zehn Jahren in Berlin und ist Vater einer Tochter. Ganz in Gedanken
steigt er die Treppen des S-Bahnhofs Warschauer Straße herauf. Seine
Tochter hat heute Geburtstag. Sie wollen zusammen Eis essen gehen.
Auch die Berliner Bauleute Sandro S. (25), Andreas V. (38) und Bodo B.
(26) sind auf dem Nachhauseweg. Sie arbeiten für die Abrissfirma
Benecke GmbH, Friedrichshain im Auftrag des türkischen Kulturvereins
Kreuzberg. Zweimal Umsteigen: einmal Cottbusser Tor, einmal Warschauer
Straße.
Sonderangebot Bacardi
Cola
Bodo B. lebt als Single, Andreas V. ist Vater, verheiratet und getrennt
lebend, Sandro S. wurde gerade von seiner Freundin wegen seiner Sauferei
verlassen. Heute haben sich die Bauarbeiter nach Feierabend einen hinter
die Binde gekippt. Es gab Bacardi Cola im Sonderangebot bei Getränkehoffmann.
Circa eine Flasche für jeden.
Gegen 16:00 gehen sie am S-Bahnhof Warschauer Straße die Treppe
hinunter, die Kevin A. gerade hinaufsteigt. Sandro S. rempelt den Kolumbianer
mit seinem Rucksack an. Der dreht sich zu den Dreien um: "Hey, was
ist hier los!", beschwert er sich und zeigt den Stinkefinger.
Nach Version von Kevin A. passierte dann folgendes: Die Drei drehten sich
wie von unsichtbarer Mechanik getrieben mit den Worten "Hast du ein
Problem, du Neger!" um und Sandro S. sowie Bodo B. widmeten sich
dem Empörten physisch, während Andreas V. sich in diesem Sinn
um die zu Hilfe Eilenden kümmerte.
'Hast du ein Problem,
du Neger?'
Sie stießen Kevin A. zu Boden, schlugen, traten ihn, beschimpften
ihn unter anderem mit "Neger", "Kanakensau" und ließen
ihn dann mit Prellungen und gebrochenem Handgelenk, der nächsten
Bahn zustrebend, liegen. Zwei junge türkische Männer, die den
Vorfall beobachteten, boten Kevin A. ihre Hilfe an und suchten die Bauarbeiter
am Einsteigen in die S-Bahn zu hindern. Daraufhin kam es zu einer Schlägerei,
die schließlich vor der S-Bahn im Gleisbett endete. An der aber
Kevin A. nur als Zuschauer beteiligt war.
Während dieser Zeit, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, schleudert
Andreas V. einen beherzt eingreifenden jungen Mann in Rock so gegen den
Bahnhofskiosk, dass sich das betreffende Stützrohr verbiegt. Das
mit den begleitenden Worten: "Schwuchtel!" und "Ich bring
dich um, du Judensau."
Auch eine junge Frau, die sich einmischt, soll Andreas V., der wohl auch
den Hitlergruß entbot, als Fotze beschimpft haben: "Das geht
dich gar nichts an. Das ist eine Sache zwischen dem Kanaken und uns."
Sehnsucht nach Ruhe
Am Tag der Hauptverhandlung sind die drei Männer geständig.
Ja, sie hätten sich geschlagen, auch beleidigt - jedoch nicht ausländerfeindlich.
Und es sei eine Sache der Gegenseitigkeit gewesen.
Nach Darstellung der Angeklagten war die Treppe völlig überfüllt,
geschah das Rempeln rein zufällig. Kevin A. habe sie daraufhin grundlos
als "blöde Säue" und "Wichser" beschimpft,
worauf sie mit ihm ein klärendes Gespräch angestrebt hätten.
Doch dann sei die Sache eskaliert. Bodo B., der nun vor Gericht den Vorfall
bedauert, betont: "Ich muss mir doch nicht an die Wäsche fassen
lassen!" "Der Deutsche war der Angriffspunkt, der war der Arsch!",
wettert er.
Mit dem Angriffspunkt, dem Deutschen, meint Bodo B. seinen Kollegen Sandro
S. Der sitzt seit November 2004 eine Haftstrafe von fünf Jahren und
vier Monaten wegen einer BTM-Sache ab und kann sich an den besagten Februartag
2004 kaum noch erinnern. Auch er habe einfach nur versucht sich zu wehren.
'Ich bin doch kein Schwarzenegger!"
Alle drei Angeklagten bestreiten, den Kolumbianer angerührt haben.
Das betont auch Andreas V., der, wie er sagt, einfach nur nach Hause und
seine Ruhe haben wollte. Angeblich suchte er nur zu verhindern, dass sich
noch mehr Menschen einmischen und die Sache eskaliert.
Vor Gericht erklärt Andreas V. seine Ausfälligkeiten gegenüber
einer Mitreisenden so: "Sie hat sich einfach nicht einzumischen.
Die Sache wäre sowieso in ein paar Minuten erledigt gewesen."
Und das mit dem verbogenen Stützrohr sei Quatsch: "Ich bin doch
kein Schwarzenegger."
Nach Ansicht von Bodo B. sitzen ohnehin die Falschen auf der Anklagebank:
nämlich die eigentlichen Opfer. In wieweit sich diese Sicht der Ereignisse
in den Augen der urteilenden Strafkammer bewähren kann, wird die
weitere Beweisaufnahme bringen.
Wegen der Erkrankung eines Schöffen ist die Hauptverhandlung ohne
Angabe weiterer Termine derzeit jedoch ausgesetzt.
Bericht von Uta Falck
Es war alles ganz anders
Am 18. Februar 2004 gab es Bacardi Cola
im Angebot. Auf einer Baustelle in der Forster Straße, wo ein Trupp
Bauarbeiter Wohnungen für das Türkische Kulturzentrum ausbaute,
wurde deshalb seit Mittag getrunken. Jeder etwa eine Flasche hatten Sandro
S., Andreas V. und Sven B. geleert, als sie gegen 16 Uhr den Heimweg antraten.
Gestern begann der Prozess gegen die drei Männer wegen Volksverhetzung,
Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung und Verwendung verfassungsfeindlicher
Symbole.
An jenem Nachmittag wollte der Geschädigte Kevin A.C. seine Tochter
abholen. Der 41-jährige, zierliche Kolumbianer schildert den Tatvorgang
so: Er ging gerade die wenig belebte Bahnhofstreppe vom S-Bahnhof Warschauer
Straße hoch, als ihm drei Männer begegneten. Einer von ihnen,
wahrscheinlich Andreas V., soll ihn absichtlich gerempelt haben. Daraufhin
fragte der Kolumbianer: "Was soll das?" und zeigte den Bauarbeitern
den Stinkefinger. Sandro S. und Sven B. verfolgten ihn, schubsten ihn
zu Boden und traten ihn mit Fäusten und Füßen.
Kevin A.C. erlitt eine Handgelenkfraktur und Kopfprellungen. Der Geschädigte
rief um Hilfe, die drei ließen von ihm ab und wollten nach Hause
fahren. Zwei Türken, die das Geschehen beobachtet hätten, hinderten
die drei Täter an der Flucht. Sandro S. und Sven B. prügelten
sich nun mit den beiden Türken. Zum Schluss standen sie zu viert
vor einer S-Bahn auf dem Gleisbett. Andreas V. soll währenddessen
einen deutschen Mann gegen einen Kiosk geschubst haben und später
noch den Hitlergruß gezeigt haben.
Die Täter, die alle drei mit runengeschmückter Kleidung oder
entsprechenden Tätowierungen auftreten, schildern den Tathergang
deutlich abweichend. Sie wollen weder Kevin A.C. verprügelt, noch
rechtsradikale Symbole verwendet haben. Der 26-jährige Bauleiter
Sven B.: Die Treppe sei um diese Zeit sehr voll gewesen. Einzeln seien
sie zum Bahnsteig herunter gegangen. Einer von ihnen muss wohl versehentlich
Kevin A.C. gerempelt haben. "Der A.C. ist total ausgeflippt. Er hat
"Du Wichser" und "Blöde Sau" gerufen und mit
der Tasche um sich geschlagen. Da ist das Ganze eskaliert."
Weil er seinem Kumpel Sandro S. beistehen wollte, habe er sich dann mit
den beiden Türken geprügelt: "Ich habe auch zugelangt,
aber warum soll ich mir an die Wäsche gehen lassen?" Er habe
die Türken "Scheiß Kanaken" genannt. Es tue ihm leid,
dass die Situation so eskalierte: "Aber Mitschuld haben die Türken
auch." Andreas V., der Baustellenleiter mit der Glatze und dem Zickenbart,
sagt vor Gericht, er wollte verhindern, dass sich immer mehr Leute einmischen.
Nicht ohne Ironie fragt Richter Brüning: "Dann haben Sie sich
quasi als Ordnungskraft gesehen?" Andreas V. antwortete: "Ich
wollte Ruhe in die Aktion reinbringen."
Solche verquasten, bürokratischen Formulierungen gebraucht der 38-jährige
oft. So etwa spricht er von "heraufströmenden Fahrgästen",
durch die sie sich auf der Treppe schlängelten. Auf die Frage, ob
er einen jungen Deutschen, der einen Rock trug, als "Schwuchtel"
bezeichnet habe, reagiert Andreas V. mit einem soldatisch-zackigen "Jo!"
Auch habe er den Rockträger in den Kiosk gedrückt. "Wenn
jemand brüllt: "Du Nazischwein", dann gehe ich nicht von
einer humanen Aktion aus." Er könne sich aber nicht vorstellen,
dass durch sein Schubsen ein metallenes Stützrohr am Kiosk verbogen
wurde. "Ich bin zwar ein bisschen dicker, aber nicht Schwarzenegger."
Einen Hitlergruß will er auch nicht entboten haben: "Nur weil
ich ein Landser-Sweatshirt anhatte, muss ich nicht mit einem erhobenen
Arm rumlaufen." Sandro S., der wegen Handel mit Betäubungsmitteln
mittlerweile eine fünfeinhalbjährige Haftstrafe verbüßt,
sagt "Ausfallend bin ich sicher geworden." Geschlagen habe er,
aber nicht den Kevin A.C. Er will auch keine ausländerfeindlichen
Sprüche geäußert haben. Spöttisch quittiert Richter
Brüning die mageren Äußerungen des 25-jährigen: "Das
ist ja nicht viel, was Sie wissen."
<<< Presse
11.05.2006 Jungle World
Die Tour vermasseln
Die Band »Impaled Nazarene« befindet
sich auf Europatournee. Antifa- und Schwulengruppen haben schon einige
Auftritte verhindert. von markus ströhlein
Trinken Black-Metal-Bands Sekt, um einen Erfolg zu feiern?
Oder fließt standesgemäß Lämmerblut, wenn es etwas
zu begießen gibt? »Impaled Nazarene« jedenfalls dürften
Ende März mit Wodka der Marke »Finlandia« auf den Einstieg
ihrer neuen Platte auf Platz 38 der finnischen Charts angestoßen
haben. Schließlich ist der Titel »Pro Patria Finlandia«
auch der Vorliebe für den starken Fusel geschuldet. Außerdem
heiße das Hauptwerk des berühmtesten finnischen Komponisten
Jean Sibelius ebenfalls »Finlandia«, sagt Sänger Mika
Luttinen über das Album, das die Band auf ihrer Homepage mit dem
Slogan bewirbt: »…?and the holocaust continues!«
Dass die Finnen mehr im Sinn haben, als Wodka zu saufen und klassische
Musik zu hören, hat sich inzwischen herumgesprochen. Die Band existiert
bereits seit dem Jahr 1990. Behandelte sie in ihren ersten Texten noch
genreübliche Themen wie Kopulation mit Ziegenböcken und die
Penislänge Satans, folgte 1994 das faschistische Outing mit dem Album
»Suomi Finland Perkele«, was frei übersetzt heißt:
»Finnland, Finnland, fuck off«.
Doch nicht der Titel der Platte sorgte für Proteste, sondern der
darauf zu findende Song »Total War-Winter War«. Er beginnt
mit den Worten: »Wollt ihr den totalen Krieg? Ja, wir wollen den
totalen Krieg!« Was den Aussagen des Sängers Luttinen zufolge
eine Beschreibung des Winterkriegs zwischen Finnland und der Sowjetunion
im Jahr 1939 sein soll, liest sich jedoch eher wie eine antikommunistische
Auslöschungsfantasie: »Russland ist geschlagen, über 200?000
Kommunisten sind tot. Wenn sie einen neuen Krieg wollen, werden wir sie
dieses Mal alle töten.«
Eine kommunistische Jugendorganisation aus Frankreich wurde 1994 auf das
Album aufmerksam und konnte bei der größten französischen
Kaufhauskette für Tonträger erwirken, dass es aus dem Handel
genommen wurde. Aufmerksame Hörer hätten aber schon vor dem
Erscheinen des Songs »Total War-Winter War« bemerken können,
dass »Impaled Nazarene«, was »Gepfählter Nazarener«
bedeutet, sich nicht nur der im Black Metal üblichen Mischung aus
satanistischen Versatzstücken, sozialdarwinistischen Anklängen
und plumper Provokation bedienen. So heißt es im Song »Gott
ist tot« aus dem Jahr 1993: »Gott ist tot, der Judengott ist
tot!« Die Zeile wird so oft wiederholt, dass es offenbar selbst
der Band zu monoton wurde. Zur Auflockerung wird deshalb eingestreut:
»Heil! Heil! Heil! Heil!« Im Song »Soul Rape«,
der sich auf der gleichen Platte befindet, hört man folgende Zeile:
»Ich begebe mich in den Kreis der wartenden Herrenrasse, das satanische
Vierte Reich.«
Zu einer Verherrlichung des Holocaust gerät der Song »Zum Kotzen«
aus dem Jahr 1995. Verständnisprobleme sind zumindest für Hörer
aus Deutschland ausgeschlossen. Die Finnen singen das Lied auf Deutsch:
»Ich frage dich: Was ist Dreck? Was ist reine Scheiße? Ich
sage dir: der Untermensch. Ein aussterbender Kreis.«
Ein weiteres antikommunistisches Manifest veröffentlichte die Band
1998 mit dem Song »Healers of the Red Plague«. Allesamt Krankheitsüberträger
und Untermenschen, könne man mit den bösen Roten nur auf eine
Art verfahren: »Damals in den Tagen von Vietnam war Napalm das Heilmittel.«
Und obwohl sich »Impaled Nazarene« gern als Hüter der
Amoral gerieren, scheint zumindest die gleichgeschlechtliche Liebe ihr
Empfinden erheblich zu stören. In dem Song »Zero Tolerance«
aus dem Jahr 2000 heißt es: »Hört zu, ihr verdammten
Schwuchteln, eure Zeit ist gekommen. Und wenn du eine Lesbe bist,
hast du immer noch eine Fotze, die man vergewaltigen kann. Es ist unnatürlich!«
Die Gegner von »Impaled Nazarene« wollen möglichst viele
Konzerte der Band, die sich auf einer großen Europatournee befindet,
verhindern. Schon vor deren Beginn wurden drei Termine in Deutschland
wieder abgesagt. In Gießen setzte die Antifagruppe Comité
Liberté den Leiter des örtlichen Jugendzentrums über
die Ideologie der Band in Kenntnis. Daraufhin strich er die Show aus dem
Kalender. Auch in Flensburg und Sulzbach wurden die Betreiber der Clubs
auf die Texte ihrer zukünftigen Gäste aufmerksam gemacht. Und
die Band muss unfreiwillig weitere freie Tage einlegen. Die Veranstalter
der »Walpurgis Metal Days« in der Nähe von Passau sagten
ein Konzert von »Impaled Nazarene« aus Angst davor ab, ihren
Ruf zu ruinieren. In Halle sorgte eine ausführliche Presseerklärung
der Schwulengruppe Equal für den Ausfall des Konzerts.
Aber es gibt auch Clubs, die an den Auftritten festhalten. So sollen »Impaled
Nazarene« am 10.Mai in der Augsburger Musikkantine, am 13.Mai im
K17 in Berlin, am 18.Mai im Bonner Rockclub, am 1.Juni im Headbangers
Ballroom in Hamburg und am 2.Juni in der Mensa in Greifswald spielen.
Die Ausfälle scheinen die Band zu schmerzen. Noch bevor sie die Tour
antrat, ließ sie in einer weinerlichen Pressemitteilung wissen,
sie sei entsetzt über die »Diffamierungen« der Antifa.
»Impaled Nazarene« erkenne schließlich die Menschenrechte
an. Anders als die Platten von Bands aus dem Untergrund des offen nationalsozialistischen
Black Metal, erscheinen die Alben von »Impaled Nazarene« auf
einem relativ professionellen Label. Ausfallende Konzerte schaden dem
Kontostand. Auch nazistische Teufelsjünger müssen ihre Miete
bezahlen.
Rock Hard, das größte Metalmagazin in Deutschland, interviewt
die Band bereits seit mehreren Jahren nicht mehr. Ein österreichischer
Fan von »Impaled Nazarene« hatte sich in einem Leserbrief
Luft gemacht und sich in einem Forum auf der Internetseite der Gruppe
über die faschistoiden Texte beschwert. Prompt erhielt er eine Antwort
der Musiker: »Du Stück schwule Scheiße, wir hoffen du
bekommst Aids und stirbst qualvoll, die Band.«
Im Forum des Black-Metal-Labels Christhunt Productions sorgen die Absagen
der Konzerte für Gesprächsstoff. Hier beteiligen sich Leute
mit Namen wie »Untersturmbannführer«, »Werwolf«
oder »Germania« an der Diskussion. »Christenasche«
ist wenig erfreut: »Antifa ist Brennholz für den Ofen, Futter
für die Schweine oder einfach nur Abschaum, der an die Wand gehört.«
So ähnlich dürften es auch die Musiker von »Impaled Nazarene«
sehen.
<<< Presse
22.04.2006
Tagesspiegel
Sperrstunde für fremdenfeindliche Wirte
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg plant multikulturellen
Kneipencheck: Lokal-Betreiber, die keine Ausländer bedienen, sollen
Konzession verlieren
Rassisten hinterm Kneipentresen soll künftig die Gaststättenkonzession
entzogen werden. Dies plant zumindest der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Um rassistische Kneipiers ausfindig zu machen, plant Wirtschaftsstadtrat
Lorenz Postler (SPD) einen „multikulturellen Kneipencheck“.
Mitarbeiter seines Amtes werden gemeinsam mit Mitgliedern einer interkulturellen
Begegnungsstätte, dem Bayouma-Haus, inkognito diverse Kneipen testen,
ob man dort ganz normal bedient werde. Erst am Donnerstag hatten der Afrika-Rat
und die Liga für Menschenrechte angekündigt, eine Broschüre
für so genannte „No-go-Areas“ herauszugeben. Das sind
Stadtviertel, in die Schwarze nicht gehen sollten, um sich nicht zu gefährden
(siehe Kasten).
Anlass für diesen Kneipencheck ist ein Vorfall, der sich in einem
Lokal in der Kreuzberger Dieffenbachstraße zugetragen hat. Ende
März war eine 23-jährige Kellnerin zu 300 Euro Geldstrafe verurteilt
worden, weil sie sich geweigert hatte, einen 35-jährigen Studenten
aus Kamerun zu bedienen.
Stadtrat Postler beunruhigte an dem Fall aus seinem Bezirk vor allem,
dass es laut Gerichtsurteil Anhaltspunkte gebe, dass die Kellnerin auf
Anweisung ihres Chefs gehandelt habe. „Dies werden wir prüfen“,
sagte der Politiker.
Zudem seien ihm von verschiedenen Zeugen drei Gaststätten in Friedrichshain
genannt worden, in denen Ausländer aufgrund ihrer Hautfarbe nicht
bedient würden. Namen wollte er nicht nennen, um den Kneipencheck
nicht zu gefährden und die Wirte nicht vorzuverurteilen.
Die Möglichkeit, die Konzession zu entziehen, hat der Wirtschaftsstadtrat
allerdings nur, wenn sich durch Zeugenaussagen beweisen lässt, dass
es sich nicht um einen Einzelfall handelt. „Bevor wir einen Gastwirt
anzeigen, wird es ein Gespräch geben“, sagte Postler. Rassistisches
Verhalten sei mit Artikel 3 des Grundgesetzes (Diskriminierungsverbot)
nicht vereinbar. „Es ist nicht nur menschlich verwerflich“,
sagte Postler, es sei auch wirtschaftsschädigend für den Bezirk
und die Metropole Berlin.
Auch in Hinblick auf die Fußball-WM müsse gezeigt werden, „dass
Berlin eine weltoffene Stadt ist“. Ein Sprecher der Berlin Tourismus
Marketing GmbH sagte, dass „alle Initiativen wichtig sind, die für
Berlin eine positive Außenwirkung haben“.
Beim Hotel- und Gaststättenverband (Hoga) stieß Postlers Idee
auf geteilte Meinungen: So sagt Hoga-Mitglied Gero Winiarsci, Mitbetreiber
des „Weihenstephaner“ in Mitte, dass Rassismus in Kneipen
eher die Ausnahme sei. Doch wo Ausländer nicht bedient würden,
„ist ein Entzug der Konzession angebracht“. Herita Wolf, bei
der Hoga zuständig für Charlottenburg-Wilmersdorf, sieht einen
Kneipencheck für ihren Bezirk nicht als notwendig an. „Ich
halte das für übertrieben.“ Ihr sei so etwas noch nicht
zu Ohren gekommen. Der Betreiber des Restaurants „Papaya“
in Friedrichshain findet die Idee seines Stadtrates „unterstützenswert“.
Es sei richtig gewesen, dass beim Vorfall in der Dieffenbachstraße
der diskriminierte Gast aus Kamerun die Kellnerin angezeigt hat.
<<< Presse
25.03.2006 Tagesspiegel
Kein Bier für den Gast aus Afrika
Kreuzberger Kellnerin muss wegen Beleidigung 300 Euro
Geldstrafe zahlen
Ein netter Fußballabend sollte es
werden. Werder Bremen in der Champions League, der Verein spielt attraktiven
Fußball, etwas für Feinschmecker, dazu vielleicht ein Bier.
So hatte sich der aus Kamerun stammende Noka A. die nächsten Stunden
vorgestellt. Es kam anders. Das Spiel hat er nicht gesehen, der Abend
hat sein Bild von Berlin „verändert“, wie er sagt. Warum,
damit hat sich gestern das Amtsgericht Tiergarten beschäftigt.
Es ging um Beleidigung aus „rassistischen Motiven“. Eine junge
Kellnerin einer 24-Stunden-Kneipe in der Kreuzberger Dieffenbachstraße
soll sich geweigert haben, den Schwarzafrikaner zu bedienen. Ihr Problem
war offenbar seine Hautfarbe. „Geschlossene Gesellschaft“,
soll sie ihm schließlich erklärt und Richtung Tür gewiesen
haben. Der 35-jährige Noka A., Wirtschaftswissenschaftler und angehender
Medienberater, blieb wie angewurzelt stehen. Eine solche Diskriminierung
mitten in Kreuzberg? Als er nach mehrfacher Aufforderung immer noch fassungslos
im Lokal stand, soll die Bedienung sogar die Polizei alarmiert haben.
Der 23-jährigen Kellnerin flatterte kurze Zeit später ein Strafbefehl
ins Haus. Eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20 Euro sollte
sie zahlen. Wegen rassistischer Beleidigung. Empört legte die junge
Frau Einspruch ein und erzwang damit einen Prozess. Aber eine Verhandlung
fand dann doch nicht statt. Nach einem Vorgespräch mit Richterin
und Staatsanwältin kam die Kellnerin mit Tränen in den Augen
und wütendem Schritt aus dem Gerichtssaal. Sie habe ihren Einspruch
zurückgezogen, hieß es. Damit ist die Geldstrafe von 300 Euro
rechtskräftig. Einsichtig allerdings wirkte die verurteilte Kellnerin
nicht, als sie erfolglos abzog. Im Verfahren hatte sie erklärt: „Ich
habe doch nichts getan.“ Vielleicht fühlt sie sich ungerecht
behandelt, weil sie nur tat, was von ihr verlangt wurde. Es gebe Anhaltspunkte,
dass die Bedienung auf Anweisung ihres Chefs handelte, sagte die Richterin.
Schlüssige Beweise aber fanden sich nicht. Ein Verfahren gegen den
Kneipeninhaber ist inzwischen eingestellt worden.
Die Szene spielte in einer ganz gewöhnlichen Bierkneipe. „Ich
würde dort keine Freunde suchen“, sagt Noka A., aber es gebe
in dieser Gegend nicht viele Möglichkeiten, Fußballspiele im
Bezahlfernsehen zu sehen. Als ihm die Kellnerin an jenem Abend im September
letzten Jahres kein Bier ausschenkte und schließlich aus dem Lokal
wies, sollen ihm andere Gäste mitgeteilt haben, dass dort „grundsätzlich
keine Ausländer bedient werden“. Das hätten die Gäste
nicht richtig gefunden, sagte A.’s Anwältin. Um zu zeigen,
dass ein Mann wie A. sehr wohl willkommen sei, habe ihm einer der Gäste
spontan ein Bier spendiert.
Das Verhalten der Bedienung habe den 35-Jährigen sehr beleidigt,
sagte seine Rechtsanwältin. Sie erwägt weitere zivilrechtliche
Schritte. „Da es das neue Anti-Diskriminierungsgesetz noch nicht
gibt, ist das die einzige Möglichkeit, juristisch noch etwas zu erreichen.“
Erste Schritte sind bereits eingeleitet. So habe Noka A. das Gewerbeamt
über den Vorfall schon informiert.
<<< Presse
20.03.2006 TAZ
Rechte scheitern im Demo-Marathon
Tausende Menschen demonstrieren in Friedrichshain,
Lichtenberg und Charlottenburg gegen Rechtsextremisten.
Die Neonazis versuchen auch, auf die Straße
zu gehen. Sie haben nur ein Problem: Es kommen einfach zu wenige
Wer am Wochenende in der Stadt unterwegs war, nahm fast zwangsläufig
an irgendeiner Demo teil - denn die Protestveranstaltungen häuften
sich. "Kein Kiez für Nazis" war das Motto, unter dem am
Samstag nach Angaben der Veranstalter mehr als 3.000 Menschen in Friedrichshain
gegen Rechtsextremisten demonstrierten. Die Polizei sprach von 1.000 Teilnehmern.
Die Demo wandte sich gegen die Zunahme nächtlicher Überfälle
auf Menschen, die vom Äußeren als links eingeordnet werden
können (die taz berichtete).
Linke Gruppen gehen davon aus, dass es sich bei den Tätern um organisierte
Neonazis handelt. "Die Protestveranstaltung war ein sehr eindeutiges
Signal in Richtung Nazis", sagte ein Sprecher der Initiative für
hedonistische Stadtentwicklung & kosmopolitische Kompetenz, die den
Demonstrationszug angemeldet hatte. Ursprünglich habe man lediglich
mit 500 Teilnehmern gerechnet.
Bereits am Freitagabend hatten rund 1.000 Antifas gegen rechtsextreme
Strukturen in Friedrichshain und Lichtenberg demonstriert. Die Route führte
direkt durch die Lichtenberger Weitlingstraße, in der es Anfang
der 90er-Jahre ein von militanten Neonazis besetztes Haus gab. Auch heute
noch trifft sich dort eine aktive rechte Szene. Im Kiez kam die Gegenwehr
gut an: "Ich finde es richtig, dass sich die jungen Leute gegen die
Nazis hier im Kiez engagieren", sagte ein Anwohner. In Redebeiträgen
wurde darauf hingewiesen, dass in mehreren Kiezkneipen in Lichtenberg
und Friedrichshain bekannte Rechtsradikale ein und aus gehen. Am Ende
der Demonstration kam es am U-Bahnhof Samariterstraße zu Auseinandersetzungen
mit der Polizei, als diese mehrere Teilnehmer festnahm. Die Polizei spricht
von neun Festnahmen. Die Behörde leitete mehrere Strafverfahren,
unter anderem wegen Landfriedensbruch, ein.
Ebenfalls am Freitag beteiligten sich in Lichtenberg knapp 60 Rechtsradikale
an einer Spontandemonstration "Schluss mit Antideutscher Hetze".
Um ein Zusammentreffen mit der Antifa-Demonstration zu verhindern, leitete
die Polizei den Marsch der Rechten um.
Auch am Samstag suchten Neonazis in Charlottenburg die Öffentlichkeit:
Mit nur 90 Teilnehmern blieb ein NPD-Aufmarsch am Vormittag aber weit
hinter den Erwartungen der Rechten zurück. Sie hatten die Veranstaltung
unter dem Motto "Keine Pariser Zustände in Berlin. Berlin ist
eine deutsche Stadt" für 150 Menschen angemeldet. An einer Gegenkundgebung
von Linkspartei und Grünen nahmen rund 150 Anwohner teil.
<<<
Presse
20.03.06 Neues Deutschland
Mit Soundsystems gegen Nazischläger
In Friedrichshain gingen am Wochenende Tausende gegen
rechte Gewalt auf die Straße
Tausende Menschen schlossen sich am Wochenende
den zwei Demonstrationszügen an, die sich gegen die brutalen Übergriffe
der letzten Zeit in Friedrichshain wandten. Antifa-Gruppen mobilisierten
am Freitagabend um die 1000 Menschen für einen Marsch vom Boxhagener
Platz nach Lichtenberg.
Die »Initiative für hedonistische Stadtentwicklung & kosmopolitische
Kompetenz« – ein Bündnis von Kulturschaffenden aus der
Clubszene – brachte am Sonnabendnachmittag drei fahrende Soundsystems
auf die Straße, die die 3000 Teilnehmer unter dem Motto »Kein
Kiez für Nazis« mit elektronischer Musik beschallten. Damit
reagieren die Bewohner des alternativ geprägten Bezirks auf die Angriffe
durch Schlägerbanden in den vergangenen Monaten.
Während die Polizei bei der Benennung der Täter noch im Dunkeln
tappt, vermuten antifaschistische Gruppen rechtsradikale Schläger
hinter den Angriffen. Dafür spricht einiges: Viele Überfälle
wurden von einer Gruppe von zirka 15 Männern verübt, die mit
Teleskopschlagstöcken – so genannten »Totschlägern«
– auf alternative Jugendliche, Linke und Ausländer losgingen.
Meist waren die Opfer nachts allein oder in kleineren Gruppen unterwegs.
Provoziert von vier Rechtsradikalen gerieten so Anfang März fünf
Linke in eine Auseinandersetzung. Rasch gesellten sich weitere Rechte
hinzu, insgesamt schließlich 15. Mit massiver Gegenwehr gelang es
den Linken, die Angreifer in die Flucht zu schlagen, unter denen sie Mitglieder
der verbotenen »Kameradschaft Thor« und der »Autonomen
Nationalisten Berlin« erkannten. In derselben Nacht kam es zu mindestens
vier weiteren Übergriffen vermutlich dieser Gruppe.
Auf eine Anzeige verzichten die Opfer zumeist. Zu groß ist das Misstrauen
gegenüber der Polizei, die keinen politischen Hintergrund der Angriffe
erkennen will und mit Hausdurchsuchungen gegen die antifaschistische Szene
vorgeht. Dass sich die Warnungen der Antifa, die seit Jahren auf Rückzugsräume
für Neo-Nazis in Friedrichshain und Lichtenberg und die daraus entstehenden
Gefahren verweist, nun bewahrheiten, überrascht offensichtlich auch
viele Bewohner der inzwischen befriedeten ehemaligen Hausbesetzerkieze
nördlich und südlich der Frankfurter Allee. Insbesondere nachts
an Wochenenden herrscht Angst vor weiteren Übergriffen, bewegen sich
viele nur noch ungern in der eigenen Umgebung.
Nicht nur die Organisatoren der Demos sehen das »easy going«,
die tolerante Atmosphäre in den alternativ geprägten Straßenzügen,
gefährdet, wenn dieses auch für brutale Nazischläger gelte.
Freiräume müssten verteidigt werden, erklärten die Initiatoren
von »Kein Kiez für Nazis«: »Mit Flohmarkt und Latte
Macchiato allein ist es da eben nicht getan«.
<<<
Presse
17.03.2006 TAZ
Nackte Gewalt in Friedrichshain
Seit einigen Monaten kommt es in dem Bezirk gehäuft
zu Übergriffen. Die Polizei spricht von Jugendbanden als Tätern,
die Antifa von Neonazis. Ein Bürgerbündnis will dagegen vorgehen
Eine Gruppe von etwa 15 schwarz gekleideten
Vermummten stürmt um eine Straßenecke und prügelt ohne
ersichtlichen Grund mit Teleskopschlagstöcken und Flaschen auf zwei
junge Männer ein. So schnell sie gekommen sind, so schnell sind die
Schläger auch wieder weg. Die Opfer werden mit Schnittverletzungen
und Prellungen ins Krankenhaus eingeliefert. Die Polizei fahndet - bleibt
jedoch erfolglos.
Solche und ähnliche Szenen haben sich im linken Szene-Bezirk Friedrichshain
in den vergangenen Monaten häufiger abgespielt. Mindestens zehn Übergriffe
zählte die Antifa Friedrichshain seit Anfang des Jahres. Offizielle
Zahlen gibt es nicht.
Die Polizei spricht lieber von "Gewalt unter Jugendbanden".
Ihr lägen bisher keine Hinweise auf einen politischen Hintergrund
der Straftaten vor, erklärt Polizeisprecher Uwe Kocellik. Antifa-Initiativen
gehen jedoch davon aus, dass es sich bei den Tätern um Neonazis aus
dem Umfeld der verbotenen Kameradschaft Tor handelt, die sich seit einiger
Zeit selbst als "Autonome Nationalisten" bezeichnen. "Das
Muster der Angriffe ist das gleiche wie bei Überfällen von Neonazis
auf linke Veranstaltungen und Infostände im vergangenen Jahr in Lichtenberg",
sagt ein Sprecher der linken Gruppe Kritik & Praxis (K & P). Das
offensichtlich gut geplante Vorgehen der Schläger spreche gegen einen
Fall von normaler Jugendgewalt. Zudem könne es kein Zufall sein,
dass die Opfer der Übergriffe stets vom Aussehen her als links einzuordnende
Menschen seien.
Mehrere linke Gruppen rufen an diesem Wochenende deswegen gleich zu zwei
Veranstaltungen in Friedrichshain auf. Die erste, von der K & P angemeldete
Demonstration beginnt heute Abend am Boxhagener Platz und führt bis
in die Weitlingstraße im benachbarten Lichtenberg. Die Weitlingstraße
galt bereits Anfang der 1990er-Jahre als Hochburg von Rechtsextremisten.
Nachdem einige Jahre Ruhe eingekehrt war, gibt es dort nun wieder mindestens
zwei Wohngemeinschaften mit stadtbekannten Neonazis. Im Aufruf der K &
P ist von "Sammlungs- und Rückzugsort organisierter Faschisten"
die Rede.
Von einer Zunahme rechter Gewalttäter in Friedrichshain spricht auch
die Opferberatungsstelle ReachOut. Sie hat vor kurzem ihre Statistik rechter
Übergriffe von 2005 veröffentlicht. Dort hält Friedrichshain
mit 25 Fällen den ersten Platz. ReachOut-Mitarbeiterin Helga Seyb
ist daher froh, dass sich nun ein breites Bündnis gegen die nächtliche
Gewalt gefunden hat. "Die beiden Demonstrationen allein können
jedoch nur begleitend zu weiteren Aktionen gegen rechte Gewalt im Bezirk
sein", sagt sie. Um eine Kontinuität der Arbeit gegen die Überfälle
aufzubauen, setzt sie sowohl auf die lokalen Antifa-Gruppen als auch auf
ein Bürgerbündnis.
Das Bündnis gibt es seit zwei Monaten. Beteiligt ist eine bunte Mischung
von lokalen Initiativen, Vereinen, Migrantengruppen und Einzelpersonen.
Sogar Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (Linkspartei) war
zum ersten Treffen erschienen. Mit dabei ist auch Claus Foerster, vom
Projekt Community and Commitment der Arbeiterwohlfahrt: "Das größte
Problem ist, dass die meisten Friedrichshainer ihren Kiez für weltoffen
und tolerant halten. Wir müssen jetzt erst mal ein Problembewusstsein
für die rechte Gewalt schaffen." Mit Flugblättern und Plakaten
will das Bündnis in den kommenden Wochen die Bewohner des Bezirks
für das Thema sensibilisieren. Es gehe vor allem darum, dass bei
Übergriffen niemand wegschaut, sondern sofort die Polizei gerufen
wird.
<<<
Presse
06.03.2006 Berliner Zeitung
Jugendbande prügelt wahllos um sich
Brutale Schläger greifen in Friedrichshain Passanten
an
In Friedrichshain terrorisiert eine Jugendbande
den Kiez. Willkürlich suchten sich die Täter am Wochenende ihre
Opfer aus und schlugen sie zusammen. So wurden Sonnabend früh ein
16- und ein 17-Jähriger am U-Bahnhof Frankfurter Allee von einer
15-köpfigen Gruppe attackiert. Laut Polizei prügelten die Jugendlichen
kurz nach Mitternacht ohne ersichtlichen Grund mit Flaschen und Biergläsern
auf die beiden ein. Die Opfer kamen mit Platzwunden und Prellungen ins
Krankenhaus.
Zwei Stunden später verprügelte die selbe Bande am S-Bahnhof
Frankfurter Allee eine 26-jährige Frau. Die Täter stießen
sie zu Boden und schlugen der am Boden liegenden mit einem Fahrradschloss
mehrmals ins Gesicht. Die Frau wurde mit mehreren Platzwunden in ein Krankenhaus
gebracht.
Wenig später ereignete sich in der Nähe der nächste Vorfall:
Gegen 2.25 Uhr wurden in der Schreinerstraße zwei Männer verprügelt.
Wieder waren die Angreifer eine Gruppe aus 15 Personen. Der 26- und der
28-Jährige wurden ebenfalls ohne ersichtlichen Grund angegriffen.
Zunächst wurden sie zu Boden geschlagen. Als die Opfer wieder aufstanden,
schlugen die Täter mit einem Teleskopschlagstock und einer Flasche
zu. Beide Opfer wurden mit Prellungen und Schnittwunden in ein Krankenhaus
gebracht. Auch dieses Mal konnte die Bande unerkannt entkommen.
Die Polizei steht vor einem Rätsel. In allen drei Fällen sollen
die Täter mit schwarzen Jacken und Jeans-Hosen bekleidet gewesen
sein. Hinweise darauf, dass es sich um politische Auseinandersetzungen
zwischen "linken" und "rechten" Jugendlichen gehandelt
haben könnte - wie sie in der Gegend des Öfteren vorkommen -
gibt es nicht. Stark alkoholisiert waren die Schläger offenbar auch
nicht. Auch geraubt wurde den Opfern nichts. "Offenbar war das Motiv
der pure Spaß an Gewalt", sagte Polizeisprecher Carsten Müller
gestern.
Auch an anderen Orten in der Stadt gab es brutale Überfälle.
Zwölf Jugendliche verprügelten am Samstagabend in Marzahn drei
17-Jährige. Auch hier war das Motiv offenbar nur Spaß an der
Gewalt. Die Täter flüchteten ohne Beute. Bei ihnen soll es sich
um Personen zwischen 15 und 18 Jahren gehandelt haben.
Am selben Abend beraubte und verprügelte am Adenauerplatz in Charlottenburg
eine Gruppe von fünf bis acht Jugendlichen zwei Schüler im Alter
von 14 und 15 Jahren. Das Alter der Täter wird auf 14 bis 17 Jahre
geschätzt.
Gestern früh gegen 1.20 Uhr griffen sechs bis acht Jugendliche in
einer Vorhalle des S-Bahnhofs Neukölln einen stark betrunkenen 52-Jährigen
an. Der Mann wurde ins Gesicht geschlagen, ging zu Boden und wurde durchsucht.
Die Täter raubten ihm Geld und Handy. Die Täter, zu denen auch
zwei Frauen gehören sollen, werden auf 17 bis 25 Jahre geschätzt.
Heute wird Polizeipräsident Dieter Glietsch die Kriminalstatistik
für 2005 bekannt geben. Demnach ist die Jugendgewalt zurückgegangen.
<<< Presse
22.02.2006 Jungle World
Erst jagen, dann schlagen
Im Berlin-Friedrichshain kommt es immer öfter
zu gewalttätigen Übergriffen von Neonazis. Nun soll ein Bürgerbündnis
gegen Rechts gegründet werden.
Der bisher letzte Übergriff, den die
Antifa Friedrichshain dokumentiert, ereignete sich am 1.?Februar. Ein
alternativer Jugendlicher wurde am frühen Abend in der U-Bahn in
Richtung Friedrichshain von drei Neonazis angegriffen und verletzt. Am
21.?Januar attackierten Neonazis mehrere Linke. Am 14.?Januar wurden vier
Spanier gejagt, am 13.?Januar waren es wieder vermeintliche Linke, die
aus einer Kneipe heraus von Neonazis angegriffen und verfolgt worden.
Am 6.Januar kam es zum bislang schwersten Angriff in diesem Jahr.
Unabhängig voneinander wurden fünf Jugendliche in der Rigaer
Straße angepöbelt und gejagt. Einer der Angegriffenen trug
eine gebrochene Hand und Schürfungen davon. Die Täter waren
schwarz gekleidet, vermummt und mit Schlagstöcken und Reizgas bewaffnet.
Es handelte sich offenbar um Neonazis, die im linken Szenekiez gezielt
nach Personen Ausschau hielten, die alleine unterwegs waren. Am früheren
Abend sei ein Mitglied der verbotenen Kameradschaft Tor und Anti-Antifaaktivist
im Waf-Salon, einer linken Kneipe, gesehen worden, berichtet die Antifa
Friedrichshain in diesem Zusammenhang.
Der Ostberliner Stadtteil Friedrichshain verzeichnet derzeit die
meisten rechten Übergriffe in Berlin. In einer gemeinsam von der
Opferberatungsstelle Reach Out und dem Antifaschistischen Pressearchiv
und Bildungszentrum Apabiz vorgelegten Chronologie rechtsextremer, rassistischer,
antisemitischer und homophober Übergriffe im Jahr 2005 sind 25 Angriffe
dokumentiert, gegenüber sieben im Jahr 2004. Insgesamt
sei die Zahl der Gewalttaten und verbalen Attacken in Berlin im Jahr 2005
beinahe doppelt so groß gewesen wie im Jahr 2004. Der Großteil
der Übergriffe habe »im öffentlichen Raum an Bahnhöfen
stattgefunden«.
»Sicherlich haben die ›Freien Kräfte‹ ein Auge
auf den Kiez geworfen«, sagt Marie Roth von der Antifa Friedrichshain.
»Es ist am vorletzten Wochenende auch ein Neonazi aus dem Umfeld
der verbotenen Kameradschaft Tor gesehen worden, der in der Rigaer Straße
die Lage prüfte, während sich andere in einem Park versteckten
und warteten, ob sie wieder in den Nordkiez eindringen können.«
Als Antwort auf die Gewalt von Neonazis soll ein Bürgerbündnis
gegen Rechts gegründet werden. Eine »Initiative Friedrichshain«
lud Institutionen ein und verteilte auch Flugblätter im Kiez. Am
Dienstag voriger Woche fand das erste Treffen statt. Neben Anwohnern waren
ein Vertreter der Antifa, Helga Seyb von Reach Out, die VVN/BdA-Friedrichshain,
Vertreterinnen von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus und die
Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (Linkspartei) anwesend.
Auf der Versammlung wurden Ideen für ein gemeinsames Vorgehen gesammelt.
Es soll eine breite Öffentlichkeit im Bezirk darüber aufgeklärt
werden, dass es diese rechtsextreme Gewalt gibt.
»Der Rassismus in Friedrichshain nimmt schleichend zu«, sagte
Ulrich Spies (SPD) auf der Veranstaltung. Es müsse etwas getan werden,
damit die Neonazis nicht glaubten, sie agierten in einem gesellschaftlichen
Umfeld, das ihnen gewogen sei. Helga Seyb von Reach Out meint: »Wenn
deutlich wird, dass die Jugendlichen nicht alleine sind, sondern
auch Unterstützung aus der Gesellschaft erfahren, sehen die Neonazis,
dass es für sie politisch teurer wird, derartige Angriffe durchzuführen.«
Einen Teil des Problems sieht Seyb auch bei der Polizei. Bisher sei es
jedoch so, dass die Übergriffe oft als »Auseinandersetzungen
zwischen Jugendlichen« wahrgenommen würden. Als Beispiel
schildert sie einen Fall, bei dem ein Migrant von vier Neonazis aus
einem fahrenden Auto heraus zunächst angepöbelt und dann auch
tätlich angegangen worden sei. Als der Angegriffene sich zu Wehr
gesetzt habe, hätten die Täter die Polizei gerufen und den Beamten
erzählt, dass sie angegriffen worden seien. Letztlich sei das Opfer
des Übergriffs festgenommen und der Fall in der Kartei »Verkehrsdelikte«
abgeheftet worden.
Neonazis riefen im Falle einer Gegenwehr immer öfter selbst die Polizei,
erläutert Seyb. Dies führe auch zu der mangelnden Bereitschaft
auf Seiten der Opfer, den Vorfall anzuzeigen. Sie befürchteten oft
selbst Repressalien, teilweise seien die Daten der Anzeigenden auch schon
in die Hände von Neonazis gelangt. »Die Polizei müsste
eine höhere Sensibilität dafür haben, Geschehnisse auch
in eine andere Richtung zu interpretieren«, sagt sie.
Die Ideen, dem Problem beizukommen, reichen von Plakataktionen bis zum
Einrichten einer Beratungsstelle, bei der sich sowohl Betroffene von rechter
Gewalt als auch Bürger, die Übergriffe oder rechte Propaganda
beobachten, melden können. Zudem müssten auch weiterhin rechte
Aktivitäten genau dokumentiert werden.
Diese rechte Gewalt im Kiez um den U-Bahnhof Samariterstraße ist
indes nicht neu. Im November 1992 wurde der Antifa und Hausbesetzer Silvio
Meier dort von Neonazis erstochen. Bis ins Jahr 1991 hätten Neonazis
immer wieder besetzte Häuser in dem Stadtteil angegriffen, erzählt
Said, ein ehemaliger Hausbesetzer und langjähriger Anwohner
in Friedrichshain. »In der Gegend vom Ringcenter an der Frankfurter
Allee bis zum S-Banhof Ostkreuz waren und sind die Neonazis aktiv«,
sagt er. »Wir sind damals oft mit Knüppeln die Runde gelaufen«,
erzählt er weiter, »und ab 1993 war zumindest im Südkiez
Ruhe. Damals war es auch noch so, dass du bei den Häusern geklingelt
hast und immer zehn Leute mitgekommen sind.« Außerdem habe
es immer wieder Aktionen an Treffpunkten von Neonazis gegeben.
Gigi Müller von der »Unabbhängigen BürgerInneninitiative
Kommunikatives Leben in Zusammenarbeit«, die den Mieterladen in
der Kreutziger Straße betreibt, wohnt schon lange im Kiez und hat
sowohl die Auseinandersetzungen damals als auch die jüngsten Übergriffe
erlebt. Sie meint: »Viele Häuser sind in den letzten Jahren
geräumt oder privatisiert worden, und viele ehemals Linke haben sich
zurückgezogen. Dadurch wurde öffentlicher Raum aufgegeben,
den die Neonazis jetzt besetzen können.«
<<<
Presse
01.02.2006 TAZ
Neonazis machen Friedrichshain unsicher
Die Zahl der gewalttätigen Übergriffe
von Rechten auf Personen ist 2005 stark gestiegen. In Friedrichshain häufen
sich die Attacken. Opfer sind vor allem Menschen aus der alternativen
Szene. Jetzt wird über ein Bürgerbündnis nachgedacht
von JOHANNES RADKE
Die Anzahl der Übergriffe von Neonazis
hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Die Opferberatungsstelle
Reach Out zählte 2005 insgesamt 103 rechte Angriffe auf Personen
in Berlin. Das sind 40 Vorfälle mehr als 2004. Die meisten Übergriffe
gab es im Bezirk Friedrichshain (23), gefolgt von Lichtenberg (18). Der
Polizei liegen bisher noch keine Zahlen über rechte Gewalttaten vor.
"Es gibt anscheinend rechte Gruppen, die am Wochenende losgehen und
gezielt Menschen überfallen", erzählt Helga Seyb von Reach
Out. Neben einer deutlichen Steigerung der Brutalität sei vor allem
auffällig, dass es sich immer öfter um verabredete und geplante
Aktionen der Rechten handele. "Da kommt eine Gruppe schwarz Vermummter,
mit Schlagstöcken bewaffnet, schlägt zu und ist sofort wieder
weg", so Seyb weiter. Opfer der Überfälle seien zumeist
Menschen, die nach ihrem Äußerem der alternativen Szene zugerechnet
werden könnten.
Die Antifa Friedrichshain (AFH) bestätigt diese Tendenz und spricht
von einer ganzen "Welle von Angriffen". Allein seit Anfang Januar
habe es in Friedrichshain acht Fälle rechter Gewalt gegeben. Erst
am vergangenen Wochenende seien sechs Jugendliche am U-Bahnhof Frankfurter
Allee von einer Gruppe rechter Hooligans mit den Worten "Zecken,
wir kriegen euch!" attackiert worden. Dabei habe es vier Schwerverletzte
gegeben. Ein Opfer sei zudem auf die Bahngleise geschubst und im Gleisbett
liegend von fünf Angreifern weiter getreten und geschlagen worden.
Auf Anfrage der taz bestätigte Polizeisprecher Bernhard Schodrowski,
dass es in der betreffenden Nacht einen Einsatz am U-Bahnhof Frankfurter
Allee wegen einer Schlägerei gegeben habe. "Der Staatsschutz
prüft derzeit, ob es einen rechten Tathintergrund gibt", sagt
Schodrowski.
Das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) ist von
den neuen Zahlen nicht überrascht. "Die Neonazis suchen in letzter
Zeit verstärkt die Auseinandersetzung", sagt ein Mitarbeiter.
"Dabei spielt die Fixierung auf vermeintliche Linke als Gegner eine
wichtige Rolle für die eigene politische Identifikation." Darüber
hinaus sei die Hemmschwelle, sich im als alternativ geltenden Stadtteil
Friedrichshain zu bewegen, in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken.
Nicht zuletzt dadurch, dass die Rechten sich mittlerweile durch ihr Äußeres
kaum noch zu erkennen gäben.
"Die Verbote der Kameradschaft Tor und anderer Gruppen haben mit
Sicherheit auch zur Radikalisierung der rechten Szene beigetragen",
sagt Catharina Schmalstieg von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus.
"Nach den massiven Übergriffen ist es Zeit, dass endlich etwas
passiert", findet sie. "Unser Ziel ist es, in erster Linie ein
öffentliches Bewusstsein dafür herzustellen, dass solche Übergriffe
in Friedrichshain passieren", so Schmalstieg weiter. Es werde jetzt
über die Gründung eines Bürgerbündnisses gegen rechts
nachgedacht.
<<< Presse
Februar 2006: Fightback AntifaRechercheMagazin (als PDF)
Ex-besetzte Häuser, rechte Kneipenkultur und
Potentiale
Anders als in den Randbezirken Berlins hat
Friedrichshain das Problem, dass Neonazis bzw. ihre Aktionen von den AnwohnerInnen
nicht wahrgenommen werden, da sie nicht ins Bild des Bezirks passen und
eher als Betriebsunfall in einem alternativen Stadtbezirk abgehandelt
werden. Hier, wo ganze Straßenzüge in den frühen 90er
Jahren besetzt waren und es eine hohe Dichte linker Kneipen, Theater und
Läden gab, hat sich so einiges verändert – nicht nur aus
stadtpolitischer Perspektive, sondern auch aus antifaschistischer Sicht.Denn
auch in Friedrichshain finden Neonazis Orte, an denen sie sich ungestört
aufhalten können, Räume in denen sie Veranstaltungen abhalten,
Wohngegenden wo sie als Nachbarn toleriert werden und eine junge Kneipenszene
in der sie sich wohlfühlen.
Kiez und Milieu
Am 5. November 1999 wurde die Leiche von
Kurt S. (38) auf einem stillgelegten Urnenfriedhof in der Rudolf-Reusch-Straße
an der Grenze zu Lichtenberg gefunden. Er wurde erschlagen. Vier Neonazis
wurden daraufhin in einer Wohnung im Hoernerweg festgenommen. Ein politischer
Hintergrund der Tat wurde ausgeschlossen und ein Raubmord im Trinkermilieu
vermutet. Erst im April 2004 werden alle Tatbeteiligten zu lebenslanger
Haft (Michael Voigt, Manuel Sandmann) bzw. zu 8 Jahren (Björn Oberjartel)
und 8,5 Jahren (Carsten Ufer) Jugendstrafe verurteilt. Eigenen Angaben
zufolge zählen sich alle vier zu der in Deutschland verbotenen militanten
Neonaziorganisation Hammerskins (1). Was da im November 1999 passierte
ist mehr als eine Kriminalgeschichte, es zeigt, dass es in Friedrichshain
nicht nur eine Trinker- und Kneipenkultur gibt, sondern auch, dass sich
in diesem Milieu organisierte Neonazis tummeln, die aufgrund ihres abwertenden
Menschenbildes auch vor einem Mord wegen ein paar Mark nicht zurückschrecken.Verrohung
im Kneipenmilieu ist gesamtgesellschaftlich zu beobachten, aber wann steht
auch rechte Ideologie als Motiv im Vordergrund? Es gibt einige Kneipen
in Friedrichshain, die zumindest unkritisch Neonazis und ihren Hooligananhang
als Kundschaft akzeptieren und dadurch Räume zur Verfügung stellen,
die für eine nicht organisierte rechte Klientel wichtig ist, um sich
ungestört treffen und austauschen zu können. Nur wenigen KneipenbesitzerInnen
lässt sich eine ebenso rechte Gesinnung unterstellen wie ihrer Kundschaft,
dennoch tritt meistens eine Solidarisierung mit der Stammkundschaft ein,
sofern diese bzw. ihr Gedankengut kritisiert werden.Für relativ viel
Aufmerksamkeit sorgte die von Doris Engel betriebene Kneipe Baum in der
Libauer Straße, die Anfang 1999 eröffnet wurde. Die rechte
Klientel bestand auch dort aus organisierten Kameradschaftlern, was zu
einiger Gegenwehr seitens der AnwohnerInnen und der Antifa führte.
Der Wirt Manfred Reisinger aus Pankow und sein neonazistischer Kollege
Thomas Barutta aus Friedrichshain schenkten das Bier aus. Barutta wurde
zu der Zeit öfters auf Naziaufmärschen im „Kameradschaft
Germania“ Block gesehen und war an einem Angriff am 21. Juli 2001
auf Linke an der Frankfurter Allee beteiligt. Die Wirtin distanzierte
sich nie von ihrem Personal oder der Kundschaft und legte vielmehr ihre
schützende Hand über sie. Nach zwei Jahren musste die Kneipe
wegen antifaschistischer Aktionen und des schlechten Images schließen.Im
Juli 2003 kam es aus der unscheinbaren Kneipe Frankie’s Relaxbar
in der Pettenkoferstraße zu einem Angriff auf vier junge Vietnamesen.
Ebenfalls vier Stammgäste der Kneipe verdächtigten sie des Betrugs
und gingen mit den Billardqueues aus der Kneipe auf sie los und jagten
sie in Richtung Bahnhof Frankfurter Allee. Eines der Opfer wurde schwer
verletzt und die Täter trotz etlicher rechter Vorstrafen wie z.B.
der Haupttäter Sven Scholz aus Marzahn wegen Totschlag, erst einmal
wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Kneipe distanzierte sich ebenfalls
nicht von dem Vorfall. Sie schloss Ende 2004 ebenfalls. Sven Scholz hatte
beispielsweise 1998 bei einer Antifademo gegen das Café Germania
in Lichtenberg den ersten Stein auf die DemonstrantInnen geworfen und
wurde dafür auch verurteilt.
Er und sein Umfeld war nicht nur in „Frankie’s Relaxbar“
Stammkundschaft sondern auch im Jessner Eck in der Jessner Straße,
wodurch sich auch zahlreiche Übergriffe auf Linke im Umfeld der Kneipe
erklären lassen. So z.B. im September 2003 als ein Punk von mehreren
Neonazis so schwer mit Baseballschlägern verprügelt wurde, dass
er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Das „Jessner Eck“
wechselte 2005 den Besitzer und auch teilweise das Publikum.Als am 6.
November 2004 in der Eckkneipe Happy Station am Petersburger Platz das
Jahrestreffen der „Hammerskins“ (1) stattfand und von 200
Polizisten aufgelöst wurde, zeigte sich der Wirt Frank Heindel unwissend
und behauptete nichts von dem Treffen gewusst zu haben. Schon vorher wiesen
AntifaschistInnen mit einer Aktion zum sog. „Herrentag“ auf
die rechte Klientel in der Kneipe hin. Einmal im Monat traf sich dort
auch der Trabi-Club-Berlin, dessen Vorsitzender Albrecht Reither der damalige
Berliner Landesvorsitzende der NPD war. Anfang 2005 musste die Besitzerin
Nicole Kryom die Kneipe aus wirtschaftlichen Gründen schließen.Einen
Monat nach dem Hammerskin-Treffen fand am 10. Dezember 2004 schon wieder
ein Treffen von Neonazis in einer Kneipe in Friedrichshain statt. Etwa
50 Hooligans und Neonazis sammelten sich zu einer Weihnachtsparty in der
Cocktailbar Morrison in der Proskauerstraße, alles angebliche Angestellte
der BFC-nahen Abrissfirma Benecke GmbH aus Friedrichshain. Einige linke
AnwohnerInnen reagierten und warfen eine Scheibe der Bar ein. Daraufhin
stürmten die rechten Partygäste in Prügellaune wie auf
Befehl auf die Straße, um vermeintliche Linke zu jagen. Dabei beschädigten
sie einige Autos und wurden z.T. von der alarmierten Polizei kontrolliert.
Wie schon bei der Happy Station war auch hier der Wirt uneinsichtig und
behauptete seine Gäste seien keine Neonazis. Eine Kneipe die sich
offen rechts positioniert hat, war die Kietz-Kneipe 1 in der Neuen Bahnhofstraße.
Der Wirt, Jeremy Manz (M+G Dienstleistungen) aus Marzahn, kündigte
einen „Krieg gegen alles Linke“ im Friedrichshainer Süd-Kiez
an, nachdem eine augenscheinlich linke Frau von Neonazis aus der Kneipe
heraus angegriffen und mehrere Minuten in einem Hausflur festgehalten
und bedroht wurde. Im April 2005 wurde ein Motorradfahrer ohne ersichtlichen
Grund vor der „Kietz-Kneipe“ von rechter Klientel, die auf
der Straße trank, geschlagen.Die Kneipe in der Neuen Bahnhofstraße
gehört zu zwei weiteren „Kietz-Kneipen“ in Friedrichshain,
die alle Petra Lüdtke gehören. Die Kneipen haben die gleichen
billigen Preise, gleiche Innenausstattung und gleichen Öffnungszeiten
und sprechen immer die gleiche Klientel an, die auch gern rechts sein
darf. Der Wirt der Kietz-Kneipe 3 in der Voigtstraße, die im November
2005 eröffnete trug des öfteren ein bedrucktes T-Shirt was nur
über rechte Versände bestellt werden kann. Bei der Eröffnung
der Kneipe war auch der langjährige Neonazikader Oliver Schweigert
anwesend. Dennoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei
den „Kietz-Kneipen“ um Lokalitäten handelt die ausschließlich
Neonazis bedienen. Die Klientel ist vielmehr wie in vielen anderen Friedrichshainer
Kneipen heterogen, aber zumindest mit rechtem Grundkonsens.Die Liste mit
Friedrichshainer Kneipen, welche rechtes Gedankengut tolerieren und die
Ausgangspunkt für Pöbeleien oder Angriffe durch Rechte sind,
ließe sich noch weiter führen, zumal sich die Grenze zwischen
Männerritualen, Gewalttätigkeit im Trinkermilieu und rechter
Motivlage für den Betrachter meist schwer ziehen lässt. Klassische
Nazi-Kneipen von Neonazis für Neonazis wie z.B. das „Café
Germania“ Ende der 90er Jahre in Lichtenberg, gibt es allerdings
in Friedrichshain nicht und würden vermutlich am Quartiersmanagement
des Bezirks scheitern. In einer kleinen Anfrage im Juni 2004 gibt uns
der Berliner Innensenat mit dieser Einschätzung recht: „Rechtsextremisten
agieren in Friedrichshain vielmehr subkulturell und jugendtypisch, d.
h. sie besuchen Kneipen oder Clubs, die auch von anderen Jugendlichen
frequentiert werden. Es liegen keine Hinweise dafür vor, dass in
diesen allgemein zugänglichen Kneipen rechtsextremistische Aktivitäten
entwickelt werden würden.“ Eine besondere Lokalität, die
hier nicht unerwähnt bleiben sollte ist die K17. Das Publikum bei
diesem Veranstaltungsraum in der Pettenkoferstraße (ehem. in der
Kadiner Straße) ist meist auf die Dark-Wave und Gothic Szene beschränkt,
die allerdings Anknüpfungspunkte für esoterisch angehauchte
Rechte bieten. Als ehemals links-alternativer Veranstaltungsraum zeigen
sich die K17 BetreiberInnen betont uneinsichtig was einige Teile ihrer
Klientel betrifft. Je kommerzieller der Raum über die Jahre wurde,
desto politisch ambivalenter wurde auch das Programm. Im Juli 2000 trat
im K17 die rechte Dark-Wave Band Kirlian Camera auf, die auf der Bühne
gern mit faschistischer Symbolik hantiert und in ihren Songtexten nationalsozialistischen
Reden einfließen lässt (2). Im Dezember 2001 fand in der K17
das „Eastside Hardcore over X-Mas“ Konzert statt, das fast
ausschließlich von Neonazis besucht wurde. An diesem Abend spielten
„Infront“, „Acusado“, „Stomper“, „Bloodshed
Rise“ und „Withheld“. Mitglied der Band „Withheld“
war der heute noch aktive Neonazis Michel Manko („United Skins“)
aus Königs Wusterhausen. Vor allem Donnerstags Abends wenn „DJ
Hexx“ alias Rene Kunkel auflegt, fühlen sich auch rechte unterschiedlichster
Szenen gemüßigt zu tanzen. DJ Hexx ist auch im Team des Dark
Friday auf der Insel der Jugend in Treptow, welcher dort wegen rechter
Umtriebe 2003 vor die Tür gesetzt wurde. Die K17 hat sich nie kritisch
der rechten Klientel gegenüber geäußert sondern immer
totgeschwiegen wenn es zu Übergriffen durch Rechte in der Lokalität
gekommen ist.
Sympathisanten: Rechte Jugendliche und solche
die es werden wollen
Immer wieder kommt es in Friedrichshain
zu Übergriffen die rechts motiviert sind und von den Opfern auch
dementsprechend wahrgenommen werden. Unorganisierte rechte Jugendliche,
Hooligans, aber auch organisierte Neonazis aus Friedrichshain sind meist
die Täter. Vorbild für sie sind die Berliner Kameradschaften
mit ihrem Straßenaktivismus. Meist herrscht kein geschlossenes rechtes
Weltbild vor, sondern eher Versatzstücke dessen, gepaart mit bürgerlichen
Moral- und Tabuvorstellungen. So versuchen diese Jugendlichen mit rebellisch
daher kommender rechter Gesinnung aus ihrer gesellschaftskonformen Sozialisation
auszubrechen und vermeintliche Tabus wie z.B. Gewaltanwendung oder übersteigerten
Nationalismus bewusst zu brechen. Je nachvollziehbarer Motive für
rechte Denk- und Verhaltensweisen erklärt werden, umso verschwommener
werden die Grenzen zum organisierten unverbesserlichen Neonazi. Eins ist
klar: Wo Menschen unterdrückt werden und aufgrund irgendwelcher rassistischen,
sexistischen oder ordnungsfanatischen Zuschreibungen am ungestörten
Leben gehindert werden, hört der Spaß auf. Egal ob es sich
um die sich auslebende chauvinistische Jugend handelt oder den organisierten
Neonazi.Am Boxhagener- und Wismarplatz sowie um den Helenhof sammeln sich
seit 2003 Jugendliche, die vor allem durch rassistische Pöbeleien
auffielen. Diese Jugendlichen sind seit Ende 2005 dazu übergegangen
sich durch Hakenkreuzsprühereien und das Kürzel KSF (für
Kameradschaft Friedrichshain) zu verewigen. Einige von ihnen wurden auch
schon auf Naziaufmärschen gesehen und zeigen Tendenzen sich mit anderen
Neonnazigrüppchen aus anderen Bezirken zu vernetzen. Eine tragende
Rolle in diesem KSF-Zusammenhang trägt der Betreiber des Trödelmarkts
auf dem Boxhagener Platz, Jürgen Gliesmann, der seinen Laden A&V
Trödel in der Sonntagsstraße hat. Er beschäftigt als Aushilfen
manche der Jugendlichen, die sich zu der KSF zählen. Einige aus diesem
losen Zusammenhang gehen/gingen auf die Realschule Emanuel Lasker in der
Modersohnstraße, z.B. Dominik von der Preuß. Er und Kevin
Lewandowski haben Verbindungen zur verbotenen BASO und bemühen sich
die KSF in Süd-Friedrichshain zu etablieren. Die beiden fuhren mit
anderen Schülern der Emanuel Lasker Oberschule, darunter Rico Hüttich,
Vincent Nau, sowie Paul Wiegand zum Naziaufmarsch am 13. Februar 2005
nach Dresden. Die Aktionen, welcher der KSF zugerechnet werden können,
sind vor allem das Kleben von Kameradschafts- und NPD-Aufklebern, das
Übermalen linker Parolen mit weißer Farbe und das Sprühen
rechter Parolen. Aber auch zahlreiche Auseinandersetzungen mit vermeintlichen
Linken in der nähe des Boxhagener Platzes und um den Bahnhof Ostkreuz
herum gehen auf ihr Konto. Gerade die Bahnhöfe Ostkreuz, Frankfurter
Allee und auch Warschauerstraße sind Spielwiesen und scheinbar Trainingsgebiet
für Neonazis, da hier viel Verkehr ist und es die Umsteigebahnhöfe
des Berliner Ostens sind.Die Entwicklung der KSF zeigt mustergültig,
wie sich rechte Zusammenhänge über längere Zeit bilden,
sich aktionsmäßig weiterentwickeln und damit zu einem ernsthaften
Problem werden. Das rechte Potential bei diesen Jugendlichen wurde lange
Zeit vom Umfeld unterschätzt und mit den üblichen Erklärungsmustern
heruntergespielt. Das einzige Mittel gegen solche schleichenden Tendenzen
ist eine konsequente linke Jugendkultur, die ihren Anspruch auch ernsthaft
verfolgt und klar rechte Denk- und Verhaltensweisen stigmatisiert und
ausgrenzt.
Kameradschaftsaktivitäten: Mythos und
Aktionsraum
Berliner Kameradschaften haben Friedrichshain
als eines ihrer Betätigungsfelder entdeckt und leben ihren Straßenaktivismus
wie in den anderen Berliner Ostbezirken aus. In Friedrichshain sind vor
allem Anti-Antifa Aktivitäten organisierter Neonazis zu erkennen.So
wird regelmäßig das polnische Denkmal im Volkspark Friedrichshain,
dass an den gemeinsamen Kampf polnischer Soldaten und deutscher Widerstandskämpfer
erinnert mit Hakenkreuzen beschmiert, ebenso wie die Karl Marx Büste
am Strausberger Platz.Neben Schmierereien und Aufklebern sind aber auch
organisierte Angriffe auf vermeintliche Linke und MigrantInnen zu verzeichnen.
Auf dem Nachhauseweg von einer bekannten linken Kneipe wurde eine Person
am frühen Morgen im Dezember 2003 im Treppenhaus eines Wohnhauses
von drei vermummten Neonazis beschimpft, mit Stiefeln getreten und geschlagen.
Im September 2005 griffen Neonazis aus dem Umfeld der Kameradschaft Tor
am Nachmittag zwei linke Plakatierer in der Nähe der Frankfurter
Allee mit Eisenstangen an. Einen Monat später stürmten 20 Neonazis
aus dem Spektrum Freier Kameradschaften die Bäckerei 2000 am Frankfurter
Tor, zerstörten die Inneneinrichtung und griffen die migrantischen
Angestellten an. Mindestens acht Übergriffe auf Menschen mit migrantischem
Hintergrund gab es allein 2005 in Friedrichshain, die alle einen organisierten
Eindruck machten - die Täter waren vermummt und entkamen immer unerkannt.Traditionell
sind Aktionen der Kameradschaft Tor (benannt nach dem Frankfurter Tor)
um den Todestag des SA-Führers Horst Wessel am 23. Februar wahrnehmbar.
Dieser ist auf dem St. Nicolai Friedhof Prenzlauer Allee/Mollstraße
begraben. Die Gebeine Wessels liegen seit 1945 nicht mehr dort und wurden
eingeäschert. 2001 entfernten die „autonomen Totengräber“
wahrscheinlich auch die sterblichen Überreste seines Vaters, Ludwig
Wessel, und „übergaben sie der Spree“.Horst Wessel war
am Ende der Weimarer Republik eine der zentralen Figuren der Nationalsozialisten
im Kampf um den „roten“ Friedrichshain und wurde am 14. Januar
1930 vom Rotfrontkämpfer Albecht Höhler mit den Worten „Du
weißt ja wofür“ angeschossen. Ein paar Wochen später
starb er dann im Krankenhaus Friedrichshain an einer Blutvergiftung und
wird seitdem von Nazis als Märtyrer verehrt.Seit Anfang der neunziger
Jahre versuchen Neonazis aus dem Spektrum der freien Kameradschaften immer
wieder ihrem Helden öffentlich zu gedenken.
Bisher konnte das regelmäßig von Antifas verhindert werden.
Die KS-Tor fühlt sich in dieser Tradition und macht alljährlich
mit anderen Kameradschaften Wessel-Aktionswochen im ganzen Bundesgebiet,
die sich auf Plakatekleben und Transpis an Autobahnbrücken erschöpfen.
Nur in Friedrichshain selbst können sie aufgrund der Polizei- und
Antifapräsenz um den Friedhof herum keine Aktionen starten. Stattdessen
veranstalteten sie 2004 eine kleine Kundgebung am Krankenhaus Friedrichshain
und 2005 nur noch gemeinsames Plakatieren um den U-Bahnhof Weberwiese.
Dafür werden andere Termine genutzt, um Wessel zu gedenken: Am 20.
August, dem Todestag des Hitler Stellvertreters suchten etwa 20 Neonazis
das Grab Wessels auf. An der Gedenkarbeit um die wenig heroische Figur
Horst Wessel kann mensch gut beobachten wie die KS-Tor krampfhaft Anknüpfungspunkte
an den Nationalsozialismus sucht, um sich als Neonazis in einer Traditionslinie
zu Wehrmacht, SA und SS zu verorten. Gerade die Affinität der Kameradschaft
Tor zu Wessel und die positive Bezugnahme auf den NS veranlasste den Berliner
Innensenator Körting im März 2005 dazu die KS-Tor mitsamt der
dazugehörigen Mädelgruppe mittels Vereinsrecht zu verbieten.Friedrichshain
bietet aufgrund der Konzentration an links-alternativen Hausprojekten,
offen auftretenden autonomen, antirassistischen, antifaschistischen und
sozialen Gruppen für Kameradschaftler viele offensichtliche Gegner,
an denen es sich abzuarbeiten politisch selten lohnt, aber für das
Neonazi-Selbstverständnis im „Kampf um den Roten Friedrichshain“
(SA-Parole um 1930) wichtig ist. So versuchte die KS-Tor seit 2002 das
Gedenken an den 1992 von Neonazis ermordeten Antifaschisten Silvio Meier
durch Übersprühen linker Plakate und eigene Aufkleber („Einer
muss der erste sein - Fuck Silvio“) zu stören. Einer offensiven
Antifa-Kampagne gegen Nazistrukturen, die jedes Jahr anlässlich des
Todestages stattfindet, setzen sie eine lediglich verbalradikale Anti-Antifa-Kampagne
entgegen, anstatt als Neonaziszene in die Defensive zu gehen und die eigenen
Strukturen gegen die Antifa zu verteidigen.Mit dem nahezu aussichtslosen
Kampf gegen eine über lange Zeit gewachsene offen aber vor allem
nicht öffentlich agierende linke Szene, wollen sie an die Angriffe
von Neonazis Anfang der 90er Jahre gegen von Linken besetzte Häuser
in Friedrichshain und Prenzlauerberg anknüpfen, ohne auf die real
existierende politische Kultur im Bezirk zu achten. Diese besteht schon
lange nicht mehr aus einer linken und linksradikalen Dominanz in Kultur
und Kneipenlandschaft, sondern eher wie in allen anderen Bezirken nahe
Stadtmitte aus einer kommerziellen, sich alternativ aber nicht per se
links verstehenden, gesellschaftskonformen Alltagskultur, die jeglichen
politischen Anspruch von sich weist.Friedrichshain als quasi Angstzone
für Neonazis ist reines Konstrukt und findet keine Entsprechung in
der Realität. Erst durch diese Konstruktion wird verständlicher,
warum Neonazis in letzter Zeit immer wieder versuchen Aufmärsche
durch Friedrichshain anzumelden, die aber regelmäßig von der
Polizei verboten werden.Am 1. Mai 2004 sollte der gemeinsame Aufmarsch
von Kameradschaften und NPD am Ostbahnhof beginnen und durch Friedrichshain
nach Lichtenberg führen. Aufgrund der zu erwartenden Proteste startet
er doch in Lichtenberg und wurde frühzeitig von den Veranstaltern
auf Anraten der Polizei kurz vorm Betreten Friedrichshains wieder zum
Auftaktort zurückgeführt, weil tausende Menschen die Frankfurter
Allee blockierten.Die Kameradschaftsszene aus Berlin trat geschlossen
als BlackBlock auf und griff gezielt aus der Demo heraus Leute an. Ziel
war den von ihnen selbst produzierten Mythos eines „roten Friedrichshains“
durch einen Aufmarsch von mehr als 1000 Neonazis zu brechen.Am 30. August
2004 wollten etwa 50 Neonazis aus dem Spektrum der BASO, KS Tor und Märkischer
Heimatschutz an der Montagsdemo in Berlin teilnehmen, was ihnen von der
Polizei untersagt wurde. Stattdessen führten sie eine Spontandemo
unter massiven Polizeischutz von der Jannowitzbrücke aus in Richtung
Friedrichshain über den Strausberger Platz und zurück zum Startpunkt
durch. Hier zeigte sich, dass selbst die Polizei die Angst der Neonazis
vor dem linken Friedrichshain teilt und griff mit einem massivem Aufgebot
härter gegen jede Art von Antinazi-Protest durch, als in anderen
Bezirken.Am 25. September 2004 sollte im Wedding eine NPD-Demo unter dem
Motto: „Berlin bleibt Deutsch!“ stattfinden, die allerdings
verboten wurde. Neonazis aus dem Spektrum der Kameradschaft Tor wurden
an ihrem Schleusungspunkt Bhf. Storkower Straße mit einem Polizei-Großaufgebot
kontrolliert. Der Ort wurde in Vergangenheit öfters als Schleusungspunkt
genutzt, da mensch einen guten Überblick hat. Interessanterweise
bestanden an dieser Stelle also keine Berührungsängste mit dem
alternativen Friedrichshain. Als zum Todestag des Hitlerstellvertreters
Rudolf Hess, am 20. August 2005, die Freien Kameradschaften, aufgrund
des Verbots am Grab im bayrischen Wunsiedel zu demonstrieren, die bundesweite
Naziszene nach Berlin einlud gegen Polizeischikanen zu demonstrieren,
war es Friedrichshain wo sie unbedingt durchlaufen wollten. 500 Neonazis
marschierten vom Alexanderplatz über die Landsberger Allee nach Lichtenberg.Für
den 3. September 2005 hatten Freie Kräfte zum Antikriegstag eine
Demonstration vom Bhf. Landsberger Allee durch Friedrichshain nach Mitte
angemeldet. Statt dieser Route wurde den gerade mal 80 Neonazis lediglich
zugestanden die Landsberger Allee in Richtung Osten, also durch den Bezirk
Lichtenberg bis nach Marzahn zu laufen.Nur eine Woche später wollten
sie diese Schlappe mit einer Spontandemo am Nachmittag unter dem Motto
„Auf zum Widerstand - Es gibt kein linkes Hinterland!“ vom
Frankfurter Tor aus, über den Boxhagener Platz zum Ostkreuz, ausgleichen.
Nach eigenen Angaben wurde die Anmeldung wegen Unstimmigkeiten mit der
Polizei zurückgezogen.Die Aktionen der Berliner Kameradschaften in
Friedrichshain sind geprägt durch übertriebene Paranoia vor
dem imaginierten linken militanten Gegner und dem Wunsch dennoch permanent
Präsens in diesem Stadtteil zu zeigen. Neonazis leben, arbeiten,
feiern in Friedrichshain und sind politisch auch dort aktiv. Die Erfolge
ihrer Arbeit halten sich aber bisher noch in Grenzen.
Einmal im Jahr Biermeile
Ganz legal können sich Neonazis einmal
im Jahr auf dem „Internationalen Bierfestival“ Anfang August
entlang der Karl-Marx-Allee aufhalten. Schon seit neun Jahren findet dieses
Massensaufgelage unter der Leitung der Präsenta GmbH (Inhaber: Lothar
Grasnick) statt. Die Biermeile ist zugeschnitten auf ein bestimmtes Publikum
das meist männlich, deutsch und gern betrunken ist. Hier können
ungestraft Männlichkeitsrituale zelebriert werden. Diese Feierlaune
schwenkt durch die Testosteron geladene Stimmung schnell in Aggressivität
gegenüber vermeintlich Schwächeren um. Äußerungen,
die sonst sozial geahndet werden, stellen keine Tabus mehr dar. Ob nun
rassistische Sprüche, aggressive sexistische Anmachen – auf
der Biermeile darf gesagt werden was sonst aus Schicklichkeitsgründen
vermieden wird. Durch diese vermeintlich tolerante Stimmung fühlen
sich natürlich auch Neonazis und Hooligans angezogen, die auf der
Biermeile dann offen ihre menschenfeindliche Ideologie äußern
können. Alles unter dem Deckmantel des ausgelassenen Feierns und
Spaßhabens. Diese Stimmung macht es Menschen, die alltäglich
von Rassismus und Sexismus betroffen sind schon seit Jahren nahezu unmöglich
die Biermeile zu betreten. Bis 2003 sammelten sich organisiert Neonazis
und ihr Anhang jahrelang bei Odins Trunk, dem Stand der neubrandenburgischen
Imkerei Schwaßmann, die neben Met, T-Shirts auch Devotionalien für
den germanischen Nordmann, Wikinger, Kelten oder Heiden, wie sich manche
Neonazis bezeichnen, verkaufte.2001 riefen 50 Neonazis „Lasst uns
den Rassenkrieg beginnen“ und jagten nach Beendigung des Festes
vermeintliche Linke die Karl-Marx-Allee entlang. Ein Jahr später
lieferten sich hundert Neonazis eine Massenschlägerei mit einer Hundertschaft
der Polizei. Daraufhin versprach die Präsenta AG den Odins Trunk
nicht mehr einzuladen. Auch 2003 ist der „Odins Trunk“ wieder
auf der Biermeile und es zeigt sich ein ähnliches Bild wie in den
letzten Jahren. Wierderum ein Jahr später veranstalten linke Gruppen
einen Kundgebung gegen den Stand und die dort ansässige Klientel.
Die Festivalbesucher provozierten, pöbelten, schrieen vor Wut. Der
Odins Trunk packte nach dem ersten Tag ein und fuhr lieber nach Hause.
Am Rande der Biermeile verteilten Neonazis Flugblätter der Kampagne
„Freßt keine Döner (FKD)“, die ihren Sitz in der
Lichtenberger Kneipe „Kiste“ hat. 2005 dann fühlten sich
knapp einhundert BFC Fans gemüßigt rassistische Parolen grölend
über die Biermeile zu ziehen und einen Spätkauf auszurauben.
Zusätzlich wurde der Stand „Roter Oktober“ von Neonazis
angegriffen und die BetreiberInnen mit Steinen und geworfenen Bierbänken
verletzt. Dabei wurden die Neonazis Tino Karsch aus Pirna und Christian
Bentz festgenommen. Die Berliner Zeitung titelte am nächsten Tag
folgerichtig „Rassistische Randale auf der Biermeile“. Neben
Berliner Neonazikadern wie René Bethage (BASO) und Björn Wild
(KS-Tor) wurde auch der alternde Neonazis Arnulf Priem aus Prenzlauer
Berg auf der Biermeile mit zwei Leibwächtern gesehen.Wer sich die
Entwicklung der Biermeile anschaut wird zu der Einsicht kommen, dass die
Präsens von rechter Gesinnung auf der Biermeile nicht zugenommen
hat. Vielmehr hat die Thematisierung dessen durch antifaschistische Gruppen
dazu geführt, dass das Geschehen dort in die Öffentlichkeit
gezerrt wird und die Präsenta AG sich mit dem Problem beschäftigen
muss. Der Odins-Trunk der Imkerei Schwaßmann wird übrigens
auch in der 2004 eröffneten Wikinger Bar in der Voigtstraße
Ecke Dolzigerstraße, vertrieben.
Friedrichshainer Parteienlandschaft
1992 schafften es die REPs mit drei Abgeordneten
(Vorsitzender: Mahn) des gemeinsamen Kreisverbandes Friedrichshain-Kreuzberg
in die Friedrichshainer BVV einzuziehen. Auch 1995 nahmen sie noch knapp
die 3% Hürde. Erst 1999 scheiterten sie mit genau einer Stimme und
klagten erfolglos gegen die Auszählung. Während ihrer Zeit in
der BVV forderten sie u.a. die Schwulen- und Lesbenberatung einzuschränken.
Seit der Bezirksfusion 2001 mit Kreuzberg wurde es für die REPs noch
schwerer die 3%-Hürde zu nehmen.Der Landesverband der REPs versuchte
1999 mit einem Frank-Rennicke- Liederabend in der Kneipe Zur Laterne in
der Pufendorfstraße rechte Jugendliche zu binden. Doch die Lokalität,
welche vorher schon mehrfach als Veranstaltungsort für Neonazitreffen
diente, verwehrte ihnen diesmal zusammen mit Antifas den Einlass. Interessant
ist die Zusammenstellung des Publikums, was danach in der Kneipe Zum Valentin
auf der Frankfurter Allee einkehrte und von der Polizei kontrolliert wurde.
Björn Wild und Daniel Meinel, die späteren Führungspersonen
von Kameradschaft Tor und ANB waren ebenso anwesend wie der spätere
Anti-Antifa Dirk Müller. Aber auch REP Prominenz wie Tibor Haraszti,
damaliger Vizevorsitzender der Weddinger REPs und jetziger stellvertretender
Landesvorsitzende für Berlin und Kreisvorsitzender für Reinickendorf
war zusammen mit Uwe Barteis, stellvertretender REP Kreisvorsitzender
von Reinickendorf, gekommen. Initiiert hatten das Treffen zum einen Thomas
Kay, damaliger Landesvorsitzender der REP-Jugend, REP-Landesvize in Berlin
und Abgeordneter der REPs in der Hohenschönhausener BVV, der im Frühjahr
2002 zur CDU wechselte. Zum anderen der damalige Bundessprecher der Republikanischen
Jugend Stephan Schneider, der zwei Wochen nach dem verhinderten Konzert
den „Deutschlandtag“ der REP-Jugend in Leipzig mitorganisierte.
Weiterhin anwesend waren die aktiven REP-Mitglieder Alexander Rutz aus
Pankow, Michael Breuer aus Neukölln und Karsten Lars Zemke.Eine Gruppe
um Rainer Nowotnik, traf sich 2000 als REP-Kreisverband Kreuzberg ein
halbes Jahr im Tabor-Eck in der Wrangelstraße bis die Scheiben der
Kneipe einmal zu Bruch gingen. Von 45 Mitgliedern und Interessenten waren
zwölf zu dem verhinderten Treffen gekommen. Neben dem bereits beim
Rennicke-Konzert oben erwähnten Michael Breuer, war der Schriftführer
des Kreisverbandes Rolf Hanno, der langjährige stellvertretende Kreisvorsitzende
Jürgen Blome und das Rentnerpaar Werner und Helga Uschner anwesend.Im
September 2002 wagten die REPs noch einen Vorstoß in Friedrichshain
und meldeten sich für ein Wählerforum im Andreas-Gymnasium in
Friedrichshain an. Zahlreicher antifaschistischer Protest hinderte sie
allerdings am Betreten der Schule.Seit dem wurde es ruhig um die REPs
in Friedrichshain, die jetzt von Karsten Kosgalwies geleitet werden und
öffentliche Aktionen waren nur noch von den West-Berliner Kreisverbänden
zu verzeichnen.Bei der NPD-Friedrichshain ist es nicht viel interessanter.
Der Wahlkandidat zur Bundestagswahl war der unscheinbare Diplom-Physiker
Stefan Liesegang (46), der immerhin 2.500 Stimmen in seinem Wahlkreis
erzielte. Liesegang arbeitete eng mit dem Landesvorsitzenden der NPD bis
November 2005 Claus Schade aus Lichtenberg bzw. seinem Kreisverband zusammen
und sorgte mit ihm für den erstmaligen Aufbau eines NPD Kreisverbandes
in Friedrichshain-Kreuzberg. Liesegang hat am 14. August 2005 den NPD-Wahlkampfstand
auf dem Alexanderplatz geleitet, der von 40 Neonazis aus Freien Kameradschaften
beschützt wurde. Berührungsängste zu militant agierenden
Kameradschaften hat er also nicht im geringsten. Die Aktivitäten
der NPD-Friedrichshain wie z.B. Plakate aufhängen sind ohne Hilfe
aus anderen Bezirken nicht möglich.Bei Wahlen sind REPs wie auch
NPD im Großbezirk Friedrichshain-Kreuzberg nicht von Interesse und
auch aktionsmäßig liegen sie im Vergleich zu den anderen Kreisverbänden
ihrer Parteien auf den hinteren Plätzen. Wir hoffen dass das so bleibt.
Eine Chronik der bekannt gewordenen rechten
Aktivitäten im Bezirk Friedrichshain findet sich unter www.antifa-fh.de.vu.
(1) Die Hammerskins sind eine kleine,
neonazistische Vereinigung, die 1986 von Wollin Lange und Scan Tarret
in Dallas, Texas, gegründet wurde und sich zunächst auf dem
nordamerikanischen Kontinent ausbreitete. Sie besitzt einen hohen Organisationsgrad
und versteht sich als Elite der Naziskins und ist in vielen Ländern
mit „Divisionen“ vertreten. Die Division Deutschland besteht
aus etwa 100-300 Mitgliedern, die sich auf die Durchführung von Rechtsrock-Konzerten
spezialisiert haben.
(2) genaues dazu in der Broschüre „Die Geister, die ich rief
... 2“ der Grufties
gegen Rechts und im Buch „Ästhetische Mobilmachung; Dark Wave,
Neofolk und Industrial im Spannungsfeld rechter Ideologien“ von
Andreas Speit (Hg.), Unrast-Verlag 2002.
<<< Presse
22.12.2005 Tagesspiegel
Rechtsextremisten verprügeln Polizisten
Angriff von Skins und Hooligans in Friedrichshain
Die angetrunkenen Skinheads und Hooligans
pöbelten die Polizisten an, dann gab es Schläge und Tritte.
In der Nacht zu Sonnabend hat ein rechtsextremer Mob in Friedrichshain
zwei Beamte attackiert, die wegen ruhestörenden Lärms zu einem
Jugend-Treffpunkt in der Höchste Straße gefahren waren. Ein
Polizist ging zu Boden und erhielt Tritte gegen den Kopf. Die Beamten
wehrten sich mit Reizgas und wollten zwei Schläger festnehmen, was
die Meute verhinderte. Doch die Polizisten konnten über Funk Verstärkung
anfordern. Die herbeieilenden Kräfte ergriffen die zwei 18-Jährigen
und nahmen von weiteren Rechten Personalien auf .
Bei einem der Festgenommenen wurde eine CD mit dem Titel „Tribute
to Skrewdriver“ gefunden. Skrewdriver war eine britische Skinheadband,
die in der Szene als Kultgruppe gilt. Auch wenn die verprügelten
Beamten mit leichten Verletzungen davonkamen, ist die Polizei beunruhigt.
„Das ist erheblich, was sich da abgespielt hat“, sagte ein
Experte dem Tagesspiegel. Ermittelt wird nun wegen einer Vielzahl von
Delikten: besonders schwerer Landfriedensbruch, Verstoß gegen das
Waffengesetz, Gefangenenbefreiung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte,
Volksverhetzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
und Beleidigung. Dass die festgenommenen Schläger wieder frei sind,
stößt in Polizeikreisen auf Unmut.
Mit Sorge beobachten die Sicherheitsbehörden, dass Neonazis in Berlin
und Brandenburg der Polizei immer aggressiver entgegentreten. Im Oktober
brannte in Königs Wusterhausen der Wagen eines Kriminalkommissars.
Die Situation war so bedrohlich, dass der Beamte mit seiner Familie die
Stadt verließ. Im vergangenen Jahr hatten Neonazis den Leiter der
Berliner Polizeidirektion 6, Michael Knape, massiv bedroht. Frank Jansen
<<<
Presse
06.12.2005 Tagesspiegel
Anschlag auf „rechtes“ Lokal
Die gewalttätigen Attacken der linken
Szene auf Personen und Lokale der rechten Szene gehen weiter. In der Nacht
zu Montag warfen drei Frauen die Schaufensterscheibe eines Lokals in der
Voigtstraße in Friedrichshain ein. Gegen 0.40 Uhr war ein Passant
durch den Lärm auf die Frauen aufmerksam geworden und hatte die Polizei
gerufen. Bei ihrer Festnahme nannten die 23 und 26 Jahre alten Täterinnen
als Motiv, dass das kürzlich eröffnete Lokal „Kiezkneipe
3“ der rechten Szene zuzuordnen sei. Der für politische Delikte
zuständige Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Am
Freitagabend hatten, wie berichtet, mehrere Vermummte versucht, die Wohnungstür
eines bekannten Rechtsradikalen in Prenzlauer Berg einzutreten –
offensichtlich eine „Warnung“ der linken Szene: Sebastian
S. hatte am Sonnabend die Neonazidemo in Schöneweide angemeldet.
Am 20. Dezember will die Neuköllner Antifa-Szene in Rudow gegen einen
angeblichen „Naziladen“ demonstrieren. Ha
<<< Presse
21.11.2005 Junge Welt
Gedenken an Silvio Meier
Berlin: Neonazis störten Demonstration von Antifaschisten
Berlin. Rund 1500 Menschen gedachten am Sonnabend in Berlin des vor 13
Jahren von Neonazis im Stadtteil Friedrichshain erstochenen Antifaschisten
und Hausbesetzers Silvio Meier. Die Teilnehmer zogen vom damaligen Tatort,
dem U-Bahnhof Samariterstraße, zum Bahnhof Lichtenberg und thematisierten
vor allem die starke Präsenz von militanten Neonazis in der Gegend.
In Berlin-Lichtenberg sind Anhänger der verbotenen Gruppen »Kameradschaft
Tor« und »Berliner Alternative Südost«, die sich
inzwischen als »Freie Kräfte Berlin« bezeichnen, weiterhin
aktiv. Auch am Samstag versuchten Rechte, die antifaschistischen Demonstranten
zu provozieren. Etwa 30 Neonazis hatten sich vor der Kneipe »Kiste«
in der Weitlingstraße versammelt und die Silvio-Meier-Demo blockiert.
Die Polizei, die mit einem Großaufgebot im Einsatz war, ließ
die Rechten gewähren und änderte kurzerhand die Route der antifaschistischen
Demo und führte sie durch eine Seitenstraße.
Polizeibeamte versuchten außerdem mehrfach, Teilnehmer aus dem Demozug
zu greifen, weil die sich bei Eiseskälte angeblich vermummt hatten.
Ein Demonstrant wurde von Polizisten so schwer geschlagen, daß er
bewußtlos wurde. Nach Augenzeugenberichten erlitten mehrere Demonstranten
Knochenbrüche. Ein Polizeisprecher sprach gegenüber jW von 52
Festnahmen.
Am heutigen Montag findet ab 17 Uhr im U-Bahnhof Samariterstraße
die traditionelle Mahnwache für Silvio Meier statt. Bereits am frühen
Morgen soll eine neue Gedenktafel für ihn eingeweiht werden.
<<<
Presse
14.11.2005 Berliner Zeitung
Gedenktafel für Silvio Meier verschwunden
Mann gab sich als Restaurator aus
FRIEDRICHSHAIN. Im Bezirk wird über
das Verschwinden der Gedenktafel gerätselt, mit der bislang an die
Ermordung des Punks Silvio Meier erinnert wurde. Die Tafel hing im U-Bahnhof
Samariterstraße. Als dessen Sanierung vor wenigen Wochen abgeschlossen
wurde und die Tafel wieder angebracht werden sollte, war sie weg. "Uns
wurde mitgeteilt, dass Bauarbeiter sie einem Mann ausgehändigt haben,
der vorgab, sie restaurieren zu wollen", sagt Wirtschaftsstadtrat
Lorenz Postler (SPD). Doch die Adresse, die der Restaurator angegeben
hatte, erwies sich als falsch, ebenso sein Name.Der Fall ist brisant:
Der 27-jährige Hausbesetzer Silvio Meier war vor 13 Jahren im U-Bahnhof
Samariterstraße von einem Rechtsextremisten erstochen worden. Im
Herbst 1993 wurden die Tatbeteiligten verurteilt: Zwei erhielten Haftstrafen
von drei- und viereinhalb Jahren, einer eine Bewährungsstrafe von
acht Monaten. Freunde Silvio Meiers, unter ihnen Stadtrat Postler, hatten
damals dafür gesorgt, dass am Tatort eine Gedenktafel angebracht
wird. Nach deren Verschwinden wird jetzt im Bezirk heftig spekuliert,
ob jemand aus der rechten Szene die Unachtsamkeit der Bauleute ausgenutzt
hat, um eine unliebsame Erinnerung zu beseitigen.
Baufirma muss Tafel ersetzen
Es ist nicht das erste Mal, dass die Gedenktafel verschwunden ist. Sie
wurde schon einmal in den 90er-Jahren gestohlen. Die neue Tafel montierten
dann Mitarbeiter der BVG wieder ab. Man habe sie "vor einer Schlägerei
sichergestellt", hieß es. Die BVG machte nie einen Hehl daraus,
dass sie die Gedenktafel im Bahnhof nicht wollte. Man sorge sich um "das
subjektive Sicherheitsempfinden" seiner Fahrgäste, wurde erklärt.
Im U-Bahnhof Samariterstraße treffen sich regelmäßig
Freunde von Silvio Meier zum Gedenken. Erst nach Intervention aus der
Landespolitik war die BVG bereit, die Tafel zu tolerieren.
"Dorthin, wo die Tat geschah, muss wieder eine Tafel, eindringlicher
kann man nicht an einen politisch motivierten Mord erinnern", sagt
Postler. Für die BVG ist die Sache diesmal klar: "Die Baufirma
ist verantwortlich, sie muss eine neue Tafel finanzieren", so Sprecherin
Petra Reetz. Angebracht werden soll sie wieder im U-Bahnhof. Auch die
Inschrift soll dieselbe sein: "Kein Vergeben, kein Vergessen. Hier
wurde Silvio Meier am 21. November 1992 von Faschisten ermordet."
<<< Presse
05.09.2005 TAZ
Schon wieder Nazi-Nasen
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage fand ein Nazi-Aufmarsch statt.
Wieder kamen 130 Rechte. Auf der Gegenseite waren es mehrere tausend.
Kritik an Polizeieinsätzen
Eins muss man den Neonazis lassen: Hartnäckig
sind sie ja. Am Samstag gelang es ihnen, zum zweiten Mal innerhalb weniger
Tage aufzumarschieren. Zwar beteiligten sich wie schon beim NPD-Aufmarsch
beim SPD-Bundesparteitag am vergangenen Mittwoch in Neukölln gerade
einmal 130 Personen. Erwartet hatten sie das Dreifache. Doch die 130 Nasen
genügten, immerhin 1.500 Einsatzkräfte für Stunden auf
Trab zu halten. Weitgehend friedlich zogen sie vom S-Bahnhof Landsberger
Allee nach Marzahn. Zwei Neonazis nahm die Polizei wegen des Tragens von
verfassungsfeindlichen Symbolen und des Mitführens verbotener Gegenstände
fest.
Auch die Gegenseite war aktiv. Bereits am frühen Samstagvormittag
hatten sich in der Storkower Straße Ecke Landsberger Allee einige
hundert Gegendemonstranten zu einer Kundgebung getroffen. Dazu stießen
rund 500 Personen aus der Antifa-Szene, die sich am U-Bahnhof Frankfurter
Tor getroffen hatten. Zeitgleich beteiligten sich rund 1.000 Menschen
an einem "Fest für Demokratie und Toleranz" rund um den
S-Bahnhof Schöneweide in Treptow-Köpenick. Der Bahnhof war in
den vergangenen Jahren immer wieder Schauplatz rechtsextremer Übergriffe.
Ziel des Festes war es, mit Lesungen, Diskussionen, Musik und Theater
ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Das wollte wiederum
die NPD nicht einfach hinnehmen, die in Treptow-Köpenick ihre Bundesparteizentrale
hat. Sie hielt ihrerseits eine Kundgebung mit 20 SympathisantInnen ab.
Kritik gab es am Einsatz der Polizei. So berichtet Axel Nawrazala von
der linken Wahlalternative (WASG), dass er auf dem Rückweg von der
Gegendemonstration von der Polizei behindert wurde. Nachdem er daraufhin
den Beamten bat, ihm seine Dienstnummer mitzuteilen, habe der Polizist
ihn brutal in den Rücken gestoßen. "Man wird behandelt
wie ein Stück Vieh", sagte Nawrazala.
Schwere Vorwürfe werden auch am Polizeieinsatz bei den Protesten
gegen den Nazi-Aufmarsch während des SPD-Parteitags laut. Entgegen
ersten Behauptungen der Polizei ist es in Neukölln zu mindestens
22 Verhaftungen gekommen. Die Betroffenen waren auf dem Weg zur Antinazikundgebung
vor dem Hotel Estrel, als sie von Einsatzkräften angehalten wurden
mit der Begründung, es handele sich um eine allgemeine Personenkontrolle.
Wenig später wurde ihnen "schwere Störung des Straßenverkehrs"
vorgeworfen. Transporter brachten sie in die Gefangenensammelstelle nach
Tempelhof. Zwei der Betroffenen wurden nach eigener Aussage von mehreren
Beamten misshandelt, als sie eine Begründung verlangten, warum sie
einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen werden. Die Misshandelten
haben Strafanzeige erstattet.
<<<
Presse
23.08.2005 TAZ
Okkupation eines Vereins
Neonazis, Hooligans, Hells Angels oder rechte Rocker:
Der BFC Dynamo ist in den Händen einer berüchtigten Clique.
Die Klubführung hütet sich davor, rechte Tendenzen und Gewalt
anzuprangern
Mario Weinkauf ist sauer. Eigentlich will
der Präsident des Berliner FC Dynamo gar nichts mehr sagen. "Wir
lassen uns nicht länger zum Spielball der Politik und der Medien
machen", belfert er ins Telefon und verweigert zunächst jede
Aussage. "Wir konzentrieren uns nur noch auf das Sportgeschehen und
unser sozialpädagogisches Engagement", kündigt der Chef
des Clubs an, der wieder einmal für Schlagzeilen gesorgt hat. Und
wieder einmal geht es um die Fans des Vereins, der in der DDR als Stasiclub
verschrien war. Die BFC-Fans gelten als gewaltbereit und sind in den meisten
Stadien nicht gerne gesehen.
Besonders unbeliebt sind sie bei den Anhängern des 1. FC Union Berlin,
bei dem der BFC Dynamo am Sonntag ein Spiel in der Oberliga Nordost ausgetragen
und mit 0:8 verloren hat. Die Polizei teilte vor der Begegnung mit, dass
sie mit Aktionen der brutalsten Art unter den Anhängern des BFC rechne.
200 Schläger aus dem Umfeld des BFC werden von der Polizei zur so
genannten Kategorie C gerechnet. Darunter werden die härtesten Gewalttäter
gefasst. Weitere 400 zählen zur Kategorie B und sind ebenfalls Fans
mit erheblichem Gewaltpotenzial. Nachdem die Polizei im Vorfeld der Begegnung
verdächtige Aktivitäten in der Szene beobachtet hatte, kündigte
sie an, mehr als 1.000 Sicherheitskräfte zum Spielort abzustellen.
Am Tag vor der Begegnung gab es einen Sonderkommando-Einsatz gegen feiernde
BFC-Anhänger in der Berliner Diskothek "Jeton", bei dem
mehr als 150 Personen festgenommen worden sind. Am Spieltag selbst konnte
kein Anhänger von Dynamo unbeobachtet auch nur einen Schritt tun.
Die 4.000 Gästefans standen unter schärfster Beobachtung. Beinahe
alle Zufahrtsstraßen zur Alten Försterei, dem Stadion des FC
Union, wurden abgeriegelt und erst wieder freigegeben, nachdem der letzte
BFC-Fan aus dem Sicherheitsring, den die Polizei um die Arena gezogen
hatte, geleitet worden war.
Mario Weinkauf schwärmt indes von den BFC-Fans, für problematisch
hält er die wenigsten: "Es gibt Straftäter und Gewalttäter
- und die benutzen den Sport als Bühne", sagt er. Und dann redet
er doch über die Nacht in der Diskothek, in der die Polizei, wie
sie mitteilt, auch deshalb so hart vorgegangen ist, weil sie auf massive
Gegenwehr gestoßen sei. "Wenn die Gegenwehr so groß gewesen
ist, wie die Polizei sagt, warum hat es dann keine verletzten Polizisten
gegeben", schimpft er. Dann verweist er auf den Fanbeauftragten Rainer
Lüdtke, der sich eifrig um die Festgenommenen bemühe. Der hat
mit Hilfe eines Fanclubs namens "79er" bereits einen "Problemfanfonds"
für alle "Betroffenen" eingerichtet und sie in seinem Internetforum
aufgefordert, Anzeige gegen die Polizei wegen Freiheitsberaubung und gegebenenfalls
Körperverletzung zu stellen.
Lüdtke hat Erfahrung im Organisieren von Rechtsschutz. Als Brandenburger
Sicherheitskräfte Dynamo-Anhängern in Cottbus Kleidungsstücke
mit dem verbotenen Runenlogo des Labels "Thor Steinar" abgenommen
haben, wurde er sofort aktiv. Es ging um seine BFC-Familie - und der muss
natürlich geholfen werden. Auch damals wurde der Hilfsfonds durch
die 79er betreut. Die treffen sich regelmäßig im Berliner Fußballcafé
(kurz BFC), einer Kneipe, die schon zwei Mal Ort von Polizeieinsätzen
geworden ist. Einmal wurde eine Party am 3. Oktober gesprengt, an dem
der "Tag der Germanen" gefeiert worden ist. Ein anderes Mal
wurden Hakenkreuzvorlagen eines Tattoo-Studios sichergestellt. Für
Lüdtke ist das alles halb so schlimm. "Muss man sich schämen,
Germane und stolz auf sein Land zu sein?", meinte er zur Mottoparty
im Fußballcafé. Auch an der schmückenden Reichskriegsfahne
hatte er nichts auszusetzen. Die sei schließlich von den Nazis missbraucht
worden.
Inhaber des Cafés war zu jener Zeit Andre Sommer, der mit seiner
Hells-Angels-Bande Security-Aufgaben bei den Heimspielen des BFC im Sportforum
Hohenschönhausen übernommen hat. Sommer, der auch bei den Szeneläden
"Kategorie C" und "Germanenhof" mitgemischt hat, wurde
sogar einmal zusammen mit seinem Hell-Angels-Kollegen Rayk Bernt zum Vorstand
des Vereins gewählt. Etliche Anhänger des BFC sind als Mitglieder
im Verein organisiert. Sie haben den Verein praktisch in der Hand. Als
der Verein vor drei Jahren ums Überleben kämpfte, waren es die
Fans, die mit ihren Spenden dafür gesorgt haben, dass ein Insolvenzverfahren
erfolgreich zum Abschluss gekommen ist. Wer den Verein führt, bestimmen
seither die dominierenden Fangruppen. Kein Wunder, dass sich die Clubführung
schwer tut, sich von problematischen Anhängern zu distanzieren. Wer
bei Auswärtsfahrten negativ auffällt, für den steht ein
Anwalt bereit, der sich um die Aufhebung von Stadionverboten kümmert
und via Stadionheft juristische Ratschläge erteilt.
Auch daran, dass viele Anhänger schon durch ihre Kleidung einen nicht
gerade friedliebenden Eindruck machen, arbeitet der Club selbst mit. Einer
der Sponsoren ist das Berliner Kleiderlabel "Hoolywood". Shirts
und Polos mit der Aufschrift "Kategorie C" werden bei Heimspielen
auf dem Stadiongelände verkauft. Auch die Diskothek "Jeton"
gehört zu den Sponsoren des BFC. Schon einmal ist sie zusammen mit
dem Namen des Vereins in die Schlagzeilen gekommen. Einer der größten
Rauschgiftdealerringe, die in Berlin je ausgehoben wurden, war ein Gewächs
der Fanszene und von Security-Mitarbeitern des BFC Dynamo. Einer der bevorzugten
Treffs war das "Jeton".
Die BFC-Riege der Nazis, Rocker und Hooligans scheint auf viele Jugendliche
anziehend zu wirken. Der BFC ist bundesweit bekannt - auch in der Zentralen
Erfassungsstelle Sporteinsätze (ZIS), die beim Landeskriminalamt
Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist. Ohne jedoch über Daten zu verfügen.
"Wir hätten gerne, dass Dynamo in einer höheren Liga spielt",
meint Olaf Brandenburg von der ZIS, die nur Daten von Vereinen der ersten
drei Ligen verwaltet. Das ergibt eine paradoxe Situation, denn Gewalt
im Fußball richtet sich nicht nach Spielklassen.
<<<
Presse
22.08.2005 Tagesspiegel Der
harte Kern saß schon vor dem Spiel im Knast Bei
der Partie 1. FC Union gegen BFC Dynamo blieb es ruhig, doch bereits in
der Nacht hatte die Polizei 200 Hooligans festgesetzt Es
galt als absolutes Risikospiel, doch den harten Kern der Hooligans hatte
die Polizei schon zuvor einkassiert. Wohl deshalb endete das Oberligaspiel
zwischen dem 1. FC Union und dem BFC Dynamo, das im Stadion „Alte
Försterei“ in der Köpenicker Wuhlheide stattfand, gestern
Nachmittag ohne größere Zwischenfälle. Schwere Ausschreitungen
hatte es dafür in der Nacht zuvor bei einer Razzia in einem von BFC-Fans
besuchten Lokal gegeben, bei der 200 gewaltbereite BFC-Anhänger festgenommen
worden waren.
Zwischen den Fans der beiden Berliner Vereine besteht seit langem Feindschaft.
Die Polizei war unter anderem mit Wasserwerfern angerückt, auch kreiste
ein Hubschrauber über dem Stadion. Gegen 14 Uhr sollte der Anpfiff
sein, der sich aber um eine halbe Stunde verzögerte. Hundertschaften
der Polizei hatten die Anhänger der Vereine in ihre jeweiligen Fankurven
begleitet und sie dort nach dem Spiel auch wieder abgeholt. Insgesamt
blieb die Lage ruhig, obwohl der 1. FC Union mit 8:0 überlegen siegte.
Das Gebiet um das Stadion war weiträumig abgesperrt worden, was sich
bis in die Köpenicker Altstadt auswirkte.
Möglicherweise ist der glimpfliche Verlauf dem Polizeieinsatz in
der Nacht zuvor zu verdanken. Zahlreiche Beamte, unter anderem des Spezialeinsatzkommandos
(SEK), waren in die Diskothek „Jeton“ in der Frankfurter Allee
eingedrungen, in der sich rund 400 BFC-Anhänger befanden. Wie Einsatzleiter
Michael Knape berichtete, hatte es Hinweise gegeben, dass sich im zweiten
und dritten Stock der Disco rund 180 Hooligans des harten Kerns aufhielten,
um Krawalle abzusprechen. So sei geplant worden, bereits am frühen
Morgen in die Altstadt zu ziehen und dort, so Knappe, „Angst, Furcht
und Schrecken“ zu verbreiten.
Die Polizei hatte einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten
erwirkt, um Rädelsführer festzustellen und gefährliche
Gegenstände sicherzustellen. Die Anwesenden – vielfach der
Türsteherszene zugehörig, dazu Mitglieder der Rockergruppe „Hell’s
Angels“ – setzten sich sofort massiv zur Wehr: Stühle,
Flaschen und Gläser flogen, mit entsprechender Reaktion der SEK-Beamten.
Bald lagen viele Hooligans am Boden, die Hände mit Plastikschnüren
gefesselt. Einige mussten ins Krankenhaus, bevor sie im Polizeigewahrsam
Tempelhof verschwanden. Die Festgenommenen wurden eingestuft in der Kategorie
B (gewaltbereit unter Alkohol) und C (immer gewaltbereit). Sie wurden
gestern einem Richter vorgeführt; 120 mussten bleiben. Die Polizei
schaffte es so, Teile des harten Kerns von Köpenick fernzuhalten.
Bis Redaktionsschluss waren der Polizei keine größeren Zwischenfälle
bekannt.
Kritik für den nächtlichen Polizeieinsatz gab es aber vom BFC-Fanbeauftragten
Rainer Lüdtke, der ebenfalls im „Jeton“ festgenommen
worden war und das Vorgehen der Polizei als voreilig und überzogen
rügte. Vor dem Spiel gab es einen heftigen Wortwechsel mit Polizei-Einsatzleiter
Knape. Dieser verwies gestern auf die neue Qualität der Gewalt, die
bei Hooligans festzustellen sei. Gezielt würden kleine Polizeigruppen
und besonders Beamtinnen attackiert, zumal wenn die Fans durch Alkohol
und Drogen wie Ecstasy enthemmt seien.
<<<
Presse
22.08.2005 TAZ
Nazis spazieren durch Mitte
Über 500 Neonazis marschierten am Samstag mitten
durch die Stadt - vom Alexanderplatz nach Lichtenberg. Protest gab es
nur von linksradikaler Seite
Die Nachricht kam am Freitag per SMS: "Wacht
auf, ihr Schlafmützen. Nazis mobilisieren zu einer ,Ersatzveranstaltung'
für Wunsiedel zum Alex." Innerhalb weniger Minuten war die gesamte
Berliner Antifa-Szene informiert. Dennoch kam der Aufruf zu spät.
Unter dem Motto "Meinungsfreiheit für alle - Paragraf 130 abschaffen",
konnten am Samstagvormittag etwa 700 Neonazis weitgehend ungestört
vom Alexanderplatz über die Frankfurter Allee bis zum Bahnhof Lichtenberg
marschieren. Die GegendemonstrantInnen brachten es nicht einmal auf halb
so viele TeilnehmerInnen.
Der Aufmarsch stand im Zusammenhang mit dem Rudolf-Heß-Gedenkmarsch
im bayerischen Wunsiedel. Alljährlich gedenken tausende Rechtsextremisten
des Hitler-Stellvertreters, der sich am 17. August 1987 im Spandauer Gefängnis
das Leben nahm und seitdem in Wunsiedel unter der Erde liegt. Doch in
diesem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht den Aufmarsch wegen seines
volksverhetzenden Charakters verboten. Daraufhin mobilisierten die Neonazis
nach Nürnberg und Magdeburg. Aber auch dort untersagten die Behörden
den Aufmarsch. In Berlin hingegen gab die Versammlungsbehörde den
Neonazis grünes Licht.
Obwohl die Veranstaltung offen als zentrale Ersatzveranstaltung für
Wunsiedel beworben wurde, habe die Innenverwaltung keinen Bedarf für
ein Verbot gesehen, beschwerte sich ein Sprecher der Antifaschistischen
Linken Berlin (ALB). Die neue Strategie, rechte Aufmärsche zu dulden
und vor der Bevölkerung zu verschweigen, sei ein "Schlag ins
Gesicht". "War noch am 8. Mai die Rede davon, alle seien aufgefordert,
gegen Nazis die Stimmen zu erheben, sind diese Bekenntnisse in eine Verharmlosungs-
und Desinformationspolitik gemündet", so der Antifaschist weiter.
Die ALB hatte den Aufruf der Neonazis am Freitag im Internet entdeckt
und es geschafft, innerhalb weniger Stunden den Gegenprotest zu organisieren.
Trotz der geringen Zahl der GegendemonstrantInnen gelang es einzelnen
Gruppen, den rechten Aufmarsch mit Pfiffen und Israel-Fahnen zu begleiten
und lautstark "Nieder mit der Nazipest" zu skandieren. Weil
es jedoch auf linker Seite keinen gemeinsamen Treffpunkt gab und kaum
koordinierte Absprachen, kam es auch zu keinen größeren Blockaden
- dafür aber zu zahlreichen Festnahmen.
Nach Angaben der Polizei wurden elf Gegendemonstranten festgenommen, unter
anderem wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot und Beamtenbeleidigung.
Es habe "Schubsereien" gegeben, so ein Polizeisprecher. Die
Initiatoren der linken Aktionen sprachen hingegen von "Schlagstockeinsatz"
und "massiver Gewalt". Mehrere Protestierer und unbeteiligte
PassantInnen seien verletzt worden.
Erst am Abend hellte sich die Stimmung bei den Antifas wieder auf. 300
von ihnen versammelten sich zu einer Spontandemo in Friedrichshain und
liefen zum Bahnhof Lichtenberg. Die Nazis waren weg.
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Presse
18.08.2005 Yahoo-Nachrichten
70 Rechtsradikale ziehen unter neuem Motto durch
Berlin
Berlin (ddp-bln). Rund 70 Rechtsradikale
sind am Mittwoch durch Berlin gezogen. Während eine geplante Rudolf-Heß-Demonstration
verboten blieb und nicht stattfand, hatte ein neuer Initiator am selben
Tag einen anderen Aufzug unter dem Motto «Meinungsfreiheit für
alle - Abschaffung des Paragrafen 130» angemeldet, wie eine Polizeisprecherin
mitteilte. Die Demonstranten zogen - begleitet von einem großen
Aufgebot an Sicherheitskräften - vom Alexanderplatz über die
Karl-Marx-Allee und die Holzmarktstraße. Die Demonstration endete
gegen 19.30 Uhr am S-Bahnhof Jannowitzbrücke. Die Teilnehmer skandierten
unter anderem «Paragraf 130 winke-winke» und protestierten
damit gegen den Straftatbestand Volksverhetzung, wie die Sprecherin sagte.
Nach Angaben der Polizeisprecherin war bei dem Zug auch der Anmelder der
Rudolf-Heß-Demonstration dabei.
Nachdem der Aufzug offiziell beendet war, kam es auf dem Ostbahnhof Augenzeugenberichten
zufolge zu einem Aufeinandertreffen von rund 30 Rechten mit etwa ebensoviel
Linken, die «Nazis raus!» riefen. Die Gruppe der Rechten stieg
danach eskortiert von Sicherheitskräften in eine S-Bahn. Die Beamten
wollte die Gruppe bis zu ihrer Auflösung begleiten, wie ein Polizist
sagte.
Einen Antrag gegen das vom Polizeipräsidenten ausgesprochene Verbot
für den Heß-Aufzug hatte das Verwaltungsgericht zurückgewiesen,
wie die Justizbehörde am Abend mitteilte. Die Anmelder hatten rund
70 Teilnehmer mit Fahnen und Transparenten auf der Straße Unter
den Linden angekündigt.
Die Polizei hatte den Heß-Marsch verboten, da aus ihrer Sicht mit
Äußerungen und Handlungen zu rechnen war, die den Straftatbestand
der Volksverhetzung erfüllen. Das Verwaltungsgericht stimmte dem
zu. Laut Gericht waren die Glorifizierung des Hitler-Stellvertreters Heß
und eine Billigung des «Dritten Reiches» wahrscheinlich. Das
Gedenken sei nur ein Vorwand, in Wirklichkeit solle das Gedankengut des
Nationalsozialismus verbreitet werden. Das Gericht fügte hinzu, durch
die zu erwartende Verherrlichung des Nationalsozialismus werde auch die
Würde der Opfer verletzt. (Beschluss der 1. Kammer vom 17. August
2005 - VG 1 A 151.05)
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Presse
17.08.2005 TAZ
Offener Kanal zeigt "Nazi-TV"
Der NPD-Landesvorsitzende Claus Schade gibt auf dem
Offenen Kanal ein 45-minütiges Interview. Rechtsextreme Wahlpropaganda,
beschweren sich einige Zuschauer. Doch die Sendeleitung und die Medienanstalt
wiegeln ab
Wenn auf dem Offenen Kanal Berlin (OKB)
Sendungen wie "Jesus ist der Weg - gelebte Jüngerschaft",
ein Bericht über die "Friedensformel" oder eine Reportage
über die "CSU-Astronautin Monika" über die Fernsehbildschirme
flackern, warum dann nicht auch mal ein Interview mit dem Berliner NPD-Landesvorsitzenden
Claus Schade?
Meinungsfreiheit oder rechte Wahlkampfpropaganda - seitdem der freie OKB-Journalist
Bernd Zikeli 45 Minuten lang den NPD-Funktionär vor laufender Kamera
reden ließ, muss sich der Bürgersender vorwerfen lassen, von
der NPD unterwandert zu werden. Denn in dem Interview wurde Schade nicht
unterbrochen, kritische Fragen blieben auch aus. "Rechtsextreme Wahlpropaganda"
beschweren sich einige, die das Gespräch am Samstagabend zur besten
Sendezeit auf dem OKB gesehen hatten. Sie halten es für einen Skandal,
Rechtsextremen im Fernsehen so viel Raum zu geben. Doch OKB-Leiter Jürgen
Linke wiegelt ab: "Wir leben in einer Demokratie, und die Menschen
haben einen Rechtsanspruch zu senden."
Das Interview mit dem NPD-Chef wurde am 17. Juni schon einmal gesendet.
Linke hatte daraufhin das Band der Medienanstalt Berlin-Brandenburg vorgelegt,
die dafür zuständig ist, den Sendeinhalt des Offenen Kanals
zu überwachen. Aber auch sie befand, dass das Gespräch "nicht
zu beanstanden" sei - "leider", sagte Medienanstalt-Mitarbeiterin
Susanne Grams
"Solange nicht gegen geltendes Recht verstoßen wird, darf es
keine Zensur geben", so Grams weiter. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden
einer zugelassenen Partei falle unter Meinungsfreiheit. Und dazu gehöre
natürlich auch, die NPD zu hören. Die MedienwächterInnen
hätten höchstens prüfen können, ob es sich bei dem
Interview um eine einseitige Wahlsendung handelt. Doch da stehe im Auszug
des NPD-Wahlprogramms mehr drin, als was Schade vor laufender Kamera zu
sagen hatte.
Die Auflagen beim Offenen Kanal sind gering. So darf im Prinzip jeder
Bürger den Sendeplatz für die selbst produzierten Sendungen
unentgeltlich nutzen. Die MitarbeiterInnen vom OKB bieten technische Unterstützung
und sind verpflichtet, bei der Produktion der Beiträge zu helfen.
Inhaltlich dürfen sie den AutorInnen jedoch nicht hineinreden. Im
Gegenzug müssen die Nutzer bei Rechtsverstößen auch selbst
die Folgen tragen. Nur Werbung ist verboten, heißt es im Redaktionsstatut.
Doch wo hört Meinungsfreiheit auf und fängt rechtsextreme Wahlpropaganda
an? Diese Frage kann Susanne Grams auch nicht eindeutig beantworten. Es
zähle der Gesamteindruck.
OKB-Autor und Interviewer Bernd Zikeli ist zumindest kein Unbekannter.
Er ist bereits seit einigen Jahren ein aktiver Nutzer und ist vor allem
wegen seiner sehr israelfeindlichen Beiträge aufgefallen. Seine Sendungen
sind schon mehrmals beanstandet worden, weil sie wegen Rechtslastigkeit
aufgefallen sind. Und auch auf Antifa-Seiten wird vor ihm gewarnt. Ob
Zikeli selbst der rechtsextremen Szene angehört, wollte OKB-Chef
Linke nicht bestätigen. Der Straftatbestand der Volksverhetzung konnte
ihm zumindest bisher nicht nachgewiesen werden. FELIX LEE
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Presse
08.08.2005 Berliner Zeitung
Rassistische Randale auf der Biermeile
Neun Festnahmen
Als sie genügend intus hatten,
ging es los: Auf dem 9. Internationalen Bierfestival, das am Wochenende
entlang der Karl-Marx-Allee stattfand, pöbelten und randalierten
am späten Freitagabend Neonazis und Hooligans. Für einen Teil
des Krawalls macht die Polizei BFC-Fans verantwortlich, die zuvor schon
bei einem Fußballspiel in Prenzlauer Berg randaliert haben sollen.
"Zehn Angehörige der Gruppe waren gegen 22.35 in einen Getränkehandel
an der Karl-Marx-Allee gegangen", sagte ein Polizeisprecher. Sie
hätten Bier eingesteckt, ohne zu bezahlen. Nachdem sie von Verkäufern
angesprochen worden seien, habe sich "eine körperliche Auseinandersetzung"
entwickelt." Einer der Angreifer wurde festgenommen.
Zeugen berichten zudem, dass Hooligans
und Neonazis auf dem Bierfest auch Parolen grölten wie "Deutschland
den Deutschen" und "Ausländer raus!" Die Polizei nahm
in der Nacht zum Sonnabend deshalb neun Personen fest. Der Veranstalter
des Festes, die Präsenta GmbH, spricht hingegen von "ein paar
Rangeleien." "Die Störer sind hier durchgezogen, und das
war's", sagte gestern Präsenta-Geschäftsführer Lothar
Grasnick. Nach seinen Angaben haben rund 500 000 Menschen das 9. Internationale
Bierfestival besucht. Zwischen Strausberger Platz und Frankfurter Tor
hatten mehr als 240 Brauereien aus 80 Ländern insgesamt 1 750 Bierspezialitäten
präsentiert. (kop.)
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Presse
08.08.2005 Berliner Zeitung
Randale im Stadion und auf der Biermeile
Der BFC spielte wieder Erneut
hat es nach einem Fußballspiel des BFC-Dynamo Krawalle gegeben.
Nach Ende des Oberligaspiels gegen SV Yesilyurt am Freitagabend im Jahn
Sportpark in Prenzlauer Berg bewarfen rund 150 Fans die Polizei mit Flaschen
und Steinen. Laut Polizei wurden zehn Beamte verletzt. "Nur mit Mühe
gelang es den Einsatzkräften, die höchst aggressiven Störer
aus dem Stadion zu drängen", sagte ein Polizeisprecher am Wochenende.
Auf der Straße hätten die Randalierer dann parkende Autos beschädigt
und Fensterscheiben eingeworfen. Etwa 240 Beamte konnten nach einer Stunde
die Lage beruhigen. Sechs Personen wurden wegen schweren Landfriedensbruches,
Widerstand und Beleidigung festgenommen.
Krawall gab es auch auf der "Biermeile" auf der Karl-Marx-Allee,
für den die Polizei ebenfalls BFC-Fans verantwortlich macht. Demnach
plünderten zehn Hooligans gegen 22.35 Uhr einen wegen der Biermeile
noch geöffneten Getränkehandel. Es kam zur Prügelei mit
den Verkäufern. Polizisten nahmen einen der Angreifer wegen gefährlicher
Körperverletzung fest. Zeugen berichten, dass BFC-Hooligans und Neonazis
auf dem Bierfest Parolen grölten wie "Deutschland den Deutschen"
und "Ausländer raus". Angestellte des Bierstandes "Roter
Oktober" seien mit Knüppeln und Steinen verletzt worden. Die
Polizei nahm auf dem Fest neun Personen fest.
Verein kritisiert Polizei
Der BFC-Vorstand distanzierte sich am Wochenende von den Krawallmachern
unter seinen Fans. Dies gehöre nicht zu dem Verhalten, "das
einen wirklichen Fan des BFC Dynamo" ausmache, erklärte er.
Der Vorstand bedauerte, "dass unbeteiligte Menschen zu Schaden gekommen
und auch Sachschäden entstanden" seien.
Gleichzeitig kritisierten die BFC-Verantwortlichen die ihrer Meinung nach
unkontrollierten und unverhältnismäßigen "Übergriffe"
der Polizei gegenüber unbeteiligten Personen. Wie schon beim Spiel
gegen Tennis Borussia im Februar im Mommsenstadion seien offizielle Vereinsmitglieder
bei dem Versuch zu schlichten ohne jeden Grund angegriffen und teilweise
erheblich verletzt worden. Jedes Mal hätten sie sich laut und deutlich
zu erkennen gegeben. (kop.)
Randalierende Dynamo-Fans
verletzen Polizisten
Randalierende Fußballfans haben am Freitag abend zehn Polizisten
verletzt. Sechs Chaoten wurden festgenommen. Nach Abpfiff des Oberliga-Spiels
SV Yesilyurt gegen Dynamo Berlin hatten rund 150 gewaltbereite Dynamo-Anhänger
die Polizisten attackiert. An Scheiben und Fahrzeugen rund um den Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark
in Prenzlauer Berg entstand erheblicher Sachschaden. Ein Teil der Krawallmacher
setzte sich zum 9. Internationalen Bierfest in Friedrichshain ab und randalierte
in einem Lebensmittelmarkt an der Karl-Marx-Allee.
tal
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Presse
12.07.2005 Tagesspiegel
Punk verprügelt - Gewalt zwischen Links und
Rechts nimmt zu
Die brutalen Auseinandersetzungen zwischen
linken und rechten Jugendlichen gehen weiter. Am Sonntag früh verprügelten
fünf junge Männer der rechten Szene einen Berliner Punk am Bahnhof
Ostkreuz – die Rechten müssen das Opfer, der in einem am Bahnsteig
stehenden Zug saß, gekannt haben. „Paul, komm raus“,
forderten sie Paul L. auf. Zunächst wurde der 24-Jährige beschimpft
und dann mit Faustschlägen angegriffen. Zwei Begleiterinnen des Punks
alarmierten die Bahnhofsaufsicht, diese den Bundesgrenzschutz. Am Ausgang
zur Sonntagstraße konnte einer der Rechten, der 19-jährige
Christopher T., festgenommen werden.
Wie berichtet, registriert die Berliner Polizei derzeit eine massive Häufung
von Schlägereien zwischen Linken und Rechten. Beim Landeskriminalamt
wurde deshalb Mitte Juni eine Sonderkommission „Links-Rechts“
gebildet. Die Polizei in Potsdam gründete ebenfalls eine Ermittlungsgruppe,
da es auch dort eine Häufung von teilweise brutalen Straftaten gab.
Auffällig sei, dass Anhänger der in Berlin in diesem Jahr verbotenen
Neonazi-Kameradschaften jetzt in Potsdam zuschlagen – vermutlich,
weil ihnen die Berliner Ermittler zu dicht auf den Fersen sind.
Die Potsdamer Staatsanwaltschaft teilte gestern mit, dass bereits am Freitag
ein weiterer Täter einen Haftbefehl erhielt. Der junge Mann soll
bei dem Überfall einer Gruppe von 15 Rechten auf zwei Linke Anfang
Juli beteiligt gewesen sein. Damit ist in der aktuellen Serie bereits
der 16. Haftbefehl erlassen worden: fünf gegen linke und 11 gegen
rechte Täter. Sechs von ihnen sitzen in U-Haft, der Rest kam gegen
Auflagen frei. Ha/ddp
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Presse
01.07.2005 TAZ
"Hitler hat's richtig gemacht"
Studierende der Alice-Salomon-Fachhochschule haben anhand von Interviews
in Freizeitclubs den Antisemitismus unter Jugendlichen in Friedrichshain-Kreuzberg
erforscht. Heute sind sie zu hören
VON PHILIPP GESSLER
Man ahnte Schlimmes, als man begann - und
am Ende war es noch schlimmer. Studentinnen und Studenten der Alice-Salomon-Fachhochschule
wagten sich im vergangenen Winter- und im folgenden Sommersemester im
Rahmen einer Lehr-Werkstatt an ein heißes Thema: den Antisemitismus
unter jungen Menschen in Friedrichshain-Kreuzberg. Nun sind die Ergebnisse
da.
Ausgestattet mit Videokamera, Mikrofon und Fotoapparat befragten die Studierenden
Jugendliche und junge Erwachsene in Freizeitclubs des Bezirks zu ihren
Einstellungen gegenüber Juden und Israelis. "Als wir mit der
Arbeit an der Werkstatt begannen, befürchteten wir die Existenz von
antisemitischen Ressentiments bei Jugendlichen aus islamischen Herkunftsländern",
schreiben die Dozenten Levi Salomon und Katrin Becker in einem Band, der
die Interviews zusammenfasst, "Nach der Durchführung der Interviews
waren wir erschrocken darüber, wie stark diese Ressentiments bei
der Mehrheit der Befragten ausgeprägt sind." Der Judenhass sei
selbst dort stark gewesen, wo eine "ausgezeichnete präventive
Arbeit bezüglich der Bekämpfung des Antisemitismus geleistet"
werde. "Für die Mehrheit der von den Studierenden befragten
Jugendlichen stellt ,Jude' ein Schimpfwort dar."
Man kann die Ergebnisse der Befragung, die heute auf einer Veranstaltung
der Fachhochschule öffentlich gemacht werden, relativieren. Es ist
einzuwenden, dass die befragten jungen Menschen manchmal nur dumme Sprüche
machen: "1, 2, 3, Scharon ist ein dickes Schwein!", ruft da
jemand, und fünf andere Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren "mit
migrantischem Hintergrund" lachen los. Man muss zudem berücksichtigen,
dass einige der Interviewten zumindest indirekt über ihre Familiengeschichte
selbst vom Nahostkonflikt betroffen sind, was ihre Abneigung zumindest
gegen Israelis leichter nachvollziehen lässt. "Mein Cousin ist
gestorben, meine Tante ist gestorben, mein Onkel ist gestorben, meine
Oma und mein Opa sind gestorben", erzählt etwa ein Jugendlicher.
Sie seien durch Israelis getötet worden: "entführt, erschossen".
Und natürlich findet man viel Unwissen und einiges an Dummheit: "Hitler
war ein armer Bettler, der von Juden geschlagen und geärgert wurde",
erzählt etwa ein Junge, "und als ihn ein Deutscher berühmt
gemacht hat, hat er sich an den Juden gerächt."
All diese Einwände aber können kaum erklären, wie es sein
kann, dass trotz einer mindestens neunjährigen Schulerziehung so
viel dumpfer Judenhass mitten in Berlin grassieren kann. Immer wieder
betonen die interviewten jungen Leute, dass "sehr viele" schlecht
über Juden redeten: "Ich kenne viele Moslems, die sagen, Scheißjude
und so." Einige Interviewte sagen, dass Judenhass in Moscheen gepredigt
werde. Eine 17-jährige Person mit türkischen Eltern erklärt:
"Aber bei vielen wurde das in die Köpfe schon so rein gehauen:
Jude = Scheiße, Jude = schlecht."
Verbreitet sind antisemitische Verschwörungstheorien: "Das,
was mit dem World Trade Centern passiert ist, wo die Amerikaner gleich
dachten, das sind bestimmt die Araber. Im Flugzeug hat man jedoch israelische
Stimmen gehört. Und die Amerikaner dachten, es wären arabische
Stimmen und deshalb haben die die ganzen Anschläge gemacht."
Und immer wieder sagen Interviewte, Juden töteten Babys - "Juden"
wohlgemerkt, nicht "Israelis", diese Differenzierung scheint
niemand hinzukriegen oder hinkriegen zu wollen. Regelrechte Hitler-Fans
gibt es unter den Jugendlichen. Da sagt jemand: "Genau, also Hitler
hat eigentlich schon Scheiße gemacht, aber auf ner anderen Seite
ist das sehr gut, weil hätte er alle vergast, hätten wir das
Problem nicht." Oder noch deutlicher: "Hitler gefällt mir.
Tja, der hat's damals mal richtig gemacht."
Es gibt auch einige versöhnliche, tolerante Stimmen unter den Interviewten
- aber im Allgemeinen schockiert die Unversöhnlichkeit, die aus vielen
Interviewausschnitten spricht. So sagt einer beispielsweise: "Also
ich, ich kann überhaupt keine Juden leiden; egal auch ob die nett
oder nich nett sind die sind einfach dreckig irgendwie." Und dass
solche Aussagen beizeiten auch mehr als Sprüche sind, macht diese
Aussage deutlich: "Einmal in unserer Schule kam ein Jude. Die ganzen
Araber haben auf ihn gespuckt, geschlagen und gespuckt. Dann ist er auch
von der Schule raus gegangen." Oder, noch deutlicher: "Jeder
Jude, der hier geblickt wird, wird gefickt. Das ist ein Sprichwort."
Etwa seit der Jahrtausendwende schwappt eine Welle des muslimischen oder
islamistischen Antisemitismus durch die Einwanderungsgesellschaften Europas
- am deutlichsten war diese Entwicklung in den vergangenen Jahren in Frankreich
zu beobachten. Auch in Deutschland ist die Zahl der antisemitisch motivierten
Gewalttaten seitdem kontinuierlich gestiegen - und Fachleute gehen davon
aus, dass dieser Zuwachs bei den Gewaltverbrechen in erster Linie auf
judenfeindlich gesonnene Migranten zurückzuführen ist. Untersuchungen
dazu gibt es aber noch nicht. Das gilt auch für Berlin. Nur spärliche
Informationen liegen hier vor, etwa durch eine Studie des "Zentrums
für demokratische Kultur" und Aussagen aus dem "Standpunkte"-Projekt
hiesiger Lehrerinnen und Lehrer, die gegen Rassismus und Antisemitismus
in der Schule aktiv sind. Zwar gehen diese Erkenntnisse in die gleiche
Richtung wie der Grundtenor aus den Interviews der Fachhochschul-Studenten.
Seriöse Zahlen jedoch über die Verbreitung antisemitischer Einstellungen
vor allem unter jugendlichen Migranten in der Hauptstadt gibt es nicht.
Deshalb ist kaum zu sagen, ob der Antisemitismus in dieser Gruppe der
Gesellschaft nun zugenommen hat oder nicht. "Um genauer den Umfang
antisemitischer Ressentiments und eine Gewaltbereitschaft gegen jüdische
Bürger in einigen Berliner Stadtteilen zu erfassen, um tatsächlichen
Ursachen auf den Grund zu gehen und um politische wie pädagogische
Handlungsalternativen entwickeln zu können, sind neue Studien unumgänglich,
für die unsere Interviews Ausgangspunkt sein könnten",
schreiben Becker und Salomon.
Gleichwohl ist offensichtlich, dass das Thema Antisemitismus unter Berliner
Jugendlichen nicht nur migrantischer Herkunft ein brennendes Problem darstellt,
das nicht allein mit der Unterprivilegierung gewisser Schichten in ärmeren
Stadtteilen erklärbar ist. Die Alice-Salomon-Fachhochschule macht
sich heute daran, Ausmaß und Ursachen dieses Phänomens auf
einer Podiumsdiskussion etwas näher ergründen zu wollen - wobei
die Organisatoren unsicher sind, ob sie nicht mit Störern rechnen
müssen. In vier Kurzfilmen werden wesentliche Aussagen der Interviews
zusammengefasst und vorgestellt. Titel der Veranstaltung: "Hitler
gefällt mir."
Näheres zum Thema Antisemitismus von Philipp Gessler in seinem Buch:
"Der neue Antisemitismus", Herder, Freiburg 2004
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Presse
10.03.2005 TAZ
Kameradschaft ist abgeschafft
In einem Doppelschlag hat das Land Berlin erstmals
zwei Neonazi-Organisationen verboten. Die rechtsextremistische "Kameradschaft
Tor" samt ihrer "Mädelgruppe" und die "Berliner
Alternative Süd-Ost" gibt es ab sofort nicht mehr
Monatelang haben Neonazis ihn mit
Telefonanrufen schikaniert, er wurde auf offener Straße bedroht,
und sogar Steckbriefe von ihm hingen in seiner Wohngegend. Michael Knape,
Polizeidirektor für den Berliner Südosten, muss triumphiert
haben, als er erfuhr, dass für seine Peiniger erst einmal Schluss
mit lustig ist. Denn seit gestern Morgen ist es offiziell: Auf einer Pressekonferenz
verkündete Innensenator Ehrhart Körting (SPD), dass er die "Kameradschaft
Tor" samt "Mädelgruppe" und die "Berliner Alternative
Südost" (Baso) am frühen Morgen mit sofortiger Wirkung
verboten hat.
Knape selbst ließ auch nicht lange auf sich warten. Punkt sechs
Uhr standen seine behelmten Mannschaften vor den Wohnungen von neun Kameradschaftsmitgliedern.
Den völlig überraschten Neonazis blieb keine Zeit mehr, verdächtiges
Beweismaterial zu beseitigen. Die Polizisten beschlagnahmten über
500 Flugblätter, zudem Aufkleber, T-Shirts und Aktenordner. Gegen
sechs Neonazis wurden Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet.
Es handelt sich um die ersten Verbotsverfügungen von rechtsextremen
Kameradschaften in Berlin. Für Körting erfüllt sich damit
ein lang gehegter Wunsch. Vor einem halben Jahr wies er seine Mitarbeiter
in der Innenverwaltung, beim Verfassungsschutz und in den Polizeibehörden
an, alle Aktivitäten der KS Tor, die in Lichtenberg aktiv war, und
der Baso, die in Treptow-Köpenick ihr Unwesen trieb, bis ins kleinste
Detail aufzulisten.
An Stoff mangelte es den Staatsbediensteten nicht. Es gab keinen rechten
Aufmarsch in und um Berlin im vergangenen Jahr, an dem die beiden Kameradschaften
- mit je 10 bis 15 meist jungen Neonazis - nicht mit antisemitischen und
rassistischen Äußerungen auffielen. In Lichtenberg klebten
Mitglieder der KS Tor Plakate, auf denen sie SA-Führer und Adolf
Hitler verherrlichten. Am 1. Mai machte die Kameradschaft von sich reden,
als sie beim Aufmarsch in Lichtenberg erstmals als schwarzer Block auftrat
und sich Schlägereien mit der Polizei lieferte.
Ähnlich das Register der Baso: Im Sommer entdeckten die Ermittler
einen Keller auf einer Industriebrache in Schöneweide, in dem sich
die Kameraden der Baso nach Hitlers Vorbild eine "Wolfsschanze"
eingerichtet hatten. Tresen und Wände hatten sie mit Hakenkreuzen
und SS-Runen bemalt. Der lebensgefährliche Übergriff auf einen
vietnamesischen Imbissbetreiber im April 2004 geht ebenfalls auf Mitglieder
der Baso zurück. Und im Dezember kam die Ankündigung, vor Knapes
Haus aufzumarschieren, um ihn und seine Familie einzuschüchtern.
Schwerpunkt beider Kameradschaften war die Bekämpfung des politischen
Gegners durch so genannte Anti-Antifa-Aktionen. Auch Polizisten und Journalisten
wurden bedroht.
Auf die Frage der Journalisten, warum bisher nicht noch mehr rechte Kameradschaften
verboten wurden und ob seine Verwaltung künftig weiter in dieser
Richtung aktiv sein wird, antwortete Körting kurz und knapp: "Wir
nehmen, wen wir kriegen."
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Presse
23.02.2005 TAZ
Neonazis feiern heimlich ihren Helden
Zum 75. Todestag des SA-Führers Horst Wessel
wollen Rechtsextreme heute unangemeldet zum Grab marschieren
Sympathisanten der rechtsextremen
Kameradschaft Tor wollen heute am Friedhof Prenzlauer Allee Ecke Mollstraße
des SA-Führers Horst Wessel gedenken, der dort begraben liegt. In
Massen werden sie wohl aber nicht kommen. Denn weder findet sich im Internet
ein Aufruf, noch hat es sonst flächendeckend Ankündigungsplakate
gegeben. Die Polizei hat von dem Aufmarsch nur über einen kleinen
Flyer erfahren, der an einer Bushaltestelle in Köpenick klebte. Eine
polizeiliche Anmeldung für den rechten Aufmarsch liegt nicht vor.
Die Polizei rechnet höchstens mit "einigen Dutzend Teilnehmern".
Die Antifa Friedrichshain befürchtet mehr. Seit Wochen hätten
Berliner Neonazis aus dem Spektrum der Freien Kameradschaften in den Bezirken
Treptow-Köpenick, Lichtenberg und Pankow zusammen mit Hakenkreuzen
Parolen an Wände gesprüht, die auf den Gedenkmarsch hinweisen,
sagte ein Antifa-Sprecher.
Wessel, der heute vor 75 Jahren an den Folgen einer Schießerei mit
Rotfrontkämpfern verstarb, war in den turbulenten Jahren der Weimarer
Republik SA-Führer und machte vor allem mit Übergriffen im damaligen
"roten" Friedrichshain von sich reden. In der NS-Zeit stilisierte
ihn Reichspropagandaminister Goebbels zum Märtyer. Das "Horst-Wessel-Lied"
wurde zur Hymne der SA. Seit den 1990er-Jahren versuchen Neonazis das
Gedenken an den SA-Schergen wieder aufzugreifen.
Gegeninitiativen wie die Antifa Friedrichshain konnten größere
Aufmärsche aber stets verhindern. Auch für heute Nachmittag
hat die Antifa eine Gegenkundgebung angemeldet, um eine Huldigung des
NS-Repräsentanten zu verhindern. Treffen ist um 16 Uhr vor dem Friedhof.
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Presse
19.01.2005 Tagesspiegel
Durchsuchungen bei Neonazi-Gruppe Ermittlungen
wegen Volksverhetzung
Zeitgleich wurden gestern früh
die Wohnungen von acht Aktivisten der rechtsextremistischen "Kameradschaft
Tor"durchsucht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Monaten gegen
die vier Frauen und vier Männer wegen Volksverhetzung. Sie waren
am 25. September letzten Jahres festgenommen worden, als sie zur NPD-Demonstration
in Wedding anreisen wollten. Die Demonstration war in letzter Minute vom
Bundesverfassungsgericht verboten worden.
Die Neonazis hatten vier Transparente dabei, die die Beamten alarmierten
- schließlich sollte die geplante Demonstration durch einen Bezirk
führen, der vor allem von Moslems bewohnt wird. Unter der Parole
"Fremdkulturen entgegentreten" war eine Figur aufgezeichnet,
die gegen einen Davidstern, einen Halbmond und ein US-Dollarzeichen tritt.
Auf einem weiteren Transparent stand "Die letzte Schlacht gewinnen
wir" - eine Assoziation zu einem Führerbefehl. Ein anderes Plakat
verkündete "Reichshauptstadt Berlin bleibt deutsch". Die
Transparente waren im September beschlagnahmt worden, jetzt kam es zur
Durchsuchung, "um einmal richtig in die Struktur der Szene hineinzugucken",
wie es bei der Polizei hieß. "Das ist gelungen", sagte
ein Staatsanwalt. Erst durch die Polizeiaktion wurden bei zwei der Beschuldigten
die aktuellen Adressen ermittelt, deshalb konnten insgesamt zehn Wohnungen
in Lichtenberg, Mitte und Hellersdorf sowie im brandenburgischen Schwedt
durchsucht werden. Darunter die der bekannten Rechtsextremisten Björn
W. und Jörg H.
Beschlagnahmt wurden Farben und Zeichenvorlagen, mit denen die Transparente
gefertigt wurden. "Wir haben gefunden, wonach wir gesucht haben",
sagte ein Staatsanwalt. Zudem wurden Computer sichergestellt. Zügig
solle jetzt der Prozess gegen die acht jungen Rechtsextremisten wegen
Volksverhetzung beginnen. Die Kameradschaft Tor ist in Berlin neben der
"Baso" (Berliner Alternative Südost) eine der aktivsten
Neonazigruppen. Die Lichtenberger Gruppe hatte sich im Sommer 2000 nach
dem Frankfurter Tor benannt. Als ein Schwerpunkt der Organisation gilt
der "Nationale Widerstand". Hierbei stehen im "Kampf auf
der Straße" die Teilnahme an Demonstrationen und das Ausspionieren
der Gegenseite im Vordergrund. Seit Sommer 2004 ist eine "Mädelgruppe
Tor" als zweiter Organisationszweig aktenkundig. Ha
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Presse
18.12.2004 TAZ
Drei Jahre Haft für Antifaschisten
NPD-Aufmarsch am 1. Mai in Lichtenberg: Ein Gegendemonstrant
versucht am Rande, ein Auto anzuzünden. Jetzt soll er für drei
Jahre hinter Gitter. Seine Anwälte wollen gegen das Urteil vorgehen
Mit
leicht gesenktem Kopf, aber ruhig und gefasst hört Christian S. auf
der Anklagebank des Amtsgerichts Tiergarten sein Urteil: Drei Jahre Haft
ohne Bewährung wegen versuchter Brandstiftung, schweren Landfriedensbruchs,
Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz sowie Widerstands gegen die
Staatsgewalt, lautet der Spruch. Lang und breit hat ihm Richter Brandt
zuvor sein gesamtes Verhalten am 1. Mai 2004 in Friedrichshain vorgehalten
- und so zeigt sich auch der Staatsanwalt mit der sehr hohen Strafe zufrieden.
Doch nicht nur für die zahlreichen Prozessbeobachter auf den Zuschauerbänken
ist die Justiz damit zu weit gegangen: Noch auf den Treppen des Amtsgerichts
kündigen die Anwälte des vorbestraften 35-jährigen Christian
S. an, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Denn in ihren Augen hat
das Gericht nicht nur das Strafrecht sehr streng ausgelegt, sondern auch
die gesamte Situation am 1. Mai 2004 nicht ausreichend berücksichtigt.
Dazu kommt, dass Christian S. seit seiner Festnahme am 1. Mai bis zum
ersten Prozesstag Ende Oktober in Untersuchungshaft saß. "Wir
fordern daher, dass jetzt zumindest der Haftbefehl bis zur Rechtskraft
des Urteils aufgehoben wird", sagt Anwältin Silke Studzinsky.
Was war passiert? Genau an diesem Tag darf die rechtsextreme NPD gemeinsam
mit "freien Kameradschaften" auf der Frankfurter Allee aufmarschieren:
Mit rund 3.000 Braunen ist das nicht nur der größte Auftritt
der Rechten seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Berlin. Erstmals bilden
die Nationalisten auch einen eigenen, aggressiven "schwarzen Block",
der sich mehrere Rangeleien mit der Polizei und Gegendemonstranten liefert.
Neben Fahnen führen sie auch NPD-Plakate mit sich, auf denen "Gute
Heimreise" steht und eine ausländische Familie mit gepackten
Koffern von hinten zu sehen ist. In Bremen läuft genau wegen dieses
Plakats zurzeit ein Verfahren wegen Volksverhetzung.
Doch der Aufmarsch der NPD ist angemeldet und genehmigt. Als sich der
Zug in Bewegung setzt, versuchen Gegendemonstranten, mit Sitzblockaden
die Rechtsextremen zu stoppen - und wollen so Zivilcourage zeigen. Die
Polizei räumt mit Wasserwerfern und hunderten von Beamten den Weg
frei. Erst als auf Höhe des Ring-Centers in Friedrichshain Barrikaden
brennen, beschließt die Einsatzleitung den Abbruch der NPD-Demo.
Zu diesem Zeitpunkt ist Christian S. bereits im Visier der Fahnder der
Polizei. Sie beobachten ihn dabei, wie er Mülltonnen auf die Frankfurter
Allee schiebt und Papier in einem umgestürzten Mercedes der A-Klasse
mit zerstörter Heckscheibe anzündet. In einer zehnseitigen Prozesserklärung
bekennt er sich später sogar dazu und begründet sein Tun mit
politischen Motiven.
Doch vor Gericht zählt das alles nicht - auch nicht strafmildernd.
Die strafrechtlichen Argumente seines Verteidigerduos dringen nicht durch.
"Zwar hat Christian S. versucht, Feuer zu legen, doch Zeugenaussagen
und Videos beweisen, dass ein Wasserwerfer das Fahrzeug kurz darauf schon
wieder löschte. Danach brannte der Wagen sogar noch ein zweites Mal,
und ein Räumpanzer rammte das Wrack von der Straße", sagt
Anwältin Silke Studzinsky. "Daher ist er nicht für die
gesamten Schäden an dem Auto verantwortlich. Hier müsste gelten:
Im Zweifel für den Angeklagten."
Auch der Vorwurf des "schweren Landfriedensbruchs" sei so nicht
haltbar, argumentiert die Anwältin. Laut Studzinsky sollen am 1.
Mai "zahlreiche Polizeibeamte in Zivilkleidung" im Einsatz gewesen
sein: Mehrere Beamte "des SEK vom LKA 6302, der Direktion IV ,Fahndung-Aufklärung-Observation'
und Zivilbeamte der Operativen Gruppe Jugendgewalt" sowie des Staats-
und Verfassungsschutzes seien dort gewesen, so die Anwältin, die
gerne Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und Polizeipräsident
Dieter Glietsch als Zeugen dazu gehört hätte. Von einer "Menschenmenge",
die den "öffentlichen Frieden" gefährdet habe, könne
keine Rede sein.
Für den Anwalt Lüko Becker stellt sich darüber hinaus die
Frage, inwieweit hier nicht sogar das im Grundgesetz verbriefte Recht
auf Widerstand greifen könnte: "Das wäre zwar ein Offenbarungseid
des Staates, wenn er zugeben würde, dass hier andere Abhilfe zum
Schutz der Verfassung nicht möglich gewesen sein könnte. Aber
denkbar wäre das."
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Presse
13.12.2004
TAZ
Rechte saufen ohne Lizenz ab
Bei der Überprüfung der Schanklizenz einer Köpenicker Kneipe
stößt die Polizei auf eine Feier von Neonazis. "Bauarbeiter"
und Antifa liefern sich am Vortag eine Straßenschlacht in Friedrichshain
Mit 130 Mann überprüfte die
Polizei in der Nacht zum Sonntag die Schankgenehmigung einer Kneipe in
der Schnellerstraße in Köpenick. Und freute sich anschließend
über einen großen Fang: "Wir sind schon zufrieden",
sagte ein Polizeisprecher gegenüber der taz. Denn in dem Lokal wurden
nicht nur ohne Lizenz Getränke ausgeschenkt: 64 Mitglieder verschiedener
Berliner Neonazi-Organisationen feierten in der Kneipe eine heimliche
Party. Darunter Björn Wild und Daniel Meinel von der Kameradschaft
Tor und Sebastian Dahl, der der Berliner Alternative Südost, kurz
Baso, zugeordnet wird. Außerdem feierten Mitglieder der Mädelgruppe
Tor und des Märkischen Heimatschutzbundes in dem Lokal.
Insgesamt leitete die Polizei 13 Strafverfahren ein. Auch wegen der fehlenden
Schanklizenz, aber überwiegend wegen Tragens von Kleidungsstücken
des verbotenen Lables "Thor Steinar" und des Verwendens von
Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In einer Schreibmappe
fand die Polizei außerdem Blätter mit Nazi-Liedern und Hakenkreuzen.
Gegen den Besitzer wurde Anzeige wegen der Verbreitung von Propagandamitteln
erstattet. Die Mappe und eine CD mit rechtsextremistischer Musik wurden
beschlagnahmt, und das Lokal wurde wegen Fehlens der Schankgenehmigung
geschlossen.
"Die Aktion zeigt, dass wir uns von solchen Sachen nicht beeindrucken
lassen", sagte der Polizeisprecher. Mit "solchen Sachen"
sind besonders die Drohungen aus der rechten Szene gegen den Leiter der
Polizeidirektion 6, Michael Knape, gemeint (taz berichtete). Vor allem
die Baso wird verdächtigt, in letzter Zeit Knape mit Telefonanrufen
terrorisiert und Steckbriefe in seinem Wohngebiet aufgehängt zu haben.
Auch der Neonazi-Aufmarsch am Samstag vor einer Woche wurde von der Baso
organisiert.
Eine weitere Party am vergangen Wochenende sorgte unterdessen
für Verwirrung. Laut Polizei haben am Freitagabend mehrere vermummte
Personen die Fensterscheibe der Cocktailbar Morrison in Friedrichshain eingeworfen,
weil sie die Weihnachtsfeier einer Friedrichshainer Baufirma für eine
Nazi-Party hielten. Rund 30 Bauarbeiter hätten in der Kneipe friedlich
gefeiert, sagte eine Morrison-Angestellte der taz. "Das war eine ganz
harmlose Weihnachtsfeier. Die Jungs haben getrunken und Spaß gehabt."
Um Nazis habe es sich ganz sicher nicht gehandelt.
Aus Antifa-Kreisen war jedoch zu hören, dass es sich bei der Weihnachtsfeier
ganz eindeutig um ein Nazi-Treffen gehandelt habe. So sollen Gäste
der Feier auf der Straße laut "Sieg Heil!" und "Holt
euch die linken Schweine!" gerufen haben. Ein Polizeisprecher betonte
hingegen, dass es keinerlei Anzeichen für eine Neonazi-Veranstaltung
gegeben habe.
Konfliktscheu scheinen die Bauarbeiter auf jeden Fall nicht gewesen zu sein.
Nachdem die Scheibe eingeworfen wurde, sollen sich laut Polizei gleich "mehrere
Dutzend" der Partygäste eine Straßenschlacht mir rund 50
Vermummten geliefert haben. Auf den Internetseiten des alternativen Netzwerks
Indymedia heißt es, unter den Bauarbeitern sei unter anderem ein Mitglied
der rechtsextremen Kameradschaft Tor gewesen. "Angenommen, es war tatsächlich
die Feier einer Baufirma, dann scheint das eine Firma zu sein, die nur Nazis
beschäftigt", heißt es bei Indymedia
<<<
Presse
12.12.2004
Tagesspiegel
Linke stören Weihnachtsfeier mit Steinwürfen
Die Weihnachtsfeier einer Abrissfirma
in einer Friedrichshainer Bar ist am Freitagabend von einer Gruppe Linksextremer
gestört worden. Fünf Vermummte schmissen gegen 21 Uhr Steine
gegen die Fensterscheibe des Lokals "Morrison" in der Frankfurter
Allee. Rund 30 Partygäste stürmten daraufhin aus dem Lokal und
verfolgten die Angreifer. An der Rigaer Straße/Ecke Proskauer Straße
stießen rund 50 weitere Linke hinzu und bewarfen die Weihnachtsfeiergäste
mit Flaschen und Steinen. Als die Polizei kam, flüchteten die Angreifer.
Offenbar hatten die Linken gedacht, dass die Feiernden zur rechten Szene
gehören. Auf einer einschlägigen Internetseite heißt es:
"Es wird vermutet, dass sich im Hinterzimmer der Bar auch einige
hohe Kader der Naziszene aufgehalten haben."
<<<
Presse
04.12.2004
Neues Deutschland
Brennendes Auto als Antinazi-Protest?
Prozess gegen Sozialarbeiter Christian R., der NPD-Aufmarsch mit Flammen
aufhalten wollte
Politisch hat die Aktion nichts gebracht, der antifaschistische Protest
wurde diskreditiert - Erkenntnisse des 35-jährigen Sozialarbeiters
Christian R., der des schweren Landfriedensbruchs angeklagt ist und bei
einer Verurteilung mit einer empfindlichen Strafe rechnen muss.
Am 1. Mai war Christian auf der Straße, um sich dem Nazi-Aufmarsch
von Lichtenberg in die Innenstadt entgegenzustellen.
Der braune Trupp hatte das Demonstrationsrecht auf seiner Seite. Die Provokation
war genehmigt, und jeder, der sich den Neonazis in den Weg stellte, handelte
gesetzeswidrig, weil er eine legale Aktion behinderte. Die Polizei schob
die antifaschistischen Demonstranten vor sich her. Mal stürmte die
bewaffnete Staatsmacht im Laufschritt gegen die Demonstranten vor, dann
drückte die grüne Kette langsam den Widerstand zusammen oder
überschüttete ihn mit einer Kanonade aus Wasserwerfern. Hinter
dem Bahnhof Frankfurter Allee eskalierte die Lage. Pflastersteine wurden
herausgebrochen, Müllcontainer auf die Straße geschoben und
angezündet, schließlich ein Mercedes am Straßenrand umgekippt
und in Brand gesetzt.
Mit dabei auch Christian. Er war einem verdeckten Ermittler ins Visier
geraten. Und der ließ ihn keine Sekunde mehr aus den Augen, beorderte
ein Festnahmekommando herbei, dass dann Kilometer weiter entfernt unverhofft
zugriff. Zahlreiche Videoteams der Polizei filmten das Geschehen auf der
Frankfurter Allee. Kameras aus dem Hubschrauber, Kameras aus dem Wasserwerferturm,
Kameras hinter Autoschreiben - ein nahezu lückenloses filmisches
Dokumentarwerk von der Lichtenberger Brücke bis zum Frankfurter Tor
wurde so erstellt und Christian als zündelnder Täter in mehreren
Videos festgehalten.
Gestern wurden die Bilder vom 1. Mai im Gerichtssaal gezeigt. Trotz brennender
Container und dem umgestürzten Auto - die Szenen wirkten nicht übermäßig
gewalttätig. Keine Schlachten, keine Verletzten und keine Lage, die
außer Kontrolle zu geraten schien. Nach den Aufzeichnungen ein eher
harmloses Geschehen, die Stadt hat schon weit dramatischere Momente erlebt.
Viele standen rum, schauten neugierig zu oder bedienten sich am Inhalt
des Fahrzeugs. Zur Verantwortung gezogen wird nun Christian.
Was ihn bewogen haben könnte, Gewalt gegen ein Auto zu praktizieren
- ein fast alltäglicher Vorgang in Berlin - schilderte er gestern
in einer Erklärung. Danach hat er seit mehr als zwei Jahrzehnten
denkbar schlechte Erfahrungen mit Nazihorden gemacht. Ob nun in Fußballstadien
oder auf der Straße - prügelnde Rechtsradikale haben oft sein
Leben gekreuzt. Deshalb wollte er den Weitermarsch der Glatzköpfe
durch den Bau der Barrikaden verhindern, hoffte, dass die Polizei den
braunen Zug stoppen wird, wenn sie Flammen sehe.
Heute tut es ihm leid, dass er das Eigentum von Unbeteiligten beschädigt
hat. Es sei Betroffenen und Anwohnern kaum vermittelbar, dass man die
von Nazis ausgehende Gefahr abwenden wolle, in dem man ihr Eigentum mit
Feuer bedroht, sagt Christian. Ob das Gericht die Erkenntnis und das Eingeständnis
als mildernde Umstände anerkennen wird, bleibt bis zur Urteilsverkündung
abzuwarten.
<<< Presse
22.11.2004 Berliner Zeitung
Ausnahmezustand im Lichtenberger Kiez. Demonstrationen
legten Verkehr stundenlang lahm
Etwa 180 Neonazis standen am Sonnabend im Mittelpunkt. Wegen
ihnen gab es in Friedrichshain und Lichtenberg Verkehrschaos und einen
riesigen Polizeieinsatz. Die Rechtsextremisten veranstalteten nämlich
von 16 bis 19.30 Uhr einen Aufmarsch durch den Kiez südlich des Bahnhofs
Lichtenberg. Kurz zuvor demonstrierten linke Gruppen in Friedrichshain
zum alljährlichen Gedenken an den vor zwölf Jahren von Neonazis
erstochenen Punker Silvio Meier. Durch den rechten Aufmarsch motiviert,
waren dieses Mal nicht wie früher einige hundert Linke gekommen,
sondern rund1 000 Demonstranten.
Voneinander getrennt wurden die Linken und die Rechten durch 1 400 Polizisten.
"Durch den konsequenten Einsatz blieben größere Störungen
aus", sagte Polizeisprecher Uwe Kozelnik gestern. Damit die Linken
nicht zum Bahnhof Lichtenberg gelangen konnten, machte die Polizei die
Frankfurter Allee komplett dicht und sorgte damit für lange Staus.
Die Angst der Polizei, dass Linksautonome die Neonazi-Demo stören
könnten, war so groß, dass die S-Bahn auf Geheiß der
Sicherheitsbehörde ihre Züge auf den Bahnhöfen Lichtenberg
und Nöldnerplatz durchfahren ließ. Auch die BVG schloss ihre
U-Bahnhöfe Lichtenberg, Friedrichsfelde und Tierpark. Somit traten
verärgerte Fahrgäste, die eigentlich in Lichtenberg aussteigen
wollten, eine unfreiwillige Weiterreise bis nach Biesdorf-Süd an.
Entsprechende Lautsprecherhinweise des U-Bahn-Personals gab es erst später.
Ordner schickt Polizei los
Den Linken "die Symbole nehmen", das war auch dieses Mal wieder
die Absicht der rechten Demonstranten. Sie trugen Transparente im Antifa-Layout
mit Aufschriften wie "Fight the System". Aus ihren Lautsprechern
schallten deutschsprachige Bands wie "Die Ärzte" und "Mia",
die bislang von den Linken vereinnahmt waren.
Auch das Aufmarschgebiet der Rechten wurde von der Polizei hermetisch
abgeriegelt. Beamte forderten - oft in barschem Ton - jeden jugendlich
aussehenden Fußgänger auf, umzukehren. Und so scheiterten auch
jene Passanten, die vorgaben, einfach nur zu einer Party zu wollen, an
patzigen Wachtmeistern. 355 Platzverweise meldete die Polizei gestern
in ihrer Abschlussbilanz. Die Neonazis blieben weitgehend ungestört.
"Zivilgesellschaftlichen Protest", etwa durch Anwohner, gab
es fast nicht. Kurz besorgt waren einige Neonazis lediglich über
einen Pressefotografen, der Demonstranten abgelichtet hatte. Ein Ordner
der Rechten forderte deshalb einen Polizisten auf, den Presseausweis des
Fotografen zu kontrollieren, was der Beamte dann auch befolgte. Erstmals
hatten sich Veranstalter und Polizei im Vorfeld des Aufmarsches darauf
geeinigt, dass Polizeibeamte Fotografen kontrollieren würden. Damit
sollte verhindert werden, dass linke Antifa-Aktivisten Porträtfotos
von Neonazis anfertigen, um diese ins Internet zu stellen. Die Rechten
wiederum sicherten zu, dass ihre Ordner Fotografen in Ruhe lassen würden.
<<<
Presse
19.11.2004
Berliner Zeitung
"Silvio Meier war erst der Anfang"
Provokationen im Vorfeld einer linken Demonstration
Schon Tage vor der traditionellen
Silvio-Meier-Demo haben die Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und
Linken zugenommen. Am Samstagnachmittag planen linke Gruppen ihre Gedenkdemonstration
für den 1992 von Neonazis getöteten Punk Silvio Meier. In den
vergangenen Jahren hatten die Demonstranten die Straßen in Friedrichshain
und Lichtenberg weitgehend für sich allein, es war größtenteils
friedlich geblieben.
Doch dieses Mal eskaliert die Situation schon im Vorfeld: Die Demo sollte
vom U-Bahnhof Samariterstraße durch den Kiez südlich des Bahnhofs
Lichtenberg führen, weil dort bekannte Neonazis wohnen, wie es hieß.
Diese Pläne hat die rechte Kameradschaft "Berliner Alternative
Südost" durchkreuzt, indem sie selbst vom Bahnhof Lichtenberg
aus eine Demo anmeldete. Zwar hatten die Linken bereits angekündigt,
durch den vermeintlichen "Nazikiez" zu ziehen, dies aber erst
einige Stunden später als die Rechten der Polizei offiziell kundgetan.
Laut Versammlungsrecht darf demonstrieren, wer zuerst anmeldet. Also können
die Rechten nun unter dem Motto "Dem Antifa-Terror offensiv entgegentreten"
ab 16 Uhr im Zickzackkurs den Kiez östlich der Weitlingstraße
in Beschlag nehmen - dort, wo die Linken laufen wollten. Die sollen nach
dem Willen der Polizei vor dem Bahnhof Lichtenberg stoppen. "Wir
lassen uns nicht diktieren, wo wir unseren Protest auf die Straße
tragen", erklärte die "Antifaschistische Linke". Neonazis
haben derweil Laternenmasten der Umgebung mit Aufklebern versehen. Drauf
stehen Parolen wie "Silvio Meier war erst der Anfang", "Antifademos
kreativ begleiten" und auch Hetze gegen Juden. Aus Furcht, in der
S-Bahn von linksautonomen Straßenkämpfern angegriffen zu werden,
rufen die Rechten dazu auf, "in größeren Gruppen"
anzureisen.
<<<
Presse
8.11.2004 Morgenpost
Razzia bei Neonazis zieht mehrere Verfahren
nach sich
Während einer groß angelegten
Razzia gegen die rechte Szene in Friedrichshain sind am Sonnabend mehrere
Anzeigen geschrieben und ein Haftbefehl vollstreckt worden. Wie berichtet,
hatten 270 Beamte, darunter das Spezialeinsatzkommando (SEK), ein Lokal
an der Petersburger Straße gestürmt. Als das Großaufgebot
gegen 19 Uhr am Einsatzort eintraf, befanden sich 72 Männer und 25
Frauen in den Räumen. Bei ihnen handelte es sich überwiegend
um Angehörige der "Hammerskins" und der "Vandalen",
die den 10. Gründungstag der erstgenannten Gruppierung feiern wollten.
Laut Polizei verhielten sich die Rechtsextremen den Beamten gegenüber
zunächst aggressiv und gereizt, nach der Überprüfung aller
Personen wurde die Aktion gegen 21.35 Uhr beendet. Insgesamt wurden drei
Ermittlungsverfahren wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher
Organisationen eingeleitet. Gegen einen 28jährigen lag ein Haftbefehl
in anderer Sache vor.
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Presse
07.11.2004 Tagesspiegel
Zum Jahrestreffen der Skinheads rückte die
Polizei an.
250 Beamte bei einer Razzia am Sonnabend in Friedrichshain
im Einsatz
Die Feier der Neonazis hatte kaum
angefangen, da war sie schon wieder zu Ende. Um 19.30 Uhr stürmten
rund 250 Polizisten, darunter ein Spezialeinsatzkommando und Beamte des
Landeskriminalamts, die Kneipe "Happy Station" an der Petersburger
Straße in Friedrichshain. Dort hatten sich 97 Rechtsextremisten,
darunter 25 Frauen versammelt - zum Jahrestreffen der "Hammerskins".
Die Beamten überprüften die Personalien. Ein Haftbefehl wegen
einer offenen Geldstrafe wurde vollstreckt.
Der Wirt der Kneipe erklärte, die Skinheads wären wie normale
Gäste nach und nach in der Kneipe aufgetaucht. Die Polizei glaubt
der Darstellung indes nicht. Die Spezialeinheit PMS (Politisch motivierte
Straßengewalt) hatte beobachtet, wie sich das konspirative Treffen
anbahnte. Die Polizei stellte CDs mit rechtsextremen Liedern sicher, darunter
von Gruppen wie "Endlöser". Unter den Gästen, die
die Polizei überprüfte, waren viele einschlägig bekannte
Mitglieder der rechten Szene. Zum Beispiel Michael Regener, der im vergangenen
Jahr vom Kammergericht zu drei Jahren und vier Monaten wegen Rädelsführerschaft
in einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden ist. Das Urteil ist
jedoch noch nicht rechtskräftig. Regener, Ex-Sänger der braunen
Band "Landser" und Anführer der Neonazi-Gruppe "Vandalen",
ist erst kürzlich dem Berliner Landesverband der NPD beigetreten.
Alle Neonazis erhielten von der Polizei Platzverweise. Ein Skinhead bekam
eine Anzeige wegen des Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole. Ein Polizeisprecher
bewertete den Einsatz an Ort und Stelle als vollen Erfolg. Geleitet wurde
der Einsatz vom Chef der Direktion 6, Michael Knape.
Die "Hammerskins" gründeten sich 1986 in den USA. Ihr Symbol
sind zwei gekreuzte Zimmermanns-Hämmer. Ziel der Skin-Bewegung ist
es, alle weißen, nationalen Kräfte zu vereinen. Sie sind vor
allem in der rechten Musikszene vertreten. In Berlin und Brandenburg entstanden
1991 die ersten Hammerskin-Sektionen in Deutschland. Fan
<<<
Presse
31.10.2004
Morgenpost
Zivilcourage führt zu zwei Festnahmen
Mit vereinten Kräften haben drei
Männer einen 22jährigen überwältigt, der am Donnerstag
in einer Straßenbahn der Linie 20 zunächst durch rechtsradikale
Parolen und dann durch Handgreiflichkeiten aufgefallen war. Das teilte
die Polizei gestern mit. Der Mann aus Friedrichshain hatte gegen 18.10
Uhr in der Straßenbahn mehrmals "Sieg heil" gerufen. Kurz
darauf beschimpfte er einen Fahrgast aus Mosambik mit rassistischen Sprüchen
und versuchte, ihn zu schlagen. Als ihn ein 26jähriger aus Friedrichshain
bat, zur Seite zu treten und den Ausgang freizumachen, wurde auch er von
dem 22jährigen attackiert. Sowohl der Mosambikaner (34) als auch
der 26jährige konnten den Schlägen ausweichen. An der Haltestelle
Warschauer Straße in Friedrichshain verließen sowohl die beiden
Angegriffenen als auch der Täter die Straßenbahn. Gemeinsam
mit einem 36 Jahre alten Zeugen konnten sie den Täter überwältigen
und bis zum Eintreffen der Polizei festhalten. Nach unbestätigten
Informationen soll es sich bei dem 22jährigen um einen Angehörigen
der Bundeswehr handeln, der allerdings nicht in Uniform unterwegs war.
Der Polizeiliche Staatsschutz hat zu der fremdenfeindlichen Tat die Ermittlungen
übernommen. Ein weiterer Fall von Zivilcourage hat gestern Mittag
in Spandau zur Festnahme eines Straftäters geführt. Ein Radfahrer
beobachtete, wie ein Räuber gegen 12.40 Uhr einer 89jährigen
in der Betckestraße die Handtasche entriß. Der 27 Jahre alte
Zeuge nahm die Verfolgung des Täters auf. Der flüchtende Räuber
zog zwischenzeitlich die Jacke aus, um nicht mit der Personenbeschreibung
vom Tatort übereinzustimmen und so seine Identifizierung zu erschweren.
Die erbeutete Handtasche warf er in ein Gebüsch. In der Klosterstraße
holte der Radfahrer den 24jährigen ein. Er konnte ihn bis zum Eintreffen
der Polizei festhalten. Der Räuber soll heute einem Haftrichter vorgeführt
werden. Die Rentnerin erlitt bei einen Schock, blieb ansonsten aber unverletzt.
<<< Presse
29.10.2004 Neues Deutschland
Schuldspruch vor Prozessbeginn?
Verfahren gegen Demonstranten, der sich am 1. Mai Neonazis
in den Weg stellte, wurde vertagt
Die Berliner Gerichte und die Polizei haben gegen jene,
die sie als Krawallmacher vom 1. Mai einordnen, eine schärfere Gangart
eingelegt. Dabei unterscheiden sie nicht nach Aktionen gegen Neonazis
oder Tätern, die sich im Alkoholrausch austoben wollen.
Der 35jährige Sozialarbeiter Johann Christian S. gehörte zu
jenen, die sich am 1. Mai den Neonazis am Bahnhof Lichtenberg in den Weg
stellten. Die Nazis zogen in Richtung Innenstadt, die Polizei hatte den
Auftrag, den ungehinderten Vorbeimarsch der braunen Streitmacht zu sichern.
Gegen 16 Uhr eskalierte die Situation, die Polizei war nicht zimperlich,
kesselte Demonstranten ein, drängte sie ab, stürmte auf sie
zu und versuchte, die Gegendemonstranten auseinander zu treiben. In dieser
aufgeheizten Situation wurden Barrikaden errichtet, Container auf die
Straße geschoben und angezündet, ein Mercedes umgekippt und
in Brand gesetzt.
Johann Christian wurde noch am Abend verhaftet und saß bis gestern
in Untersuchungshaft. Er soll laut Anklage derjenige gewesen sein, der
- vermummt - aus einer Gruppe heraus an der Feuerteufelei beteiligt war.
Ob es so war, darüber konnte am gestrigen ersten Verhandlungstag
vor dem Amtsgericht Tiergarten nicht entschieden werden - im Gerichtssaal
ein sichtlich aggressiver Amtsrichter und eine Verteidigung, die mit Anträgen
für die Unterbrechung des Verfahrens sorgt, nachdem ein Befangenheitsantrag
gegen den Richter durch ihn selbst abgelehnt worden war.
In jedem Gerichtsverfahren gilt zunächst für die Angeklagten
die Unschuldsvermutung. Doch für den Amtsrichter scheint es schon
eine ziemlich klare Sache zu sein. Zwar sprach er nur von einem dringendem
Tatverdacht, doch schrieb er in einem Papier von "abgeurteilten Taten"
statt von "abzuurteilenden Taten".
Mit anderen Worten: Für ihn ist die Schuldfrage schon geklärt,
obwohl überhaupt noch keine Beweisaufnahme stattgefunden hat. Wie
im Gerichtssaal verlautete, strebt die Staatsanwaltschaft eine radikale
Strafe von bis zu vier Jahren Haft an. Das wäre schon ein einmaliger
Fall - vorausgesetzt, die Vorwürfe erweisen sich im Verfahren als
richtig -, dass eine Straftat gegen Sachen und nicht gegen Personen mit
solcher Härte verfolgt wird. Manch ein Totschläger findet in
Berlin bei den Richtern ein milderes Urteil.
Das Gericht vertagte sich, Johann Christian wurde aus der U-Haft mit strengen
Auflagen wie für einen Schwerverbrecher entlassen.
Abgesehen vom Sinn oder Unsinn brennender Müllcontainer, abgesehen
davon, dass solche Aktionen möglicherweise den Neonazis mehr dienen
als schaden, so bleibt doch die Frage, die das Gericht nicht beantworten
kann: Der Kanzler hat die Bürger zum mutigen Widerstand gegen neonazistische
Umtriebe aufgerufen. Wie aber soll ein Aufstand der Anständigen aussehen?
Wie soll man einen Aufstand gesetzeskonform durchführen, pflegeleicht
für alle Nazis? Die Politik ist darauf eine Antwort schuldig geblieben.
<<<
Presse
11.08.2004
Jungle World
Multikulti
auf Deutsch
Wenn über eine halbe Million Menschen
kommt, dann muss es sich um ein ganz besonderes Volksfest handeln. Oder
eben eines, das besonders viele Leute anspricht. Es sollte in Deutschland
also unbedingt deutsche Leitkultur anbieten. So dachten sich vermutlich
vor acht Jahren die Erfinder der Berliner Biermeile und fügten zusammen,
was des Deutschen Herz begehrt: Bier, Bier, Bier und ein paar Bratwürste.
Das allein wäre noch nicht schlimm. Doch leider sind jene Menschen,
die mit dieser Ausstattung ein "prima Wochenende" zu verleben
wissen, ein ganz eigener Schlag. Sie heißen Horst. Und es kommen
wahrlich alle Horsts der Region zur Biermeile in Friedrichshain zusammen.
Eine Mischung aus Nazis, Ballermann und Hertha-Fankurve. Hmmm, lecker.
Wer noch kein Antideutscher war, hier kann er's lernen.
Und wer sich schon immer gefragt hat, was gruseliger
ist, besoffene Hooligans oder besoffene Brandenburger Landjugend, stiernackige
Fleischklöpse oder bierbäuchige Spießer, der wird unter
Umständen feststellen, dass man auch alles in einem sein kann, zumindest
als ideeller Gesamtbiermeilenbesucher. Diese charmante Gesellschaft also
drängelte sich am vergangenen Wochenende zunehmend alkoholisiert und
bei steigendem Adrenalinspiegel durch die unzähligen Schaustellerstände,
um sich - was dringend notwendig erscheint - fortzubilden. Ihr Wissensdurst
galt jedoch ausschließlich jener Droge, an der jedes Jahr in Deutschland
40 000 Menschen sterben. Ein Volksauflauf von Süchtigen auf der Suche
nach dem neuen Kick. Bier aus aller Herren Länder. Afrikanisches, tschechisches,
chinesisches und finnisches Bier, mit Kirsch-, Bananen- oder Zitrus-Geschmack.
Über 1 700 Biersorten aus 80 Staaten. Das ist Multikulti auf Deutsch!
Und nirgends ein Zelt der Drogenberatung oder ein Infostand der Anonymen
Alkoholiker. Diesmal gab es erstmals eine Kundgebung gegen diesen
lebendig gewordenen Alptraum. Antifas aus dem Bezirk hatten ihn organisiert,
weil sich in den letzten Jahren auch zahlreiche organisierte Faschos auf
der Biermeile versammelt hatten. Und so standen rund 200 Linke in respektvollem
Abstand zu dem Besäufnis auf der anderen Seite einer großen Kreuzung
an der Karl-Marx-Allee (sic!) und ließen verlauten: "Unser Spaß
sieht anders aus." Auf keinen Fall habe man antihedonistisch wirken
wollen, versicherten die Veranstalter. Doch die eingeladene Live-Band Egotronic
sagte ab, weil ihnen der Szeneknatsch auf die Nerven ging, den es um ihre
Einladung gegeben hatte, weil sie als Antideutsche gelten. So viel zum Thema
Spaß in der deutschen Linken
Da erfreut es einen dann umso
mehr, wenn es Leute schaffen, die in jeder Hinsicht ganze Wahrheit des Tages
in nur vier Worten auf ein Transparent zu bannen: "Gegen das deutsche
Reinheitsgebot!" (Kompliment!) <<<
Presse
09.08.2004 TAZ
Wo Rechte Bier und Met saufen sollen
Beim "Internationalen Bierfestival" an der
Karl-Marx-Allee, sagen Antifas, gab es einen Stand für Neonazis.
Nur wo?
Die "Antifa Friedrichshain"
brachte es an den Tag: Auf dem "8. Internationalen Berliner Bierfestival"
an der Karl-Marx-Allee, wo rund 600.000 Normalos biertrinkender Weise
gezählt worden seien, gebe es auch in diesem Jahr wieder einen "Anlaufpunkt
für organisierte Berliner Neonazis". Hieß der Stand der
Faschos auf dem laut Eigenwerbung "längsten Biergarten der Welt"
in den vergangenen Jahren passend "Odinstrunk", sei er in diesem
Jahr unter dem Namen "Imkerei Schwaßmann" anzutreffen,
und zwar nahe dem Stand "Preußenpils". Imkerei wegen Met
und Germanen - alles klar?
Die Präsenta GmbH, die das Festival mit mehr als 240 Brauern aus
80 Ländern organisiert, betont dagegen, dass die Imkerei Schwaßmann
dieses Jahr "aus den besagten Gründen" nicht dabei ist,
wie ihr Geschäftsführer Lothar Grasnick sagt. Die Imkerei und
der "Odinstrunk" seien in den vergangenen Jahren "immer
wieder Stein des Anstoßes" gewesen. Mit Biertrinkern, die offenkundig
solche politische Einstellung gehabt hätten, habe es in den vergangenen
Jahren an den genannten Ständen immer wieder mal Rangeleien gegeben,
so Grasnick. Deshalb habe man die Geschäftsbeziehung mit der Imkerei
beendet.
Die "Antifa Friedrichshain" aber wollte dem nicht glauben. "Diese
Jungnazis lassen kein Besäufnis aus, wenn es darum geht, sich ihre
Mädelgruppe schönzutrinken", lästerte man in "indymedia".
Zum "Biermeile smashen!" wurde aufgerufen. Am Samstag gab es
eine kleine Demonstration gegen die Biermeile unter dem Motto: "Alltagsrassismus,
Saufgelage und Chauvinismus. Unser Spaß sieht anders aus!"
Am Freitag, so die Information aus Antifa-Kreisen, habe es den "Honigbier-Stand"
noch gegeben. Dann aber habe man zuerst den Namen "Schwaßmann",
dann den ganzen Stand hinter Planen verschwinden lassen.
Also was jetzt: Gibt
es den Nazi-Stand oder nicht?
Die Recherche vor Ort ist trotz vieler bierselig-roter Gesichter ernüchternd.
Bier aus Saigon, Met an der "Luther-Schänke" mit einer
Kellnerin in knappem Nonnendress. Doch da: drei Jungmänner mit zumindest
sehr kurzen Haaren. Ein "Fighting-Back"-T-Shirt schmückt
den breitesten der drei, auf dem Hemd eines anderen mit Glatze ist die
Karikatur eines Skinheads mit überdimensionalem Oberkörper zu
sehen. Darunter der Spruch: "Wir machen auch Hausbesuche". Wo
gehen sie hin? Führen sie den Weg zur "Imkerei"/zu Odin?
Die drei Kameraden laufen entspannt über die Biermeile. Keine Schlägerei
an den Vietnamesen-Ständen. Kein Anhalten am Stand der Brauerei "Ritter
Kahlbutz", der "erotisches Bier" anpreist. Nur eine kurze
Augenflirterei mit kurz berockten Mädels vom "Dingslebener"
Stand.
Da, kurz vor dem Ende der Meile, halten sie dann doch, lassen sich drei
Bier am Ausschank vom "Neuzeller Klosterbräu" ausschenken.
Sie trinken Bier. Sie trinken immer noch. Nichts passiert. Ein paar Minuten
später nähert sich ein Glatzkopf von "Ultima Thule",
offenbar ein Fußball-Fanclub, dem gleichen Stand. Er lässt
sich von einer Hübschen die Glatze kraulen. Dann holt auch er sich
ein Bier. Und trinkt. Und nimmt wieder einen Schluck. Tja. Sind die Mönche
jetzt Nazis?
Die Kellner von der Klosterbrauerei haben keine Mönchskutten an -
ist das verdächtig? Ein Mitarbeiter der Brauerei trägt ein schwarzes
T-Shirt: "Give beer a chance", steht darauf. Ist das nun ein
brauner Code? So was wie "Lonsdale" oder "18"? Die
Rechten trinken weiter. Ihr Bier. Die Klosterbrauerei gibt es seit 1589.
Auch ein Code?
Ach, was solls?! Abbruch der Recherche. Bier trinkende Rechte zu beobachten
ist wenig informativ. Lass sie saufen, die Nazis!
PHILIPP
GESSLER
Leserbrief zu: Wo Rechte Bier und Met
saufen sollen
Lieber PHILIPP GESSLER,
In ihrem pointierten Artikel behaupten Sie indirekt, dass die Antifa Friedrichshain
die Bedrohung durch rechtsextreme Übergriffe auf dem "Berliner
Bierfestival" nur herbeirede und dass sich ein Treffpunkt von Neonazis
von Ihnen nicht ausmachen ließ. Auch wenn sich ein Treffpunkt nicht
so wie in den letzten Jahren genau lokalisieren ließ, waren dennoch
viele Neonazis und biertrinkende Normalbürger mit rassistischen Ressentiment
auf der "Biermeile", was wir nicht zuletzt bei unserer Kundgebung
am Samstag mit dem Motto"Alltagsrassismus, Saufgelage und Chauvinismus..
Unser Spaß sieht anders aus!" durch ständige Pöbeleien
der Festivalbesucher unmissverständlich mitbekamen. In Ihrem Artikel
fordern Sie "Lass sie saufen, die Nazis!". In Anbetracht der
Auswirkungen von rechten und rechtsextremen Denk- und Verhaltensweisen,
die sich bundesweit immer wieder in grausamen Gewalttaten zeitigen, ist
die Aussage Ihres Artikel wohl dem geschuldet, dass Sie nicht zur potentiellen
Opfergruppe von Nazis gehören und Ihnen egal ist was der alkoholisierte
Nazi neben Ihnen nach dem Fest so alles anstellt. Da wir nun aber diese
Entwickling nicht nur am Samstag sondern seit fünf Jahren beobachten
lautet unsere Forderung: Null Toleranz für Nazis. Nirgendwo!
"Ultima Thule", ist übrigens
kein Fußball-Fanclub, wie von Ihnen vermutet, sondern ein schwedisches
Rechtsrock-Label, dass die gleichnamige Rechtsrockband verlegt und von
der Klamottenmarke "Thor Steinar", die fast ausschließlich
von Neonazis getragen wird, als Label verwendet wird (mehr dazu unter:
www.stop-thorsteinar.de.vu).
Auf unserer Internetseite www.antifa-fh.de.vu ist eine Chronik von rechtsextremen
Übergriffen auf der Biermeile in den letzten Jahren.
Markus Roth, Antifa Friedrichshain
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Presse
09.08.2004 Berliner Zeitung
Nicht
nur kühles Blondes
Einen Besucherrekord gab es beim 8. Berliner
Bierfestival: Mehr als 6 000 Gäste besuchten von Freitag bis Sonntag
die Meile auf der Karl-Marx-Allee. Dort gab es nicht nur kühles Blondes,
sondern auch Schwarzbier und verschiedene Mischungen. 1 700 Sorten aus
80 Ländern wurden angeboten, 240 Brauereien waren vertreten. Das
Fest verlief störungsfrei. Zuvor hatte die Antifa Friedrichshain
eine Gefährdung ausländischer Besucher durch Neonazis befürchtet.
Die Polizei hatte deshalb zwei Hundertschaften im Einsatz.
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Presse
07.08.2004 Berliner Zeitung
Stammtisch unter Polizeischutz
Zwei Hundertschaften sollen Randale beim Bierfest
verhindern
Auf den ersten Blick ist alles wie immer:
Auf zwei Kilometern entlang der Karl-Marx-Allee haben Brauer aus vielen
Ländern Stände aufgebaut und bieten ihre Produkte an. Für
ein Wochenende gilt die Meile als längster Biergarten der Welt, 500.000
Besucher werden erwartet, Touristen reisen extra aus dem Bundesgebiet
an. Doch etwas ist besonders bei diesjährigen, 8. Internationalen
Berliner Bierfestival: die hohe Polizeipräsenz. Schon zur Eröffnung
am Freitagnachmittag patroulierten mehr Beamte als sonst übers Festgelände.
"Wir haben zwei Hundertschafften im Einsatz, das sind doppelt so
viele Polizisten wie in den Vorjahren", sagt Thomas Stapel, Polizeihauptkommissar
vom Abschnitt 58. Auch Zivilbeamte und Mitarbeiter der Abteilung Politisch
motivierte Kriminalität sowie ein Mobiles Einsatzkommando sind im
Einsatz. Der Grund: In den vergangenen Jahren waren vermehrt Rechtsradikale
aufgetaucht. Immer wieder kam es zu Pöbeleien und Schlägereien
von Hooligans, Flaschen wurden auf Polizisten geworfen, die dagegen einschritten.
Mehrere Menschen wurden festgenommen. Es habe so viele Verstöße
wegen Landfriedensbruch gegeben, dass die Beamten mit der Arbeit nicht
nachgekommen seien, sagte ein Polizist am Freitag. Und: "Unsere Kräfte
reichten nicht aus, deshalb haben wir in diesem Jahr mehr Personal im
Einsatz."
Treffpunkt der Rechten war der Bierstand "Germanenzug" an dem
es die Sorte "Odin-Trunk" zu kaufen gab. "Es wurde auch
der Hitlergruß gezeigt und laut "Heil Hitler" gerufen",
sagte Polizeihauptkommissar Stapel. Der Geschäftsführer des
Biermeilen-Veranstalters Präsenta, Lothar Grasnick, hart reagiert:
"Den Germanenzug mit dem Odin-Trunk gibt es in diesem Jahr nicht",
sagt er.
Vor allem gegen Ausländer und Linke würden sich Aggressionen
rechtsgerichteter Festbesucher richten, befürchtet die Antifa Friedrichshain.
"Mit der Biermeile wird der als alternativ geltende Stadtbezirk zu
einer Gefahrenzone", fürchtet der Antifa-Sprecher Markus Roth.
Denn: "Otto Normalverbraucher betrinkt sich ohne Scheu gemeinsam
mit braunen Kameraden."
Darum rufen die Antifa und die linke Gruppe Schönerfriedrichshain
zu einer Gegenveranstaltung auf. Unter dem Motto "Unser Spaß
sieht anders aus", wollen sich die Organisatoren am Sonnabend von
16 bis 21 Uhr am Frankfurter Tor zu einer Kundgebung versammeln und gegen
Alltagsrassismus, Saufgelage und Chauvinismus" demonstrieren. Sie
wollen auch Flugblätter entlang der Biermeile verteilen und die Besucher
über rechte Gruppierungen und Kameradschaften informieren. "Wir
haben nichts gegen Bier, aber dagegen, dass Linke und Ausländer auf
der Meile angepöbelt und geschlagen werden", sagt Markus Roth.
Gegen Durst auch Wasser trinken
Die Polizei befürchtet nicht, dass es während
der Kundgebung zu Ausschreitungen kommt. Ob das Bierfestival generell
friedlich bleibt, sei aber auch stark vom Wetter abhängig, sagt Polizeikommissar
Stapel. "Ist es brütend heiß, reagieren manche Besucher
aggressiver als sonst und gehen schnell aufeinander los." Für
das Wochenende sind Temperaturen um 30 Grad Celsius angekündigt.
"Da sollten die Festivalgäste weniger Bier trinken als gewöhnlich
und zwischendurch auch mal Mineralwasser zu sich nehmen", rät
der Arzt Klaus Albrecht von der Rettungsstelle im Klinikum im Friedrichahin.
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Presse
01.08.2004 Neues Deutschland
Angstfreier Raum ohne Reinheitsgebot
Stefanie Tupotzkick vom antifaschistischen Bündnis
"Schöner Friedrichshain zur "Biermeile"
Zum achten Mal findet vom 6. bis 8. August
das "Internationale Bierfestival" auf der Karl-Marx-Allee in
Friedrichshain statt. Wieder werden hunderttausende Besucher erwartet.
Nach Angaben lokaler antifaschistischer Gruppen kam es in Vergangenheit
immer wieder zu gewlttätigen Übergriffen. In diesem Jahr wollen
die Initiativen ein Alternativprogramm anbieten. ND sprach mit Stefanie
Tupotzik vom antifaschistischen Bündnis "Schönerfriedrichshain".
Was ist der Hintergrund
für ihr Alternativprogramm?
In den vergangen Jahren hat es unter der Bierfahne immer wieder Übergriffe
auf alternative Jugendliche, Migranten oder solche Menschen gegeben, die
dafür gehalten werden. Auf der und um die Biermeile herum sorgen
Neonazis und betrunkene deutsche Familienväter immer wieder dafür,
dass ein Angstraum entsteht. Diesen wollen wir aufbrechen, wir werden
nicht zulassen, dass Rasissten und Antisemiten eine No-Go-Area für
alle die errichten, die nicht in ihre beschränkte Zigarrenkistenwelt
passen.
Wieseo bieten Sie auch eine Art Volksfest an? Wären
nicht andere Aktionsformen erfolgversprechender?
Wieso kein Volksfest? Es gibt sogar Live-Musik. Es spielen Kissing Link
und Egotronic. Was wir anbieten wollen, ist ein angstfreier Raum ohne Reinheitsgebot.
Im Ernst. Es geht uns darum, deutlich zu machen, dass auf dem Bierfestival
Neonazis in der letzten Jahren sowohl vom Betreiber als auch von den sich
dort Betrinkenden geduldet wurden. Wir wollen allerdings ein schönes
Friedrichshain, frei von hässlichen Neonazis. Deshalb werden wir nicht
zusehen, wie sie eute anpöbeln oder körperlich angreifen.
Wie steht es
um den weltoffenen Charakter der Biermeile? Ist der Realität?
Die Weltoffenheit der Biermeile besteht doch lediglich in der internationalen
Auswahl der feilgebotenen Biersorten. Sie können dort ja mal als
Lesbe, als Farbiger oder mit bunten Haaren langgehen - die einen werden
Sie nur komisch ansehen, die dummen Neonazis werden machen, was ihnen
gut steht: Affengeräusche.
Und warum kritisieren
Sie den multikulturellen Konsens in ihrem Aufruf?
Nun, eine beliebte Gegenstrategie gegen Deutschtum ist, die "Buntheit"
der "Ausländer" zu betonen. Das romantisiert aber andere
Kulturen, wie auf dem Karneval der Kulturen. Dort tanzt man im Rhythmus
afrikanischer Musik, aber ansonsten hat man kein Problem mit der folgenlosigkeit
rassistischer Übergriffe für die Täter oder mit Massenabschiebungen.
Diesen gutgemeinten, aber letztlich repressiven multikulturellen Konsens
wollen wir auch kritisieren.
Wie sieht Ihr Spaß
aus?
Wir laden abends nach Kundgebung und Konzert zu unserer Aftershowparty
ein. Dort wird unser Spaß praktisch werden: vielfältig, kreativ,
ausgelassen. Einfach nur am Biertresen stehen und seine Männlichkeit
dadurch zu beweisen , viel Gerstensaft in kurzer Zeit schlucken zu können,
ist unsere Sache nicht.
Alternative Kundgebung "Unser Spaß
sieht anders aus!" am Sonnabend, 7.8., ab 16 Uhr, am Frankfurter
Tor
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Presse
Berliner
Zeitung 07.06.2004
Polizei beendet Nazi-Konzert in Lichtenberg
Verurteilter Landser-Sänger wieder auf der Bühne
Andreas Kopietz
Etwa 160 Polizisten haben am Sonnabend in
Lichtenberg ein Konzert von Neonazi-Bands beendet. Auf dem Gelände
einer Autowerkstatt, die dem früheren NPD-Kreisvorsitzenden Albrecht
Reither gehört, waren die Band "Spreegeschwader" und der
ehemalige Sänger der "Landser", Michael Regener, aufgetreten.
Die Polizisten, die von einem Spezialeinsatzkommando (SEK) unterstützt
worden seien, hätten ewa 60 Personen überprüft, teilte
eine Polizeisprecherin mit.
Der 38-jährige Michael Regener, alias "Lunikoff", ist für
die Polizei kein Unbekannter. Den Frontmann der Band "Landser"
verurteilte das Kammergericht im Dezember zu drei Jahren und vier Monaten
Haft. Seine Band wurde als kriminelle Vereinigung eingestuft. Seitdem
wird Regener in der rechten Szene als Held gefeiert, die Schwarzmarktpreise
für Landser-CDs schossen in die Höhe. Seine Haft musste Regener
noch nicht antreten, weil er gegen das Urteil Revision einlegte.
Somit hat er Zeit, in der Szene für seine CD "Die Lunikoff-Verschwörung"
zu werben. Er produzierte sie während der Zeit des Prozesses im vergangenen
Herbst. Die Texte ließ er von Anwälten auf Strafbarkeit prüfen.
Und so hetzte "Lunikoff", begleitet von "Spreegeschwader",
am Sonnabend nicht wie sonst gegen "Nigger" und "Türkenschweine"
sondern bot Texte dar wie: "Deutscher Soldat, treuer Kamerad..."
oder "Wir saufen uns heute tot". SEK und Schutzpolizisten konnten
deshalb nicht viel ausrichten: Sie schrieben zwei Anzeigen wegen Verwendung
verfassungswidriger Kennzeichen, eine wegen Beleidigung eines Beamten
und eine gegen den Werkstatt-Besitzer. Dieser hatte unerlaubt ein Fass
Altöl herumstehen lassen.
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Presse
19.05.2004 TAZ
Wehret den Bollerwagen
Vatertag in Friedrichshain
Ein linkes Bündnis protestiert gegen die Vereinnahmung
des Vatertags durch Neonazis. Denn in den vergangenen Jahren kam es wiederholt
zur Allianz betrunkener Familienväter und grölender Rechter
Morgen ist Christi Himmelfahrt, Feier-
und Vatertag. Landauf- und abwärts ziehen fröhliche Herren und
ausgelassene Familienväter durch Wälder, über Wiesen und
am Ende des Tages auch durch die Kneipen. Was für so manch einen
Bierpächter zum umsatzstärksten Abend wird, endet für viele
Väter nach stundenlangen Bierorgien mit Hitzeschlag und Brummschädel.
Das ist die harmlose Variante. Nicht so harmlos ist es, wenn es zur Allianz
besoffener Familienväter und grölender Neonazis kommt. So geschehen
an manchem Vatertag der vergangenen Jahre insbesondere im Ostteil der
Stadt. So kam es auch in den Bezirken Friedrichshain und Lichtenberg wiederholt
zu Vorfällen mit glatzköpfigen Skins, die Behinderte anpöbelten,
Frauen bedrohten und Migranten schikanierten - und das zum Teil unter
dem tosenden Beifall besoffener Familienväter.
Damit der Feiertag nicht wirklich zum Himmelfahrtstag wird, ruft eine
linke Initiative zu einer Kundgebung mit anschließendem Picknick
auf. "Angsträume beseitigen! Chauvinismus entgegentreten! Den
Nazis ins Bier spucken!", so das Motto. Am auch Herrentag genannten
Vatertag könnten sich die "rassistischen und sexistischen Tendenzen
entladen, denn da ist Vater richtig frei", schreiben die Herrentags-Gegner
in ihrem Aufruf, der unter www.schoenerfriedrichshain.de im Internet zu
lesen ist. Weiter heißt es: "Auch in Friedrichshain werden
sie [die Neonazis] herumwanken und allen Nichtdeutschen, Nichtweißen
und Nichtmännern das Leben zur Hölle machen."
In der Tat häufen sich in den linksalternativen Kiezen von Friedrichshain
auch an anderen Tagen im Jahr die rechtsextrem motivierten Übergriffe.
So zum Beispiel im Februar, als vier Neonazis zwei junge Männer am
U-Bahnhof Frankfurter Tor krankenhausreif schlugen. Herumgesprochen hat
sich im Kiez auch, dass sich auf der so genannten Biermeile auf der Karl-Marx-Allee
immer wieder stadtbekannte Nazikader sammeln und anschließend pöbelnd
durch die Straßen ziehen. Und am U-Bahnhof Frankfurter Tor kommt
es in letzter Zeit immer wieder zu Nazi-Schmierereien.
Die Kundgebung "gegen Chauvinismus" und für "angstfreie
Räume" soll morgen um 14 Uhr am Petersburger Platz beginnen.
Nur den Aufruf "den Nazis ins Bier zu spucken" sollte man nicht
zu wörtlich nehmen. Das hat nämlich wirklich nichts mit Mutproben
zu tun, sondern ist schlicht und einfach ekelig.
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Presse
02.05.2004 Morgenpost
Randale bei NPD-Demo
Ausschreitungen überschatten Protestzug
in Lichtenberg - 55 Festnahmen
Harte Auseinandersetzungen haben gestern Nachmittag
die Demonstration der NPD in Lichtenberg überschattet. Etwa 2300
Anhänger der rechtsextremistischen Partei hatten sich vom Bahnhof
Lichtenberg in Richtung Innenstadt bewegt. Die Veranstalter hatten mit
weit mehr als 2500 Teilnehmern gerechnet. Nachdem der NPD-Zug gegen 16
Uhr aufgebrochen war und auf die Frankfurter Allee marschierte, kam es
auf Höhe der Petersburger Straße zu schweren Unruhen: 150 bis
700 Autonome und zum Teil vermummte Störer zerrten Müllcontainer
auf die Fahrbahn, errichteten Barrikaden und steckten sie in Brand. Zuvor
war gegen 12 Uhr die offizielle Gegendemonstration mit 2500 Teilnehmern
am Boxhagener Platz von den Veranstaltern wegen Ausschreitungen abgebrochen
worden.
Nun wurden einschreitende Polizeikräfte erneut mit Steinen beworfen.
Wasserwerfer wurden eingesetzt, um die Flammen zu löschen und die
Randalierer auseinander zu treiben. Gegen 17.30 Uhr eskalierte die Situation:
Autonome erklommen ein Häuserdach an der Frankfurter Allee und legten
dort Depots von Pflastersteinen an. Der Einsatzleiter der Polizei konstatierte
Gefahr für Leib und Leben von Demonstranten und unbeteiligten Passanten
und beorderte umgehend das Spezialeinsatzkommando (SEK) in das Einsatzgebiet,
um das Dach räumen zu lassen. Ein junger Mann erlitt schwere Verletzungen,
als er offenbar von einem Einsatzwagen der Polizei angefahren wurde. Auch
zwei Polizisten wurden verletzt. Autonome errichteten immer wieder in
kleinen Gruppen an verschiedenen Orten Barrikaden. Bis zum frühen
Abend wurden 55 Personen festgenommen, darunter neun, weil sie verfassungswidrige
Kennzeichen verwendet hatten. 17 erhielten Platzverweise, die bis heute
morgen galten. Der Abmarsch des NPD-Aufzuges hatte sich am Mittag um fünf
Stunden verzögert, weil es bereits zu Auseinandersetzungen zwischen
linken Gegendemonstranten und der Polizei kam. Die Beamten mussten den
Weg für die angemeldete und genehmigte Demonstrations-Route frei
räumen. Autonome, aber auch Bürger mit Kinderwagen stellten
sich den Rechten mehrfach in den Weg. Schließlich konnte die NPD
nicht auf der angemeldeten Route weiterlaufen, sondern musste gegen 18.30
Uhr an der Möllendorffstraße umdrehen und zum Bahnhof Lichtenberg
zurück ziehen, wie Polizeisprecherin Peggy Rienow sagte. Die Neonazis
hatten zunächst triumphiert, weil das Oberverwaltungsgericht am Freitagabend
Auflagen zur Demonstration gelockert hatte.
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Presse
20.04.2004 Tagesspiegel
Terrorzelle oder Spinnertruppe?
Rätselraten nach dem Polizeieinsatz gegen die
Möchtegern-Wehrsportgruppe "Kameradschaft Nordland"
Sie kostümierten sich als Wehrsportgruppe
und gaben sich einen martialischen Namen: Die "Kameradschaft Nordland"
hat vom Vierten Reich geträumt, mit einer Neuauflage der Waffen-SS
und weiterem Nazi-Brimborium. Am vergangenen Wochenende machten Berliner
Polizisten dem Mummenschanz in einem Brandenburger Waldstück erst
einmal ein Ende. Doch es ist unklar, wie gefährlich der Neonazitrupp
war - oder noch werden könnte. Bis auf einen Rechtsextremisten, der
einen Mann zusammengeschlagen haben soll, wurde keiner der vorläufig
Festgenommenen dem Haftrichter vorgeführt.
Das Landeskriminalamt hatte bei seinen mehrmonatigen, aufwändigen
Ermittlungen Hinweise erhalten, die Kameradschaft verfüge über
Waffen. Außerdem gelten die Mitglieder als fanatisch und gewaltbereit.
Zu den sieben Festgenommenen zählt beispielsweise der ehemalige Kroatien-Söldner
Eckart B. Anfang der neunziger Jahre waren vermutlich rund 100 deutsche
Neonazis auf den Balkan gereist, um im jugoslawischen Bürgerkrieg
mitzumischen. Sicherheitsexperten bezweifeln jedoch, dass B. Kampferfahrung
gesammelt hat. Die meisten Neonazis seien den Grausamkeiten des Krieges
nervlich nicht gewachsen gewesen, heißt es. Dass B. und die Kameradschaft
Nordland nun aufrüsten, wird bezweifelt. "Eine Terrorzelle ist
das nicht", sagt ein Experte. Fraglich bleibt aber, wo die vermuteten
Waffen sind. Oder ob sie überhaupt existieren. Fan
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Presse
19.04.2004 Tagesspiegel
Nächtlicher SEK-Einsatz gegen Zeltlager von
Rechtsextremen.
Polizei ermittelte seit Monaten gegen die Kameradschaft
Nordland
Das Lager der Rechtsextremen war gut getarnt:
vier Zelte in einem Waldstück bei Finowfurt im Landkreis Barnim,
Abdeckplanen mit Tarnmuster, auch die Bewohner teilweise in Tarnkleidung,
der Proviant in Munitionskisten verstaut. Seit Freitagabend hatte sich
die Gruppe dort aufgehalten, dabei manche Flasche geleert, ein Lagerfeuer
entzündet bis in der Nacht zu Sonntag die Polizei zuschlug.
Gegen drei Uhr, als das Feuer fast herunter gebrannt war, wurden zwei
Leuchtraketen gezündet, dann stürmten die Beamten das Camp.
Fast ausschließlich Berliner Kräfte waren daran beteiligt,
darunter ein Spezialeinsatzkommando (SEK), ein Mobiles Einsatzkommando,
die Spezialeinheit PMS (Politisch Motivierte Straßengewalt) und
der Staatsschutz im Landeskriminalamt.
Die fünf anwesenden Rechtsextremen wurden vorläufig festgenommen,
bei anschließenden Durchsuchungen in 15 Wohnungen, Geschäften
und einem Lokal überwiegend in Berlin wurden zwei weitere
Personen in Gewahrsam genommen. Die Männer sind zwischen 26 und 48
Jahre alt. Die Rechtsextremisten seien einschlägig polizeibekannt,
unter anderem wegen Bandendiebstahls, Körperverletzung sowie Verstößen
gegen das Betäubungsmittel- und Waffengesetz.
Das Lager glich einer Müllhalde, hieß es bei den Einsatzkräften.
Die Beamten fanden Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Hieb-,
Stich- und Gaswaffen. Bei den Wohnungsdurchsuchungen wurde auch ein Sprengkörper,
möglicherweise eine Übungsgranate der Bundeswehr, sichergestellt.
Die Neonazis werden der Kameradschaft Nordland zugerechnet.
Nordland hieß eine Division der Waffen-SS, nach Tagesspiegel-Informationen
aus Sicherheitskreisen wird vermutet, dass sich die Kameradschaft daran
orientiert. Seit mehreren Monaten werden gegen die Gruppe aufwändige
Ermittlungen unter der Leitung der Berliner Staatsanwaltschaft geführt.
Der Verdacht richtet sich auf die Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Zu den Festgenommen gehören der ehemalige Kroatien-Söldner B.,
der sich ein Jahr lang im jugoslawischen Bürgerkrieg verdingt hatte,
sowie ein Mitglied der Rechtsextremen-Band Spreegeschwader.
Zudem waren Personen darunter, die beim Prozeß gegen die Neonazi-Band
Landser im Publikum gesessen haben sollen. fan/tabu
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Presse
19.02.2004
PRESSE
Fremdenfeindliche
Attacke auf Bahnhof Warschauer Straße: Festnahmen
Berlin (dpa/bb) - Auf dem Berliner S-Bahnhof
Warschauer Straße ist es zu einem fremdenfeindlichen Angriff auf
einen Kolumbianer gekommen. Wie der Bundesgrenzschutz am Donnerstag mitteilte,
wurde der 39-Jährige am Vortag von drei Deutschen zunächst beleidigt
und dann angegriffen. Vier andere Jugendliche beobachteten den Überfall
und eilten dem Opfer zur Hilfe. Es kam zu einer Schlägerei, die erst
durch BGS- und Polizeibeamte beendet werden konnte. Die Täter wurden
den Angaben zufolge gestellt und vorläufig festgenommen.
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Presse
04.02.2004
Verfassungsschutz Berlin
Gefahr
zunehmender Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linksextremisten
in Berlin
Anlässlich einer Plakat-Aktion aus
dem linksextremistischen Spektrum, die sich gegen Berliner Rechtsextremisten
richtet, befürchtet der Verfassungsschutz Berlin eine Zunahme von
Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linksextremisten in Berlin.
Eine bislang noch nicht in Erscheinung getretene Initiative "BürgerInnen
beobachten Neonazis" verbreitet dieser Tage ein Plakat mit Fotos
und Namen von 12 Männern, die als bekannte Neonazikader bezeichnet
werden. Die Urheber dieser Aktion teilten per Pressemitteilung am 2. Februar
2004 mehreren Zeitungen mit, dass bis zu 12000 Plakate geklebt werden
sollen, insbesondere nahe der Wohnorte der abgebildeten Personen. Aufgrund
der im Text der Pressemitteilung und auf dem Plakat enthaltenen szenetypischen
Floskeln ist davon auszugehen, dass die Urheber der Plakat-Aktion aus
dem linksextremistischen Antifa-Spektrum stammen. Die Plakat-Aktion steht
im Zusammenhang einer fortwährenden Auseinandersetzung zwischen Rechts-
und Linksextremisten.
Eine zentrale Rolle spielen dabei auf der linksextremistischen Seite die
sogenannte Antifa und auf der rechtsextremistischen Seite die "Anti-Antifa".
Ziel beider Kampagnen ist die Sammlung und Veröffentlichung von Informationen
und persönlichen Daten über Personen, die jeweils als der politische
Gegner identifiziert werden. Der "antifaschistische Kampf" gegen
tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten bildet einen Aktionsschwerpunkt
der linksextremistischen autonomen Szene. In Berlin sind neben kleinen
Stadtteil-orientierten Antifa-Gruppen vor allem die "Antifaschistische
Linke Berlin" (ALB) aktiv. In unregelmäßigen Abständen
werden von einer sogenannten Antifa-Recherche Publikationen über
Rechtsextremisten und deren Aktivitäten veröffentlicht. Diese
Publikationen enthalten neben Fotos oft auch Anschriften und Telefonnummern
tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsextremisten. Diese Veröffentlichungen
sind unverhohlene Aufforderungen, gegen die genannten Personen, Firmen
oder Einrichtungen "aktiv" zu werden. In der linksextremistischen
Publikation "Interim" hieß es im Jahr 2001 "Nazis
anzugreifen und evtl. ins Krankenhaus zu schicken ist richtig".
Im Zuge dieser Antifa-Kampagne kam es in der Vergangenheit in Berlin zu
schweren Straftaten, u. a. Brandstiftungen und schwere Körperverletzungen.
Im rechtsextremistischen Spektrum wurde erstmals Mitte der 80er Jahre
Versuche unternommen, eine "Anti-Antifa-Arbeit" zu organisieren.
Die Aktivisten der Anti-Antifa rekrutieren sich aus dem gewaltbereiten,
ideologisch gefestigten Personenkreis des aktionsorientierten Rechtsextremismus.
Die Anti-Antifa selber beschreibt sich dabei zunächst nur als Informationssammelstelle
zur "Feindaufklärung". Von einem Aufruf zur Gewaltanwendung
sehen die Autoren dieser "schwarzen Listen" meist ab, die wahre
Intention der Verbreitung von Schrecken und die Vorbereitung von Gewalttaten
ist jedoch unzweifelhaft erkennbar. In Berlin trat die Anti-Antifa erstmals
in der ersten Hälfte der 90er Jahre aktiv in Erscheinung, zunächst
gefördert durch neonazistische unabhängige Kameradschaften und
die rechtsextremistische Organisation "Die Nationalen e. V."
(1996 aufgelöst). Nach Verfahren gegen mehrere Aktivisten und den
Rückzug führender Köpfe kam die Anti-Antifa-Kampagne nach
1997 in Berlin zum Erliegen. Seit Anfang 2002 zeigen sich neue Aktivitäten
im Anti-Antifa-Bereich. Die erstmals Mitte 2002 in Erscheinung getretenen
"Autonomen Nationalisten Berlin" (ANB) beziehen sich ausdrücklich
auf die Anti-Antifa-Programmatik. Das sich aus dem Kameradschaftsumfeld
speisende ANB-Projekt ist bislang vor allem durch Teilnahmen an Demonstrationen
sowie die Verbreitung von Aufklebern in Treptow-Köpenick in Erscheinung
getreten. Auf Demonstrationen führte die ANB Transparente mit der
Aufschrift "Organisiert den nationalen schwarzen Blick - Unterstützt
örtliche Anti-Antifa-Gruppen. Wehrt Euch und schlagt zurück.
Autonome Nationalisten Berlin" mit sich. Im November 2003 wurde der
Polizei eine versuchte schwere Körperverletzung gegen einen vermeintlichen
"Linken" durch mutmaßliche ANB-Anhänger bekannt.
Die aktuelle Plakat-Aktion muss in diesem Kontext eines neuerlichen Konfliktes
zwischen Antifa- und Anti-Antifa-Gruppen - hauptsächlich im Ostteil
der Stadt - gesehen werden. Diese Entwicklung birgt das Risiko eines Eskalationsprozesses.
In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Gewalttaten gegen Personen,
die aufgrund ihres Äußeren fälschlicherweise für
Mitglieder der links- oder rechtsextremistischen Szene gehalten wurden.
Der Verfassungsschutz Berlin legt augrund der genannten Risiken einen
besonderen Schwerpunkt auf die Aufklärung von Auseinandersetzungen
zwischen Rechts- und Linksextremisten.
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Presse
03.02.2004
Berliner Morgenpost
Linksautonome
"fahnden" mit Plakaten nach Neonazis
Die Initiative "BürgerInnen beobachten
Neonazis" will auf führende Köpfe der Neonazi-Szene in
Berlin-Brandenburg aufmerksam machen. Einem gestern an die Berliner Morgenpost
gesandten "Brief legte die Gruppe ein Plakat bei. Das zeigt - gestaltet
in Anlehnung an polizeiliche Fahndungsplakate - zwölf Männer,
die zur Führungsriege gehören sollen. "In der Tat handelt
es sich bei ihnen um den harten Kern", bestätigte ein Szenekenner.
Die Auflage des Plakats beträgt 12 000. Nach Angaben der Initiative
sollen sie in der Nähe von Wohnorten und Treffpunkten von Neonazis
aufgehängt werden. Das Vorhaben beschäftigt auch den Berliner
Verfassungsschutz. Sprecher Claus Guggenberger bestätigte auf Anfrage,
dass zumindest die Organisationen, denen die zwölf Männer zugeordnet
werden, seit längerem im Visier der Verfassungsschützer stehen.
"Unabhängig davon, ob uns die einzelnen Personen im Zusammenhang
mit Rechtsextremismus bekannt sind, betrachten wir die Aktion mit großer
Sorge", sagte Guggenberger. Sie trage sicher zu einer weiteren Zuspitzung
der Konfrontation zwischen links- und rechtsextremen Gruppen bei. Nach
ersten Erkenntnissen seien die Urheber des Plakats im links-autonomen
Lager zu suchen. Die Initiative sei namentlich aber noch nicht in Erscheinung
getreten.
Der Polizei sind bislang die Hände gebunden, wie ein Sprecher sagte.
Wenn die Plakate ausgehängt würden, müsse die Staatsanwaltschaft
prüfen, ob eine Straftat vorliege und die Aushänge zu beschlagnahmen
seien.
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Presse
22.01.2004 Berliner Zeitung
NPD ist ihren Anhängern zu multikulturell
Parteiaustritte, weil ein Bosnier nominiert
wurde
Die rechtsextreme NPD steckt in Berlin und Brandenburg in einer tiefen
Krise. In der vergangenen Woche verlor sie den kompletten Kreisverband
Prignitz-Ruppin. Auf einer Mitgliederversammlung in Wittstock erklärten
alle Anwesenden ihren Parteiaustritt. Unter ihnen auch der Kreisvorsitzende
Mario Schulz, der zugleich Landesvorsitzender für Brandenburg war,
sowie weitere Mitglieder des Landesvorstands. Wittstock gilt als Hochburg
der rechten Szene, der örtliche NPD-Kreisverband Prignitz-Ruppin
als einer der aktivsten.
Den Massenaustritt begründet Schulz mit der Nominierung eines gebürtigen
Bosniers Safet Babic als Kandidat für die Europa-Wahl. Der 22-Jährige
mit deutschem Pass, der im vergangenen Oktober vom Bundesparteitag aufgestellt
wurde, ist Student an der Uni Trier. Weltanschaulich versteht er sich
als "Befreiungsnationalist". Mit der Nominierung verabschiede
sich die NPD von dem Grundsatz "Deutscher ist, wer deutschen Blutes
ist", so Schulz. Die NPD reihe sich ein "bei den Feinden unseres
Volkes", teilte Schmidt mit. Dass die nationalistische Partei sich
rechtsextremen Kräften nichtdeutscher Herkunft öffnet, bezeichnet
Schmidts Nachfolger und Bundesvorstandssprecher Klaus Beier als eine "gegenwartsbezogene
Entscheidung". Doch so viel Multikulti ist manchem zu viel. In einem
rechten Internetforum bringt ein Autor, der sich "Volksgenosse"
nennt, auf den Punkt, was viele Rechte denken: "Tatsache ist doch
das sich die NPD so sehr an dieses fremde BRD-System angepasst hat, das
sie sich von den restlichen BRD-Parteien nicht mehr unterscheidet."
Mario Schulz und andere kündigten derweil an, in Brandenburg eine
"Bewegung neue Ordnung (BNO) zu gründen. Diese Organisation
könnte der NPD "als Spaltpilz gefährlich werden",
glauben Verfasssungsschützer. Die NPD sei die einzige ernst zu nehmende
Kraft in der rechtsextremistischen Parteienlandschaft Brandenburgs, heißt
es in einer Analyse des brandenburgischen Verfassungsschutzes. "Kaum
dass sie sich von dem gescheiterten Verbotsverfahren erholen konnte, droht
ihr nun die Spaltung."
Seit dem Ende des Verbotsverfahrens im März vergangenen Jahres haben
immer mehr Mitglieder der Partei den Rücken gekehrt. Den Anfang machte
der Rechtsanwalt Horst Mahler, der in der NPD plötzlich eine "Systempartei"
sah. Seitdem sank bundesweit die Zahl der Mitglieder von 6 500 auf 5 000
und in Berlin von 260 auf 200. In Brandenburg sind nicht einmal mehr 200
Parteigänger registriert.
Schulungszentrum und Maidemo
Besonders stark sind die Verluste für die NPD
in Berlin. Arbeitsfähig ist noch der Kreisverband Nord, der aus zehn
bis 20 Aktiven besteht. Faktisch nicht mehr existent ist der Kreisverband
Südwest (Spandau, Zehlendorf). Eine Hand voll Aktivisten gibt es
noch in Treptow-Köpenick, und vor kurzem verabschiedete sich auch
der Anführer des Kreisverbandes Lichtenberg-Hohenschönhausen:
Albrecht Reither, bislang außerdem Landesvorsitzender von Berlin,
gab angeblich "aus persönlichen Gründen" auf. Sein
Nachfolger Georg Magnus gibt sich dennoch siegesgewiss: "Wir haben
keine Probleme", sagte er. Über Mitgliederzahlen gebe er prinzipiell
keine Auskunft.
Tatsächlich bleibt abzuwarten, wie viel Einfluss die NPD in der rechten
Szene verloren hat. Für 180 000 Euro baut sie neben ihrer Bundeszentrale
in Köpenick ein Schulungszentrum für Funktionäre aus ganz
Deutschland.
Laut Parteisprecher Beier soll es im April oder Mai eröffnen. Für
den diesjährigen 1. Mai hat die NPD eine Großdemonstration
in Berlin angemeldet, zu der sie bis zu 3 000 Teilnehmer erwartet. Gerade
dort wollen die Rechten Einheit demonstrieren. Deshalb wird der Aufruf
von vielen "freien Kräften" unterstützt: von der "HateCrew
88" über die Pommersche Aktionsfront bis hin zum "Wattenscheider
Widerstand".
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Presse
26.11.2003 TAZ
Rache für Waldsterben in Brandenburg
Vor Gericht rechtfertigt sich der Rechtsextremist,
der im Wahlkampf den Grünen-Abgeordneten Ströbele angriff...
Das Geständnis, den Grünen-Parlamentarier
Hans-Christian Ströbele zwei Tage vor der Bundestagswahl im September
2002 hinterrücks angegriffen zu haben, kommt dem Angeklagten vor
dem Berliner Schöffengericht nur schwer über die Lippen. Der
vorbestrafte Rechtsextremist Bendix W., in der Neonaziszene als Waffenexperte
berüchtigt, faltet erst die Hände über der blau-grünen
Lodenjacke.
Er habe an jenem Morgen, als der Direktkandidat Flugblätter auf einer
Fußgängerbrücke in seinem Wahlkreis Kreuzberg-Friedrichshain
verteilte, seinen "Abneigungen gegen die Grünen" Ausdruck
verliehen. Die Partei sei für "die ganze Umweltzerstörung"
an seinem Wohnort Wandlitz und für das Waldsterben in einem brandenburgischen
Naturschutzgebiet verantwortlich. Zudem, so der 36-Jährige, sei er
persönlich in einer "desolaten Lage" gewesen und habe sich
auf dem Heimweg von einem Saufgelage befunden.
Den 64-jährigen Ströbele will er "spontan" und "mit
der flachen Hand" auf den Hinterkopf geschlagen, dann als "Hurensau"
oder "Hurenschwein" beschimpft haben. Einen Schlagstock aus
Metall, den Polizisten später in W.s Tasche fanden, will er dabei
nicht eingesetzt haben. "Wenn ich den Totschläger verwendet
hätte, wäre Ströbele jetzt nicht mehr am Leben."
Der Abgeordnete erlitt eine Gehirnerschütterung und musste alle Termine
bis zum Wahltag absagen. "Warum haben Sie mich eigentlich angegriffen?",
wollte Ströbele gestern von dem massigen Zweimetermann wissen. Der
Politiker hatte W. so lange verfolgt, bis er auf eine Polizeistreife stieß.
"Ich war unheimlich empört und wütend, weil die Tat so
feige war."
Einen gezielten Angriff auf Ströbele leugnete Bednix W. jedoch beharrlich.
Er habe den Abgeordneten nicht erkannt, sondern seiner Wut gegen die Grünen
ganz allgemein freien Lauf gelassen. Sein Opfer, das von einem "knallharten
Schlag" sprach, hält diese Aussage für wenig glaubwürdig.
Zeugen bestätigten, dass der Angeklagte den Infotisch des Parlamentariers
eine Viertelstunde beobachtet hatte, bevor er zuschlug. Zudem hätten
an dem Wahlstand Plakate mit seinem Namen und Foto gehangen, so Ströbele.
Bendix W. war 1990 erstmals in Berlin als Neonazi-Aktivist in Erscheinung
getreten. Er zählt noch immer zum engen Kreis der rechtsextremen
Rockergruppe "Vandalen" und ist vorbestraft, unter anderem wegen
Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Ein Trio polizeibekannter
Rechtsextremisten verfolgte den gestrigen Prozesstag als Zuschauer.
Mit dem Angriff auf Ströbele verstieß W., in dessen Laube Ermittler
eine Duellpistole und ein Porträt von SS-Führer Heinrich Himmler
fanden, gegen seine Bewährungsauflagen. Trotzdem war er unmittelbar
nach der Tat wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Ströbele
kritisierte zudem, dass es länger als ein Jahr bis zum Prozessbeginn
dauerte. Am 9. Dezember soll nun ein Gutachter feststellen, ob Bendix
W. bei dem Angriff seinen Schlagstock einsetzte. Dann entscheidet sich,
ob der Mann mit dem Himmler-Bart wegen gefährlicher oder lediglich
wegen einfacher Körperverletzung verurteilt wird."
<<< Presse
15.11.2003 Tagesspiegel
Die kleine Kneipe am Rande der Strasse
Im Berliner Fußball-Café in Lichtenberg
treffen sich Rocker, Neonazis und gewaltbereite Hooligans. Sie sind Fans
des BFC Dynamo - und stehen unter Beobachtung der Polizei
An der Kreuzung steht ein schwarzer BMW
aus der 7er-Reihe, auf der Heckscheibe klebt fett ein Schriftzug der Klamottenmarke
"Hooligan-Streetwear". Das Auto parkt vor dem "Berliner
Fußball-Café". Willkommen in Berlin-Lichtenberg.
Die Berliner Polizei hat die Kneipe kürzlich gleich zwei Mal durchsucht.
Das erste Mal, als dort der "Tag der Germanen" stattfand. Das
zweite Mal, weil ein Hakenkreuz im Schaufenster zu sehen war. "Wir
haben eine interessante Gruppierung angetroffen", sagt der leitende
Polizei-Oberrat Michael Hauer. In der Kneipe saßen Mitglieder der
"Hell's Angels", Rechte, Rocker und Hooligans. Dass diese Problem-Gruppen
so "plakativ" zusammen auftreten, sei früher schon mal
vorgekommen, jetzt aber neu, sagt Hauer. Bei der ersten Durchsuchung des
"Berliner Fußball-Cafés" stürmte die Polizei
den Laden mit 130 Beamten, 36 Personen wurden überprüft, mindestens
drei Männer sind Mitglieder der Neonazi-Truppe "Vandalen".
Wahrscheinlich sogar fünf. Was ist das für eine Kneipe?
Alfred-Jung-, Ecke Scheffelstraße, 22 Uhr. Es nieselt. "Berliner
Fußball-Café" steht in altdeutschen Buchstaben über
der Tür. "No Nazis!" wurde in roter Farbe an die Hauswand
gesprüht, am 15. September war das, als Vermummte die Eingangstür
mit Pflastersteinen einwarfen. Die Tür ist wieder in Ordnung.
"N'abend". Kein Zucken der Männer, sie reden weiter. Unter
der Decke hängt ein Fernseher, auf "TVB" läuft eine
Immobiliensendung. Lieder aus den Achtzigerjahren dudeln im Hintergrund.
Rick Astley. "Ein Bier?", fragt die Bedienung. Die junge Frau
trägt Jeans, Basecap, einen "Lonsdale"-Pullover. Die Marke
ist in der Szene der Rechten beliebt. Wenn man eine Jacke darüber
trägt, diese offen lässt, sind vom Schriftzug meist nur die
Buchstaben "NSDA" zu sehen. Den letzten Buchstaben darf sich
jeder denken.
Ein Bier also. Der halbe Liter Berliner Pilsner kostet zwei Euro. Die
Frau ist freundlich, sie lächelt. An den Wänden hängen
Wimpel des BFC Dynamo, Fahnen, Schals, Aufnäher, neben dem Tresen
stehen Pokale. Der BFC Dynamo war vor der Wende der Stasi-Klub, danach
der Verein für Nazis und Hooligans. Europaweit gilt die Szene nach
wie vor zu den härtesten und vor allem: als gut organisiert. In Berlin
sind exakt 265 Fußballfans in der "Kategorie C" eingestuft.
In dieser internen Liste der Berliner Polizei werden Fans registriert,
die nicht nur unter Alkoholeinfluss, sondern gezielt bei Fußballspielen
gewaltbereit sind. Der Trend ist rückläufig. Aber von diesen
exakt 265 Leuten werden intern 150 dem BFC zugeordnet. Namentlich.
Die Polizei ist noch immer etwas überrascht über die letzten
Tage. Die BFC-Fans sind in den vergangenen Monaten gar nicht mehr aufgefallen,
in der vergangenen Saison gab es 28 Strafverfahren. Keines wegen des Paragraphen
86a, also nichts, das mit dem Tragen von Nazi-Symbolen zu tun hat. "Das
ist kein Nazitreffpunkt", betont Polizei-Oberrat Hauer. Sehr wohl
aber kämen die Gäste aus dem "Gewalttäter-Milieu".
Ob sie "aktiv" sind, sei eine andere Frage. Die Leute sind bekannt,
auch die Eigentümer André S. und Rayk B. Sie sollen ranghohe
Mitglieder der Rockergruppe "Hell's Angels" sein. Die Polizei
bestätigt das offiziell nicht, intern ist das bekannt. André
S. war zudem früher Rädelsführer beim BFC Dynamo. Nazis
seien sie nicht, sagt die Polizei. "Sehr konservativ" schon,
und vor allem treten sie "provozierend" auf.
Beim BFC Dynamo hätten die beiden nicht mehr viel zu sagen, deren
Zeit ist vorbei, sagen Szenekenner. Die jetzige Szene treffe sich woanders.
Vielen gehe es mehr um Fußball, als um die "dritte Halbzeit".
Und die, die es nicht sein lassen wollen, verabreden sich mit anderen
Schlägern lieber in Ruhe vor der Stadt. "Die Wiesenjungs"
werden sie genannt. Selbst wenn es so ist, eines bleibt: "BFC",
die Abkürzung des Berliner Fußball-Cafés. Sehr zum Ärger
der Dynamo-Fans, weil sich die Stadionklientel nicht immer mit der aus
der Kneipe deckt. Neulich erst habe man den stadtbekannten Neonazi Oliver
S. aus dem Stadion "gebeten", der ist Mitglied der "Nationalen
Alternative" (NA).
Am Tresen der Kneipe jedenfalls hängen Zeitungsartikel. Wie Auszeichnungen.
"Razzia im Nazi-Treffpunkt!" steht da. Der Gang zu den Toiletten
befindet sich neben dem Tresen, er ist schwach beleuchtet, die Wände
schwarz, am Ende liegt etwas unscheinbar ein Tattoo-Studio. "Ost-Sektor".
Der Laden wurde durchsucht, weil im Schaufenster an der Straße auf
einem Foto ein "Hakenkreuz" zu sehen war. Und drinnen haben
die Beamten auch noch gleich Stuhlbeine gefunden, die zu einem Hakenkreuz
geformt waren. Den Laden gibt es seit Februar. "Ich will das nicht
kommentieren", wird der Inhaber des Cafés, André S.,
am nächsten Tag sagen. "Ich habe einen Anwalt eingeschaltet."
Als wir den Laden verlassen, beachtet uns keiner der Gäste. Zwei
Männer stehen am Flipperautomaten. Version: Terminator.
Einen Tag später. Das Telefon klingelt, Michael T. ist dran, der
Besitzer des Tattoo-Studios. Seine Stimme ist freundlich, aber unsicher.
"Sie schreiben was über die Vorfälle?" Er ist nett,
wirkt aber unsicher. Was er sagt, will die Polizei später nicht kommentieren.
Die Ermittlungen laufen, heißt es. Bei dem im Schaufenster gefunden
Hakenkreuz handele es sich um einen "Vorher-nachher-Vergleich",
erzählt Michael T. Er habe die "Jugendsünde" eines
Mannes "übertätowiert", damit das Hakenkreuz nicht
mehr zu sehen sei. Das habe er im Schaufenster gezeigt. "Das sollte
Werbung sein, damit man mit so was nicht ein Leben lang rumlaufen muss",
sagt der 32-Jährige. "Vielleicht war das naiv." Und das
zu einem Hakenkreuz geformte Stuhlbein? "Ein stinknormaler Kleiderständer",
sagt er. Empört ist er über die Anschuldigungen nicht, er will
nur "zu Wort kommen", denn: "Werbung ist das alles nicht,
oder?"
Die Polizei wird den Laden weiter beobachten. Und wenn die Klientel ausweicht,
ist es doch leicht zu finden. Am "Lindencenter" in Köpenick
hat André S. eine neue Kneipe aufgemacht, sie heißt "Germanenhof".
Das klingt merkwürdig, soll aber nichts mit Fußball, Rockern
und Rechten zu tun haben, heißt es bei der Polizei. Verstecken kann
sich die Szene nicht, daran ist sie selbst Schuld. Der dicke BMW, der
da neben all den schweren, langen Autos vor dem "Berliner Fußball-Café"
steht, hat noch einen Aufkleber auf der Heckscheibe. Unter "Hooligan-Streetwear"
steht: "Kategorie C". Schönen Abend noch.
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Presse
20.10.2003 Berliner Zeitung
Schlägerei in der Straßenbahn - Kripo
sucht Zeugen wegen widersprüchlicher Aussagen>
Vier jugendliche im Alter von 14 bis 16
Jahren sollen am frühen Sonnabendmorgen in einer Straßenbahn
in Friedrichshain zwei dunkelhäutige Männer angegriffen und
geschlagen haben. Wegen widersprüchlicher Aussagen hofft die Polizei
darauf, dass sich Zeugen der vermutlich ausländerfeindlichen Schlägerei
melden werden. "Weil die Opfer spurlos verschwunden sind, wissen
wir nicht, was sich in der bahn tatsächlich abgespielt hat",
sagte ein Beamter am Sonntag der Berliner Zeitung.
Die Ermittler gehen bisher davon aus, dass die vier mutmaßlichen
Täter, die angetrunken gewesen sein sollen, die dunkelhäutigen
Männer gegen 4.45 Uhr in einer Bahn der Linie 20 in der Warschauer
Straße angepöbelt haben. Nach Aussagen von Zeugen sollen zuerst
die Opfer ausländerfeindlich beschimpft worden sein. Andere wollen
gesehen und gehört haben, dass die jugendlichen von den dunkelhäutigen
Männern beschimpft und beleidigt wurden. Der Fahrer der Bahn alarmierte
über seine Leitstelle die Polizei. Fest steht, dass der Streit zur
Schlägerei eskalierte. Zwei Mitarbeiter eines Wachschutzunternehmens,
die an einer Haltestelle warteten und die Schlägerei bemerkten, schritten
ein und beendeten die Auseinandersetzung. Bei der Schlägerei erlitt
ein 16-jähriger Schüler aus Pankow Verletzungen am Kopf. Seine
Begleiter aus Prenzlauer Berg klagten über Schwellungen im Gesicht.
Die Jugendlichen sind der Polizei bereits wegen mehrerer Delikte bekannt.
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Presse
06.10.2003 Berliner Zeitung
Razzia in Lichtenberg
Polizei kontrolliert Fußballfans und Rechte
Ein "Tag der Germanen" hat am Freitag in
einem Lichtenberger Lokal mit einer Polizei-Razzia geendet. Seit einigen
Jahren gibt es diese Veranstaltung im "Berliner Fußball-Café"
an der Scheffelstraße- immer am Tag der Deutschen Einheit. Zu der
Party mit Honigbier und Hirschbraten kommen zahlreiche Fans des Berliner
Fußballclubs Dynamo. Dieses Mal kam auch ein Mitarbeiter des Lichtenberger
Wirtschaftsamtes. Vor dem Lokal hätten Tische und ein Grill ohne
Genehmigung gestanden, so die Begründung. Der Mitarbeiter brachte
auch 130 Polizisten mit. Sie kontrollierten bei dieser Gelegenheit von
14 bis etwa 16.30 Uhr die Gäste. Die Polizisten nahmen einen 37-
Jährigen aus Friedrichshain fest, weil er gegen das Verbot des Tragens
verfassungswidriger Kennzeichen verstoßen hatte. Er trug eine Mütze
mit dem Aufdruck einer SS-Einheit aus dem Dritten Reich. Als Polizisten
seine Wohnung durchsuchten, beschlagnahmten sie weitere Gegenstände
mit Bezügen zum Dritten Reich. Die Polizei beantragte deshalb Haftbefehl
gegen ihn. Ein Richter ließ ihn wieder laufen.
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Presse
24.07.2003 Berliner Zeitung
Schläger war auf Bewährung frei -
Vorbestrafter Hooligan hatte Vietnamesen schwer verletzt
Zwei Wochen nach einem Überfall auf
vier vietnamesische Jugendliche hat nun doch eine Richterin Haftbefehle
gegen zwei 20 und 31 Jahre alte Verdächtige erlassen. Der 20-Jährige
war bereits 1999 wegen eines Tötungsdelikts verurteilt und erst in
diesem Frühjahr auf Bewährung aus der Haft entlassen worden,
teilte die Polizei gestern mit. Er soll als Jugendlicher seinen Vater
getötet haben. Die Justiz bestätigte dies gestern nicht. Auch
Einzelheiten zu der Verurteilung waren nicht zu erfahren. Beide Verhafteten
sind aber als Rechtsextremisten und Hooligans der Polizei bekannt. Beiden
wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Männer
waren zuvor bereits zwei Mal festgenommen, aber wieder freigelassen worden.
Wie berichtet, sollen die Verdächtigen zusammen mit zwei weiteren
Männern am Abend des 8. Juli auf der Pettenkofer Straße in
Friedrichshain über die vier Vietnamesen hergefallen sein. Ein 16-Jähriger
erlitt dabei durch Schläge mit Billardqueues schwere Gesichtsverletzungen.
Nach dem Überfall wurden die Hooligans festgenommen, kamen aber noch
in der gleichen Nacht wieder frei. Am 11. Juli wurden sie erneut festgenommen.
Dieses Mal weigerte sich offenbar ein Bereitschaftsstaatsanwalt, die Männer
einem Haftrichter vorzuführen. Obwohl zu diesem Zeitpunkt die Vorstrafen
der Verdächtigen bekannt waren. Dass der 20-Jährige zur Bewährung
in Freiheit war, müssen Ermittler und der Staatsanwalt ebenfalls
gewusst haben. Nach Auskunft von Justizsprecher Björn Retzlaff muss
eine Bewährungsfrist nicht automatisch aufgehoben werden, wenn der
Betroffene eine weitere Straftat begeht. Jedoch sah der Staatsanwalt auch
Wiederholungsgefahr nicht als ausreichenden Grund für einen Haftbefehl
an - obwohl gegen die Schläger bereits wegen anderer Gewalttaten
ermittelt worden war. weso
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Presse
14.07.2003 Berliner Zeitung
Staatsanwalt lässt Neonazis laufen -
Rechte sollen Vietnamesen verprügelt haben
Nach dem Überfall auf mehrere Vietnamesen in Friedrichshain sind
die drei Tatverdächtigen wieder auf freiem Fuß. Der Staatsanwalt
habe keine Haftgründe erkennen können, sagte eine Polizeisprecherin
am Sonntag. Deshalb habe die Staatsanwaltschaft die drei Männer gar
nicht erst einem Haftrichter zum Erlass eines Haftbefehls vorgeführt.
Ursprünglich hatte die Polizei angestrebt, dass gegen die vorbestraften
Männer im Alter von 20, 23 und 31 Jahren Haftbefehl wegen gefährlicher
Körperverletzung erlassen wird. Polizisten nahmen die Freilassung
mit Unverständnis auf. Die der rechten Szene angehörenden Männer
aus Malchow, Johannisthal und Pankow sollen am Dienstagabend gegen 23.25
Uhr in der Pettenkofer Straße einen 16-jährigen Vietnamesen
und mehrere seiner Landsleute mit Knüppeln und Billardstöcken
verprügelt haben. Der Jugendliche erlitt eine Schädelprellung
und eine Platzwunde am Mund. Nach der Tat hatte die Polizei zunächst
zwei Verdächtige festgenommen. Bei der Durchsuchung ihrer Wohnungen
am Freitag fanden Ermittler Hiebwaffen und eine Gaspistole. Am Sonnabendmorgen
wurde schließlich der 31-Jährige in seiner Wohnung festgenommen.
Trotz der Freilasssung der Verdächtigen nimmt der Kriminalpolizeiliche
Staatsschutz Hinweise entgegen und bittet Tatzeugen, sich mit der Polizei
in Verbindung zu setzen - vor allem den unbekannten Zeugen, der die Polizei
alarmiert hatte. Hinweise an 4664-37 518 oder -37 519. Einen weiteren
fremdenfeindlichen Vorfall registrierte die Polizei am Sonnabend in der
Nähe, in einem türkischen Imbiss an der Frankfurter Allee. Nach
Angaben der Polizei pöbelte ein 34-jähriger Mann ausländerfeindliche
Parolen. Er habe einen Betonstein in Richtung eines 38-jährigen Gastes
geworfen, sagte ein Sprecher. Mit einem Stuhl habe der Gast den Stein
abgewehrt. Der Mann wurde später festgenommen. (kop.) Andreas Kopietz
<<<
Presse
22.05.2003 TAZ
Studie: Demokratieschwund im Kiez
Rechtes Friedrichshain, multikulturelles Kreuzberg?
Eine Kommunalstudie attestiert dem Fusionsbezirk rassistische Alltagskultur
und zunehmenden Antisemitismus. Eine Bestandsaufnahme...
Nie hatte sich Gökhan K. vorgestellt, dass eine
Diskussion so folgenreich sein könnte. Der studierte Theologe und
Geschäftsführer eines türkischen Gemüseladens am Kottbusser
Tor hatte in den beiden Moscheen des Kiezes heftig mit seinen Nachbarn
um religiöse Fragen gestritten. Seitdem wartet Gökhan K. auf
die ehemalige Kundschaft. Sein Disput für liberalere Ansichten im
Islam ließ die ehemaligen Kunden, mehrheitlich orthodoxe Muslime,
auf Geheiß des Imams zum Konkurrenzladen abwandern. Alltag im Kreuzberger
Multikulti-Kiez. Die deutschen Nachbarn bekommen von diesen Repressionen
innerhalb der türkischen Gemeinde kaum etwas mit. "Antidemokratische
Tendenzen und Diskriminierung nehmen im Alltag des Fusionsbezirkes zu",
attestierte denn auch gestern eine druckfrische Kommunalstudie dem Fusionsbezirk.
"Demokratiegefährdende Phänomene und Möglichkeiten
der Intervention" betitelte das elfköpfige Autorenteam des Zentrums
demokratischer Kultur (ZDK) und anderer Institutionen seine 203 Seiten
starke Studie im Auftrag des Bezirksamtes. Fazit: Rassistische und rechtsextreme
Tendenzen nehmen zu. Besonders überrascht waren die leitenden Autoren
Claudia Danschke und Dierk Bostel über die alltägliche Diskriminierung
Dunkelhäutiger und einen zunehmenden Antisemitismus. Untersucht wurden
antidemokratische Gruppierungen und Tendenzen jenseits der Klischees vom
Rechtsextremismus in Friedrichshain und der Toleranz in Kreuzberg. "Wir
haben festgestellt, dass quer durch alle sozialen und kulturellen Schichten
und unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit eine Art antisemitisches
Milieu herrscht, aus dem heraus ein Aktionismus möglich ist",
sagte Danschke bei der gestrigen Präsentation der Studie. Die Vorfälle
der letzten Wochen gegen erkennbar jüdisch aussehende Menschen habe
diese Erkenntnis bereits bestätigt. Der Studie zufolge gehört
auch Rassismus insbesondere gegenüber dunkelhäutigen Menschen
im gesamten Bezirk zum Alltag. "Das äußert sich in Pöbeleien
oder darin, dass sie in Restaurants nicht bedient werden", sagte
Bostel, der ein Jahr lang überwiegend Jugendliche in Friedrichshain
interviewte und beobachtete. Von den rund 98.000 Friedrichshainern sind
nur und 700 dunkelhäutig, in Kreuzberg sind es von 147.000 Einwohnern
knapp 2.300. Es sei keine Ausbreitung der rechtsextremen Szene in Friedrichshain
zu beobachten gewesen, sagte Bostel. Zwar organisiere sich dort eine bundesweite
Gruppe "Kameradschaft Tor", lokal trete sie allerdings kaum
in Erscheinung. Gegenwärtig gebe es etwa fünf bis sechs Jugendcliquen
mit rechtsextremer Gesinnung. Gewalttätigkeit sei in beiden Bezirksteilen
kein vordergründiges Problem. Vor allem Jugendliche seien stark emotionalisiert
und ideologisiert, resümierte Danschke. Diese Entwicklung werde von
der Gesellschaft aber nicht problematisiert. Dabei handele es sich nicht
um eine neue Entwicklung. Vielmehr sei der latente Antisemitismus durch
die aktuelle Entwicklung im Nahen Osten befördert worden. Adrienne
Woltersdorf
<<<
Presse
14.8.2002 Jungle World
Alle auf einem Haufen
Auf der Biermeile in Berlin-Friedrichshain trifft man jedes Jahr die Leute,
die man nicht leiden kann. Nur sind sie diesmal besonders aggressiv.
Wenn Sie wissen wollen, wie es auf der Biermeile in Friedrichshain war,
dann lesen Sie diese Reportage nicht. Ich habe mich bemüht, wirklich.
Aber mir fehlen die Worte, um das auszudrücken, was ich dort erleben
musste. Auch die Fotos sagen gar nichts aus. Die schlimmsten Szenen spielten
sich in der Nacht ab, als die Fototechnik versagte. Und die menschliche
Sprache reicht nicht aus, um das zu beschreiben, was ich dort sah. Versuchen
wir es. Stellen Sie sich die Love Parade vor, aber ohne Musik und Wagen,
und alle sind total blau und aggressiv. Nein, nein, stellen Sie sich ein
Fußballstadion vor, aber es spielt niemand Fußball, überall
stehen komplett besoffene Männer herum und pissen auf den Rasen.
Nein, das ist es auch nicht. Stellen Sie sich das Oktoberfest vor, aber
ohne Fest. Oder das Pogrom von Rostock, aber ohne Pogrom. Chaostage, aber
mit Spießbürgern. Karneval, aber ohne Kostüme und Witzchen.
Ach, es geht nicht. Sie müssen mir einfach glauben: Es war die Hölle.
Es war der Angriff der Ballermänner. Eine sich geschwürartig
ausbreitende IQ-freie Zone. Es war: die Biermeile in Berlin-Friedrichshain.
Zum sechsten Mal schon fielen hundertausende Alkoholiker über den
unschuldigen kleinen Arbeiterbezirk im Herzen Berlins her und feierten
ausgerechnet hier den Abgesang auf die Aufklärung, das Ende der Zivilisation,
den Untergang des Abendlandes. Wänste, wie sie normalerweise von
Sumo-Ringern zur Nahkampfwaffe herangezüchtet werden, wurden wie
auf einem Laufsteg zur Schau getragen. Der Grünstreifen auf der Karl-Marx-Allee
verwandelte sich in eine einzige Pissrinne. Wer - speziell am Abend -
aus Versehen einen der x-tausend komplett mit Bier abgefüllten kampfhundähnlichen
Männer anrempelte, musste mit dem Schlimmsten rechnen. Das Mindeste
war: "Willssu Ärger oder wat!" Die Biermeile haben sich
vor Jahren ein paar ganz schlaue Bezirksheinis ausgedacht, um dem beständig
dahinsiechenden Geschäftsleben an der ehemaligen Stalinallee ein
wenig Leben einzuhauchen und um etwas Betriebsamkeit in die sonst nur
von Autos befahrene Straße zu bringen. Doch was hier etabliert wurde,
lässt die berüchtigte Allee wie schon 1957 zum Ausgangspunkt
für Kummer und Verdruss, für dauerhafte Depressionen werden.
Auf fast zwei Kilometer reiht sich Bierstand an Bierstand und Dixi-Klo
an Dixi-Klo. Über 180 Brauereien aus über 75 Ländern präsentieren
rund 1 600 verschiedene Biere, die alle getrunken werden wollen, damit
man sich ein Bild machen kann. Dazwischen finden sich ein paar Imbissstände
und 16 Bühnen, mit einem typischen MDR-Nachmittags-Nachwuchsmusiker-Programm.
Und ein Stand zum Armbrustschießen. Werbespruch an der Bude: "Vom
Kindergeburtstag bis zur Großveranstaltung!" Warum nicht auch
auf dem Bierfest? Trinken, schießen, Freunde treffen. Deutsche Leitkultur,
fünf Schuss für zwei Euro. Als ich am ersten Abend, dem Freitag,
gegen zehn Uhr abends auf der Höhe des Kosmos-Kinos ins Getümmel
eindringe, werde ich bereits Zeuge einer Prügelei unter Besoffenen.
Die angerückte Polizei beschränkt sich darauf, die kurz vor
der emotionalen Explosion stehenden Schläger an ihre primitive Angst
vor der Obrigkeit zu erinnern. Dann zieht sie sich wieder zurück.
Als ich eine gute Stunde später, völlig fertig mit den Nerven,
wieder gehe, schlagen beim Hasseröder-Stand ein paar muskelbepackte
Männertiere aufeinander ein. Nach ein paar Minuten zeigt sich die
Polizei kurz. Das reicht offenbar, um die Situation erst einmal zu beruhigen.
Wie die Beamten trotz dieser für Berliner Verhältnisse ungewöhnlich
defensiven Taktik auf insgesamt 22 Festnahmen an diesem Wochenende kommen,
ist mir schleierhaft. Die meisten Festnahmen ereignen sich am Samstag,
als ein paar Nazis sich untereinander auf die Glatzen schlagen. Gerade
komme ich an dem Stand mit dem "Odin-Trunk" vorbei und denke
noch, Odin-Trunk, na so was, als es auch schon losgeht. Hinter dem Stand
einer Imkerei aus Neubrandenburg, die sich "Germanenzug Schwaßmann"
nennt, begeben sich über hundert hartgesottene Nazis, darunter auch
stadtbekannte Berliner Kader, in eine bierselige Massenschlägerei.
Die Anbieter des Germanentrunks lassen seelenruhig die Läden herunter
und schließen ihren Stand. Nebenan geht ein Biertisch nach dem anderen
zu Bruch. Und was tut die Polizei? Zunächst einmal nichts. Schließlich
rückt sie doch an und räumt ein paar Quadratmeter Bürgersteig.
Ein vergleichsweise kleiner Nazi, die meisten sind echte Brocken, wird
im Zangengriff an mir vorbei zur Wanne geführt. Die ganze Aktion
dauert höchstens zehn Minuten, dann hat sich die Lage wieder beruhigt.
Ich rede mit einem jungen Bäcker an einem Mittelalter-Backwaren-Stand
nebenan. Er hat eine Bäckermütze auf dem Kopf und weiße
Klamotten an. Er flüstert mir zu: "Hoffentlich nehmen die Bullen
alle mit! Die Glatzen haben schon gestern Abend hier Stress gemacht!"
Hinten am Backofen steht eine junge Kollegin von ihm und weint vor Angst,
weil gerade wieder Flaschen durch die Luft fliegen. Der Stand mit dem
Germanenbier öffnet am nächsten Tag wieder, als ob nichts gewesen
sei. Und auch die Nazis prosten sich dort am Sonntag wieder zu. Nach Auffassung
der Veranstalter des Bierfestivals, der Firma Präsenta, ist eigentlich
gar nichts passiert. Das werde alles mächtig übertrieben, erklärt
mir am Tag danach eine Frau am Telefon. Es hätten sich halt "ein
paar Glatzköpfe untereinander geschlagen, ganz normal, wie jeden
Tag im Simon-Dach-Kiez". Ach so. Nur dass dort normalerweise Studenten
und Start-Up-Yuppies ihre Weizenbiere schlürfen. Jedenfalls hat die
Schlägerei nichts mit der Biermeile zu tun, bekräftigt die Dame.
Alles in allem wertet Präsenta das Fest als riesigen Erfolg. Die
Besucherzahl habe bei 500 000 gelegen. Das ist durchaus vorstellbar. Nachdem
das Interesse an der Love Parade abnimmt und Punk schon lange tot ist,
kommt offenbar nun die Ära der Besuffkis, Heehoohee-Vizeweltweister
und aggressiven Fleischmöpse. Wunderbar! Als nächstes Beerparade,
Germanenzug, dann noch Stoiber als Kanzler und ich bin weg, Leute! Südsee!
Apropos Love Parade. Während auf jedem größeren Rave eine
Drogenberatung präsent ist, mit Sanitätszelt und Vitaminpräparaten,
hält man es beim Bierfest gerade mal für nötig, zwei Johanniter-Unfallwagen
an den Straßenrand zu stellen. Und das bei der wohl größten
offiziellen Werbeveranstaltung für Drogen in Europa. Wenigstens ein
paar "Keine Macht den Drogen"-Plakate hätte man doch aufhängen
können. Oder einen Alkoholtestautomaten aufstellen, wie es in jeder
Dorfdisko üblich ist. Nichts. Noch nicht einmal Alkoholkontrollen
hat die Polizei an diesem Wochenende rund um die Biermeile durchgeführt,
wie mir eine Sprecherin der Polizei versichert. Statt dessen wird der
Alkoholmissbrauch in der ehemaligen sozialistischen Vorzeigeallee ohne
jede Scham gefeiert. "Bier formte diesen wunderschönen Körper",
steht auf manchem T-Shirts, die sich über gewaltige Bäuche spannen.
"Hopfen und Malz, Gott erhalt's" und so weiter. Es gibt viel
zu sehen und zu probieren: Kirschbier, Bananenbier, Stark- und Schwachbier,
Pils, Alt, Schwarz- und Weißbier, deutsches, tschechisches, irisches,
vietnamesisches und afrikanisches Bier. Eines heißt "Mastur
Bier" und wirbt mit der Parole: "Mastur Bier - besorgt's dir!"
Ich will es mal testen, traue mich dann aber doch nicht. Wer weiß,
was die da in ihre Flaschen füllen? Ich kaufe lieber für 2,50
Euro ein kleines Fläschchen mit dem viel versprechenden Namen "Snow
Koks". Es enthält 87 Prozent Starkbier und ansonsten kräftig
mit Koffein versetzte Zitronenlimonade. Es schmeckt ganz okay, so eine
Mischung aus Lemon-Cocktail und Mate-Tee. Mit Bier hat es allerdings geschmacklich
gar nichts zu tun. Das gilt auch für das Kirschbier, von dem mich
jemand kosten lässt. "Hauptsache, es wirkt", ruft mir ein
lachender Amateurmusiker mit grobporiger Haut aus einem kleinen weißen
Plastikzelt zu, das eine Bühne darstellen soll. Ja, auch die Musiker
und Bands saufen und singen und tragen so komische Namen wie "Bluejeans
& Lollipop" und "Ageless". Ein Duo, das Countrysongs
und Oldies zu spielen versucht, nennt sich "Anne & Frank".
Nun ist aber Schluss mit lustig. Als ich schließlich noch einen
blinden Sänger hinter einem Keyboard sitzen sehe, der schräg
wie Pisas Turm und ohne jedes Publikum weit und breit "Das ist Wahnsinn"
von Wolfgang Petry singt, sind meine Nerven am Ende. Ich fange an zu zittern,
ich will nach Hause. Hölle, Hölle, Hölle, dröhnt es
mir in den Ohren, den ganzen Abend noch. Doch wie kommt man hier raus?
Es ist so voll, man kann kaum einen Fuß vor den anderen setzen.
Überall breitschultrige Hools und grölende Meuten, rotnasige
Hausfrauen, bäuchige Proleten, Olééé, olé,
olé, oléé! Das ganze Pack aus den Nachmittagstalkshows
ist versammelt. "Hilfe, meine Mutter ist eine Schlampe." Ich
verliere fast das Gleichgewicht, weil die ganze träge Masse von Menschen
kollektiv torkelt und taumelt und ich mir vorkomme wie auf einem Meer
mit hohem Wellengang. Einem Meer aus Bier und Pisse, einem Meer der Barbarei,
und ich auf einem kleinen Floß der Verzweiflung. Irgendwann kotzt
mich dieser Moloch an einem U-Bahnhof aus. Yeah! I survived the Biermeile!
Am Sonntag muss ich noch einmal tagsüber hin, um Fotos zu machen.
Da ist etwas weniger los, die Leute sind noch nicht so besoffen. Die Idioten
von gestern liegen vermutlich mit fettem Brummschädel vor der Glotze:
"Hilfe, diese Schlampe ist meine Mutter!" Der Uringestank aus
den Büschen wird jetzt vom Bratwurstgeruch überlagert. Ich sehe
zwei Polizisten, wie sie an einem Stand ein paar Flaschen Roter-Oktober-Bier
kaufen. Später sehe ich sie noch einmal an einem anderen Stand, ebenfalls
beim Bierkauf. Ist ja nicht verboten. Warum eigentlich nicht? Übrigens:
Im letzten Jahr starben 42 000 Menschen an den Folgen von Alkohol, 899
von ihnen kamen im Straßenverkehr ums Leben. 34 392 weitere Menschen
wurden bei diesen Unfällen teils schwer verletzt. Bei einem Viertel
aller Gewalttaten in dieser Gesellschaft ist Alkohol im Spiel, bei Totschlagdelikten
lag die Zahl im Jahr 2001 sogar bei 41,3 Prozent. An Cannabis ist noch
nie ein Mensch gestorben. Am 31. August findet in Berlin wieder die Hanfparade
statt, bei der es noch nie zu irgendeinem Gewaltdelikt gekommen ist. Sie
muss wie in jedem Jahr mit starker staatlicher Repression rechnen. Polizisten
werden wie immer einige Kiffer und Händler festnehmen.Entschuldigen
Sie diesen arg moralischen Schluss meines Berichts. Aber wenn Sie gesehen
hätten, was ich sah, dann würden Sie mich verstehen. von ivo
bozic
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Presse
07.04.2001 TAZ
Nazi-Pilgerstätten
Die Linke rüttelt am rechten Mythos, zeigt sich
aber unschlüssig im Umgang mit dem Horst-Wessel-Grab
Der Nikolaifriedhof an der Prenzlauer Allee
hat sich zur braunen Pilgerstätte entwickelt. Sogar im Internet wird
Werbung für die Grabstätte des SA-Führers Horst Wessel
betrieben, berichtet Julia Eckey, Grünen-Politikerin im Kreisverband
Pankow. Und das, obwohl Wessels Grab sich nicht mehr lokalisieren lässt,
einzig das Grab seines Vaters ist noch in Fragmenten erhalten.
Die Bündnisgrünen nahmen Wessels 71. Todestag am 23. Februar
zum Anlass, durch eine Demonstration auf die braune Wallfahrerei aufmerksam
zu machen. Am Donnerstagabend hielt man in einer öffentlichen Diskussion
im Haus der Demokratie Nachlese.
Zur Diskussion geladen hatte Julia Eckey Vertreter vom "Förderverein
Karl-Marx-Allee", vom Zentrum Demokratische Kultur, dem zuständigen
Polizeiabschnitt sowie die Jugendstadträtin in Pankow, Christine
Keil (PDS). Unerwartet schnell waren alle sich einig, dass eine Einebnung
des Grabs am Kern des Problems vorbeigehe. Die Jugendstadträtin gab
zudem zu bedenken, dass der Einfluss der Politik auf die Gräberdebatte
nur gering sei: Einebnungen von Nazigräbern seien Angelegenheit der
Friedhofsverwaltung. Sie fügte hinzu, den Neonazis liege weniger
an der Grabstätte selbst als an dem von ihr ausgehenden Provokationspotenzial.
Die Frage der Mythenbildung wurde unter den 50 Besuchern am heftigsten
debattiert. Hat die Linke diese sogar selbst forciert? Eine Aktion von
Autonomen zu Wessels Todestag im vergangenen Jahr hat die Mythensammlung
erweitert: Nach nächtlichen Grabungen hatten sie verbreitet, Horst
Wessels Schädel in der Spree versenkt zu haben. Und wie ist es zu
bewerten, wenn die Linken zu jedem Nazi-Gedenktag zu einer Gegendemo aufrufen?
Feiern sie dadurch indirekt mit? Viele Fragen wurden aufgeworfen, doch
letztlich nicht beantwortet. "LOTHAR GLAUCH
<<< Presse
09.01.2001 Jungle World
Berlin-Friedrichshain: Bezirksrat für Stadtentwicklung
und Bau reagiert nach Verhüllungsaktion durch Förderverein
Eine umstrittende Informationstafel zu SA-Sturmführer
Horst Wessel an der Karl-Marx-Allee im Bezirk Berlin- Friedrichshain wird
umgehend entfernt. Das ordnete der Stadtrat für Stadtentwicklung
und Bau, Franz Schulz, an, nachdem der Förderverein "Karl-Marx-Allee"
am vergangenen Freitag die Tafel medienwirksam verhüllt hatte. Zudem
lud Schulz, der bei der Tafelverhüllung zugegen war, den Vereinsvorstand
zu einer Beratung des Baustadtrates ein, um weitere Verfahrensweisen zu
diskutieren. Das Streitobjekt wurde im Dezember vom Bezirksamt vor dem
Wohnblock E-Süd an der Karl-Marx-Allee aufgestellt, in dessen Nähe
Horst Wessel seinerzeit zur Untermiete wohnte. Aus Protest gegen den Inhalt,
der nach Meinung des Vizevereinsvorsitzenden Erich Kundel "historisch
falsch und grafisch unbedacht" sei, verhüllte der Förderverein
Karl- Marx-Allee die Tafel. Unter dem Titel "Friedrichshain zur Zeit
des Nationalsozialismus" wurde auf der Tafel ein Sturm- Liederbuch
der SA mit dem Porträt Horst Wessels gezeigt. In einem dazugehörigen
Text hieß es, daß Wessel "im Rotlichtmilieu von einem
Rivalen" ermordet wurde. Historisch läßt sich jedoch mit
großer Sicherheit sagen, daß Wessel 1930 von Mitgliedern des
Rotfrontkämpferbundes angeschossen wurde und einige Zeit später
seinen Verletzungen erlag. Wessel wurde nach seinem Tod von den Nazis
zum Märtyrer erhoben. Der SA-Sturmführer hatte seinerzeit das
"Horst- Wessel-Lied" verfaßt, welches nach 1933 als zweite
National- und inoffizielle Parteihymne der NSDAP galt. "Bei der Wessel-Tafel
besteht, neben den grafischen Mängeln, die Gefahr, daß der
unvoreingenommene Betrachter den Eindruck bekommt, es werde dem Nazi-Märtyrer
gedacht, wenn er dessen geschöntes Porträt mitten im Text prangen
sieht", so Kundel gegenüber jW. Außerdem habe die Tafel
einen falschen Schwerpunkt und liefere zu wenig Informationen über
den Bezirk während der Nazi-Zeit. "Der Informationstext enthält
zwar, daß Friedrichshain ein roter Bezirk war. Bei den letzten freien
Wahlen 1933 wählten 60 Prozent der Friedrichshainer SPD und KPD.
Doch was wurde aus diesen Wählern von 1933-45? Was gab es für
Umbrüche zu dieser Zeit im Friedrichshain? Auf der Tafel erfährt
man von der Zeit des Nationalsozialismus lediglich, daß Friedrichshain
zum >Bezirk Horst Wessel< umbenannt wurde." Um Besuchern die
Geschichte der Karl-Marx-Allee näherzubringen, hatte das Bezirksamt
Friedrichshain- Kreuzberg insgesamt 39 Informationstafeln rund um die
Straße aufgestellt. Neben Informationen zum Schriftsteller Alfred
Döblin, der an der Allee einst als Arzt praktizierte, und anderen
Persönlichkeiten, findet man Tafeln zur Konzeption der Straße
und deren Architekten. Die Informationstafel zu Wessel sollte dem Bezirksamt
zufolge an die Umbenennung des Bezirks in "Verwaltungsbezirk Horst
Wessel" erinnern. Die Verhüllungsaktion des Fördervereins
stieß auf eine breite Resonanz in der Friedrichshainer Bevölkerung.
Viele bedankten sich persönlich für das Engagement des Vereins
und hoffen nun auf baldige Entfernung der Tafel, bevor Neonazis sie für
eigene Zwecke instrumentalisieren.
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Presse
13.12.2000 Jungle World
Razzia statt Kontaktanzeige
Berliner Landeskriminalamt auf der Suche nach "gleichgeschlechtlichen"
Antifas
Das Berliner Landeskriminalamt sucht
Kontakte, und zwar zu und von Antifas. Per Großrazzia wollten Dutzende
von Beamten am vergangenen Mittwoch ihren Einblick in die linke Szene
vertiefen: Insgesamt sieben Wohnungen in Prenzlauer Berg, Friedrichshain
und Neukölln bekamen am frühen Morgen unerwünschten Besuch.
Die Behörden werfen den Betroffenen "öffentliche Aufforderung
zu Straftaten" sowie "gemeinschaftlich begangene Sachbeschädigung"
vor. Sie sollen "täuschend ähnliche Aufkleber mit falschem
Namen" - dem Aufdruck "Dimitroffstraße" - sowie DIN-A-7-Spuckies
mit der Aufschrift "NPD-Kongreß in Passau angreifen" hergestellt
bzw. verbreitet haben. Die zu DDR-Zeiten nach dem bulgarischen Kommunisten
benannte Straße am Prenzlauer Berg war vor über einem Jahr
in Danziger Straße umbenannt worden. Im Verlauf der Durchsuchungen
warfen einzelne Beamte Bücher aus den Regalen, prüften selbst
T-Shirts und Matratzen. Das Bett eines 14jährigen Mädchens wurde,
noch während es darin schlief, durchwühlt. In einer Wohngemeinschaft
in Friedrichshain stürmte ein Einsatzkommando mit gezogener Waffe
durch die Tür, verwüstete ein Zimmer und schlug die Spüle
kaputt. Alle Beschuldigten wurden erkennungsdienstlich behandelt. Einem
Gast drohten die Beamten: "Wenn du wegläufst, machen wir von
der Schußwaffe Gebrauch!" Verhältnismäßig viel
Aufsehen also für Aufkleber, die man in jeder Kreuzberger "Volxküche"
finden kann. Eher dürfte das Interesse dem Ausforschen von linken
Strukturen in Berlin gelten. "Es geht um personelle Zusammenhänge",
so ein Beamter während der Polizeiaktion. Und auch der richterliche
Durchsuchungsbeschluß fordert das "Auffinden von Beweismitteln,
insbesondere persönlicher Unterlagen und Gegenstände, insbesondere
Korrespondenz und Lichtbildern, die Aufschluß über den weiteren
Bekanntenkreis der Beschuldigten und", natürlich, "somit
über weitere Tatbeteiligte geben". Das Klassenziel kann als
erreicht angesehen werden. Beschlagnahmt wurden Hunderte von Adressen,
darunter auch Telefonnummern von Abgeordneten von PDS und Bündnis
90/Die Grünen sowie von Journalisten, nicht zuletzt der Jungle World.
Computer-Experten spiegelten die Festplatten von mehreren Rechnern, selbst
Arbeits- und Beziehungsverhältnisse ("Also, die sind ja wohl
gleichgeschlechtlich!") leuchteten die Ermittler sorgfältig
aus. In dieser Logik erklärt sich, weshalb der Staatsschutz am Mittwoch
auch die Wohnungen von mehreren Personen aufsuchte, die nicht einmal als
Beschuldigte angegeben wurden. Ihr einziges Vergehen war es, bei einer
früheren Durchsuchung als Gast anwesend gewesen zu sein. Besuch bekamen
daher auch zwei sogenannte "Zeugen" in Kyritz (Brandenburg)
und Göttingen. Bei einem weiteren "Zeugen" brachen die
Beamten in ihrem Befragungseifer gleich die Tür auf. Durchsucht wurde
nicht zuletzt bei einem Untermieter. Als Begründung mußte herhalten,
daß er den Beamten den Zutritt zu seinem Zimmer mit Verweis auf
seinen Untermietvertrag verwehrt und diese dabei als "Fittiche"
bezeichnet hatte. Ermittlungsinteresse scheint auch ohne richterliche
Anordnung bereits zuvor bestanden zu haben: Der Einsatzleiter wußte
auf Anfrage eines Kollegen sogar den zweiten (!) Vornamen der Mutter des
Bewohners. Eine Betroffene gegenüber Jungle World: "Diese Durchsuchung
war die Folge einer Razzia vor vier Wochen, bei der die Polizei eine Handvoll
Aufkleber in einem unverschlossenen Kellerraum gefunden hat. Alle damals
Anwesenden sind inzwischen selbst Opfer von Haussuchungen geworden. Bei
dem Adreßvorrat, den die Polizei dieses Mal beschlagnahmt hat, dürfen
wir gespannt sein, was uns in einem Monat erwartet." Es gehe offenbar
darum, Aktivisten auszuforschen und einzuschüchtern. Mittlerweile
würden am Prenzlauer Berg selbst Jugendliche mit defektem Fahrradlicht
von der Polizei nach dem Treffpunkt ihrer Clique befragt und ähnliches.
Ein vergleichbares Vorgehen hatten die Staatsschutzbehörden bereits
1991 in Göttingen an den Tag gelegt. Damals waren mehrere Ermittlungsverfahren
gegen mutmaßliche Aktive der Autonomen Antifa (M) eingeleitet worden.
Zunächst war ihnen die Beteiligung an 52 Anschlägen im Zeitraum
zwischen 1981 bis 1991 zur Last gelegt worden. Mit dem Material, das die
Beamten im Verlauf der mehrjährigen Ermittlungen wegen Bildung einer
terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a angesammelt hatten, konstruierten
sie eine Anklage, in der allerdings von den ursprünglich erhobenen
Vorwürfen keine Rede mehr war. Das Verfahren wurde 1996 eingestellt,
die politische Arbeit der Gruppe aber war über mehrere Jahre blockiert
gewesen.
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Presse
01.03.2000 Jungle World
Alternative Lebensformen: Knochenzähler
Er fiel ins Wasser. Und zwar in
das der Spree. So wird es zumindest von den "Autonomen Totengräbern"
behauptet. Die wollen vergangene Woche "den hohlen Schädel von
Horst Wessel aus braunem Schlamm ausgegraben und wenig feierlich der Spree
übergeben" haben. Der SA-Sturmführer ist damit nicht nur
tot, sondern jetzt sogar kopflos tot. Zugegeben, so groß ist der
Unterschied nicht. Aber der Akt der nekrophilen Wessel-Hasser hat ja auch
mehr symbolischen Wert: Ein Märtyrer ohne Kopf nützt den Nazis
nichts, dachten sich die selbst ernannten Totengräber wohl. Der Märtyrer
ohne Schädel war vorher aber noch viel mehr Märtyrer: einer
ohne Gebeine - ja, er hatte noch nicht einmal ein eigenes Grab. Nur das
seines Vaters - Ludwig Wessel.
Den Nazis reichte das als Pilgerstätte. Musste wohl auch, denn das
Grab des SA-Sturmführers, der 1930 nach einer Schießerei unter
Zuhältern daran verstarb, dass seine Kameraden einen jüdischen
Arzt daran hinderten, ihn zu behandeln, gibt es nicht mehr. Einst lag
der Wessel direkt neben seinem Vater auf dem Berliner Nikolai-Friedhof,
Jahr für Jahr von den Nazis verehrt. Bis die deutsche Welt ins Wanken
und die Alliierten nach Berlin kamen.
Dann nämlich wurden die Gebeine des Märtyrers fachgerecht entsorgt:
Die Alliierten planierten die letzte Ruhestätte des Friedrichhainer
SA-Mannes. Den Nazis war's entweder egal oder sie wussten es nicht besser:
Sie pilgerten trotzdem zum Nikolai-Friedhof, vermehrt seit der deutschen
Vereinigung. Am Grab des Märtyrervaters legten sie "stoßtruppweise
und unter strenger Polizeiobservierung Blumen und Gebinde mit schwarz-weiß-roten
Schleifchen" (Berliner Morgenpost) nieder. Und - das hatte das Springer-Regionalblättle
offenbar übersehen - vor allem unter strenger Journalistenobservierung.
Denn mit der Anmeldung einer "Horst-Wessel-Gedenkdemonstration"
hatte ein Berliner SA-Fan es geschafft, die Öffentlichkeit auf sein
einplaniertes Vorbild hinzuweisen. Erst recht mit der Ankündigung,
künftig jedes Jahr zu Ehren des toten Zuhälters aufzumarschieren.
Die Demonstration aber fiel ebenfalls ins Wasser. Der Berliner Staatsschutz
bot eine achtseitige Verbotsbegründung auf und setzte sich damit
vorm Oberverwaltungsgericht durch.
Auf die emsigen Polizisten wartet nun bereits der nächste Auftrag:
herauszufinden, was die "Autonomen Totengräber" auf dem
Nikolai-Friedhof angestellt haben. Gegraben worden ist auf dem Totenacker
tatsächlich. Aber wer weiß schon, ob die Nummer mit dem erbeuteten
und entsorgten Wessel-Schädel stimmt? Die Spree abzusuchen, ist eine
Höllenarbeit, denn die ist ziemlich lang. Also, liebe Staatsschützer,
da bleibt nur eins: selber ausbuddeln und die verbliebenen Knochen zählen!
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Presse
13.10.1999 Jungle World
Ein Baum im Hain
Über die zunehmenden Proteste gegen die Friedrichshainer
Nazi-Kneipe "Der Baum" ärgern sich die Berliner Quartiersmanager.
In der Libauer Straße in Berlin-Friedrichshain
gibt es einen Baum. Nein, nicht irgendeinen Baum - einen recht ungewöhnlichen.
Der Baum hat sogar eine Tür. Und hinter den beiden Fenstern hängen
altmodische Rüschengardinen. Meist aber sieht man sie nicht, weil
die Rolläden geschlossen sind. Denn der "Baum" in der Libauer
Straße ist weder Laub- noch Nadelgewächs, sondern eine Kneipe.
Nein, nicht irgendeine Kneipe - sondern eine, die sehr umstritten ist.
Das ist eigentlich nichts Außergewöhnliches. Laute Musik und
grölende Gäste bis spät in die Nacht kommen bei Nachbarn
eben nicht gut an. Die Bewohner der Libauer Straße stören sich
hauptsächlich an den Gästen im "Baum". Nein, nicht
irgendwelche Gäste - solche mit kurzen Haaren, Springerstiefeln und
Bomberjacken: rechtsextreme Jugendliche, Hooligans und organisierte Nazis.
Seit einigen Monaten gilt der "Baum" als Nazitreffpunkt. Und
das, obwohl Friedrichshain doch als Szene-Bezirk bekannt ist - oder es
zumindest lange Zeit war. Ehemals besetzte Häuser und linke Polit-WG,
Infoläden und selbst organisierte Cafés prägen neben
den üblichen Ostberliner Prolls das Erscheinungsbild des Bezirks.
Nun aber kommen in der so piefig erscheinenden Kneipe die jungen kurzhaarigen
Männer zusammen, um gemeinsam zu saufen, abzuhängen oder auch
mal loszuziehen, um Ausländer oder Linke "aufzumischen".
Ständig hängen sie vor dem "Baum" herum, gebärden
sich so männlich wie nur irgend möglich, nennen Vorbeigehende
auch schon mal "Judennase" oder greifen sie körperlich
an. Die Wirtin Doris Engel stört das alles nicht. Anfang des Jahres
hat ihr Mann die Kneipe übernommen. Mittlerweile führt sie den
Laden, weil ihr Gatte im Knast sitzt - wegen eines "Bagatelldeliktes",
wie es beim Bezirksamt heißt. Engel scheint mit den rechtsextremen
Gästen bestens auszukommen. Liebevoll redet sie von "meinen
Jungs". Am Outfit, den rechten Sprüchen und der Musik ihrer
Besucher kann sie erstmal nichts Schlimmes finden. Im Grunde ist das ja
auch in anderen Proll-Kneipen ganz ähnlich - Hauptsache, der Umsatz
stimmt. Und das zur Genugtuung beider Seiten. Denn die rechte Klientel,
so verrät ein Behördenvertreter, fühle sich im "Baum"
auch deswegen so wohl, "weil das Saufen dort einfach etwas billiger
ist als woanders". Neben Hooligans, die sich zwar als "rechts,
aber unorganisiert" bezeichnen und trotzdem gerne Jagd auf Ausländer
machen, treffen sich im "Baum" in erster Linie Nazis aus dem
so genannten Kameradschaftsspektrum. Formale Mitgliedschaften gibt es
bei den Kameradschaften zwar nicht, durch Koordination untereinander können
sie dennoch auf eine gewisse Infrastruktur zurückgreifen und sind
vor allem wesentlich aktionistischer als die Wahlpartei NPD. Wo sich ein
so großes faschistisches Potenzial wie im "Baum" zusammenfindet,
darf aber die NPD auf keinen Fall fehlen. Aktivisten der Nazipartei besuchen
die Friedrichshainer Kneipe schon mal in der Hoffnung, hier neue Mitglieder
rekrutieren zu können. Der Verfassungsschutz hat nach eigenen Angaben
bisher kein Auge auf die Kneipe in der Libauer Straße geworfen.
Aufgabe des Amtes sei allein die Beobachtung organisierter Extremisten.
Das lose Zusammentreffen in der Kneipe gehöre nicht dazu - obwohl
der jährliche Verfassungsschutzbericht auch die Unabhängigen
Kameradschaften aufführt. Aber im Gegensatz zum Lichtenberger "Café
Germania", das bis Ende vergangenen Jahres Treffpunkt der Berliner
Neonazi-Szene war, wird der "Baum" nicht von den Rechtsextremen
selbst betrieben, sondern lediglich von ihnen frequentiert. Bei der Polizei
dagegen ist der "Baum" durchaus bekannt. Die Schutzpolizei zeigt
in der Libauer Straße regelmäßig Präsenz. Bisher,
so antwortete der Innensenat auf eine Kleine Anfrage des PDS-Abgeordneten
Freke Over, gebe es bereits neun Strafanzeigen, "die in direktem
örtlichem Zusammenhang mit der betreffenden Gaststätte stehen".
Anfang Juli sei es vor dem "Baum" gar "zu einer wechselseitigen
gefährlichen Körperverletzung zwischen einem Ausländer
und einem deutschen Staatsangehörigen" gekommen. Das Gefährlichste
an der Kneipe, so die Meinung von Innenverwaltung und Polizei, sei jedoch
die Gegenmobilisierung der Antifa. Bei sechs der neun Strafanzeigen geht
es um Aktionen gegen die Gaststätte - darunter auch "gemeinschaftlich
begangene Delikte in Verbindung mit Landfriedensbruch". Und so erklärt
sich auf Anfrage ein Kriminalbeamter des Referates Rechtsextremismus beim
Berliner Staatsschutz auch für "nicht zuständig" und
verweist an einen Kollegen vom Referat Linksextremismus: "Der kann
Ihnen mehr dazu sagen." Darf er aber nicht. Sonst wäre eventuell
der Erfolg polizeilicher Maßnahmen gefährdet. Angesichts der
Behörden-Befürchtung, das Schreckgespenst Antifa-Bewegung werde
nicht ruhen, bis der "Baum" dichtmacht oder zumindest die rechten
Gäste ausbleiben, setzt das Bezirksamt Friedrichshain auf Mediation:
Wenn sich alle an einen Tisch setzen und über ihre Probleme miteinander
plaudern, dann wird's schon irgendwie werden. Alle Seiten, so ist der
Wunsch der Bezirksverwaltung, sollen am Ende zufrieden sein. Das alles
unter dem Vorzeichen des so genannten Quartiersmanagements. Der Bezirk
soll attraktiver werden - und da passt das Bild von prügelnden Nazis,
aufgebrachten Nachbarn und demonstrierenden Antifas eben nicht so richtig
hinein. Die bisherige Berichterstattung der Berliner Lokalpresse über
den "Baum" und dessen rechtsextreme Gäste sieht man daher
nicht gerade gern: Für die vom Bezirksamt initiierten Gespräche
zur "Beilegung des Konfliktes" seien der Medienrummel, die von
den Anwohnern organisierten Unterschriftenlisten gegen den "Baum"
und die Aktionen von Antifa-Initiativen nicht gerade förderlich,
finden die Quartiersmanager. Von Matthias Lembke
<<<
Presse
13.10.1999 Jungle World Lichtenberger
Nächte Nach dem Mord
erstmal ein Bier: Gerade hatten die mutmaßlichen Mörder des
38jährigen Kurt S. am Mittwoch vergangener Woche ihr Opfer im Berliner
Bezirk Lichtenberg niedergestochen, da ging's auch schon weiter zur Party.
Ein Anwohner zeigte die Rechtsradikalen wegen Ruhestörung an, nachdem
sie ihre Tat offenbar zu laut in einer nahegelegenen Wohnung gefeiert
hatten. Die vier Männer im Alter von 17 bis 23 Jahren hatten ihr
Opfer wenige Stunden vorher erst beim Biertrinken an einer Tankstelle
kennen gelernt. Während eines Streites schlugen sie dann auf den
Mann ein und stachen ihm in den Hals. Kurt S. starb am Tatort, die Rechtsradikalen
raubten noch eben sein Geld und gingen dann weiter. Die Polizei schließt
freilich einen politischen Hintergrund aus.
<<<
Presse
04.03.1997 PDS Prenzlberger
Wissen Sie, wer Horst Wessel war?
Wissen Sie, wo sein Grab liegt? Es liegt im Prenzlauer Berg, auf dem Friedhof
der St.-Nikolai-Gemeinde, am Prenzlauer Tor.
Warum ich das erwähne? Am – nach 1945 eingeebneten –
Grab von Horst Wessel haben Neonazis vor kurzem ihres Nazi-Idols gedacht.
Zu Zwischenfällen sei es aber nicht gekommen, konnte Bürgermeister
Kraetzer (SPD) jüngst in der Bezirksverordnetenversammlung berichten.
Neonazis im Schicki-Micki-Bezirk Prenzlauer Berg? Schließlich war
nicht das Krankenhaus Prenzlauer Berg, sondern das Krankenhaus im Friedrichshain
zu braunen Zeiten nach Herrn Wessel benannt, wie übrigens der ganze
Bezirk Friedrichshain. Und einen Horst-Wessel-Platz und eine Straße
mit seinem Namen gab es in Mitte. Doch Vorsicht, nachwendig verschwundene
Namen von Antifaschisten auf Straßenschildern, nachwendig verschwundene
Gedenktafeln von Antifaschisten mahnen, mit Geschichte nicht wie mit Müll
umzugehen.
Vielleicht sollte den Menschen, die meinten, an Horst Wessels Grab kommen
zu müssen, ein Buch empfohlen werden, sofern sie denn lesen können
und wollen. Aber auch das kann gelernt werden. Im Aufbau Verlag ist 1996
die Taschenbuchausgabe eines drei Jahre vorher im Christoph Links Verlag
erschienenen Buches von Heinz Knobloch herausgekommen: "Der arme
Epstein. Wie der Tod zu Horst Wessel kam". Knobloch, wie gewohnt
akribisch recherchierend, hat sich mit Leben und Tod des frühen Nationalsozialisten
Horst Wessel auseinandergesetzt. Knobloch legt dar, wie sich die Dinge
in Berlin 1930 zugetragen haben, wie Sally Epstein in die Angelegenheit
verstrickt wurde, wie die Story von den Nazis vermarktet und warum sie
in der DDR verschwiegen wurde. Knobloch nennt auch die wirklichen Helden
der Tragödie: so Epsteins Zieh-Mutter Rosa Lutter, die nach seiner
Hinrichtung um die Herausgabe seiner Leiche kämpfte, der im Vorstand
der Berliner Jüdischen Gemeinde für das Friedhofs- und Finanzdezernat
zuständige Dr. Carl Fuchs, der einer ihm unbekannten Frau nichtjüdischen
Glaubens genehmigte, ihren zwar jüdischen, aber sozusagen ungläubigen
und überhaupt nicht leiblichen Sohn auf dem Jüdischen Friedhof
in Berlin-Weißensee beisetzen zu lassen. Fuchs starb 1943 in Theresienstadt,
wohin er deportiert worden war.
Knobloch erfüllte übrigens mit seinem Epstein-Buch eine Schuld:
In mehren Büchern über Jüdische Friedhöfe in Berlin
hatte er als Mitautor oder Autor Epsteins Grab nicht erwähnt. Wie
sagt das Sprichwort: Ein Blick ins Buch, und zwei ins Leben. Aber eben
auch ein Blick ins Buch, bitte.
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