Kleine Anfrage vom 15. Juli 2004 und Antwort: Rechtsextreme Aktivitäten in Friedrichshain

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:

1. Wie viele Straftaten mit rechtsextremem, fremden-feindlichem oder antisemitischem Hintergrund hat es in den vergangenen Jahren (2001-2004) im Stadtteil Friedrichshain gegeben (bitte nach Delikt und Jahr aufschlüsseln)?

Zu 1.: Die Bewertung und Erfassung politisch motivierter Straftaten erfolgt auf Grundlage des seit 2001 bundesweit verbindlichen Definitionssystems Politisch motivierter Kriminalität (PMK), mit dem eine differenzierte, über den Bereich des politischen Extremismus hinausreichende und am "tatauslösenden politischen Moment" anknüpfende Auswertung und Darstellung ermöglicht wird.
Registriert werden die Straftaten, bei denen in Würdigung der Tatumstände und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung einer "rechten" Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat in jedem Fall die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichdemokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. (PMK-rechts) Fremdenfeindliche Straftaten bilden den Teil der in PMK-rechts enthaltenen sog Hasskriminalität, der aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen
o Nationalität,
o Volkszugehörigkeit,
o Rasse,
o Hautfarbe,
o Religion,
o Herkunft
des Opfers verübt wird. Die Zuordnung einer Straftat zur - in Anlehnung an den international verwendeten Begriff "Hate-Crime" bezeichneten - Hasskriminalität setzt nach Würdigung der Tatumstände und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür voraus, dass die Tathandlung gegen eine Person mit den genannten Motiven im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.
Antisemitisch ist der Teil der Hasskriminalität, der aus antijüdischer Haltung im Rahmen von PMK-rechts begangen wird.
Für die Jahre 2001 und 2002 können die Fallzahlen nur für den gesamten Verwaltungsbezirk Friedrichshain-Kreuzberg dargestellt werden. Nach Änderung der statistischen Erfassungskriterien ist ab 2003 auch eine differenzierte Betrachtung der Ortsteile möglich - hier Friedrichshain:

Gesamtübersicht politisch -rechts- motivierter Straftaten
Geordnet nach Jahren, Vergehen, Art und Anzahl

2001
§ 125 a - andere Themenfelder - 1
§ 130 - Hasskrim./antisemitisch - 6
§ 130 - Hasskrim./fremdenfeindlich - 4
§ 185 - Hasskrim./antisemitisch - 1
Hasskrim./fremdenfeindlich - 1
§ 224 - Hasskrim./fremdenfeindlich - 1
andere Themenfelder - 2
§ 86 a - Hasskrim./fremdenfeindlich - 1
andere Themenfelder 13

2002
§ 130 - Hasskrim./fremdenfeindlich - 4
Hasskrim./antisemitisch - 6
Hasskrim./antisem.+fremdenf. - 2
§ 223 - andere Themenfelder - 2
§ 224 - andere Themenfelder - 1
§ 86 a - Hasskrim./fremdenfeindlich - 4
andere Themenfelder - 31
§ 86 - andere Themenfelder - 1

2003
§ 113 StGB - antisemitisch/fremdenfeindlich - 1
§ 130 StGB - antisemitisch/fremdenfeindlich - 2
fremdenfeindlich - 1
andere Themenfelder - 1
§ 185 StGB - andere Themenfelder - 1
§ 224 StGB - fremdenfeindlich - 4
andere Themenfelder - 1
§ 86 a StGB - fremdenfeindlich - 1
andere Themenfelder - 23

2004 Jan.-Juni
§ 130 StGB - antisemitisch - 3
andere Themenfelder - 2
§ 224 StGB - antisemitisch/fremdenfeindlich - 1
andere Themenfelder - 1
§ 303 StGB - antisemitisch - 1
§ 86 a StGB - antisemitisch - 1
fremdenfeindlich - 1
andere Themenfelder - 23

Fallaufkommen mit antisemitischer Motivation

2001
§ 130 - antisemitisch - 6
§ 185 - antisemitisch - 1

2002 - § 130 antisemitisch - 6

2003, 2004 Jan.-Juni
§ 130 StGB - antisemitisch - 3
§ 303 StGB - antisemitisch - 1
§ 86 a StGB - antisemitisch - 1

Fallaufkommen mit fremdenfeindlicher Motivation

2001
§ 130 - fremdenfeindlich - 4
§ 185 - fremdenfeindlich - 1
§ 224 - fremdenfeindlich - 1
§ 86 a - fremdenfeindlich - 1

2002
§ 130 - fremdenfeindlich - 4
§ 86 a - fremdenfeindlich - 4

2003
§ 130 - StGB fremdenfeindlich - 1
§ 224 - StGB fremdenfeindlich - 4
§ 86 a - StGB fremdenfeindlich - 1

2004 Jan.-Juni
§ 86 a - StGB fremdenfeindlich - 1

Fallaufkommen mit antisemitischer und zugleich fremdenfeindlicher Motivation

2001, 2002
§ 130 antisemitisch/fremdenfeindlich - 2

2003
§ 113 StGB - antisemitisch/fremdenfeindlich - 1
§ 130 StGB - antisemitisch/fremdenfeindlich - 2

2004 Jan.-Juni
§ 224 StGB - antisemitisch/fremdenfeindlich - 1

Erklärungen:
§ 125 a StGB Bes. schw. Fall des Landfriedensbruchs
§ 113 StGB Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
§ 130 StGB Volksverhetzung
§ 185 StGB Beleidigung
§ 223 StGB Körperverletzung
§ 224 StGB Gefährliche Körperverletzung
§ 86 StGB Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
§ 86 a StGB Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen


2. Welche rechtsextremen Gruppierungen und Parteien mit welchem Personenpotential sind nach Kenntnis des Senates in Friedrichshain tätig

Zu 2.: In Friedrichshain sind zurzeit keine rechtsextremistischen Personenzusammenschlüsse tätig. Vereinzelt in Friedrichshain wohnende aktionsorientierte Rechtsextremisten entwickeln ihre Aktivitäten nicht in ihrem Wohnbezirk, sondern außerhalb.

3. Welche angemeldeten Veranstaltungen mit rechts-extremem Hintergrund hat es seit 2001 in Friedrichshain gegeben?

Zu 3.: Folgende Versammlungen in Friedrichshain wurden seit 2001 angemeldet:
01.05.2001 Aufzug des NPD-Landesverband Berlin-Brandenburg, Thema: "Deutschland zuerst - gemeinsam für soziale Gerechtigkeit in einem Europa der Vaterländer - gemeinsam die Globalisierung stoppen"
07.10.2001 Aufzug zum Thema: "USA internationales Völkermordzentrum" und "Wer SPD wählt, wählt den Krieg"
01.05.2002 Aufzug der NPD zum Thema: "Soziale und nationale Gerechtigkeit"
20.03.2003 Aufzug zum Thema "Stoppt den US-Angriffskrieg - Bush nach Den Haag"
10.01.2004 Aufzug zum Thema : "Weg mit dem Landser-Urteil - Musik ist nicht kriminell"
01.05.2003 Aufzug der NPD zum Thema "Arbeitsplätze für Deutsche sichern - Sozialabbau bekämpfen/ NEIN zur EU-Osterweiterung und zum EU-Beitritt der Türkei!"
08.05.2004 NPD-Informationsveranstaltung gegen die im Bethanienhaus stattfindende Ausstellung "Wenn Liebe Gift wird"

Die Aufzüge fanden nicht ausschließlich in Friedrichshain statt, da die Routen in der Regel auf Hauptverkehrsstraßen und über Bezirksgrenzen hinweg verliefen.

4. Welche nichtangemeldeten Veranstaltungen oder Aktionen, die seit 2001 in Friedrichshain stattgefunden haben, sind dem Senat bekannt?

Zu 4.: Hinsichtlich rechtsextremistischer Veranstaltungen oder Aktionen zwischen 2001 und Oktober 2002 wird auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage 15/710 verwiesen. Seit Oktober 2002 kam es vereinzelt zu Aktio-nen von Rechtsextremisten. Anlass der Aktionen war in der Vergangenheit vor allem das Gedenken an Horst WESSEL. WESSEL wurde nach einem Attentat am 14. Januar 1930 in das St.-Joseph-Krankenhaus (heute: Vivantes Klinikum im Friedrichshain) eingeliefert, wo er am 23. Februar 1930 verstarb. Im Jahr 2004 nutzten Ka-meradschaftsaktivisten diesen Anlass, um am Krankenhaus eine von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkte Gedenkveranstaltung abzuhalten.

5. Welche Treffpunkte (im öffentlichen Raum wie auch in Kneipen oder Clubs) sind dem Senat in Friedrichshain bekannt?

Zu 5.: Es gibt in Friedrichshain keine Orte, die als ge-nuin rechtsextremistische Treffpunkte beschrieben werden könnten. Eine Verdichtung des Rechtsextremismus im öffentlichen Raum ist nicht festzustellen. Rechtsextremisten agieren in Friedrichshain vielmehr subkulturell und jugendtypisch, d. h. sie besuchen Kneipen oder Clubs, die auch von anderen Jugendlichen frequentiert werden. Es liegen keine Hinweise dafür vor, dass in diesen allgemein zugänglichen Kneipen rechtsextremistische Aktivitäten entwickelt werden würden.

6. Welche organisatorischen oder personellen Vernetzungen bzw. welche Zusammenarbeit gibt es nach Auf-fassung des Senats zwischen rechtsextremen Gruppierungen und Parteien in Friedrichshain?

Zu 6.: In Friedrichshain ist derzeit - wie auch in den übrigen Berliner Bezirken - keine organisatorische Vernetzung aktionsorientierter Personenzusammenschlüsse wie den Kameradschaften und rechtsextremistischen Parteien festzustellen. Gemeinsame Aktionen zwischen bei-den Spektren sind für den Bezirk Friedrichshain ebenfalls nicht bekannt. Das Berliner Kameradschaftsnetzwerk ist hinsichtlich der Bewertung der ideologischen und strategischen Ausrichtung der NPD gespalten. Es kommt daher lediglich zu einer punktuellen Zusammenarbeit mit der Partei. Dennoch bemüht sich die NPD um die Einbindung parteiunabhängiger Rechtsextremisten auch aus dem Kameradschaftsnetzwerk. Ein Beispiel für eine gemein-sam durchgeführte Aktion ist die Teilnahme zahlreicher Berliner Kameradschaftsaktivisten an der vom NPD-Bundesvorstand angemeldeten Demonstration am 1. Mai 2004 in Berlin.

Berlin, den 06. August 2004
D r. E h r h a r t K ö r t i n g
Senator für Inneres